Einleitung
Die Nachsorge von Patienten mit
Hodentumoren, sei es in einem Surveillance Programm bei Stadium I oder nach Abschluss einer Therapie, stellt einen wichtigen Bestandteil in der Behandlung dieser Patienten dar. Erstes Ziel der Nachsorge
ist die frühzeitige Entdeckung eines Rezidivs, damit eine möglichst gering belastende kurative Nachfolgetherapie durchgeführt werden kann. Hierzu ist es erforderlich, die unterschiedlichen Verläufe der Hodentumorerkrankung abhängig von Histologie, Stadium, Primärbehandlung und Behandlungserfolg einschätzen zu können. Basierend auf dieser Einteilung kann für jeden Patienten die geeignete Nachsorge festgelegt werden.
Die tumorspezifische Nachsorge kann in der Regel nach fünf Jahren abgeschlossen werden. Danach sind jedoch weitere regelmässige Kontrollen alle 1–2 Jahre empfohlen wobei es zu einem Paradigmenwechsel kommt: Die Rezidiventdeckung tritt zugunsten der Identifikation von Spätfolgen der Therapien und der Empfehlungen zum Lebensstil in den Hintergrund.
Einerseits konnte festgestellt werden, dass die langfristige gesundheitsbezogene
Lebensqualität (health related quality of life, HRQoL) bei Männern mit
Hodentumoren unabhängig von der Therapie langfristig gleich gut ausfällt wie bei Nichtbetroffenen (Mykletun et al.
2005). Andererseits jedoch können chronische Langzeiteffekte wie z. B. Raynaud Syndrom, periphere
Polyneuropathie, Hörverlust Fatigue und
Hypogonadismus insbesondere bei Patienten nach Chemotherapie zu einer Einschränkung der Lebensqualität führen (Rossen et al.
2009).
Das Auftreten von psychischen Problemen kann in der Nachsorge auch eine wichtige Rolle einnehmen und zu einer Belastung führen (Smith et al.
2016).
Ein Nachsorgearzt sollte aufkommende seelische Probleme erkennen können, zur Erstberatung fähig sein und Betroffene an kompetente, mit der Tumorerkrankung vertraute Psychologen vermitteln können.
Bei den oft jungen Patienten können Partnerschaftsprobleme, Identitätskrisen, der Verlust der körperlichen Integrität, Schuldgefühle oder Fragen zur Sexualität eine entscheidende Rolle spielen. Unter Fatigue und Lebensangst können die Betroffenen dauerhaft leiden (Abouassaly et al.
2011).
Auch soziale Probleme werden immer wieder an den nachsorgenden Arzt herangetragen (Abouassaly et al.
2011; Haugnes et al.
2012), zu deren Lösung beigetragen werden kann. So ist der persönliche Kontakt des Arztes zu einem Sozialarbeiter oder einem Sozialamt für den Betroffenen von Vorteil. Immer wieder muss zu Arbeitseinsatz und möglicher Arbeitsbelastung, Versicherungsfragen, sozialer Sicherung sowie Rehabilitationsaufenthalten beraten werden.
Zusammenfassend darf festgestellt werden, dass Frequenz und Modalität der Nachsorgeuntersuchungen an das erwartete Risiko eines Rezidivs und die häufigste Lokalisation des Rezidivs angepasst werden können. Entsprechend konnten in den letzten Jahren klare Richtlinien festgelegt werden, um für alle Patienten mit Hodentumor eine optimale Nachsorge zu definieren.
Untersuchungen
Integraler Bestandteil jeder Nachsorgekontrolle ist die zielgerichtete Anamnese und körperliche Untersuchung. Zu erfragen sind Gewichtsverlust, auffällige Müdigkeit, Veränderungen am Körper, Schmerzen, besonders im Bauch- oder Rückenbereich,
Husten und Auswurf, Atemnot unter Belastung, neurologischen Auffälligkeiten, Brustschwellungen, Potenz und prograder Ejakulation nach Operation im Retroperitoneum und Vaterschaft (Haugnes et al.
2012). Zur Grunduntersuchung gehören die Bestimmung von Gewicht und Grösse, Blutdruckmessung, Lungenauskultation, Palpation der Lymphknotenstationen (zervikal, supraklavikulär, axillär,inguinal), des Abdomens und insbesondere des kontralateralen Hodens (Krege et al.
