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Kognitive und sozioemotionale Entwicklung

Verfasst von: Manfred Döpfner
Die kognitive und die sozial-emotionale Entwicklung sind eng miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. Die Kognitionen beziehen sich nicht nur auf die physikalische, sondern auch auf die soziale Umwelt und die eigene Person einschließlich der eigenen Gefühle und beeinflussen damit die soziale emotionale Entwicklung. Umgekehrt regen soziale und emotionale Erfahrungen die kognitive Entwicklung an. Die kognitive Entwicklungspsychologie befasst sich mit der Entwicklung des Denkens im weiteren Sinne, d. h. der höheren geistigen Funktionen wie Problemlösen, Kreativität, Begriffsbildung, Lernen und Erinnern, wie auch grundlegender Funktionen wie Wahrnehmung und Sprache. Neben umfassenden theoretischen Ansätzen, wie die Theorie von Jean Piaget, haben eine Vielzahl empirischer Studien unser Wissen über Sprachentwicklung, die Entwicklung der Informationsverarbeitung einschließlich der Gedächtnisfunktion und die Entwicklung kognitiver Konzepte einschließlich der Entwicklung von alltagspsychologischem Verständnis erheblich vergrößert. Zu den einflussreichsten Theorien der sozial-emotionalen Entwicklung zählt Sigmund Freuds Entwicklungstheorie, wenngleich wesentliche Postulate seiner Theorie sich nicht bestätigen ließen. Die wichtigsten Entwicklungsbereiche beziehen sich auf die Entwicklung von Emotionen und der Emotionsregulation, auf Konzepte des Temperaments, sowie auf die moralische Entwicklung, die Entwicklung des Selbst und der Identität und die Entwicklung von Gleichaltrigenbeziehungen. Die Vorstellung von klar aufeinander abfolgenden Entwicklungsphasen konnte insgesamt empirisch nicht bestätigt werden. Die empirische Forschung weist eher auf kontinuierliche und weniger sequenziell ablaufende Prozess hin.
Die kognitive und die sozial-emotionale Entwicklung sind eng miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. Die Kognitionen beziehen sich nicht nur auf die physikalische, sondern auch auf die soziale Umwelt und die eigene Person einschließlich der eigenen Gefühle und beeinflussen damit die soziale emotionale Entwicklung. Umgekehrt regen soziale und emotionale Erfahrungen die kognitive Entwicklung an. Ein wesentlicher Aspekt der sozial-emotionalen Entwicklung, die Entwicklung von Bindungen, wird in einem eigenen Kapitel (Kap. „Bindung im Kindes- und Jugendalter“) behandelt

Kognitive Entwicklung

Die kognitive Entwicklungspsychologie befasst sich mit der Entwicklung des Denkens im weiteren Sinne, d. h. der höheren geistigen Funktionen wie Problemlösen, Kreativität, Begriffsbildung, Lernen und Erinnern, wie auch grundlegender Funktionen wie Wahrnehmung und Sprache (Sodian und Ziegenhain 2012).

Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung

Jean Piaget gehört zu den einflussreichsten Entwicklungspsychologen des 20. Jahrhunderts. Vor allem die von ihm beschriebenen Stufen der kognitiven Entwicklung von Kindern hat die Entwicklungspsychologie nachhaltig beeinflusst, wenngleich die Stadientheorie in nachfolgenden empirischen Studien auch teilweise widerlegt wurde. Nach Piaget verläuft die kognitive Entwicklung von Kindern in vier relativ gut abgegrenzten Stadien ab (Piaget 1981):
(1)
Im sensomotorischen Stadium (Geburt bis zwei Jahre) beginnen Kinder, die Welt durch Sinneswahrnehmung und motorische Aktivitäten zu begreifen. Im Verlauf der ersten beiden Lebensjahre entwickelt sich Piaget zufolge die sensomotorische Intelligenz der Kinder enorm. Schon im 1. Lebensmonat fangen Säuglinge an, ihre Reflexe zu modifizieren, um sie besser anzupassen. In der Mitte des 1. Lebensjahres interessieren sich die Kinder zunehmend für die Welt um sie herum. Gegen Ende des 1. Lebensjahres suchen Kinder nach versteckten Objekten und verhalten sich nicht mehr so, als wären diese verschwunden, was erkennen lässt, dass sie die Objekte auch dann mental repräsentieren, wenn sie diese nicht mehr sehen (Objektpermanenz).
 
(2)
Im präoperationalen Stadium (zwei bis sieben Jahre) werden Kinder zu mentalen Repräsentationen fähig, d. h. Kinder können ihre Erfahrungen in Form von Sprache, geistigen Vorstellungen und symbolischem Denken repräsentieren. Sie neigen jedoch zu Egozentrismus und sie konzentrieren sich bei einem Ereignis oder Problem auf eine einzige Dimension. Ein Beispiel dafür ist die Schwierigkeit von Kindergartenkindern, die räumliche Perspektive anderer Menschen einzunehmen und nicht nur den eigenen Blickwinkel zu berücksichtigen.
 
(3)
Im konkret-operationalen Stadium (sieben bis 12 Jahre) können Kinder logisch über konkrete Aspekte ihrer Umwelt nachdenken, sie haben aber beim abstrakten Denken noch Schwierigkeiten. Sie verstehen beispielsweise, dass die Wassermenge beim Umschütten von einem Glas in ein schmaleres höheres Glas unverändert bleibt. Es fällt ihnen jedoch noch schwer, in rein abstrakten Begriffen zu denken und wissenschaftliche Experimente zu entwickeln, um ihre Annahmen zu überprüfen
 
(4)
Im formal-operationalen Stadium (ab 12 Jahre) erwerben Kinder vor und während der Pubertät die Fähigkeit zum abstrakten Denken. Sie können dann nicht nur über konkrete Ereignisse intensiv nachdenken, sondern auch über Abstraktionen und rein hypothetische Situationen. Sie können systematische wissenschaftliche Experimente durchführen und daraus die angemessenen Schlüsse ziehen, selbst wenn diese Schlüsse von ihren ursprünglichen Annahmen abweichen.
 
Zu den wichtigsten Stärken der Piaget'schen Theorie gehören ihr breiter Überblick über die Entwicklung, ihre plausible und attraktive Perspektive auf das Wesen des Kindes, ihr Einbezug verschiedener Aufgaben und Altersgruppen sowie unendlich viele faszinierende Beobachtungen. Nachfolgende Analysen (Flavel 1982; Miller 2011) haben aber auch einige entscheidende Schwächen der Piaget'schen Theorie identifiziert. So stellt das Stufenmodell das Denken von Kindern konsistenter dar, als es ist. Nach Piaget zeigt das Denken von Kindern, sobald sie eine bestimmte Stufe erreicht haben, die Eigenschaften dieser Stufe konsistent über diverse Konzepte hinweg. Spätere Forschungen ließen jedoch erkennen, dass das Denken von Kindern weit variabler ist, als dieses Bild nahelegt. Darüber hinaus hat die nachfolgende Forschung gezeigt, dass Säuglinge und Kleinkinder kognitiv kompetenter sind, als Piaget dachte, weil er relativ schwierige Verstehenstests vorgab. Piagets Theorie konzentriert sich zudem darauf, wie es Kindern gelingt, die Welt durch ihre eigenen Anstrengungen zu verstehen, und unterschätzt den Beitrag des sozialen Umfeldes zur kognitiven Entwicklung (Siegler et al. 2020).

