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Kinderbetreuung als prägender Entwicklungsfaktor für die kindliche Psyche

Verfasst von: Ute Ziegenhain, Lina Hermeling und Melanie Steiner
Kinder wachsen heute in vielfältigen Familienkonstellationen auf. In diesem Zusammenhang ist auch familienergänzende Betreuung ein wichtiger Faktor in der Unterstützung junger Familien geworden. Dabei verläuft insbesondere die Debatte um frühe Krippenbetreuung gewöhnlich polarisiert und lässt sich auf die Frage danach zurückführen, inwieweit die Betreuung von Kleinkindern vorrangig der familiären oder der gesellschaftlichen Verantwortung unterliege. Diese Debatte ist nicht zuletzt auch ideologisch und in der Vorgeschichte der beiden deutschen Staaten begründet. Theoretisch und auf der Basis von Forschungsbefunden lässt sich ableiten, dass die Entwicklung von Kindern in Beziehungen stattfindet, die neben den Beziehungen zu den Eltern auch die Beziehungen zu anderen relevanten Bezugspersonen, wie etwa Erzieherinnen und Erziehern, einbezieht. Die Qualität dieser Beziehungen beeinflusst die sozialen und kognitiven Kompetenzen von Kindern und sollte daher eine zentrale Rolle in einer intelligenten familienpolitischen Steuerung spielen.

Verantwortungsverteilung in der Kinderbetreuung

Die familiären und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für das Aufwachsen von Kindern in der Familie haben sich in den vergangenen 50 Jahren in vielerlei Hinsicht geändert. Zu diesen Veränderungen gehören demografische Veränderungen mit einer sinkenden Zahl von Geburten, aber auch ein hoher Anteil nichtehelicher Geburten, eine steigende Scheidungsquote und damit verbunden die Anzahl von vermehrt Alleinerziehenden bzw. Stieffamilien. Längst wachsen zahlreiche Kinder in vielfältigen Familienkonstellationen auf, die nur teilweise dem Modell der „klassischen“ Ehe entsprechen. In diesem Zusammenhang ist auch familienergänzende Tagesbetreuung und dabei auch Krippenbetreuung ein wichtiger Faktor in der Unterstützung junger Familien geworden. Tatsächlich ist die Betreuung von kleinen Kindern durch mehrere Bezugspersonen die übliche Betreuungsform in der Entwicklungsgeschichte der menschlichen Spezies. Die bisher „selbstverständliche“, weitgehend abgegrenzte Kernfamilie mit einem oder zwei Kindern ist als entwicklungsbiologisch neues „Experiment“ in der menschlichen Entwicklungsgeschichte noch sehr jung. Menschen lebten immer in Gruppen. Familienverbände waren generationenübergreifend und schlossen Hausangestellte und andere Mitbewohner im Sinne des römischen Begriffs der „Familia“ mit ein. Insofern hatten Kinder lange Zeit mehrere Bezugspersonen (Ziegenhain und Fegert 2014). Über die Zeit hinweg hat sich offenbar eine Verantwortungsverteilung zugunsten des Schutzes, der Versorgung und der Entwicklung der Kinder bewährt.
Diese Verantwortungsverteilung hat Auswirkungen darauf, wie außerfamiliäre Betreuung von Kindern gestaltet wird. Der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen beim Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend hat in seinem Betreuungsgutachten sehr deutlich darauf hingewiesen, dass Kennzahlen wie Betreuungsschlüssel bzw. Gruppengröße und Beziehungsqualität, die etwa durch personelle Konstanz definiert ist, zentrale Qualitätsmerkmale sind. Beziehungsqualität im pädagogischen Kontext lässt sich des Weiteren durch Merkmale wie emotionale „Zuwendung“, „Sicherheit“ und „Stressreduktion“ sowie durch sogenannte „Assistenz“, dann wenn Kinder nicht mehr alleine zurechtkommen und Hilfe suchen bzw. bekommen, sowie „Unterstützung bei der Exploration“ charakterisieren (Ahnert und Harwardt 2008; nach Booth et al. 2003). Dabei beziehen sich die beiden letztgenannten Merkmale spezifisch auf den pädagogischen Kontext. Sie tragen zu einem übergreifenden „Gruppenklima“ bei, das, über jeweils individuelle Interaktionen zwischen Erzieherinnen und Kindern hinaus, ausschlaggebend für die Beziehungsgestaltung in Gruppen sein dürfte. Die Kompetenz, Aufmerksamkeit und Zuwendung zu teilen bzw. alle Kinder in einer Gruppe zu beobachten und individuell zu unterstützen und zu fördern, erfordert spezifische Qualifikationen (Ahnert et al. 2006). Demgegenüber sind Erzieherinnen und Erzieher im europäischen Vergleich nach wie vor schlechter qualifiziert und vergütet.