2008).
Die Bestimmung der
Tumormarker AFP, β-HCG und LDH ist integraler Bestandteil jeder Nachsorgekontrolle in den ersten fünf Jahren. Gemäss Konsensusempfehlung sollen immer bei jedem Patienten unabhängig von der Histologie und von den initialen Werten alle drei Tumormaker bestimmt werden (Krege et al.
2008). Selbst primär markernegative Patienten können im Rezidiv in bis zu 40 % der Fälle Marker entwickeln (Trigo et al.
2001). Das AFP ist nur bei Nichtseminomen erhöht, das β-HCG ist sowohl beim Nichtseminom als auch in etwa 20 Prozent der Seminome erhöht. Die LDH hat eine eingeschränkte Aussagekraft und ist oft wegen anderen Ursachen erhöht. Die LDH muss daher vorsichtig und im Gesamtkontext interpretiert werden.
Die Tumormaker AFP, β-HCG und LDH sind die
wichtigsten Laborparameter in der Nachsorge und müssen in den ersten fünf Jahren bei jeder Kontrolle bestimmt werden.
Zum Staging bei Erstdiagnose ist zwingend eine Computertomografie (CT) von Thorax, Abdomen und Becken vorzunehmen. In der Nachsorge stellt das CT ebenfalls eine wichtige Bildgebung dar. Aufgrund der mit der ionisierenden Strahlung verbundenen Risiken muss das CT jedoch sparsam und gezielt eingesetzt werden. Grundsätzlich ist die Bildgebung auf das in den Empfehlungen vorgeschlagene notwendige
Minimum zu reduzieren. Zudem kann auf eine Bildgebung von Regionen mit sehr geringem Rezidivrisiko verzichtet werden. Die erforderlichen Untersuchungsmethoden, die zu untersuchende Region und der zeitliche Abstand sind direkt abhängig von der Histologie, dem Erststadium, der durchgeführten Therapie und dem Therapieerfolg (Cathomas et al.
2011; Hartmann et al.
2011). Beim Abdomen kann anstelle des CT auch eine Magnetresonanztomographie (MRT) vorgenommen werden. Dazu muss jedoch die Expertise zur Durchführung und Beurteilung einer MRT des Abdomens vorliegen. Grundsätzlich ist zur Untersuchung der Lunge ein konventionelles Thoraxröntgenbild ausreichend. Die Bildgebung des kleinen Beckens (CT oder MRT) ist nur beim Vorliegen von folgenden Faktoren indiziert: Zustand nach adjuvanter Radiotherapie beim Seminom Stadium I, initial grosse retroperitoneale Tumormassen > 5cm, Anamnese mit Kryptorchismus oder Orchidopexie, Anamnese von skrotalen Eingriffen, Tumorinvasion in die Tunica vaginalis testis (White et al.
1997). Ansonsten wird die Bildgebung auf Höhe des Abgangs der Aa. Iliacae internae beeendet.
Die Untersuchung des Skeletts mittels Skelettszintigraphie oder des ZNS mittels MRT ist nur bei klinischem Verdacht auf Metastasierung in diesem Bereich notwendig. Das PET-CT hat keine Wertigkeit im Staging oder in der Nachsorge von
Hodentumoren und sollte nicht eingesetzt werden.
Das mit ionisierender Bestrahlung verbundene erhöhte Krebsmortalitätsrisiko kann berechnet werden (Mettler et al.
2008). Diese Berechnungen basieren auf stochastischen Risikokalkulationen einer genetischen Strahlenschädigung. Das Risiko ist erhöht bei jüngerem Alter und kumuliert mit der Anzahl Untersuchungen (Tarin et al.
2009). In Tab.
1 sind die durchschnittlichen Strahlendosen von verschiedenen Untersuchungen und die damit verbundene erhöhte Krebsmortalität aufgeführt.
Tab. 1
Strahlenbelastung und erhöhte Krebssterblichkeit. (gemäss Mettler et al.