Sprachentwicklung

„Der Erwerb der Sprache gehört zu den besonders wichtigen Entwicklungsaufgaben im (frühen) Kindesalter. Mit der zunehmenden Fähigkeit, Sprache zu verarbeiten, zu verstehen und sie zugleich produktiv als Ausdrucksmittel für eigene Intentionen und Wünsche, als Darstellungsmedium für Bedeutungen und als Steuerungsmittel in der Interaktion mit anderen zu nutzen, wächst das Kind in die menschliche Kultur hinein und bildet eine gesellschaftliche und persönliche Identität aus“ (Weinert und Grimm 2018, S. 446).
Eine Sprache zu erwerben bedeutet, ein komplexes System aus phonologischen (auf Laute bezogenen), semantischen (auf Bedeutung bezogenen), syntaktischen (grammatikalischen) und pragmatischen (auf Verwendungsmöglichkeiten bezogenen) Regeln zu lernen. Die ersten Jahre des menschlichen Lebens bilden eine kritische Phase für den Spracherwerb. Viele Aspekte der Sprache lassen sich danach schwerer erlernen.
Im ersten Schritt beim Erkennen einer Sprache nimmt das Kind die Laute der eigenen Muttersprache auf der Basis der Prosodie wahr, d. h. den typischen Mustern der gesprochenen Sprache, wie Rhythmus, Tempo, Tonfall, Melodie und Intonation. Die Unterscheidung zwischen den Sprachlauten ist eine weitere Voraussetzung für die Sprachwahrnehmung, wobei schon Säuglinge sprachliche Laute kategorial wahrnehmen, also als diskrete voneinander eindeutig unterscheidbare Klassen. Schließlich entdecken die Kinder über den Prozess der Wortsegmentierung die Wörter als grundlegende Struktur von Sprache in der zweiten Hälfte des 1. Lebensjahres (Siegler et al. 2020).
Das Lautrepertoire, das Säuglinge produzieren können, ist in den ersten beiden Lebensmonaten noch sehr stark eingeschränkt. Mit etwa sechs bis acht Wochen beginnen die Kinder einfache sprachliche Laute zu produzieren. Mit der Erweiterung ihres Lautrepertoires werden sich die Kinder zunehmend der Tatsache bewusst, dass ihre Vokalisationen Reaktionen anderer hervorrufen, und sie beginnen mit ihren Eltern wechselseitige Dialoge. Zwischen dem sechsten und zehnten Lebensmonat beginnen Säuglinge mit dem Plappern, das zunehmend variantenreicher wird und schrittweise den Rhythmus und das Intonationsmuster der täglich gehörten Sprache annimmt. Danach lernen Kinder Wörter als vertraute Lautmuster im Sprachstrom zu segmentieren, ohne ihnen jedoch zunächst eine Bedeutung zuzuschreiben bis sie schließlich erkennen, dass Wörter eine Bedeutung haben. Kinder beginnen überraschend früh damit, sehr vertraute Wörter mit ihren Referenten zu assoziieren. Wenn ein sechs Monate altes Kind „Mama“ oder „Papa“ hört, schaut es die zutreffende Person an.
Die Produktion erkennbarer Wörter beginnt mit etwa einem Jahr, zunächst eher schleppend, bis das Kind mit etwa 18 Monaten bei normaler Entwicklung mindestens 50 Wörter aktiv benutzt. In der holophrasischen Phase sagen Kinder jeweils nur ein Wort. Mit ihrem sehr eingeschränkten Wortschatz machen Kinder oft Überdehnungsfehler, bei denen ein bestimmtes Wort in einem weiteren Kontext verwendet wird, als es der Wortbedeutung angemessen wäre. Ab der Mitte des 2. Lebensjahres lernt das Kind in rasendem Tempo (Benennungsspurt). Schon mit zwei Jahren ist sein aktiver Wortschatz auf etwa 200 Begriffe angewachsen, und im Kindergartenalter lernt es im Durchschnitt mindestens 4–5 Wörter pro Tag. Die sprachliche Kommunikation gewinnt für die Erziehung ab dem 2. Lebensjahr eine stetig wachsende Bedeutung. Dabei ist nicht nur entscheidend, dass das Kind einzelne Wörter versteht, sondern auch Wortzusammenhänge. Die meisten Kinder beginnen gegen Ende des 2. Lebensjahres, Wörter zu einfachen Sätzen zu verknüpfen, zunächst als Zweiwortkombinationen, wobei die Länge und Komplexität der Äußerungen schrittweise zunehmen. Mit etwa vier Jahren beherrschen Kinder die wichtigsten Satzkonstruktionen, wobei ihnen Übergeneralisierungsfehler unterlaufen, bei denen unregelmäßige Formen so behandelt werden, als ob sie regelmäßig gebildet würden (Weinert und Grimm 2018).
Ab dem Kindergartenalter gewinnt auch die Pragmatik der Sprache an Bedeutung, d. h. die Art und Weise, in der Kinder ihre Sprachkompetenzen in Gesprächssituationen einsetzen. Die Anpassung der eigenen Sprechweise an das Gegenüber gelingt schon im Kindergartenalter recht gut. So benutzen Vier- bis Sechsjährige einfachere Sätze und Worte, wenn sie mit einem jüngeren Spielkameraden sprechen als mit einem Gleichaltrigen. Im Gegenzug übernehmen sie gerne Wortwendungen von älteren, wobei sie oft ihre Bedeutung nicht oder nur ansatzweise verstehen. Ab einem Alter von fünf oder sechs Jahren entwickeln Kinder ihre sprachlichen Fähigkeiten zwar weiter, jedoch mit reduzierter Geschwindigkeit. Im Schulalter können die Kinder zunehmend besser Sprache analysieren und reflektieren, und sie beherrschen komplexere grammatische Regeln wie den Gebrauch von Passivkonstruktionen (Siegler et al. 2020).

Informationsverarbeitung

Konzepte zur Entwicklung der Informationsverarbeitung beziehen sich auf die Entwicklung des Gedächtnisses und von Strategien der Informationsverarbeitung sowie auf die Entwicklung der exekutiven Funktionen und von Problemlöseprozessen. In klassischen Gedächtnismodellen wird zwischen dem Ultrakurzzeitgedächtnis, dem Kurzzeitgedächtnis und dem Langzeitgedächtnis unterschieden. Neu wahrgenommene Informationen werden zunächst im Ultrakurzzeitgedächtnis aufgenommen, wo sie nur Bruchteile von Sekunden verbleiben. Bestimmte Informationsanteile können in das Kurzzeitgedächtnis, ein System mit begrenzter Aufnahmekapazität, transportiert und dort über verschiedene Kontrollprozesse (z. B. Wiederholungsvorgänge) aktiv gehalten werden, bis sie in das Langzeitgedächtnis überführt werden können. Das explizite (deklarative) Langzeitgedächtnis umfasst die bewusste Memorierung von Fakten und Ereignissen. Das implizite (nichtdeklarative oder prozedurale) Langzeitgedächtnis enthält im Wesentlichen meist nicht bewusste Fertigkeiten.
Als Maß für die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses gilt die Anzahl semantisch unverbundener Elemente (z. B. Ziffern), die unmittelbar nach einmaliger Präsentation in richtiger Reihenfolge wiedergegeben werden kann. Bei Zweijährigen sind dies durchschnittlich zwei Elemente, bei Fünfjährigen vier und bei Neunjährigen durchschnittlich sechs Elemente. Erwachsene können durchschnittlich sieben Elemente korrekt reproduzieren (Sodian und Ziegenhain 2012). Bezüglich des Langzeitgedächtnisses zeigten Studien, dass schon Säuglinge in der Lage sind, sich Gesichter, Bilder oder Spielzeuge über längere Perioden (Wochen bis Monate) einzuprägen. Die Behaltensdauer bei 18 Monate alten Kindern kann schon mehr als drei Monate betragen. Bekanntlich lassen sich im Hinblick auf die eigene Säuglings- und Kleinkindphase keine Erinnerungen hervorholen. Diese „infantile Amnesie“ mag damit zusammenhängen, dass wir in der späteren Entwicklung, anders als im Säuglingsalter, biografische Ereignisse vorwiegend verbal repräsentieren und dass sich unser „kognitives Selbst“ erst ab dem Alter von drei bis vier Jahren entwickelt und damit eine Kodierung personenbezogener Ereignisse erst ab diesem Zeitpunkt möglich wird. Für viele Bereiche des sprachlichen Gedächtnisses lassen sich deutliche Performanzsteigerungen bis in das späte Jugendalter hinein beobachten, wobei vom späten Kindergarten- bis zum späten Grundschulalter die vergleichsweise größten Leistungszuwächse zu beobachten sind (Siegler et al. 2020).
Die Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit in der kindlichen Entwicklung lässt sich als Zusammenspiel zwischen der Vergrößerung mentaler Ressourcen und dem Einsatz effizienterer Strategien der Informationsverarbeitung vorstellen. Unter Strategien werden potenziell bewusste, intentionale kognitive Aktivitäten verstanden, die dabei helfen sollen, eine kognitive Aufgabe besser zu bewältigen (Schneider und Büttner 2008).
Eine Reihe dieser Strategien entsteht zwischen dem 5. und 8. Lebensjahr, darunter die Strategie des ständigen Wiederholens von Informationen, die man sich einprägen will. Eine weitere, breit einsetzbare Gedächtnisstrategie, die im Grundschulalter zunehmend auftritt, ist die selektive Aufmerksamkeit, d. h. die willentliche Konzentration auf die Information, die für das gegenwärtige Ziel am wichtigsten ist. Mit dem Alter wächst das Inhaltswissen in fast allen Bereichen, wodurch auch das Gedächtnis für neues Material verbessert wird, indem es die Verknüpfung des neuen Materials mit bereits vorhandenen Kenntnissen erleichtert (Pressley und Hilden 2006).
Siegler (1996) entwickelte eine Theorie der adaptiven Strategiewahl, nach der ein Kind zu jedem Zeitpunkt über ein gewisses Repertoire an Strategien zur Bearbeitung von Aufgaben verfügt. Diese Strategien konkurrieren miteinander. Von jungen Kindern bzw. zu Anfang eines Lernprozesses werden meist einfache (aber häufig fehleranfällige und ineffiziente) Strategien gewählt. Mit zunehmender Übung und Erfahrung werden immer häufiger anspruchsvollere Strategien eingesetzt, die mehr mentale Ressourcen beanspruchen, zugleich aber eine effizientere Problembearbeitung ermöglichen.
Problemlösen ist in der Regel erfolgreicher, wenn man plant, bevor man handelt. Allerdings gelingen solche Planungen vielen jüngeren Kindern nicht, möglicherweise, weil sie zunächst den Wunsch, das Problem auf der Stelle zu lösen, unterdrücken müssten, um zuerst die bestmögliche Strategie aufzustellen. Die meisten Theorien menschlicher Informationsverarbeitung nehmen neben mehreren sequenziellen Verarbeitungssystemen auch übergeordnete Planungs-, Kontroll- und Steuerungsfunktionen an, welche die Wahl von Strategien und die Überwachung ihrer Effektivität übernehmen. Die Prozesse der Verhaltenskontrolle, die notwendig sind, um auf ein mental repräsentiertes Ziel zu fokussieren und die Zielrealisation gegen konkurrierende Handlungsalternativen abzuschirmen, werden als exekutive Funktionen bezeichnet. Sie werden aktiviert für Planungs- und Entscheidungsaufgaben, Fehlerkontrolle und -beseitigung, die Ausführung neuer Handlungssequenzen sowie für schwierige und gefährliche Handlungen und die Überwindung einer primären Handlungstendenz. Die exekutiven Funktionen verwenden die Informationen im Arbeits- und Langzeitgedächtnis, um flexibel Ziele zu ändern und situationsunangemessene Handlungsimpulse zu stoppen. Sie aktualisieren zudem ständig die Inhalte im Arbeitsgedächtnis, sodass neue Ziele effizient verfolgt werden können. Im Altersbereich zwischen etwa drei und fünf Jahren zeigen sich besonders deutliche Entwicklungsfortschritte in Aspekten der Handlungskontrolle, die auf exekutive Funktionen zurückzuführen sind (vgl. Sodian und Ziegert 2012).