Kindertagesbetreuung in Deutschland

In Deutschland wurde familienergänzende Tagesbetreuung von Kindern und dabei insbesondere von Kindern unter drei Jahren, im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern, immer wieder kontrovers diskutiert. Als mögliche negative Auswirkungen bei Kindern, die fremdbetreut werden, werden etwa Beeinträchtigungen in der Mutter-Kind-Beziehung oder in der sozial-emotionalen Entwicklung befürchtet.
Dabei verläuft insbesondere die Debatte um frühe Krippenbetreuung gewöhnlich polarisiert. Dies lässt sich auch historisch nachzeichnen. In der Vorgeschichte der beiden deutschen Staaten fand nachgerade ein ideologisierter Systemstreit darüber statt, inwieweit die Betreuung von Kleinkindern vorrangig der familiären oder der gesellschaftlichen Verantwortung unterliege. Kursorisch genannt seien hier etwa die ideologisch und kontrovers geführten Debatten in den 1970er- und 1980er-Jahren, in denen „linke“, von der 68er-Bewegung gespeiste Haltungen (Kinderläden) auf konservative familienpolitische Haltungen prallten, die damals noch die ausschließliche mütterliche Betreuung vertraten, oder die heftig geführte Diskussion nach der Wende um die Krippenerziehung in der ehemaligen DDR Anfang der 1990er-Jahre, die Anfang 2000 mit einer empirisch fragwürdigen Verknüpfung von Krippenerziehung in der DDR und Gewalt bei Jugendlichen noch einmal aufflammte. Der folgende konsequente Ausbau von Krippenplätzen verbunden mit einem Rechtsanspruch für die Betreuung von unter Dreijährigen (TAG, KiFöG) sowie weitergehende Initiativen zum qualitativen Ausbau von Kinderbetreuung (Gute-KiTa-Gesetz) lässt sich nicht zuletzt durch die demografische Entwicklung und die sinkenden Geburtenzahlen und die damit verbundene steigende gesellschaftliche Bedeutung jedes einzelnen Kindes interpretieren. Daraus dürfte sich die vermehrte Verantwortungsübernahme der Politik und der Gesellschaft für das Aufwachsen von Kindern erklären lassen (Künster und Ziegenhain 2014).
Mittlerweile werden die meisten Kinder in Deutschland außerfamiliär betreut. Nahezu alle Kinder gehen in den Kindergarten bzw. in die Vorschule, und zunehmend mehr Kleinkinder werden auch außerhalb der Familie betreut. Im März 2018 waren 789.559 Kinder unter drei Jahren (33,6 %) in einer Kindertageseinrichtung oder in Tagespflege, während es 2008 noch 361.623 Kinder (17,6 %) waren. Bei Kindern über drei Jahren bis zum Schuleintritt liegt die Betreuungsquote mit 93,6 % deutlich höher. Dabei gibt es in der Betreuung der unter 3-jährigen Kinder beträchtliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Während in den neuen Bundesländern im Jahr 2017 mehr als jedes zweite Kind in einer Kindertagesbetreuung war, galt dies in den alten Bundesländern für jedes dritte bis vierte Kind. Im Jahr 2017 lag der Personalschlüssel, inklusive des Leitungspersonals, im gesamtdeutschen Durchschnitt bei 1:4,3, 2012 betrug er noch 1:4,8. Auch hier ist ein klares Ost-West-Gefälle erkennbar. In Baden-Württemberg war 2017 eine Vollzeitkraft für 3,1 Kinder unter drei Jahren zuständig (niedrigster Personalschlüssel), in Sachsen für 6,4 Kinder (höchster Personalschlüssel) (Statistisches Bundesamt 2018).