2008)
Röntgen-Thorax p.a. | 0,02 mSv | 1 | 1:1.000.000 |
Transatlantikflug | 0,1 mSv | 5 | 1:200.000 |
Natürliche Strahlung/Jahr (background) | 2–3 mSv | 100–150 | 1:10.000 bis 1:6667 |
CT Thorax | 7 mSv | 1:350 | 1:2857 |
CT Abdomen | 8 mSv | 400 | 1:2400 |
Zur frühzeitigen Diagnostik von Spättoxizität sind verschiedene weitere Untersuchungen in regelmässigen Abständen sinnvoll. Häufige Spättoxizitäten sind das metabolische Syndrom, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, renale Funktionseinschränkungen, periphere Polyneuropahtie und Ototoxizität, Raynaud Syndrom, sekundäre Malignome,
Hypogonadismus und psychosoziale Belastungen (Travis et al.
2010; Abouassaly et al.
2011; Haugnes et al.
2012).
Die jährliche Bestimmung der Nierenfunktion (Kreatininwert mit Berechnung der GFR), die Berechnung des Body mass index (BMI) sowie eine Bestimmung der Blutfette (Gesamtcholesterin, HDL-Cholesterin,
LDL-Cholesterin, Trigylceride) und der Nüchtern-Glucose sind notwendig und empfohlen (Haugnes et al.
2012). Zusätzlich sollte alle 1–2 Jahre eine Kontrolle der gonadalen Funktion mittels Bestimmung des Gesamt-Testosterons sowie von LH und FSH durchgeführt werden (Nord et al.
2003; Haugnes et al.
2012).
Je nach vermuteter Spättoxizität können zudem Audiogramm, Lungenfunktionsprüfung inkl. Messung der CO-Diffusionskapazität,
Belastungs-EKG oder renale Clearance erforderlich werden (Travis et al.
2010; Abouassaly et al.
2011).
Bei Langzeitüberlebenden nach Behandlung eines Hodentumors besteht ein erhöhtes Risiko für Zweitmalignome. Das relative Risiko für solide Tumore beträgt je nach Organ und Therapie 1,5–4 (Travis et al.
2005), dasjenige für hämatologische Malignome 3,4–4,5 (Fosså
2004; Richiardi et al.
2007). Die nachsorgenden Ärzte sowie die betroffenen Männer müssen sich dieser Risiken bewusst sein.
Im Langzeitverlauf muss in etwa 3–5 % mit dem Auftreten eine Keimzelltumors im kontralateralen Hoden gerechnet werden Daher ist eine Hodenpalpation bei jeder Nachsorgekontrolle vorzunehmen. Falls keine kontralaterale Biopsie vorgenommen wurde ist eine Hodensonografie einmal jährlich sinnvoll.
Sehr wichtig ist es, die Patienten zu Eigenverantwortung und einem gesunden Lebensstil mit körperlicher Aktivität, Nichtrauchen und Kontrolle des Körpergewichts zu motivieren (Abouassaly et al.
2011; Haugnes et al.
2012). Ebenso soll der Patient zur regelmässigen selbstständigen Hodenpalpation angehalten werden.
Festlegung der Intervalle gemäss Rezidivrisiko
Die Nachsorgedauer und die Intervalle in der Nachsorge richten sich in erster Linie nach dem Rezidivrisiko. Das Rezidivrisiko kann gemäss Initialstadium, Histologie und Behandlung abgeschätzt werden. Auch sind die hauptsächlich erwarteten Rezidivlokalisationen in Abhängigkeit der Ausgangsparameter bekannt. Diese Angaben stellen die Basis für die Festlegung der Nachsorgeintervalle und der Modalitäten dar (Cathomas et al.
2011).
Nach der derzeitigen Studienlage lassen sich die Häufigkeit der Rezidive in Abhängigkeit der Histologie, des Stadiums, der Therapie und der Zeit seit Diagnose und die zu erwartenden Lokalisationen abschätzen (Tab.
2).
Tab. 2
Rezidivraten, Zielregionen, Zeiträume nach Histologie, Stadium und Therapie
Seminom | I | Surveillance | 12–31 % | 3–5 % | Abdomen | |
Seminom | I | Carboplatin | 5 % | 1 % | Abdomen | |
Seminom | I | 20 Gy | 4 % | 1 % | Lunge | |
Seminom | IIA/B | 30/36 Gy | 5–15 % | 2 % | Lunge | |
Seminom | IIC–III good prognosis | 3× PEB/4× EP | 10 % | 1 % | Abdomen, Lunge | |
Nichtseminom | I low risk I high risk | Surveillance Surveillance | 15 % 45–50 % | 2 % 2–3 % | Abdomen, Lunge | Kollmannsberger et al. 2015 |
Nichtseminom | I | RLA | 8–10 % | 2 % | Lunge | |
Nichtseminom | I high risk | 1× PEB | 0–2 % | 1 % | Abdomen, Lunge | |
Nichtseminom | IIA–III good prognosis | 3× PEB/4× EP | 10 % | 1 % | Abdomen, Lunge | |
Beim Seminom im Stadium I ist die Rezidivrate von der gewählten Behandlung abhängig. Bei Surveillance findet sich ein Rezidivrisiko von 12–31 % in Abhänigkeit von Tumorgrösse und Invasion der Rete testis (Warde et al.