Entwicklung von Konzepten

Von frühester Kindheit an bilden Kinder Kategorien über Objekte. Mithilfe solcher Klassifikationen können sie die Eigenschaften unbekannter Objekte innerhalb einer Kategorie besser erschließen. Die ersten Objektkategorien von Kindern beruhen größtenteils auf perzeptueller Ähnlichkeit, insbesondere auf Formähnlichkeit. Zum Ende des 1. Lebensjahres bilden sie auch Klassen von Objekten mit gleicher Funktion. Im Alter von zwei oder drei Jahren bilden Kinder Klassenhierarchien vom Typ Tier–Hund–Pudel oder Möbel–Stuhl–Barhocker (Siegler et al. 2020).

Kausales Denken

Die Entwicklung des kausalen Denkens beginnt bei physikalischen Ereignissen ebenfalls in der frühen Kindheit. Zwischen sechs und 12 Monaten verstehen Kinder, was vermutlich passieren wird, wenn zwei Objekte kollidieren. Das Verständnis der kausalen Beziehungen zwischen Handlungen hilft einjährigen Kindern, diese Handlungen im Gedächtnis zu behalten. Mit vier oder fünf Jahren scheinen Kinder zu erkennen, dass Ursachen notwendig sind, damit Ereignisse eintreten. Wenn keine Ursache offensichtlich ist, suchen sie nach einer solchen. Im Vorschulalter glauben Kinder jedoch noch sowohl an Magie und Zauberei aber auch an Ursache-Wirkungsbeziehungen. Die Erkenntnis, dass Ereignisse Ursachen haben müssen, scheint auch die Reaktionen von Kindern auf Zauberkunststücke zu beeinflussen. Mit ungefähr fünf Jahren sind Kinder von Zaubertricks fasziniert, weil die Effekte nicht von offensichtlichen Kausalmechanismen hervorgerufen werden und viele wollen den Zauberhut oder andere Utensilien durchsuchen, um zu sehen, wie ein solches Kunststück möglich war.

Erleben der Zeit

Der vielleicht grundlegendste Aspekt des Zeitgefühls betrifft das Wissen um die zeitliche Abfolge, also zu wissen, was zuerst passierte, was als Nächstes geschah, und so weiter. Säuglinge können schon mit drei Monaten die Reihenfolge kodieren, in der Ereignisse auftreten. Säuglinge dieses Alters können auch anhand von regelmäßigen Abfolgen vergangener Ereignisse zukünftige Ereignisse antizipieren. Mit fünf Jahren können Kinder in gewissem Sinn logisch über Zeit nachdenken. Wenn zwei Ereignisse gleichzeitig begannen und eines später endete als das andere, können sie erschließen, dass das später endende länger gedauert haben muss. Die Fähigkeit, präziser zwischen den Zeitpunkten vergangener Ereignisse zu unterscheiden, entwickelt sich allmählich in der mittleren Kindheit (Friedman 2003).

Zahlkonzepte

Ein elementares Verstehen von sehr kleinen Zahlen existiert schon in frühester Kindheit. Säuglinge bemerken Unterschiede in der Anzahl sehr kleiner Mengen von Objekten und zwischen Ereignissen, die unterschiedlich oft wiederholt werden. Sie erkennen auch bereits Unterschiede zwischen Mengen von Objekten oder Ereignissen, wenn die Anzahlen der Mengenelemente relativ zueinander stark abweichen, also in einem großen Verhältnis zueinanderstehen. Im Alter von drei Jahren lernen die meisten Kinder, bis zu zehn Objekte abzuzählen.

Unterscheidung lebender und unbelebter Dinge

Ab der frühen Kindheit verhalten sich Kinder gegenüber Menschen anders als gegenüber Tieren oder unbelebten Objekten. Zum Beispiel lächeln sie Menschen mehr an als Kaninchen oder Roboter. Mit vier Jahren haben Kinder ein recht differenziertes Verständnis von Lebewesen entwickelt, das kohärente Vorstellungen über unsichtbare Prozesse wie Wachstum, Vererbung, Krankheit und Heilung einschließt (Siegler et al. 2020).

