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Uroonkologie
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Publiziert am: 12.11.2019

Operative Uroonkologie: Grundlagen

Verfasst von: Andriy Shaleva, Guido Breuer und Christof Börgermann
Eine Optimierung des perioperativen Managements führt zur Reduktion der Komplikationen, Verkürzung des stationären Aufenthaltes, Senkung der stationären Wiederaufnahmerate und somit zur Erhöhung der Kosteneffizienz. Enhanced recovery after surgery (ERAS) wurde als ein multidisziplinäres multimodales Programm entwickelt, mit dem Ziel das postoperative Management zu standardisieren und zu verbessern. Die wichtigste Aufgabe von ERAS ist effiziente und schnelle postoperative Rekonvaleszenz nach Anwendung der Evidenz-basierten Mittel. In der kolorektalen Chirurgie führte ERAS zur Reduktion der postoperativen Morbidität und Verkürzung des stationären Aufenthaltes. Im Rahmen des ERAS-Konzeptes wurde Einfluss der präoperativen Optimierung und der Darmvorbereitung, Role der präoperativen Nüchternheit und Glukosezufuhr, Prophylaxe der Thrombembolie, Infusionsmanagement sowie Vorbeugung des paralytischen Ileus auf die postoperativen Ergebnisse untersucht. Einige Thesen des Konzeptes wurden bereits in S3-Leitlinien Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms dargestellt. Andere ERAS-Komponenten werden aus der abdominalen Chirurgie hergeleitet und urologisch implementiert.
Eine Optimierung des perioperativen Managements führt zur Reduktion der Komplikationen, Verkürzung des stationären Aufenthaltes, Senkung der stationären Wiederaufnahmerate und somit zur Erhöhung der Kosteneffizienz. Enhanced recovery after surgery (ERAS) wurde als ein multidisziplinäres multimodales Programm entwickelt, mit dem Ziel das postoperative Management zu standardisieren und zu verbessern. Die wichtigste Aufgabe von ERAS ist effiziente und schnelle postoperative Rekonvaleszenz nach Anwendung der Evidenz-basierten Mittel. In der kolorektalen Chirurgie führte ERAS zur Reduktion der postoperativen Morbidität und Verkürzung des stationären Aufenthaltes. Im Rahmen des ERAS-Konzeptes wurde Einfluss der präoperativen Optimierung und der Darmvorbereitung, Role der präoperativen Nüchternheit und Glukosezufuhr, Prophylaxe der Thrombembolie, Infusionsmanagement sowie Vorbeugung des paralytischen Ileus auf die postoperativen Ergebnisse untersucht. Einige Thesen des Konzeptes wurden bereits in S3-Leitlinien Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms dargestellt. Andere ERAS-Komponenten werden aus der abdominalen Chirurgie hergeleitet und urologisch implementiert.

Präoperative Optimierung

Einschränkung des Ernährungsstatus kann als ein potenziell modifizierbarer Faktor für perioperative Komplikationen und Mortalität angesehen werden. Es wurden mehrere Versuche unternommen, eine malnutritive Störung zu objektivieren, wie z. B. Albuminbestimmung oder radiologische Definition einer Sarkopenie. Zur Einschätzung des Ernährungszustandes des Patienten vor einer uroonkologischen Operation wird „Mini Nutritional Assessment“ (Tab. 1) von European Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN) empfohlen.
Tab. 1
Initiales Screening in Mini Nutritional Assessment (Cederholm et al. 2017)
A
Haben Sie in den letzten drei Monaten auf Mahlzeiten wegen des Appetitsverlustes, Verdauungsschwierigkeiten, Kauen- oder Schluckenprobleme verzichten müssen?
0 – schwerer Appetitsverlust
1 – leichter Appetitsverlust
2 – kein Appetitsverlust
B
Gewichtsverlust in letzten 4 Wochen
0 – mehr als 3 kg Gewichtsverlust
1 – unbekannt
2 – Gewichtsverlust zwischen 1 und 3 kg
3 – kein Gewichtsverlust
C
Mobilität
0 – Bettlägerigkeit oder Rollstuhlfahrer
1 – fähig zum Aufstehen, aber nicht um die Wohnung zu verlassen
2 – fähig zum Verlassen der Wohnung
D
Haben Sie an einer akuten Erkrankung oder an einem physischen Stress in den letzten drei Monaten gelitten?
0 – ja
2 – nein
E
Neuropsychologische Probleme?
0 – schwere Demenz oder Depression
1 – milde Demenz
2 – kein psychologisches Problem
F
Body Mass Index (BMI)
0 – BMI weniger als 19
1 – BMI 19–20
2 – BMI 21–23
3 – BMI mehr als 23
Ergebnis
 