1997). Die Rezidivrate nach mehr als 2 Jahren liegt immer noch bei 3–5 % (Warde et al.
1997; Mortensen et al.
2014) und ist damit im Vergleich zu anderen Histologien und Stadien etwas erhöht. Bei Anwendung einer adjuvanten Chemotherapie oder einer Bestrahlung ist die Rezidivrate geringer, kann jedoch bei Patienten mit Risikofaktoren immer noch bis zu 9 % betragen (Mead et al.
2011; Tandstad et al.
2016). Die Rezidive treten praktisch ausschliesslich primär im Retroperitoneum auf. Auf eine Bildgebung der Lunge kann daher verzichtet werden. Nach adjuvanter Bestrahlung beim Seminom muss besonders auf die kaudalen Randgebiete des Strahlenfeldes geachtet werden (Oliver et al.
2011). Nach 5 Jahren sinkt die Rezidivgefahr auf weniger als 0,3 %, wie an mehr als 5000 Patienten in einer multivariaten Analyse gezeigt werden konnte (Martin et al.
2007).
Werden Seminome im klinischen Stadium IIA/B retroperitoneal bestrahlt, ist mit einer Gesamtrezidivrate von 5–15 % zu rechnen. Rezidive treten v. a. supradiaphragmal auf, retroperitoneale Rezidive sind wegen des erweiterten Strahlenfeldes selten (Claßen et al.
2003). Seminome im klinischen Stadium II und III mit guter Prognose gemäss IGCCCG (International germ cell cancer collaborative group
1997), die nach einer Chemotherapie eine Remission erzielt haben, erleiden in ca. 10 % ein Rezidiv. Nach 2 Jahren ist auch hier das Rezidivrisiko gering.
Nichtseminome im klinischen Stadium I zeigen ein unterschiedliches Rezidivrisiko je nach Vorliegen einer lymphovaskulären Invasion (LVI). Die Surveillance wird für low risk Patienten ohne LVI empfohlen. Dabei besteht ein Rezidivrisiko von etwa 15 % wobei über 90 % davon in den ersten 2 Jahren auftreten (Kollmannsberger et al.
2015). Bei high risk Patienten wird eine adjuvante Chemotherapie mit einem Zyklus BEP empfohlen, dabei sinkt das Rezidivrisko auf 2 % (Tandstad et al.
2014). Alternativ kann die Surveillance auch bei diesen Patienten mit jedoch deutlich erhöhtem Rezidivrisko von 40–50 % gewählt werden. Daher wird initial eine engmaschigere Nachsorge empfohlen. Auch hier sinkt das Risiko nach 2 Jahren markant ab (Kollmannsberger et al.
2015). Unabhängig von der Vorgehensweise beträgt das Hodentumorspezifische Überleben >99 % und die Rezidive treten primär im Retroperitoneum auf. Eine randomisierte prospektive Studie zeigte, dass in Bezug auf die Entdeckungsrate von Rezidiven die Durchführung von 2 CT Abdomen in den ersten 2 Jahren gleichwertig ist zu 5 CT (Rustin et al.
2007). Zur Überwachung der Lunge genügt ein konventionelles Thoraxröntgenbild (Harvey et al.
2002; Gietema et al.
2002).
Nichtseminome in den Stadien II bis III mit guter Prognose gemäss IGCCCG werden mit 3 Zyklen einer Standardchemotherapie behandelt. Wenn eine komplette Remission (im Falle von
Residuen >1 cm ist eine Residualtumorresektion notwendig) erreicht wird, sinkt die Rezidivgefahr unter 10 % (Kondagunta und Motzer
2006). Nach über 2 Jahren ist das Rezidivrisko nur noch sehr gering.