Entwicklung von alltagspsychologischem Verständnis: Theory of mind

Die sog. Theory of Mind (TOM) beschreibt die alltagspsychologischen Konzepte, die es uns erlauben, uns selbst und anderen verschiedene mentale Zustände, wie Wissen, Überzeugungen, Emotionen oder Wünsche zuzuschreiben. Diese Theorie intuitiver psychologischer Konzepte bietet also ein strukturiertes und integriertes Verständnis darüber, wie mentale Prozesse, wie Intentionen, Wünsche, Überzeugungen, Wahrnehmungen und Emotionen das Verhalten beeinflussen (Siegler et al. 2020). Bei solchen alltäglichen Verhaltenserklärungen sind vor allem zwei Konzepte wichtig: das Konzept des Wunsches oder der Absicht und das Konzept des Wissens oder der Überzeugung. Das Verstehen des Zusammenhangs zwischen den Wünschen anderer Menschen und ihren Handlungen beginnt sich bereits gegen Ende des 1. Lebensjahres zu entwickeln. Im Alter von zwei Jahren verstehen Kinder, dass Wünsche Handlungen auslösen können. So gelingt es zweijährigen Kindern vorherzusagen, dass die Akteure in einer Geschichte in Übereinstimmung mit ihren eigenen Wünschen handeln werden, auch wenn sich diese Wünsche von denen der Kinder unterscheiden (Lillard und Flavell 1992). Die meisten Zweijährigen verstehen zwar, dass Wünsche das Verhalten beeinflussen können, jedoch fällt es ihnen schwer, den Einfluss von Überzeugungen zu verstehen, was ihnen dann mit drei Jahren eher gelingt. So beantworten sie z. B. Fragen wie „Warum sucht Billy nach seinem Hund?“ sowohl mit einem Verweis auf Überzeugungen („Er glaubt, der Hund sei ihm weggelaufen“) als auch mit einem Hinweis auf Wünsche („Er will ihn bei sich haben.“) (Bartsch und Wellman 1995). Allerdings ist bei Dreijährigen die Theory of Mind zum Einfluss von Überzeugungen anderer Menschen auf deren Handlungen begrenzt, was bei Aufgaben vom Typ der falschen Überzeugungen erkennbar ist, bei denen ein anderer Mensch etwas für wahr hält, von dem das Kind weiß, dass es falsch ist. Bei solchen Aufgaben lässt sich prüfen, ob ein Kinder versteht, dass die Handlungen anderer Menschen von deren Verständnis bestimmt sind und nicht von der objektiven Wahrheit oder dem Wissen des Kindes. Zeigt man Vorschulkindern beispielsweise eine Schachtel mit Smarties, die auf dem Deckel der Schachtel auch abgebildet sind und fragt die Kinder, was sich in der Schachtel befindet, dann antworten sie, dass sie Smarties enthalten. Wird die Schachtel danach geöffnet und es kommen Bleistifte zum Vorschein, dann müssen die meisten Fünfjährigen lachen. Sie antizipieren aber auch, dass ein anderes Kind beim Anblick der geschlossenen Schachtel ebenfalls erwarten würden, dass Smarties in der Schachtel sind, so wie sie selbst zunächst fälschlicherweise gedacht hatten. Dreijährige behaupten jedoch bei diesem Experiment, sie selbst hätten immer schon gewusst, dass sich Bleistifte in der Schachtel befinden und dass andere Kinder, denen man die Schachtel zeigt, das auch glauben würden (Gopnik und Astington 1988). Im frühen Grundschulalter beginnen Kinder zu verstehen, dass Erwartungen und Vorurteile die Interpretation aktueller Ereignisse beeinflussen können. Folgerichtig beginnen Kinder im frühen Grundschulalter Personen überdauernde psychologische Merkmale zuzuschreiben, anstatt ihr Handeln nur vor dem Hintergrund augenblicklicher Wünsche, Absichten und Informationen zu interpretieren (Heyman und Gelman 1998). Bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen konnten Defizite in der Entwicklung einer Theory of Mind nachgewiesen werden. So konnten Baron-Cohen et al. (1985) erstmals zeigen, dass autistische Kinder falsche Überzeugungen schlechter repräsentieren können.

Sozioemotionale Entwicklung

Sigmund Freuds Entwicklungstheorie

Neben Sigmund Freuds Entwicklungstheorie, die Siegler et al. (2020) zusammenfassend darstellen, stellen soziale Lerntheorien und kognitive Theorien, die an anderer Stelle beschrieben werden, wichtige theoretische Rahmenkonzepte für das Verständnis entwicklungspsychologischer Prozesse dar. Freuds theoretischer Ansatz, wird als eine Theorie der psychosexuellen Entwicklung bezeichnet, weil Freud annahm, dass auch sehr junge Kinder bereits eine Sexualität haben, die ihr Verhalten motiviert und ihre Beziehungen zu anderen Menschen beeinflusst. Nach Freud durchlaufen Kinder eine Reihe von universell auftretenden Phasen, in denen die biologisch bedingten Triebe, die Verhalten, Gedanken und Gefühle beeinflussen auf verschiedene erogene Zonen des Körpers (z. B. den Mund, den Anus und das Genital) fokussiert sind, die sinnliche Lustgefühle auslösen. In jeder Entwicklungsphase entstehen im Zusammenhang mit der jeweiligen erogene Zone Konflikte, die es zu lösen gilt. Erfolg oder Misserfolg beim Lösen dieser Konflikte wirken sich nach Freud lebenslang auf die Entwicklung aus (Freud 1920).
Im 1. Lebensjahr befindet sich der Säugling in der oralen Phase, in der die primäre Quelle für Befriedigung und Lust orale Tätigkeiten wie Saugen, Lutschen und Essen sind. Diese mit dem Stillen assoziierte Lust ist so intensiv, dass auch andere Stimulationen des Mundes, wie am Daumen oder Schnuller zu saugen, ebenfalls Lust bereiten. Die biologischen Triebe, mit denen das Kind auf die Welt kommt, bilden das Es – die früheste und primitivste der drei Persönlichkeitsstrukturen, die Freud postuliert. Das Es ist völlig unbewusst und bildet die Quelle der psychischen Energie. Das Es wird vom Lustprinzip geleitet – dem Ziel, schnellstmöglich maximale Befriedigung zu erlangen. Das nach dem Realitätsprinzip arbeitende Ich entwickelt sich als zweite psychische Instanz allmählich gegen Ende des 1. Lebensjahres, damit die Konflikte zwischen den ungezügelten Forderungen nach sofortiger Befriedigung des Es und den von der externen Welt auferlegten Einschränkungen in Einklang gebracht werden können. Durch die fortwährende Aussöhnung zwischen den Anforderungen des Es und den Anforderungen der Realität, wird das Ich im Lauf der Zeit stärker, differenziert sich weiter aus und entwickelt sich schließlich zu der individuellen Erfahrung des Selbst.
Im Verlauf des 2. Lebensjahres tritt das Kind in die anale Phase ein, die bis zum Alter von etwa drei Jahren andauert und in der das erotische Interesse des Kindes, die Libido, auf den lustvollen Spannungsabbau beim Stuhlgang fokussiert. Wenn die Eltern Anforderungen an das Kind stellen, hauptsächlich, wenn sie auf Sauberkeit bestehen, entwickelt sich ein intrapsychischer Konflikt. Diese Anforderungen nehmen In den folgenden Jahren zu und das Kind lernt zunehmend, seine Impulse zu kontrollieren und Befriedigungen aufzuschieben.
In der phallischen Phase, die das 3. bis 6. Lebensjahr umfasst, interessieren sich Kinder nach Freud für ihre eigenen Genitalien und die ihrer Eltern und Spielgefährten. Sowohl Jungen als auch Mädchen beziehen Lustgefühle aus der Masturbation. Kinder identifizieren sich mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, wodurch Geschlechterunterschiede in Einstellungen und Verhalten entstehen. Die Auseinandersetzung mit den eigenen sexuellen Wünschen stößt beim Kind die Entwicklung des Über-Ichs, der dritten Persönlichkeitsstruktur an. Durch das Über-Ich kann das Kind sein eigenes Verhalten auf der Grundlage seiner Überzeugungen zu dem was richtig und was falsch ist steuern. Das Über-Ich beruht auf der Internalisierung der Regeln und Normen, anhand derer die Eltern akzeptables und unangemessenes Verhalten definieren. Bei Jungen führt der Weg zum Über-Ich über den Ödipus-Komplex und seine Überwindung. Dabei handelt es sich um einen psychosexuellen Konflikt, in dem ein Junge eine Form des sexuellen Begehrens seiner Mutter empfindet und sie ausschließlich für sich haben möchte. Im Ödipus-Konflikt erlebt der Sohn sein Verlangen nach seiner Mutter und seine Feindseligkeit gegenüber dem Vater als so bedrohlich, dass ihn sein Ich durch Verdrängung davor schützt und die gefährlichen Gefühle ins Unbewusste verbannt. Bei Mädchen wird die Gewissensbildung über den Elektra-Komplex angestoßen, in dem sie nicht akzeptable Gefühle für ihren Vater entwickeln.
Die etwa vom 6. bis zum 12. Lebensjahr andauernde Latenzphase ist durch eine Zeit äußerlicher Ruhe gekennzeichnet. Sexuelle Wünsche werden sicher im Unbewussten verborgen, und die psychische Energie kanalisiert sich in konstruktiven, sozial akzeptablen Handlungen intellektueller und sozialer Art.
Mit der sexuellen Reifung beginnt die fünfte und letzte Phase, die genitale Phase, in der die sexuelle Energie mit voller Kraft wieder zur Geltung kommt, die sich nun primär auf gegengeschlechtliche Gleichaltrige richtet. Im Rahmen einer normalen Entwicklung hat die Person bereits ein starkes Ich entwickelt, welches das Zurechtkommen mit der Realität erleichtert, und ein Über-Ich, das weder zu stark noch zu schwach ausgeprägt ist.
Werden grundlegende Bedürfnisse in einer der Phasen psychosexueller Entwicklung nicht erfüllt, dann kann die Person auf diese Bedürfnisse fixiert bleiben und permanent versuchen, sie zu befriedigen und die begleitenden Konflikte zu lösen, wodurch psychische Störungen in Form von Neurosen entstehen können. Diese Prozesse laufen weitgehend unbewusst ab und kommen auf indirekte oder symbolische Weise zum Ausdruck. Die Art, in der das Kind die Phasen der psychosexuellen Entwicklung durchlaufen hat, formt die Persönlichkeit der Person ein Leben lang.
Nach Siegler et al. (2020) waren sein Hinweis auf die Bedeutung frühester Lebenserfahrungen und emotionaler Beziehungen und auf die besondere Rolle subjektiver Erfahrungen und unbewusster geistiger Aktivität die wichtigsten Beiträge Freuds zur Entwicklungspsychologie. Die zentralen Aussagen der Freud’schen Theorie entziehen sich jedoch meist einer empirischen Überprüfung, weitgehend deshalb, weil sie zu ungenau formuliert sind. Manches gilt, so Siegler et al. (2020), generell als fragwürdig. Dennoch ist Freuds Theorie immer noch sehr einflussreich. Ein Aspekt der Freud'schen Theorie, der die Psychologie nachhaltig beeinflusst hat, betrifft den Einfluss früher Erfahrungen und früher Beziehungen, die das Grundthema der heutigen Bindungsforschung sind (Kap. „Bindung im Kindes- und Jugendalter“). Darüber hinaus gehört Freuds Einsicht, dass unsere mentalen Vorgänge zum großen Teil außerhalb des Bewusstseins stattfinden, zu den Grundannahmen der modernen Kognitionspsychologie und Neurowissenschaft.