≥12 Punkte
Normaler Ernährungszustand – keine weitere Diagnostik notwendig
8–11 Punkte
Mögliche Mangelernährung – weitere Evaluation notwendig
0–7 Punkte
Malnutrition
Perioperative immunomodulierende Ernährung (orale Ergänzung mit Glutamin, Arginin, Omega-3-Fett-Säuren) kann die Rate der infektiösen Komplikationen und somit Aufenthaltsdauer im Krankenhaus nach der Blasenchirurgie durch eine positive Modulation der postinterventionellen Immunantwort beeinflussen (Gregg et al. 2011).
Zur präoperativen Optimierung gehört auch eine körperliche Konditionierung. Aufgrund der eingeschränkten körperlichen Möglichkeiten der onkologischen Patienten kann einen täglichen 60-minütigen Spaziergang zur Verbesserung der Konditionen führen. Raucherentwöhnung und Alkoholkarenz 4 Wochen vor dem Eingriff üben einen positiven Einfluss auf die Rekonvaleszenz der Patienten aus (Cerantola et al. 2013).

Darmvorbereitung

Eine präoperative Darmvorbereitung – sowohl mechanisch als auch antibiotisch – nahm historische Wurzeln aus der Abdominalchirurgie und wurde ohne ausreichende Evidenz in der Uroonkologie für viele Jahre implementiert. In den letzten Jahren kam es zu den neuen Erkenntnisse hinsichtlich der Darmreinigung. Dieser Prozess kann die Patienten dehydrieren, Elektrolytstörungen auslösen und zum prolongierten paralytischen Ileus führen (Azhar et al. 2016). Nach der aktuellen Studienlage kann laut S3-Leitlinie Blasenkarzinom auf eine präoperative orthograde Darmreinigung ohne Kompromittierung der perioperativen Morbidität verzichtet werden. Die deutsche Leitlinien-Kommission für Blasenkarzinom entschied für eine „Kann-Option“ in der Formulierung dieser These. Der Grund dafür sehen die Autoren in der unterschiedlichen Darmvorbereitung in der aktuell üblichen Praxis und in den durchgeführten prospektiven Untersuchungen (drei Tage präoperativ im Interventionsarm vs. 1 Tag vor dem Eingriff in der üblichen Praxis).

Präoperative Nüchternheit

Bei den meisten Patienten ist eine präoperative Nüchternheit ab Mitternacht vor der Operation nicht erforderlich. Patienten ohne besonderes Aspirationsrisiko sollen bis 2 Stunden vor Narkosebeginn klare Flüssigkeiten trinken. Feste Nahrung ist bis 6 Stunden vor der Anästhesie erlaubt (S3-Leitlinie DGEM 2013). Diese These betrifft auch die Patienten mit Adipositas, mit gastroösophagealem Reflux sowie Diabetes mellitus, die dieser Empfehlung folgen können (Smith et al. 2011).