Die folgenden Grundsätze müssen vor Einschluss in die Nachsorge berücksichtigt werden: Patienten die keine komplette Remission erzielt haben sowie Patienten mit intermediate und poor prognosis Erkrankung gemäss IGCCCG weisen ein deutlich erhöhtes Rezidivrisiko auf und müssen individualisiert in Absprache mit spezialisierten Zentren nachgesorgt werden. Beim Nichtseminom ist vor Einschluss in die Nachsorge eine vollständige Resektion sämtlicher Tumormanifestationen >1 cm gefordert. Beim Seminom ist ein Einschluss mit
Residuen bis 3 cm erlaubt, bei grösseren Residuen ist eine individualisierte Nachsorge notwendig.
Unabhängig vom initialen Stadium, von Histologie und Therapie gilt, dass die Rezidivgefahr nach 2 Jahren markant absinkt und nach 5 Jahren ein Niveau erreicht, bei dem die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs des Ersttumors nicht höher einzuschätzen ist als das Auftreten einer Neuerkrankung in der gesunden Bevölkerung. Sehr späte Rezidive nach 5 Jahren sind ausgesprochen selten und treten nur in etwa 0,5 % aller Hodenkarzinompatienten auf (Oldenburg et al.
2006). Eine Tumornachsorge mit regelmässiger Bildgebung und Bestimmung von
Tumormarkern ist nach mehr als 5 Jahren grundsätzlich nicht empfohlen. Eine Ausnahme bilden Patienten mit metastasiertem Nichtseminom und Nachweis von Teratom in resezierten Tumorresiduen. Diese Patienten sollten auch nach mehr als 5 Jahren regelmässig durch einen uro-onkologischen Facharzt nachkontrolliert werden.
Nach Ablauf von 5 Jahren steht die Entdeckung von behandlungsassoziierter Toxizität im Vordergrund. Insbesondere wenn mehr als eine Behandlungslinie durchgeführt wurde, besteht ein erhöhtes Risiko für signifikante Spättoxizität (kardiovaskuläre Erkrankungen, Zweittumore, Nierenfunktionsstörung, Neuropathie, Ototoxiztät,
Hypogonadismus) (Lauritsen et al.
2015).
Spätrezidive werden meist durch das Auftreten von Symptomen diagnostiziert. In bis zu 50 % der Fälle können erhöhte
Tumormarker nachgewiesen werden (Mortensen et al.
2016). Die Aufklärung des Patienten und der nachsorgenden Ärzte ist wichtig, damit frühzeitig an die Möglichkeit eines Rezidivs gedacht wird und entsprechende einfache Abklärungen (Tumormaker, Bildgebung) eingeleitet werden.
Nachsorgeempfehlungen
Im Verlauf der vergangenen Jahre ist es gelungen, literaturhinterlegte Nachsorgeempfehlungen zu formulieren (Cathomas et al.
2011; Hartmann et al.
2011; Souchon et al.
2011). Diese wurden auch von den Experten der Europäischen Konsensuskonferenz 2011 mitgetragen (Beyer et al.
2013). Anlässlich der Konsensuskonferenz 2016 wurden die Nachsorgeempfehlungen noch einmal diskutiert und die Experten konnten sich auf eine Vereinfachung und Vereinheitlichung einigen. Es konnten drei grosse Nachsorgegruppen definiert und minimale Nachsorgeempfehlungen vereinbart werden, die bei Bedarf individuell erweitert und angepasst werden können. Dabei wurden die Grundsätze einer risikoadaptieren Nachsorge beachtet und der Einsatz von ionisierenden Strahlen reduziert. Zudem wurde auch auf die Notwendigkeit einer längerdauernden Nachsorge wegen Spättoxizitäten bzw. Spätfolgen inklusive Zweittumore hingewiesen. Diese Empfehlungen sind von der EAU (European Asssociation of Urology) und von der ESMO (European Society of Medical Oncology) in ihren jeweiligen aktuellen Guidelines 2018 übernommen worden (Albers et al.
2018; Honecker et al.
2018).
Zu beachten ist, dass einige Patienten eine individualisierte Nachsorge durch spezialisierte Zentren benötigen. Dazu gehören : metastasierte Erkrankungen der Intermediate- und Poor-prognosis-Gruppe gemäss IGCCCG; alle Patienten, die nach einer primären Therapie mit oder ohne Chirurgie keine komplette Remission erreicht haben (Ausnahme: Seminomresiduen bis 3 cm oder >3 cm und FDG-PET-negativ); alle Patienten mit Rezidiv nach vorangegangener Cisplatin-haltiger Chemotherapie.