Positive Beziehungen als Grundlage für gelingende Entwicklung

Kinder entwickeln sich und sie lernen in Beziehungen. Dies ist allgemein anerkannte Grundannahme moderner Entwicklungspsychologie bzw. der ethologischen Bindungstheorie. Dabei geht es nicht nur um die Beziehung mit den Eltern, sondern auch um die Beziehung mit anderen relevanten Bezugspersonen, wie etwa Erzieherinnen und Erziehern. Im Unterschied zu der auch heute noch häufig rezipierten Annahme, dass Kinder sich nur an eine Bezugsperson, nämlich die Mutter binden, sind sie gut in der Lage und biologisch dafür ausgestattet, zu mehr als zwei oder drei Personen wesentliche Bindungsbeziehungen aufzubauen. Die meisten Kinder verfügen über ein „Netz“ an relevanten Bezugspersonen (Ziegenhain und Fegert 2014). Insbesondere bei jungen Kindern dürften Beziehungen zu anderen Menschen als den Eltern dann bindungsrelevante Bedeutung haben, wenn sie sich bei Kummer und Belastung an eine vertraute und zugewandte Bezugsperson wenden können, bei der sie Schutz und emotionale Sicherheit finden und die sie bei der Regulation ihrer Gefühle bzw. auch bei ihrer Stressregulation unterstützen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass Kinder in Einrichtungen zu jeder der dortigen Erzieherinnen eine bindungsähnliche Beziehung aufbauen. Wenn aber Beziehungen aufgebaut wurden, so die Ergebnisse einer Metaanalyse, in die mehr als 3000 Erzieherin-Kind-Paare aus 40 Studien einbezogen waren, waren es überwiegend Beziehungen zu solchen Erzieherinnen, die stabil und zuverlässig verfügbar waren, und zwar gleichermaßen emotional als auch kontinuierlich anwesend (Ahnert et al. 2006).
Es lässt sich empirisch solide ableiten, dass die jeweiligen Beziehungen zu unterschiedlichen Bezugspersonen unterschiedlich in ihrer Qualität sind (Ahnert et al. 2006). Dabei beeinflusst die Qualität von Beziehungen soziale und kognitive Kompetenzen von Kindern. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Bindungssicherheit und Qualität von Beziehungen die Voraussetzung für viele weitere Entwicklungsprozesse im Leben darstellen. Danach wurden z. B. Zusammenhänge zwischen Bindungssicherheit und sozialen Fähigkeiten gefunden, Freundschaften mit Gleichaltrigen aufzubauen und zu erhalten, mit Konflikten konstruktiv umzugehen, sich autonom und zielorientiert zu verhalten oder flexibel, ausdauernd und frustrationstolerant zu sein. Bindungssicherheit stand auch im Zusammenhang mit kognitiven Leistungen bzw. Schulerfolg oder sprachlichen Kompetenzen (Korntheuer et al. 2007). Unter einer breiteren Perspektive geht es hierbei auch um die Vermittlung motivationaler und sozial-kognitiver Aspekte, die als sogenannte exekutive Funktionen für zielgerichtete Handlungen und Selbststeuerung von Kindern erforderlich sind. Sie lassen sich gemäß neuerer Forschungsarbeiten als gemeinsames Element interpretieren, das frühe Bindungserfahrungen mit späterem Lern- und Bildungserfolg verbindet (Ziegenhain und Gloger-Tippelt 2013).

Die Frage nach der Qualität

Die sogenannte Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der Frühen Kindheit (NUBBEK) verglich Krippenbetreuung, Betreuung von kleinen Kindern in altersgemischten Kindergartengruppen, Kindertagespflege sowie häusliche Betreuung in Deutschland miteinander und zeigte, dass die Betreuung von Kindern in Institutionen in Deutschland in nur weniger als 10 % der Fälle eine gute Qualität im Sinne von Bildung, Erziehung und Betreuung aufwies (Tietze et al. 2012). Andere Studien zeigten bei schlechter Betreuungsqualität stets einen negativen Zusammenhang mit Aspekten wie der Qualität der frühen Mutter-Kind-Bindung, der Schulbildung oder Problemverhaltensweisen des Kindes. Die Effekte, die eine gute oder auch minderwertige Betreuung auf die Entwicklung der Kinder hatten, schienen zudem lange anzuhalten, zeigte doch die groß angelegte amerikanische NICHD-Längsschnittuntersuchung, dass noch im Alter von 15 Jahren eine bessere akademische Leistung der Jugendlichen mit einer besseren Qualität der außerfamiliären Betreuung zusammenhing (Vandell et al. 2010).
Dennoch ist hervorzuheben, dass insgesamt familiäre Aspekte einen größeren Einfluss auf die Entwicklung des Kindes hatten als die jeweilige Betreuungssituation. Die Ergebnisse der NICHD-Studie belegten, dass frühe Tagesbetreuung für sich alleine genommen die Bindungsqualität mit der Mutter nicht beeinflusste. Gemäß mehreren Studien, die Kinder im ersten Lebensjahr bis zu einem Alter von 30 Monaten untersuchten, bestand zwischen der außerfamiliären Betreuung von kleinen Kindern und der Wahrscheinlichkeit, eine sichere oder unsichere Bindung an die Mutter zu entwickeln, kein Zusammenhang (NICHD ECCRN 1997). Allerdings beeinflussten eine schlechte Betreuungsqualität und eine unregelmäßige Betreuungssituation die Entwicklung einer unsicheren Bindung. Die Wahrscheinlichkeit, dass fremdbetreute Kleinkinder eine unsichere Bindung entwickelten, stieg außerdem dann, wenn Mütter sich wenig feinfühlig mit ihnen verhielten (NICHD ECCRN 1997).
Auch der Bildungs- und Entwicklungsstand der Kinder hing in der aktuellen NUBBEK-Studie im stärkeren Maße von Merkmalen der Familien als von Aspekten der außerfamiliären Betreuung ab (Tietze et al. 2012). Zudem interagierten, wie bereits angeführt, familiäre Aspekte mit denen der außerfamiliären Betreuung. Dabei lässt sich eine sichere Bindungsbeziehung als Schutzfaktor beim Krippeneintritt anführen, da, so die Interpretation, Mütter von sicher gebundenen Kindern in der Regel feinfühliger auf die Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen und sie besser bei der Regulation ihrer Belastungen und Gefühle unterstützen (Ahnert et al. 2004). Zudem profitierten Kinder aus sehr belasteten Familien in einigen Entwicklungsbereichen wie etwa der sozial-emotionalen Entwicklung von einer familienergänzenden Betreuung bereits im ersten Lebensjahr (Vandell et al. 2010; Künster und Ziegenhain 2014).

