Einleitung
Die rekonstruktive Tubenchirurgie ist ein Teilgebiet der organerhaltenden Operationen in der Gynäkologie. Als weitere Teilgebiete dieses Komplexes sind die Myomenukleation, die Resektion von
Endometriose und Adhäsionen sowie die Korrektur von Fehlbedingungen des inneren Genitales zu nennen. Zunehmende Bedeutung hat der
Fertilitätserhalt bei benignen und malignen Erkrankungen mittels Ovartransposition oder Ovarpräservation. Im weitesten Sinne gehören aber auch die Inkontinenz- und Prolapschirurgie zur rekonstruktiven Chirurgie in der Gynäkologie.
Die Tubenchirurgie hat als fertilitätsverbessernde Maßnahme eine lange Tradition. Aber erst die Einführung mikrochirurgischer Techniken ermöglichte ihr einen Höhenflug zwischen 1970 und 1980 (Swolin
1975; Gomel
1977). Schon sehr bald war nach Analyse der Ergebnisse klar, dass selbst mikrochirurgische Techniken die Limitierungen der rekonstruktiven Tubenchirurgie nicht überwinden konnten. So ist das Ergebnis der Korrektur des endständigen Tubenverschlusses (Hydrosalpinx) mittels mikrochirurgischer Salpingostomie entscheidend von dem Ausmaß der Wandschädigung abhängig (Boer-Meisel et al.
1986). Hochgradige Schädigungen der Tunica mucosa und muscularis hinterlassen auch nach mikrochirurgischen Korrekturen reduzierte intrauterine Schwangerschaftsraten bei hohen Raten ektoper Graviditäten.
Die begrenzten Erfolgsaussichten reproduktiver Eingriffe an den Eileitern waren u. a. der Ansporn für die Pioniere der assistierten Reproduktionstechniken (ART) – Patrick Steptoe und Robert Edwards –, die Eileiter mittels
In-vitro-Fertilisation (IVF) und
Embryotransfer (ET) zu umgehen (Steptoe und Edwards
1978).
Heutzutage sind Mikrochirurgie und ART keine Gegensätze, in vielen reproduktionsmedizinischen Problemfällen ergänzen sie sich in idealer Weise, indem die vorausgehende mikrochirurgische Korrektur erst den Erfolg der nachfolgenden
assistierten Reproduktion ermöglicht. In diesem Sinne wird anschließend zwischen der rekonstruktiven Tubenchirurgie als Primärtherapie und der adjuvanten Mikrochirurgie vor ART unterschieden.
Tubenchirurgie vs. IVF als Primärtherapie
Für die Beratung zu einer der Maßnahmen der Sterilitätstherapie sind minimale Anforderungen an die Sterilitätsdiagnostik zu stellen. So sollten nachfolgende Eckpunkte abgeklärt sein:
-
Testung der Ovarialreserve (AMH),
-
Nachweis der Ovulation (vaginaler Ultraschall,
Progesteron),
-
adäquate Spermaproduktion (Spermiogramm),
-
Evaluation des Cavum uteri (Hysteroskopie),
-
Prüfung der Eileiterdurchgängigkeit (Laparoskopie und Chromopertubation),
-
regelrechte Sexualfunktion (Befragung).
Die Beratung zur primären Tubenchirurgie macht natürlich nur Sinn, wenn eine ausreichende Ovarialreserve (AMH >1,0 ng/ml) und ausreichend motile Spermien
(>1 Mio. bewegliche Spermien) gesichert sind. Nur unter diesen Voraussetzungen ist mit einer Spontankonzeption
zu rechnen, anderenfalls ist der
assistierten Reproduktion der Vorzug zu geben.
Prinzipiell gehen Tubenchirurgie und ART mit Vor- und Nachteilen einher (Tab.
1).
Tab. 1
Vor- und Nachteile Tubenchirurgie vs. IVF
Vorteile | Einmaliger Eingriff, evtl. minimal invasiv | Nicht chirurgisch |
Konzeptionschance in jedem Zyklus | Etablierte Erfolgsraten |
Kostendeckung (Ausnahme Refertilisierung) | |
Nachteile | Operationsprozedur, -risiko | Aufwendiges Monitoring |
Limitierte Erfolgsraten (Salpingostomie) | OHSS-Risiko, Mehrlinge |
EUG-Risiko | Kostenintensiv |
Die Vorteile der Tubenchirurgie liegen darin, dass nur einmal, evtl. minimal-invasiv, operiert werden muss und damit Zyklus für Zyklus eine Konzeption möglich wird.
Die Kostenerstattung ist bei entsprechender Indikation geklärt. Eine Ausnahme bildet hier die Refertilisierung nach stattgehabter
Sterilisation, für die i. d. R. keine Kostenübernahme gewährt wird. Die Vorteile der ART sind ebenfalls einleuchtend. Abgesehen von der
Eizellgewinnung, die auch ohne Narkose durchgeführt werden kann, ist ART eine nicht chirurgische Maßnahme, und altersabhängig existieren etablierte Erfolgsraten.
Nachteile der Tubenchirurgie sind das Operationsrisiko, auch wenn es aufgrund des jungen Alters der betroffenen Frauen nicht hoch ist, die limitierten Erfolgsraten, z. B. bei der Salpingostomie und die bisweilen hohen EUG-Raten bis zu 20 %. Der ART haftet das aufwendige Zyklusmonitoring, das Risiko für Überstimulationen und Mehrlinge als Nachteil an. Bisweilen ist aber auch die Kostenbeteiligung oder die fehlende Kostendeckung problematisch für die Patienten.