Entwicklung von Emotionen

Emotionen sind für viele menschliche Funktionen grundlegend und verändern sich in den ersten Lebensmonaten und -jahren. Emotionsausdruck, Emotionsverständnis und Emotionsregulation lassen sich als drei Aspekte emotionaler Kompetenzen voneinander abgrenzen. Sie beeinflussen die Entwicklung der sozialen Interaktionen maßgeblich (Saarni 1999). Betrachtet man die Entwicklung dieser drei Kernkompetenzen, ergeben sich viele Überschneidungen mit anderen Bereichen, insbesondere der sozialen Wahrnehmung, der sozialen Kognition und der Selbstregulation.
Zunächst stehen globale, an der positiven oder negativen Valenz der Gefühle orientierte Unterscheidungen sowohl im Emotionsausdruck als auch beim Erkennen der Gestimmtheit anderer Personen im Vordergrund, die sich in den folgenden Monaten zunehmend ausdifferenzieren (Pauen und Vonderlin 2019). Das Neugeborene kommt mit angeborenen emotionalen Ausdrucksreaktionen zur Welt, die der Bezugsperson in den ersten Lebensmonaten dessen aktuelle Bedürfnisse anzeigen. So signalisiert Schreien einen dringenden Bedarf, z. B. nach Nahrung (Emotion Missbehagen), während Lächeln zunächst den Abschluss eines Spannungs-Entspannungszyklus andeutet und mit der Emotion Wohlbehagen verknüpft ist. Eine visuelle Aufmerksamkeitsfokussierung mit leicht geöffnetem Mund signalisiert die Neuartigkeit externer Stimulation (Emotion Interesse), der Schreckreflex mit aufgerissenen Augen und Körperanspannung signalisiert eine bedrohliche Überstimulation (Emotion Erschrecken) und Naserümpfen mit Vorstrecken der Zunge, um Mundinhalte auszuspucken signalisiert Ungenießbares (Emotion Ekel) (vgl. Holodynski und Oerter 2018). Tab. 1 gibt eine Übersicht über Emotionen und ihre Entwicklung sowie ihre Regulationsfunktionen bezüglich der eigenen Person und dem Interaktionspartner.
Tab. 1.
Regulationsfunktionen von Emotionen in Bezug auf die eigene Person (intrapersonal) und in Bezug auf den Interaktionspartner (interpersonal), nach Holodynski und Oerter (2018, S. 521)
Regulationsfunktion in Bezug auf
Emotion
Anlass
die eigene Person (intrapersonal)
den Interaktionspartner (interpersonal)
Ekel
(ab 0 Monaten)
Wahrnehmung schädlicher
Substanzen/Individuen
Weist schädliche Substanzen/ lndividuen zurück
Signalisiert Fehlen an Aufnahmefähigkeit beim Individuum
Interesse/Erregung
(ab 0 Monaten)
Neuartigkeit, Abweichung,
Erwartung
Öffnet das sensorische
System
Signalisiert Aufnahmebereitschaft für Information
Freude
(ab 2 Monaten)
Vertraulichkeit, genussvolle Stimulation
Signalisiert dem Selbst, die momentanen Aktivitäten fortzuführen
Fördert soziale Bindung durch Übertragung von positiven Gefühlen
Ärger
(ab 7 Monaten)
Zielfrustration durch andere Person
Bewirkt die Beseitigung von Barrieren und Quellen der Zielfrustration;
Warnt vor einem möglichen drohenden Angriff; Aggression
Trauer
(ab 9 Monaten)
Verlust eines wertvollen Objekts, Mangel an Wirksamkeit
Niedrige Intensität: fördert Empathie;
höhere Intensität: führt zur Handlungsunfähigkeit
Löst Pflege- und Schutztendenzen sowie Unterstützung und Empathie aus
Furcht
(ab 9 Monaten)
Wahrnehmung von Gefahr
Identifiziert Bedrohung, fördert Impuls zu fliehen oder sich zu verteidigen
Signalisiert Unterwerfung
Überraschung
(ab 9 Monaten)
Verletzung von Erwartungen
Unterbricht Handlungsablauf
Demonstriert Naivität der Person, beschützt sie vor Angriffen
Verlegenheit
(ab 18 Monaten)
Wahrnehmung, dass eigene Person Gegenstand intensiver Begutachtung ist
Führt zu Verhalten, das Selbst vor weiterer Begutachtung zu schützen
Signalisiert Bedürfnis nach Zurückgezogenheit
Stolz
(ab 24 Monaten)
Wahrnehmung eigener Tüchtigkeit bezüglich eines Wertmaßstabs im Angesicht anderer
Signalisiert soziale Zugehörigkeit, Steigerung des eigenen Selbstwertgefühls
Führt zur Selbsterhöhung als Zeichen, dass man „groß“ ist, Appell zur Bewunderung
Scham
(ab 30 Monaten)
Wahrnehmung eigener Unzulänglichkeit bezüglich eines Wertmaßstabs im Angesicht anderer
Signalisiert Gefahr des sozialen Ausschlusses, führt zu Vermeidungsverhalten
Führt zu Unterwürfigkeit, um sozialen Ausschluss zu verhindern
Schuld
(ab 36 Monaten)
Erkenntnis, falsch gehandelt zu haben, und das Gefühl, nicht entkommen zu können
Fördert Versuche zur Wiedergutmachung
Führt zu unterwürfiger Körperhaltung, welche die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs reduziert
Parallel zum Emotionsausdruck entwickeln sich auch die emotionale Eindrucksfähigkeit (Pauen und Vonderlin 2019) zunächst als Gefühlsansteckung. Der Säugling lässt sich in seinem Erleben vom emotionalen Ausdruck einer anderen Person beeindrucken, wenn ein anderes Baby schreit, reagiert das Kind ebenfalls mit Geschrei. Schon nach wenigen Monaten können die Mimik anderer Personen gedeutet werden und ab etwa 9 Monaten kann der Ausdruck der Bezugsperson als deren innere Befindlichkeit wahrgenommen werden. Mit fortschreitender sprachlicher Entwicklung können mit zwei bis drei Jahren Gefühle benannt und Überlegungen über deren Anlass angestellt werden. Das Erkennen und Benennen von Emotionen entwickeln sich vor allem im Vorschulalter weiter.