Eingewöhnung in ein neues Setting – Übergang und Vertraut-Werden

Insbesondere aus bindungstheoretischer Perspektive ist die Gestaltung des Übergangs in ein neues, zunächst unvertrautes Setting außerfamiliärer Betreuung von besonderer Bedeutung für die Anpassung und die weitere positive Entwicklung des Kindes. Trennungen von der primären Bezugsperson stellen per se eine Anforderungssituation für kleine Kinder dar, in der sie Unterstützung brauchen. Dies gilt so lange, bis in der neuen Umgebung eine alternative Bezugsperson für das Kind zur Verfügung steht. Dies zeigte sich auch in der Stressreaktivität von Kleinkindern während des Übergangs in das (noch) unvertraute Setting Kindertagesbetreuung. Danach stiegen Cortisol und Herzfrequenz von Kindern an, wenn sie von ihren Müttern in die neue Umgebung gebracht wurden. Insgesamt blieben die Stressreaktionen im Beisein der Mutter auf einem niedrigen Niveau und stiegen erwartungsgemäß erst an, wenn sich die Mütter von ihren Kindern trennten. Dabei war die Abpufferung von Stress bei Kindern mit sicherer Bindung am deutlichsten ausgeprägt (Ahnert et al. 2004). Eingewöhnungsphasen sind mittlerweile weitgehend etabliert. Allerdings ist die fachliche Umsetzung nach wie vor unterschiedlich und qualitativ heterogen. Prinzipiell geht es darum, dass Kinder schrittweise und über mehrere Wochen hinweg mit der neuen Bezugsperson (Erzieherin) vertraut werden, welche dann zunehmend in Abwesenheit der primären Bindungsperson zur Verfügung steht und die Bedürfnisse des Kindes – auch nach Körperkontakt und Geborgenheit – erfüllen kann („sanfte Eingewöhnung“). Rauh und Ziegenhain untersuchten in zwei Studien den Übergang von Säuglingen und Kleinkindern in die Krippe (sanfte vs. abrupte Eingewöhnung; Ziegenhain und Wolff 2000; Rauh et al. 2000). Es zeigte sich, dass diejenigen Kinder, die nach einigen Monaten Krippenerfahrung sicher an ihre Mütter gebunden waren, signifikant häufiger sanft eingewöhnt worden waren.
Inwieweit Kinder in außerfamiliärer Betreuung über die Phase der Eingewöhnung hinaus in ihrer Stressreaktivität beeinflusst sind, ist vor dem Hintergrund bisher unzureichender Forschung nicht eindeutig interpretierbar. Danach zeigte sich bei fremdbetreuten Kindern entgegen der üblichen zirkadianen Rhythmik über den Tag hinweg ein Cortisolanstieg. Diese Befunde lassen sich als akute Stressreaktion interpretieren. Solche Anstiege zeigten sich insbesondere dann, wenn das Geschehen in der Gruppe nicht gut moderiert und gesteuert wurde (Vermeer und van IJzendoorn 2006). Demgegenüber deutete ein anderer längsschnittlicher Befund auf chronische Stressbelastung hin, wie sie sich aus einem niedrigen morgendlichen Cortisolspiegel bzw. einem niedrigen Aktivitätsniveau der HPA-Achse interpretieren lässt. Danach stand ein niedriger Cortisolspiegel bei ehemals im Kleinkindalter fremdbetreuten Kindern in der sechsten Klasse sowie mit 15 Jahren sowohl im Zusammenhang mit wenig feinfühligem Verhalten der Mutter in der Kleinkindzeit als auch – unabhängig davon – mit der Dauer der damaligen Fremdbetreuung (Roisman et al. 2009). Letztgenannte Befunde entstammen der groß angelegten US-amerikanischen NICHD-Längsschnittuntersuchung zur Fremdbetreuung von Kindern. Sie sind insofern sehr vorläufig bzw. uneindeutig, weil der Einfluss mütterlichen Verhaltens und der der Fremdbetreuung nur 1 % des Zusammenhangs mit den Cortisolwerten erklärte. Hinzu kommt, dass methodische Einschränkungen bestehen, da die große Untersuchungsgruppe Zufallsbefunde begünstigt bzw. marginale Zusammenhänge überakzentuiert. Darüber hinaus lagen im Längsschnittvergleich keine Morgencortisolwerte der Kinder im Kleinkindalter vor. Somit konnte die Stressreaktivität nicht im Entwicklungsverlauf kontrolliert werden (Roisman et al. 2009).

Verhaltensauffälligkeiten und außerfamiliäre Tagesbetreuung

Ein weiterer häufig diskutierter Aspekt im Zusammenhang mit der Betreuungssituation in der frühen Kindheit sind Verhaltensauffälligkeiten von Kindern. Es wurde immer wieder die Frage gestellt, ob die Kinder, die fremdbetreut wurden, mehr Verhaltensauffälligkeiten zeigten als die Kinder, die in ihrem häuslichen Umfeld betreut wurden. Hierbei zeigten sich inkonsistente Befunde mit sowohl negativen als auch positiven Effekten auf das sozial-emotionale Verhalten von Kindern. Diese Effekte scheinen jeweils komplexen Wechselwirkungen zu unterliegen (Linkert et al. 2013).
Sowohl eine ältere Metaanalyse als auch neuere Befunde der großen amerikanischen NICHD-Längsschnittuntersuchung zur frühkindlichen Betreuung belegten insbesondere einen Zusammenhang zwischen Fremdbetreuung von Kindern im ersten Lebensjahr und der Entwicklung von Problemverhalten wie externalisierendem oder impulsivem Verhalten (NICHD ECCRN 2002; Vandell et al. 2010). Linkert und Kollegen arbeiteten aus diesen Befunden komplexe Zusammenhänge zwischen der Betreuungsdauer, der Betreuungsqualität und den Problemverhaltensweisen der Kinder heraus: Externalisierende Problemverhaltensweisen bei Kindern waren umso wahrscheinlicher, je länger ein kleines Kind täglich fremdbetreut wurde sowie bei schlechter Betreuungsqualität in Kombination damit, dass die Kinder viel Zeit in einer großen Gruppe verbrachten (Linkert et al. 2013). Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von externalisierenden Problemverhaltensweisen stieg zudem mit der Anzahl an unterschiedlichen Betreuungskontexten, in denen das Kind betreut wurde (Bacharach und Baumeinster 2003).
Demgegenüber stehen Befunde, die die Vorteile einer Fremdbetreuung in einer Gruppe von kleinen Kindern für ihre sozial-emotionale Entwicklung belegen. Die EPPE-Studie, die in Großbritannien mit mehr als 3000 Kindern durchgeführt wurde, zeigte beispielsweise, dass eine längere Betreuung der Kinder mit mehr Kooperation und Selbstvertrauen bei den Kindern einherging und eine frühere Fremdbetreuung mit mehr prosozialem Verhalten im späteren Entwicklungsverlauf der Kinder assoziiert war (Sammons et al. 2007; Künster und Ziegenhain 2014).

Fazit

Eine intelligente familienpolitische Steuerung im Sinne einer gelingenden Entwicklung, Förderung und Bildung von Kindern setzt qualitativ gute außerfamiliäre Betreuung voraus. Insgesamt geht es darum, mit gut aufeinander abgestimmten und aufeinander aufbauenden Maßnahmen Familien mehr Optionen und Wahlfreiheit für ihre Lebensgestaltung im Sinne einer individuellen Lösung für jedes Kind und jede Familie zu ermöglichen.
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