Neben den genannten Vor- und Nachteilen spielen die voraussichtlichen Erfolgsaussichten die dominante Rolle bei der Abwägung zur primären Tubenchirurgie vs. primären ART. Wenn Erfolg als das Verhältnis von intrauteriner (IUG) zu extrauteriner Gravidität (EUG) definiert wird, dann haben nur Verwachsungslösungen an offenen Eileitern (Salpingolysen) und die Korrektur von artifiziell geblockten Eileitern nach
Sterilisation (Refertilisierungen) einen Vorteil gegenüber der ART, weil die Ratio von IUG zu EUG besser ist als der Vergleichswert von IVF-ET (Tab.
2). Alle anderen mikrochirurgischen Eingriffe an den Eileitern haben in der Primärtherapie ihre Bedeutung zugunsten der IVF verloren. Es sind die hohen EUG-Raten, die die Ratio von IUG/EUG nach Korrektur subtotal verschlossener Eileiter (Fimbrioplastik), Resektion proximaler entzündlich bedingter Eileiterverschlüsse (Anastomosen) und Eröffnung endständiger Eileiterverschlüsse (Salpingostomie) so ungünstig werden lassen, dass eine primäre rekonstruktive Tubenchirurgie nicht angeraten werden kann.
Tab. 2
Verhältnis intrauteriner (IUG) zu extrauteriner (EUG) Gravidität nach mikrochirurgischer Sterilitätsoperation und IVF-ET
Salpingolyse | 33 | 2 | 16,5 |
Refertilisierung | 89 | 6 | 14,8 |
IVF-ET/Zyklus | 28 | 2 | 14,0 |
IVF-ET/Patientin | 60 | 5 | 12,0 |
Fimbrioplastik | 49 | 13 | 3,8 |
Anastomose | 58 | 20 | 2,9 |
Salpingostomie | 27 | 16 | 1,6 |
Tubenchirurgie als Primärtherapie
Peritubare und periovarielle Verwachsungen sind zwar das Resultat aszendierender Infektionen, gehen aber nicht immer mit Endosalpinxschäden und Tubenverschlüssen einher. Insbesondere bleibt dabei der Fimbrienapparat intakt und funktionstüchtig. Bisweilen gibt es Hinweise, dass Chlamydien über eine Perisalpingitis eine derartige tubare Sterilität verursacht haben, indem neben den periadnexalen perihepatische Verwachsungen (Fitz-Hugh-Curtis-Syndrom) nachweisbar sind.
Salpingolyse
Wenn peritubare und periovarielle Adhäsion
en das einzige Sterilitätsproblem darstellen, dann resultieren akzeptable intrauterine Schwangerschaftraten von über 30 % ohne erhöhte EUG-Rate (Tab.
2) nach einer Salpingolyse
.
Refertilisierung
Die zweite Domäne für eine primäre Tubenchirurgie ist die Refertilisierung, die Rückgängigmachung einer
Sterilisation. Erfahrungsgemäß bereuen 3 % der sterilisierten Frauen den Eingriff, und 1 % lässt ihn rückgängig machen. Die Gründe für einen Wunsch nach Refertilisierung können wie in der Übersicht dargestellt aufgelistet werden.
Die
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Refertilisierung sind
Die
Determinanten des Erfolges (Hanafi
2003) sind in erster Linie
-
Alter der Frau – Absinken der Schwangerschaftsrate ab dem 40. Lebensjahr <50 %,
-
BMI – Reduktion des Erfolgs ab einem BMI >25 kg/m2.
Refertilisierung vs. IVF
Bis zum heutigen Tag existiert keine kontrollierte, prospektiv randomisierte Studie zum Vergleich der Refertilisierung vs. IVF bei Status nach Tubensterilisation mit erneutem
Kinderwunsch. Ein Cochrane-Protokoll wurde zwar 2003 initiiert, keine Studie genügte aber den Kriterien einer Cochrane-Collaboration-Analyse, sodass die Autoren im Jahr 2010 zu dem Schluss kamen, diese Analyse zukünftig nicht mehr zu aktualisieren (Yossry et al.
2010).
Es existiert lediglich eine retrospektive Analyse einer refertilisierten Gruppe mit einer gleichaltrigen IVF-Gruppe (Boeckxstaens et al.
2007). Für eine kumulative Geburtenrate von 52 % wurden in der IVF-Gruppe im Durchschnitt 1,8 (Bereich 1–6) IVF-Zyklen benötigt. In derselben Zeitspanne von 72 Monaten resultierte eine kumulative Schwangerschaftsrate von 59,5 % nach Refertilisierung
. Allerdings betrug die Zeitspanne vom 1. Versuch bis zum Eintritt der Geburt im Durchschnitt nur 14 (Bereich 8–37) Monate in der IVF-Gruppe. Der vergleichbare Zeitraum nach Refertilisierung war länger mit 21 (9–81) Monaten. Ein wichtiger Unterschied bestand darin, dass in der IVF-Gruppe 40 % nicht schwanger waren, in der operierten Gruppe waren es nur 31 %.
Allerdings wiesen eine Gruppe von Frauen im Alter von 40–47 Jahren eine Lebendgeburtenrate von 40 % (Petrucco et al.
2007) bzw. eine Gruppe von 40- bis 43-jährigen Frauen eine Schwangerschaftsrate von 50 % (Gordts et al.
2009) nach Refertilisierung auf.