Positive Emotionen entwickeln sich mit einem frühen Lächeln, das nach dem 1. Lebensmonat vermutlich eher durch biologische Zustände als durch soziale Interaktion primär reflexhaft ausgelöst wird, z. B. wenn Säuglinge sanft gestreichelt werden (Sroufe 1995). Während des 3. Lebensmonats setzt das soziale Lächeln ein, das sich gezielt an andere Menschen, meist die Eltern richtet. Im Alter von ungefähr sieben Monaten fangen die Kinder an, hauptsächlich vertraute Menschen anzulächeln. Säuglinge reagieren dann auch auf eine positive Spielbereitschaft der Eltern und auf deren Lächeln mit Erregung und Vergnügen. Im weiteren Verlauf des 1. Lebensjahres vermehrt sich der Ausdruck positiver Emotionen der Kinder (Rothbart und Bates 2006) und während des 2. Lebensjahres beginnen die Kinder herumzualbern und sind erfreut, wenn sie andere zum Lachen bringen. Im Kindergarten- und Grundschulalter nehmen vor allem starke positive Emotionsäußerungen in sozialen Situationen ab, vermutlich, weil Kinder lernen, ihre Gefühle zu kontrollieren. Was Kinder zum Lächeln und Lachen bringt, ändert sich mit dem Alter und der kognitiven Entwicklung. So fangen Kinder im Vorschulalter an, Witze und Wortspiele lustig zu finden. In der mittleren Kindheit werden die Akzeptanz durch Gleichaltrige und die Zielerreichung immer bedeutsamer, und Erfolge in diesen Bereichen werden wichtige Quellen von Freude und Stolz (vgl. Siegler et al. 2020).
Die erste negative Emotion, die Säuglinge erkennen lassen, ist ein allgemeines Missbehagen, das durch Hunger und Schmerz oder auch Überstimulierung ausgelöst werden kann und durch Distress-Schreien erkennbar ist. Beim zwei Monate alten Kind kann man schon klar zwischen Hunger- und Schmerzschreien unterscheiden. Mit vier Monaten scheinen sich Säuglinge vor unbekannten Objekten und Ereignissen in Acht zu nehmen. Im Alter von ungefähr sechs oder sieben Monaten beginnen dann deutliche Anzeichen von Angst aufzutreten, insbesondere vor Fremden, die sich zunächst weiter verstärkt und dann etwa bis zum 2. Lebensjahr fortbesteht. Allerdings variiert die Angst vor Fremden stark (Sroufe 1995) und wird unter anderem vom Temperament des Kindes beeinflusst. Im Alter von etwa sieben Monaten entwickeln sich auch andere Ängste, beispielsweise vor lauten Geräuschen oder plötzlichen Bewegungen, die bis zum Alter von etwa 12 Monaten in der Regel zu- und danach wieder abnehmen. Mit etwa acht Monaten beginnt die Trennungsangst, die normalerweise bis zum 15. Lebensmonat anwächst und dann beginnt wieder abzuklingen. Wenn sich im Vorschulalter die kognitive Fähigkeit der Kinder entwickelt, fiktive Phänomene zu repräsentieren, beginnen sie oft, Fantasiegestalten wie Geister oder Monster zu fürchten. Solche Ängste vermindern sich dann im Grundschulalter wahrscheinlich aufgrund des besseren Realitätsverständnisses wieder. Stattdessen sind die Ängste von Schulkindern allgemein auf wichtige reale Inhalte bezogen (wenn auch manchmal in übertriebener Weise), wie die Anforderungen in der Schule (Klassenarbeiten und Noten, aufgerufen zu werden, den Lehrern zu gefallen), Gesundheit (die eigene und die der Eltern) und persönliche Verletzung (beraubt, überfallen oder erschossen zu werden).
Wut hebt sich von anderen negativen Emotionen im Alter von vier bis acht Monaten ab. Im Verlauf des 2. Lebensjahres, wenn die Kinder fähiger werden, ihre Umwelt zu kontrollieren, regen sie sich immer häufiger auf, wenn man ihnen die Kontrolle entzieht oder wenn sie auf andere Weise frustriert sind (Sullivan und Lewis 2003). Die Ursachen von Wut verändern sich, wenn die Kinder in den ersten Schuljahren ein besseres Verständnis der Intentionen und Motive anderer entwickeln. So wird ein Kind im frühen Kindergartenalter Ärger empfinden, wenn es von einem Gleichaltrigen geschubst wird, unabhängig davon, ob der Schubs nun beabsichtigt war oder nicht. Kinder im Grundschulalter sind hingegen seltener wütend, wenn sie glauben, dass andere ihnen unbeabsichtigt Schaden zugefügt haben (Siegler et al. 2020).
Traurigkeit zeigen Kleinkinder oft in denselben Situationen, in denen sie auch Ärger zeigen, z. B. nach einem schmerzhaften Ereignis oder wenn sie etwas nicht kontrollieren können. Wenn ältere Säuglinge oder Kleinkinder von ihren Eltern über eine längere Zeitspanne getrennt sind und man sich während dieser Zeit nicht einfühlsam um sie kümmert, zeigen sie oft intensive und lang anhaltende Anzeichen von Traurigkeit (Bowlby 1973).
Verlegenheit, Stolz, Scham und Schuld sind selbstbezogene Emotionen, weil sie mit der Entwicklung einer elementaren Wahrnehmung der eigenen Person verknüpft sind sowie mit der Erkenntnis, dass andere auf die eigene Person, das Selbst, reagieren. Sie entstehen etwas später als die meisten anderen Emotionen, wahrscheinlich während des 2. und 3. Lebensjahres (Thompson 2006). Im Alter von ungefähr 15–24 Monaten beginnen einige Kinder, Verlegenheit zu zeigen, wenn sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Die ersten Anzeichen von Stolz zeigen sich beispielsweise im lächelnden Blick der Kinder gegenüber anderen, wenn sie eine Herausforderung erfolgreich bewältigt haben. Schuldgefühle nehmen im Zusammenhang mit schlechtem oder verletzendem Verhalten zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr zu (Siegler et al. 2020).

Entwicklung von Emotionsregulation

Die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu regulieren, ist während des ganzen Lebens entscheidend, um eigene Ziele zu erreichen und zwischenmenschliche Beziehungen zu gestalten. Diese emotionale Selbstregulierung ist ein komplexer Prozess und schließt unter anderem das Initiieren, Hemmen und Modulieren der folgenden Komponenten emotionaler Funktionen ein (Siegler et al. 2020):
1.
Innere Gefühlszustände (die subjektive Erfahrung von Emotionen).
 
2.
Emotionsbezogene Kognitionen (z. B. Gedanken über eigene Wünsche und Ziele, die Interpretation einer emotionsauslösenden Situation oder auch die Selbstbeobachtung der eigenen Gefühlszustände).
 
3.
Emotionsbezogene physiologische Prozesse (z. B. Pulsfrequenz, hormonelle oder andere physiologische Reaktionen einschließlich der neuronalen Aktivität, die mit der Regulierung der Gefühlszustände und der Gedanken einhergehen).
 
4.
Emotionsbezogenes Verhalten (z. B. Handlungen, Gestik oder Mimik in Verbindung mit Emotionen).
 
Die Selbstregulation eigener Emotionen und des emotionalen Verhaltens verändert sich mit dem Alter. Säuglinge müssen sich noch ganz darauf verlassen, dass ihnen Erwachsene helfen, ihre Emotionen zu regulieren. Sie werden leicht von lauten Geräuschen, abrupten Bewegungen, Hunger oder Schmerz überwältigt und müssen sich auf ihre Bezugspersonen verlassen, um wieder beruhigt zu werden.
Die Regulierung der Emotionen gelingt in der frühen Kindheit immer besser, beispielsweise indem Kinder ihre Aufmerksamkeit auf etwas Anderes richten, sich selbst beruhigen oder sich mit anderen Aktivitäten ablenken. Ihre Fähigkeit, Handlungen zu unterdrücken, verbessert sich mit dem Alter. Im Alter von neun bis 12 Monaten beginnen die Kinder, sich der elterlichen Forderungen bewusst zu werden, und regulieren ihr Verhalten entsprechend (Kopp 1989). Diese Entwicklung kindlicher Kontrollfunktionen, bei denen Aufmerksamkeit und Verhalten aktiv initiiert, moduliert oder gehemmt wird, wird als „effortful control“ bezeichnet (Kochanska et al. 2000). Jüngere Kinder regulieren ihre negativen Emotionen vor allem, indem sie Verhaltensstrategien anwenden und sich beispielsweise durch Spielen ablenken. Ältere Kinder nutzen zusätzlich kognitive Strategien, insbesondere Problemlösen, um sich auf emotional schwierige Situationen einzustellen (Zimmer-Gembeck und Skinner 2011). So können sie sich z. B. auf positive Aspekte einer negativen Situation konzentrieren oder an etwas ganz Anderes denken. Kinder können schließlich zunehmend besser mit negativen Situationen umgehen, indem sie immer besser zwischen kontrollierbaren und nicht kontrollierbaren Belastungen unterscheiden lernen. Außerdem gelingt es ihnen zunehmend besser Strategien zum Belohnungsaufschub einzusetzen. In der Pubertät tragen die neurobiologischen Veränderungen im Kortex zur weiteren Verbesserung der Selbstregulierung bei und vermutlich auch zur Reduktion von Risikoverhalten beim Übergang von der Pubertät ins frühe Erwachsenenalter (Steinberg 2010).

Temperament

Obwohl die Entwicklung der Emotionen und der Emotionsregulation insgesamt bei allen Kindern ziemlich ähnlich abläuft, gibt es große individuelle Unterschiede, die vermutlich genetisch mitbedingt sind, wobei auch Stressoren in der Umwelt eine relevante Rolle spielen (Saudino und Wang 2012).
Säuglinge unterscheiden sich schon von Geburt an sehr stark in ihrer emotionalen Reaktionsfähigkeit. Daher liegt es nahe, dass sie mit unterschiedlichen emotionalen Eigenschaften geboren werden, die als Temperamentsmerkmale bezeichnet werden und die als veranlagungsbedingte individuelle Unterschiede der emotionalen, motorischen und aufmerksamkeitsbezogenen Reagibilität und Selbstregulierung definiert werden (Rothbart 2011). Solche Temperamentseigenschaften erweisen sich über Situationen hinweg als konsistent und im Zeitverlauf als relativ stabil. Die Pionierarbeit auf dem Gebiet der Temperamentforschung war die New Yorker Langzeitstudie (Thomas und Chess 1977), die auf der Basis von Elterninterviews drei Gruppen von Säuglingen identifizierten:
  • Sog. einfache Babys, die sich leicht auf neue Situationen einstellen und als vergnügt und leicht zu beruhigen eingeschätzt werden.
  • Schwierige Babys reagieren dagegen eher negativ und intensiv auf neuartige Reize und sind in ihren Alltagsroutinen und Körperfunktionen unregelmäßig.
  • Langsam auftauende Babys reagieren zunächst etwas schwierig, werden mit der Zeit aber einfacher, sobald sie wiederholt mit neuen Gegenständen, Menschen und Situationen in Berührung gekommen waren.
Neuere Studien legen jedoch nahe, dass das Temperament des Kleinkindes durch sechs Dimensionen erfasst werden kann (Rothbart und Bates 2006):
1.
Angstvolles Unbehagen und Hemmung in neuen Situationen.
 
2.
Reizbares Unbehagen (Aufgeregtheit, Wut und Frustration), besonders wenn das Kind nicht tun darf, was es will.
 
3.
Aufmerksamkeitsspanne und Ausdauer bei Objekten oder Ereignissen, die von Interesse sind.
 
4.
Aktivitätsniveau, d. h. wie stark ein Kind sich bewegt (z. B. die Arme bewegen, treten, krabbeln).
 
5.
Positiver Affekt und Annäherung bei Menschen sowie Kooperationsbereitschaft und Folgsamkeit.
 
6.
Rhythmus, d. h. die Regelmäßigkeit und Vorhersagbarkeit der Körperfunktionen des Kindes, beispielsweise beim Essen und Schlafen.
 
Diese Merkmale bleiben über längere Zeit relativ stabil. So zeigen Kinder, die als Säuglinge bei neuartigen Reizen Verhaltenshemmungen erkennen ließen, im Alter von zwei Jahren ebenfalls ein erhöhtes Angstniveau in neuen Situationen und im Alter von viereinhalb Jahren eine erhöhte soziale Hemmung. Vergleichbare Stabilitätsmuster zeigten sich bei Kindern, die im Alter von drei Jahren eher zu negativen Emotionen neigten und die auch mit sechs oder acht Jahren häufiger negativer gestimmt sind (Guerin und Gottfried 1994), während Kinder, die zu positiver Stimmung neigen, über den gleichen Zeitraum hinweg eher positiv gestimmt bleiben (Sallquist et al. 2009). Auch die Regulierung von Aufmerksamkeit und Verhalten bleibt von der Kindheit bis ins Jugendalter relativ stabil. Solche relativ hohen Stabilitäten wurden auch in der Dunedin-Study, einer großen Längsschnittstudie in Neuseeland, belegt. Kinder, die in jungen Jahren negativ, impulsiv und unreguliert waren, hatten als Jugendliche oder junge Erwachsene häufiger Anpassungsprobleme, zeigten häufiger dissoziales Verhalten (Caspi et al. 1995) und hatten auch mit 32 Jahren häufiger mit Substanzabhängigkeit, Delinquenz und Spielsucht zu tun (Slutske et al. 2012).

Moralische Entwicklung

Piagets Buch über das moralische Urteil beim Kinde (Piaget 1990) legte die Grundlage der kognitiven Theorien über die Entwicklung des Moralempfindens. In diesem grundlegenden Werk beschrieb Piaget, wie sich das moralische Denken von Kindern von der starren Übernahme der Gebote und Regeln von Autoritätspersonen hin zu einem Verständnis von veränderbaren moralischen Regeln als einem Ergebnis sozialer Interaktionen verändert. Unter diesem Konzept von Piaget beschrieb Kohlberg (1976) auf der Basis von Langzeitbeobachtungen eine diskontinuierliche Abfolge von qualitativ unterschiedlichen Stufen, in der sich das moralische Denken und Urteilen von Kindern und Jugendlichen entwickelt (Siegler et al. 2020).
Kohlberg erfasste das moralische Urteil, indem er Kindern hypothetische moralische Dilemmata präsentierte und sie dann über Aspekte befragte, die diese Dilemmata kennzeichneten. Auf dieser Basis unterschied Kohlberg drei Ebenen des moralischen Urteils: das präkonventionelle, das konventionelle und das postkonventionelle (oder prinzipientreue) Niveau:
  • Präkonventionelles Denken zielt darauf ab, Belohnungen zu bekommen und Strafen zu vermeiden.
  • Konventionelles moralisches Denken ist an sozialen Beziehungen orientiert und konzentriert sich auf die Übereinstimmung mit sozialen Pflichten und Gesetzen.
  • Postkonventionelles moralisches Denken richtet sich an Idealen aus und konzentriert sich auf moralische Prinzipien.
Jedes dieser drei Niveaus umfasst zwei Stufen des moralischen Urteils. Kohlbergs Theorie und seine empirischen Befunde lösten zahlreiche Kontroversen aus. So werden in diesem Konzept kulturelle Unterschiede in der moralischen Entwicklung nicht abgebildet und die Kohlbergs Dilemmata und sein Bewertungssystem scheinen vor allem Ausdruck einer intellektualisierten westlichen Auffassung von Moral zu sein (Simpson 1974). So wird in manchen Gesellschaften die Aufrechterhaltung von Gruppenharmonie oder der Gehorsam gegenüber Autoritäten, Älteren oder religiösen Geboten höher bewertet als die Prinzipien der Freiheit und der individuellen Rechte, was sich dann auch in den moralischen Urteilen von Kindern widerspiegelt. Weitere Studien weisen darauf hin, dass das Konzept der qualitativen Stufen in der moralischen Entwicklung nicht aufrechterhalten werden kann. Vielmehr scheinen Kinder und Jugendliche parallel verschiedene Stufen der moralischen Entwicklung zu nutzen, wenn diese mit ihren Zielen, Motiven oder Überzeugungen in einer bestimmten Situation übereinstimmen (Siegler et al. 2020).

Entwicklung des Selbst und der Identität

Das Selbst beschreibt ein System von Konzepten, das aus Gedanken und Einstellungen zu sich selbst besteht und Kognitionen über das eigene materielle Dasein (z. B. Körper, Eigentum), die eigenen sozialen Merkmale (z. B. Beziehungen, Persönlichkeit, soziale Rollen) und auch intrapsychische Vorgänge, wie das eigene Denken und Fühlen einschließen. Die Vorstellung des Kindes vom Selbst entsteht in den ersten Lebensjahren, besonders in Interaktion mit anderen wichtigen Menschen, und entwickelt sich weiter bis ins Erwachsenenalter. Im Grundschulalter differenzieren Kinder ihre Vorstellungen vom Selbst durch soziale Vergleiche bezüglich ihrer Eigenschaften, Verhaltensweisen und Besitzstände weiter aus. Die Vorstellungen der Kinder vom Selbst verändern sich im Laufe der Adoleszenz grundlegend, vermutlich auch weil sich in diesem Entwicklungsabschnitt das abstrakte Denken herausbildet. Dabei werden Jugendliche auch mit den Widersprüchen in ihrem Verhalten und ihren Eigenschaften konfrontiert und sie befassen sich zunehmend mit der Frage „Wer bin ich?“ (Broughton 1978). Obwohl Jugendliche in der Spätadoleszenz besser in der Lage sind als in den Jahren zuvor, Widersprüche bei sich zu erkennen und sie sich wegen dieser Unstimmigkeiten häufig im Konflikt befinden, gelingt es noch nicht diese Widersprüche zu einem kohärenten Selbstkonzept zu integrieren. Diese Identitätsentwicklung mit der Festlegung auf bestimmte persönliche, berufliche, sexuelle und weltanschauliche Rollen wurde vor allem von Erikson (1968) untersucht.
In der Nachfolge von Eriksons Darstellung der Identitätsentwicklung wurden vier Identitätskategorien herausgearbeitet:
  • Im Zustand der Identitätsdiffusion hat sich eine Person in Bezug auf eigene Werte und Rollen noch nicht eindeutig festgelegt.
  • Im Zustand der übernommenen Identität entwickelt die Person eine berufliche und weltanschauliche Identität, die aber im Wesentlichen auf der Übernahme der Werten anderer beruht.
  • Im Zustand des Moratoriums erkundet die Person verschiedene berufliche und weltanschauliche Optionen, legt sich aber auf keine davon bereits fest.
  • Im Zustand der erarbeiteten Identität hat die Person eine kohärente und gefestigte Identität erreicht, die auf persönlichen Entscheidungen über Beruf, Weltanschauung oder sexueller Orientierung beruht. Die Person ist überzeugt, dass sie diese Entscheidungen eigenständig getroffen hat und sie fühlt sich ihnen verpflichtet (vgl. Siegler et al. 2020).
Empirische Studien zeigen, dass sich die meisten jüngeren Jugendlichen im Zustand der Identitätsdiffusion oder der übernommenen Identität befinden und dass der Anteil von Jugendlichen im Moratoriumszustand zwischen dem 17. und 19. Lebensjahr am höchsten ist (Nurmi 2004). Im weiteren Verlauf der Adoleszenz und im frühen Erwachsenenalter wird meist der Zustand der erarbeiteten Identität erreicht (Kroger et al. 2010).

Entwicklung von Gleichaltrigenbeziehungen

Gleichaltrige, vor allem Freunde, beeinflussen die sozial-emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in erheblichem Maße. Schon sehr junge Kinder bevorzugen manche Kinder. Bereits im 2. Lebensjahr spielen Kinder mit Freunden komplexere und kooperativere Spiele als mit Nichtfreunden. Kinder befreunden sich in der Regel mit Kindern, die hinsichtlich Alter, Geschlecht und Ethnie mit ihnen übereinstimmen und die sich hinsichtlich ihrer Aggressivität, Geselligkeit und Kooperation ähnlich verhalten (Siegler et al. 2020). Mit dem Alter vergrößern sich die Spielgruppen und ab dem Kindergartenalter bilden sich Dominanzhierarchien. In der mittleren Kindheit gehören die meisten Kinder Gruppen gleichgeschlechtlicher Gleichaltriger an, deren Mitglieder sich häufig hinsichtlich Aggressivität und ihrer Einstellung zur Schule ähneln.
Anhand soziometrischer Urteile lassen sich beliebte Kinder von abgelehnten und ignorierten Kindern abgrenzen. Beliebte Kinder sind meistens sozial geschickt, prosozial und können ihre Emotionen und ihr Verhalten gut regulieren. Kinder, die von ihren Peers abgelehnt werden, verhalten sich häufig (aber nicht immer) aggressiv oder sind sozial zurückgezogen. Abgelehnte aggressive Kinder besitzen geringe soziale Fähigkeiten, unterstellen anderen oft feindliche Absichten und verfügen nicht über konstruktive Strategien der Konfliktlösung. Kinder, die sich zwar von ihren Gleichaltrigen zurückziehen, sich jedoch nicht aggressiv verhalten, werden später im Grundschulalter häufig abgelehnt. Ignorierte Kinder, die von ihren Peers weder positiv noch negativ nominiert werden, sind meist weniger kontaktfreudig. Beliebte oder abgelehnte Kinder zeichnen sich in zahlreichen Kulturen durch ähnliche Eigenschaften aus, wobei ein sehr zurückhaltendes Verhalten in einigen ostasiatischen Kulturen stärker wertgeschätzt sein kann. Die Ablehnung durch Gleichaltrige in der Kindheit, besonders aufgrund von Aggressivität sagt späteren sozialen Rückzug, Einsamkeit und Depressivität vorher.
Die Vorstellung von Freundschaft ändert sich bei Kindern mit dem Alter. Jüngere Kinder definieren Freundschaft vorwiegend auf der Basis der Aktivitäten mit ihren Gleichaltrigen. Mit zunehmendem Alter werden auch Aspekte wie Loyalität, gegenseitiges Verständnis, Vertrauen, Gegenseitigkeit und Selbstoffenbarung wichtige Komponenten von Freundschaften. Freunde zu haben, wirkt sich positiv auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen und auf Anpassungsleistungen aus. Jugendliche Freunde nutzen Freundschaften als eine Arena zur Selbsterkundung und zur Lösung persönlicher Probleme sowie als Quelle aufrichtiger Rückmeldung (Siegler et al. 2020).
Im Jugendalter verringert sich meist die Bedeutung von sozialen Gruppen und Jugendliche gehören oft mehr als einer Gruppe an. Mit zunehmendem Alter sind Jugendliche nicht nur autonomer, sondern orientieren sich mehr an individuellen Beziehungen als an sozialen Gruppen, wenn es um die Befriedigung ihrer sozialen Bedürfnisse geht. In der Adoleszenz treffen männlichen und weibliche Jugendliche häufiger zusammen, sowohl im Rahmen sozialer Gruppen als auch in Zweierbeziehungen. Unter bestimmten Umständen kann die Gleichaltrigengruppe zur Entwicklung von unsozialem Verhalten, Alkoholkonsum und Drogenmissbrauch beitragen, wobei sich jedoch auch Gleichaltrige mit ähnlichen Problemen im Sozialverhalten in Gruppen zusammenfinden können.

Fazit

Kenntnisse über die kognitive und die sozial-emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind Voraussetzung für die Definition und das Verständnis von Entwicklungsabweichungen und psychopathologischen Merkmalen und Mechanismen im Kindes- und Jugendalter. Die kognitive und die sozial-emotionale Entwicklung sind eng miteinander verschränkt und bedingen sich gegenseitig. Umfassende Entwicklungstheorien, die auf kognitiver oder auf sozial-emotionaler Ebene umschriebene und voneinander klar abgegrenzte Entwicklungsstadien formulieren und welche die empirische Forschung wesentlich befruchteten, wurden abgelöst von der Erkenntnis, dass Entwicklungen eher kontinuierlich und oft auch weniger sequenziell ablaufen. Die zunehmenden Erkenntnisse über die neurobiologische Entwicklung im Kindes- und Jugendalter ergänzen die entwicklungspsychologischen Vorstellungen und Befunde.
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