Unter Berücksichtigung der initialen Diagnose (Histologie, Stadium) und der gewählten Behandlung können aufgrund der Rezidivhäufigkeit und des Rezidivmusters
drei Hauptgruppen für die Nachsorge unterschieden werden:
1.
Patienten mit Seminom im Stadium I (unter active surveillance oder nach adjuvanter Therapie mit Chemotherapie oder Radiotherapie)
2.
Patienten mit Nicht-Seminom Stadium I unter active surveillance
3.
Alle anderen Patienten die entweder eine adjuvante Therapie (Nicht-Seminom) oder eine kurative Therapie bei metastasierter Erkrankung erhalten haben und darunter eine komplette Remission erzielt haben
Die Nachsorgeempfehlungen für diese drei Gruppen sind in den Tab.
3,
4 und
5 aufgeführt.
Tab. 3
Basis-Nachsorgeempfehlungen für Patienten mit Seminom Stadium I (unabhängig von der gewählten Therapie)
Klinik und Anamnese | 2x | 2x | 2x | 1x | Erfassung von Spätfolgen (survivorship care plan) |
Tumormarker | 2 x | 2 x | 2 x | 1 x |
Röntgen Thorax | 0 | 0 | 0 | 0 |
MRT/CT Abdomen | 2 x | 2 x | Nach 36 Monaten | Nach 60 Monaten |
Tab. 4
Basis-Nachsorgeempfehlungen für Patienten mit Nicht-Seminom Stadium I unter Surveillance
Klinik und Anamnese | 4–6x | 4x | 2x | 1–2x | Erfassung von Spätfolgen (survivorship care plan) |
Tumormaker | 4–6 x | 4 x | 2 x | 1–2 x |
Röntgen Thorax | 2 x | 2 x | 1 x (falls LVI+) | Nach 60 Monaten (falls LVI+) |
MRT/CT Abdomen | 2 x | Nach 24 Monaten* | Nach 36 Monaten ** | Nach 60 Monaten ** |
Tab. 5
Basis-Nachsorgeempfehlungen für Patienten in kompletter Remission nach adjuvanter oder kurativ intendierter Chemotherapie
Klinik und Anamnese | 4x | 4x | 2x | 2x | Erfassung von Spätfolgen (survivorship care plan)** |
Tumormaker | 4 x | 4 x | 2 x | 2 x |
Röntgen Thorax | 1–2 x | 1 x | 1 x | 1 x |
MRT/CT Abdomen | 1–2 x | Nach 24 Monaten | Nach 36 Monaten | Nach 60 Monaten |
Thorax CT | * | * | * | * |
Beim Seminom im Stadium I wurde anlässlich der Konsensuskonferenz entschieden, dass vier Bildgebungen des Abdomens (CT oder MRT) in den ersten zwei Jahren ausreichend sind, obwohl die Daten der TRISST Studie (4 gegenüber 7 Untersuchungen und MRT im Vergleich zum CT) noch nicht vorliegen. Eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens kann in den Intervallen vorgenommen werden, sollte die in den Empfehlungen vorgesehenen CT/MRT des Abdomens aufgrund der eingeschränkten Aussagekraft aber nicht ersetzen (Mezvrishvili et al.
2007).
Nach fünf Jahren ist die tumorspezifische Nachsorge abgeschlossen. Von da an wird eine lebenslange Nachsorge für Patienten mittels eines „survivorship care plans“ empfohlen. Dabei soll der Patient nochmals mündlich und schriftlich über die Diagnose und die durchgeführte Behandlung aufgeklärt werden. Er muss verstehen, dass es auch nach vielen Jahren zu Langzeitfolgen kommen kann. Das vermehrte Auftreten von Zweitmalignomen muss angesprochen werden. Auch soll der Patient auf die Notwendigkeit der Selbstuntersuchung des verbliebenen Hodens hingewiesen werden, da in seltenen Fällen ein metachroner Tumor auch nach vielen Jahre auftreten kann. Des Weiteren ist der Patient zu einem gesunden Lebensstil zu motivieren. Alle 1–2 Jahre empfiehlt sich eine Untersuchungen der folgenden Parameter: