Die akzeptierte Therapie des metastasierten Urothelkarzinoms ist eine cisplatinhaltige Systemtherapie
. Zum Einsatz kommen Cisplatin Monotherapien und cisplatinhaltige systemische Kombinationstherapien. Die Kombinationstherapien haben einen Überlebensvorteil im Vergleich zu der Behandlung mit einer Cisplatin Monotherapie
gezeigt. (Soloway et al.
1983) Zwar zeigt die Behandlung mit Cisplatin einen Vorteil bezüglich des Überlebens, die Behandlung stellt aber gleichzeitig hohe Anforderungen an den Behandler und den Patienten. Die Auswahl der Patienten sollte unter größter Sorgfalt erfolgen. Ein ausreichend guter körperlicher Zustand, sowie eine gute Nierenfunktion sind
conditio sine qua non für eine cisplatinhaltige Therapie. Die folgenden Kriterien fassen die Ausschlusskriterien einer Therapie des Urothelkarzinoms mit Cisplatin hinreichend zusammen: glomeruläre Filtrationsrate <60 ml/Min., ECOG Status >2, bzw. Karnofsky Index <60–70 %, audiometrische nachgewiesene Hörschädigung, periphere Neuropathie ≥Grad 2 und
Herzinsuffizienz ≥NYHA III. (Galsky et al.
2011) Wichtig für den klinischen Alltag ist es, dass diese Kriterien vor Beginn einer systemischen Behandlung objektiviert werden. Dazu ist eine entsprechende Vorstellung des Patienten bei den Kolleginnen und Kollegen der beteiligten Fachdisziplinen (HNO-ärztlich, neurologisch, pulmonologisch/kardiologisch) notwendige Voraussetzung. Da vor allem die Nierenfunktion über das Für oder Wider einer Cisplatin-Gabe entscheidet, sollte bei dem Vorhandensein einer
Niereninsuffizienz geklärt werden, welcher Genese die eingeschränkte Nierenfunktion ist. Insbesondere das Vorliegen einer postrenalen Niereninsuffizienz ist bei Patienten mit fortgeschrittenem Urothelkarzinom keine Seltenheit und kann oft durch die Sicherstellung der Harnableitung wieder gewährleistet werden.
Erstlinienbehandlung Chemotherapie
Die Erstlinienbehandlung ist der entscheidende Schritt bei der Systemtherapie des metastasierten Urothelkarzinoms. Da die cisplatinhaltigen Studienprotokolle bei Patienten in einem entsprechenden Allgemeinzustand die besten Resultate erzielten, gelten sie als die akzeptierte Behandlung und sollten bevorzugt zum Einsatz kommen. Als Referenzbehandlung gilt die MVAC-Therapie
(Kombinationstherapie aus
Methotrexat, Vinblastin, Doxorubicin und Cisplatin), die im Vergleich zu einer cisplatinhaltigen Monotherapie einen Vorteil bezüglich des progressionsfreien Überlebens (10,0 vs. 4,3 Monate) und Gesamtüberlebens (12,5 vs. 8,2 Monate) zeigte. (Loehrer et al.
1992) Für diese Verbesserung der Zeit des Gesamtüberlebens muss eine Einschränkung der
Lebensqualität durch höhere therapieassoziierte Toxizität in Kauf genommen werden. Leukopenie, Mukositis, Granulozytopenie und höhere medikamentenbedingte Mortalität sind bei der MVAC Therapie gegenüber der Monotherapie zu erwarten. (Loehrer et al.
1992; Siefker-Radtke et al.
2002) Angesicht der Tatsache, dass Patienten, die an einem metastasierten oder fortgeschrittenen Urothelkarzinom leiden, oft ältere Patienten sind oder zahlreiche Komorbiditäten aufweisen, schränkt das erhöhte Toxizitätsprofil der MVAC Therapie den Handlungsspielraum der Therapie veritabel ein. Es liegen Daten vor die zeigen, dass unter Studienbedingungen mehr als die Hälfte der Patienten, die im MVAC Protokoll behandelt wurden, wegen toxischer Effekte der Therapie stationär behandelt werden mussten. (Tannock et al.
1989)
In einer Untersuchung von 405 Patienten, von denen 202 eine MVAC Therapie und 203 eine Therapie aus einer Kombination von Gemcitabin
und Cisplatin
(GC) erhielten, zeigte sich kein Unterschied bezüglich des Gesamtüberlebens (14 vs. 15 Monate), der Tumorprogression und dem Therapieansprechen. Die Patienten, die GC erhielten, wiesen seltener schwere (Grad 3/4) Komplikationen wie Neutropenien (82 % vs. 71 %), neutropenisches
Fieber (14 % vs. 2 %), neutropenische
Sepsis (12 % vs. 1 %) und Mukositis (22 % vs. 1 %) auf. Ebenso traten weniger therapieassoziierte Todesfälle auf, wenn die Patienten mit GC anstelle von MVAC behandelt wurden (1 % vs. 3 %). (von der Maase et al.
2000) Patienten, die das GC Protokoll erhielten, konnten häufiger die sechs angestrebten Therapiezyklen beenden, ohne vorzeitig aufgrund der Toxizität der Behandlung diese vorzeitig abzubrechen. (Loehrer et al.
1992) Anhand der vorliegenden Studiendaten wird die GC Behandlung der MVAC Therapie in aller Regel vorgezogen.
Eine weitere Behandlungsoption für Patienten mit metastasiertem Urothelkarzinom, die für eine cisplatinhaltige Therapie geeignet sind, ist die Kombination aus Paclitaxel
, Cisplatin und Gemcitabin (PCG). In einer Studie mit 626 Patienten, in der 312 die Behandlung mit PCG und 314 eine Behandlung mit GC erhielten, zeigte sich ein signifikant höheres objektives Therapieansprechen (56 % vs. 44 %), aber nur ein tendenziell besseres Gesamtüberleben (16 vs. 13 Monate) oder progressionsfreies Überleben (8,3 vs. 7,6 Monate) für die PCG Behandlung. (Bellmunt et al.
2012) Bei Selektion der Patienten nach der Primärlokalisation Harnblase zeigte sich ein signifikant besseres Gesamtüberleben der Patienten mit PCG Behandlung (16 vs. 13 Monate). (Bellmunt et al.
2012) Die Anzahl der Patienten mit therapieassoziierter Neutropenie 65 % vs. 51 %, Fatigue 15 % vs. 11 % und Infekten 18 % vs. 14 %) war höher in der PCG Gruppe, während
Thrombozytopenien und Blutungen häufiger bei der GC Behandlung beobachtet wurden (52 % vs. 35 %). (Bellmunt et al.
2012)
Patienten in gutem Allgemeinzustand, die für eine Kombinationstherapie mit Cisplatin nicht geeignet sind, können eine Immuntherapie
(s. Abs. 1.4) oder eine Carboplatin-haltige Kombinationstherapie angeboten werden. Bei 238 Patienten konnte gezeigt werden, dass die Behandlung mit Gemcitabine und Carboplatin
verglichen mit einer Behandlung mit
Methotrexat, Carboplatin und Vinblastin (MCAVI)
zu einem besseren Therapieansprechen und weniger therapieassoziierten Nebenwirkungen führt, das Gesamtüberleben und das progressionsfreie Überleben aber nicht positiv beeinflusst werden. (De Santis et al.
2012) Die carboplatinhaltigen Kombinationstherapien sind vor allem geeignet für Patienten, deren Nierenfunktion zwar eingeschränkt, aber noch nicht desolat ist (glomeruläre Filtrationsrate ≥30–60 ml/Min) oder deren Allgemeinzustand deutlich reduziert ist (ECOG Status ≥2), deren sonstige körperliche Konstitution aber eine cisplatinhaltige Therapie erlauben würde. (De Santis et al.
2012)
Weitere Behandlungsmöglichkeiten für Patienten, bei denen eine platinhaltige Therapie bereits in der Erstlinienbehandlung nicht durchgeführt werden kann sind Kombinationstherapien aus Gemcitabin und Docetaxel
(Ardavanis et al.
2005, Gitlitz et al.
2003) oder Gemcitabin und Paclitaxel (Meluch et al.
2001; Li et al.
2005; Calabrò et al.
2009). Die Behandlung von 31 Patienten mit Gemcitabin und Docetaxel
zeigte eine zufriedenstellende Verträglichkeit. Die hauptsächlichen Toxizitäten waren hämatologische (
Anämie bei 7 %,
Thrombozytopenie 5 % und Neutropenie 28 %) und kardiovaskuläre Nebenwirkungen 39 %. Das mediane Gesamtüberleben betrug 15 Monate, die 1 Jahres Überlebensrate 60 %. (Ardavanis et al.
2005) In einer Untersuchung an 27 Patienten betrug das mediane Gesamtüberleben 12 Monate bei ähnlichem Nebenwirkungsprofil. (Gitlitz et al.
2003) Gemcitabin und Pacitaxel wurde bei 36 Patienten angewendet und führte zu einem medianen Gesamtüberleben von 16 Monaten. Das Toxizitätsprofil bestand in hämatologischen und neurologischen Nebenwirkungen (Granulozytopenie 36 %, Neuropathie 17 %). (Meluch et al.
2001) Patienten, die nach einem Hochdosisprotokoll behandelt wurden, entwickelten in 15 % schwere pulmonale Nebenwirkungen. (Meluch et al.
2001; Li et al.
2005) Die Behandlung von 54 Patienten in einer anderen Untersuchung zeigte ein ähnliches Toxizitätsprofil (schwere Neutropenien 18 %, Neuropathien 12 %). Die Patienten mit einem guten prätherapeutischen Allgemeinzustand hatten ein medianes Gesamtüberleben von 15 Monaten. (Calabrò et al.
2009)
Neben den Kombinationsbehandlungen existieren zahlreiche Untersuchungen mit Monotherapien. Diesen ist gemein, dass die Patientenzahlen oft klein sind und eine Patientenselektion von nicht platinfähigen und/oder Patienten mit ausgeprägten Komorbiditäten vorliegt. Das Therapieansprechen ist in aller Regel gering und die Behandlungsdauer aufgrund eines raschen Krankheitsprogresses kurz. Es gibt aber durchaus Berichte über erstaunliche individuelle Krankheitsverläufe in der Erst- oder Zweitlinientherapie, so dass ein Therapieversuch, orientiert an der Maxime
primum non nocere, erfolgen sollte. Monotherapien sind beschrieben für Cisplatin
(Saxman et al.
1997), Carboplatin (Waxman und Barton
1993), Lobaplatin
(Sternberg et al.
1997) Gemcitabin (Lorusso et al.
1998; Moore et al.
1997), Vinflunin
(Castellano et al.
2014; Palacka et al.
2014; Bellmunt et al.
2009;
2013), Vinblastin
(Blumenreich et al.
1982), Epirubicin
(Niijima et al.
1986), Doxorubicin
(Schwartz et al.
1983), Pirarubicin
(Mahjoubi et al.
1992), Galliumnitrat
(Seidman et al.
1991),
Methotrexat (Natale et al.
1981), Paclitaxel (Roth et al.
1994), Docetaxel (McCaffrey et al.
1997), Ifosfamid
(Witte et al.
1997) und Cyclophosphamid
(Yagoda et al.
1978).