Präoperative Glukosezufuhr

Die präoperative Einnahme eines Glukosedrinks kann Durst und Patientendyskomfort reduzieren, die postoperative Insulinresistenz vermindern und zum Erhalt der Muskelmasse führen (Yuill et al. 2005; Nygren et al. 1998; Hausel et al. 2001).
Es liegen jedoch zur Zeit keine Studien vor, die Effekte der präoperativen Glukosezufuhr auf Zystektomiepatienten untersucht haben. Die meisten Arbeiten wurden in chirurgischen Kollektiven durchgeführt. Somit ist der Evidenzgrad der These als gering anzusehen (Cerantola et al. 2013). Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin postuliert, dass die präoperative Einnahme eines Glukosedrinks mit 800 mL in der Nacht und mit 400mL 2 Stunden vor der Operation nicht mit dem Risiko einer erhöhten Aspiration einhergeht. Fruchtlimonaden können als sichere Alternative ohne Unterschied in der Magenentleerungszeit gesehen werden.

Prophylaxe der Thrombembolie

Die Inzidenz einer klinisch signifikanten tiefen Venenthrombose nach einer radikalen Zystektomie beträgt ca. 5 % (Novotny et al. 2007). Die Wahrscheinlichkeit einer nicht-fatalen Thrombembolie nach der offenen radikalen Prostatektomie variiert zwischen 2,7 und 10,8 % (Tikkinen et al. 2018a). Die Arbeitsgruppe um Tikkinen 2014 vermutet, dass ca. 50 % der schweren postoperativen Nachblutungen in ersten 12 Stunden nach dem Eingriff auftreten. Das Blutungsrisiko macht am 1. postoperativen Tag 63 % von allen Blutungsereignissen in ersten vier postoperativen Wochen aus. Wenn man das Risiko der Nachblutung nach zwei Tagen postoperativ einschätzt, beträgt dieses ca. 76 % aller Nachblutungen in ersten vier postoperativen Wochen. Die Autoren behaupten, dass fast 90 % aller Blutungen passieren in ersten 4 postoperativen Tagen. Das Risiko einer Thrombembolie bleibt konstant in ersten vier postoperativen Wochen (Grafik 1).
Die Leitlinienkommission der Europäischen Gesellschaft für Urologie empfiehlt Beginn der prophylaktischen Antikoagulation 24 Stunden nach der Intervention. Zur Evaluation der Wahrscheinlichkeit einer Thrombembolie nach der urologischen Interventionen wurde ein prognostisches Modell erarbeitet (Tab. 2). Bei der therapierelevanten Entscheidungen sollten zusätzlich individuelle Risikomerkmale berücksichtigt werden, wie z. B. Dauer der Operation, orale Kontrazeption, Immobilität, spinale Läsionen, angeborene Gerinnungstörungen (Antiphospholipid-Syndrom, Faktor-V-Leiden-Mutation, Antithrombin- , Protein-C oder -S-Mangel).
Tab. 2
Wahrscheinlichkeit einer Thrombembolie abhängig von Risikofaktoren
 
Risikofaktor
Wahrscheinlichkeit einer Trombembolie
Geringes Risiko
Keine Risikofaktoren
1x
Mittleres Risiko
Alter > 75 Jahre
oder
BMI > 35
oder
Thrombembolie in Verwandten ersten Grades
2x
Hohes Risiko
Stattgehabte Thrombembolie
oder
2 und mehr Risikofaktoren
4x
Die Fortführung der prophylaktischen Antikoagulation für 4 Wochen nach dem onkologischen Beckeneingriff senkt signifikant das Risiko einer tiefen Venenthrombose ohne Erhöhung der Blutungskomplikationen (Cerantola et al. 2013). Es ist zu erwähnen, dass der Leitlinienausschuss der Europäischen Gesellschaft der Urologie sich gegen einer pharmakologischen Thromboseprophylaxe in folgenden Fällen äußert:
  • Laparoskopische oder roboterassistierte radikale Prostatektomie unabhängig von der durchgeführten pelvinen Lymphadenektomie bei den Patienten mit einem niedrigen Risiko für eine Thrombembolie (s. Tab. 2).
  • Laparoskopische oder roboterassistierte Nierenteilresektion bei den Patienten mit einem niedrigen Risiko für eine Thrombembolie
  • Laparoskopische Nephrektomie bei den Patienten mit einem niedrigen Risiko für eine Trombembolie
Prinzipiell bestehen vier Optionen im perioperativen Management der Patienten unter therapeutischer Antikoagulation:
a.
Verschieben der Operation bis zum Zeitpunkt, wo Antikoagulanzien nicht mehr benötigt werden.
 
b.
Pausieren der Antikoagulation und Wiederaufnahme der Therapie nach dem Eingriff.
 
c.
Durchführen der Operation unter laufender Antikoagulation.
 
d.
Ersetzen des antithrombotischen Mittels durch das Medikament, das die Wahrscheinlichkeit einer Thrombose reduziert und gleichzeitig mit einem geringeren Blutungsrisiko einhergeht (sog. „Bridging“)
 
Sollte das blutverdünnendes Medikament pausiert werden, zeigt die Tab. 3 die notwendige Zeit des Absetztens vor dem Eingriff.
Tab. 3
Perioperatives Management der blutverdünnenden Medikamenten in der Urologie (Tikkinen et al. 2018b)
Antikoagulans
Direkter Thrombininhibitor
Dabigartan (Pradaxa®)
1–3 Tage
 
Indirekter Thrombininhibitor
12 Stunden
  
Niedermolekulares Heparin (Clexane®, MonoEmbolex®)
12–24 Stunden
  
Fondaparinux (Arixtra®)
24 Stunden
 
Phenprocoumon (Marcoumar®)
3–5 Tage
 
Direkte Faktor Xa-Inhibitoren
Apixaban (Eliquis®)
1–3 Tage
  
Edoxaban (Lixiana®)
1–3 Tage
  
Rivaroxaban (Xarelto®)
1–3 Tage
Plättchenhemmer
COX Inhibitor
ASS
3–7 Tage
 
Glykoprotein-2b/3a-Hemmer
Abciximab (Reopro®)
5 Tage
  
Eptifibatid (Intergrillin®)
5 Tage
  
Tirofiban (Aggrastat ®)
5 Tage
 
ADP-Rezeptor-Antagonist
Clopidogrel (Plavix®)
5 Tage
  
Prasugrel (Efient®)
5–7 Tage
  
Ticagrelor (Brilique®)
5 Tage

Präoperative Gabe von Alvimopan

Alvimopan ist ein peripher wirkender μ-Opioid Rezeptor-Antagonist. Das Medikament wurde von Food and Drug Administration in USA für die Prävention des paralytischen Ileus nach einer Darmresektion mit der primären Darmanastomose zugelassen. Die Anwendung von Alvimopan wurde mit der reduzierten stationären Aufenthaltsdauer und mit dem früheren Wiederbeginn der Darmtätigkeit nach der radikalen Zystektomie assoziiert (Kauf et al. 2014). In neuen Studien wurden die Zystektomiepatienten 1:1 randomisiert, die eine Einzeldosis von 12 mg Alvimopan per os oder Placebo präoperativ erhielten. Die Therapie wurde bis zum siebten postoperativen Tag oder Entlassung fortgeführt. Die Alvimopan-Gruppe hatte einen früheren Beginn der Darmtätigkeit (5,5 Tage vs. 6,8 Tage, p < 0,0001), kürzere Aufenthaltsdauer im Krankenhaus (7,4 Tage vs. 10,1 Tage, p < 0,0051) und weniger Episoden von postoperativem Ileus (8,4 % vs. 29,1 %, p < 0,001) – postulierte Lee et al. 2014.

Prämedikation

Eine Unruhe und Ängstlichkeit ist häufig vor der Operation zu beobachten. Ein suffizientes Aufklärungsgespräch hilft die Aufregung zu reduzieren. Es ist jedoch nicht selten eine präoperative pharmakologische Anxiolyse indiziert. ERAS Protokolle setzten die Anwendung der kurzwirkenden Benzodiazepine voraus. Die langwirkenden Präparate dieser Gruppe verschlechtern die Rekonvaleszenz und Mobilisierung der operierten Patienten. Bei Älteren wird auch eine postoperative kognitive Störung festgestellt (Cerantola et al. 2013). Es muss jedoch erwähnt werden, dass dieses Thema in urologischen Studien nicht ausreichend untersucht wurde.

Perioperatives Infusionmanagement

Das Infusionsmanagement kann im Rahmen einer urologischen Operation eine Herausforderung werden, weil die intraoperative Urinsekretion nicht immer korrekt beurteilt werden kann. Eine exzessive Infusion oder Hypervolämie löst die splanchnische Hypoperfusion aus, die entsprechend zum Lungenödem, paralytischen Ileus, zur erhöhten Morbidität und prolongierten Aufenthaltsdauer führen kann. Die ERAS Protokolle propagieren eine restriktive und bilanzierte Volumenkontrolle (Giglio et al. 2009). Manche Autoren empfehlen maximal 1000 ml Infusion bis zur Entfernung der Harnblase im Rahmen der Zystektomie (Pang et al. 2018). Wuethrich et al. (2014) randomisierte Patienten in zwei Gruppen, die entweder 2 μg/kg pro Stunde Noradrenalin kombiniert mit 1 ml/kg Ringer-Lösung pro Stunde bis die Harnblase entfernt wurde, dann bis 3 ml/kg pro Stunde Infusion erhalten haben oder 6 ml/kg/h Ringer-Lösung während der gesamten Operation bekommen haben. Die Noradrenalin-Gruppe hatte einen signifikant geringeren Blutverlust und weniger Bluttransfusionen.
Ein Konzept der sog. zielgerichteten Infusionstherapie (goal-directed fluid therapy – GDFT) wurde entwickelt, um perioperative Volumentherapie zu präzisieren. Hierbei wird die Infusionstherapie mithilfe der transösophagealen Echokardiographie gesteuert, um das Herzschlagvolumen zu optimieren. GDFT reduziert die Komplikationsrate und Aufenthaltsdauer bei Patienten in der kolorektalen Chirurgie (Giglio et al. 2009). Die Studie hat GDFT mit dem konventionellen, zum Teil obsoleten Infusionsmanagement verglichen. Hierbei war in der Vergleichsgruppe entweder einen Volumenüberschuss oder eine unvertretbare Volumenrestriktion beobachtet. Das kann als eine wichtige Limitation der Studie angesehen werden. Es besteht Notwendigkeit der prospektiven Untersuchung in der Urologie, die eine restriktive bilanzierte Infusionstherapie mit GDFT vergleicht. Hier sind weniger signifikanten Ergebnisse zugunsten GDFT zu erwarten.

Nasogastrale Sonde

Magensonden sollen frühzeitig entfernt werden. Diese These spiegelt die Analyse von vier Studien durch die deutsche Leitlinien-Kommission für die Therapie des Blasenkarzinoms wider. Es konnte gezeigt werden, dass Verzicht auf eine Magensonde nicht mit einer erhöhten postoperativen Morbidität assoziiert war. Bei anderen Studien wurde eine frühe Entfernung der Magensonden ein Bestandteil der postoperativen Komplexmaßnahmen. Somit kann ein spezifischer Einfluss der frühzeitigen Magensondenentfernung nicht beurteilt werden.

Prävention des paralytischen Ileus

Der postoperative Ileus gehört zu allgemeinen Komplikationen nicht nur nach einer radikalen Zystektomie, sondern auch nach der Prostatektomie oder nach renaler Chirurgie. Die Rate des paralytischen Ileus variiert zwischen 1,58 % und 23,5 % (Ramirez et al. 2013). Es liegt eine sehr geringe Anzahl der Studien über Ileus nach der Zystektomie vor. Dementsprechend sind die Daten hinsichtlich der Prävention oder Reduktion des paralytischen Ileus sehr limitiert. Die bereits vorhandene Studien weisen eine sehr heterogene oder fehlende Definition des Ileus auf.
Eine systematische Literaturübersicht von Ramirez et al. 2013 konnte folgende Risikofaktoren für den paralytischen Ileus identifizieren: Alter, Body-Mass-Index, intraoperativer Blutverlust, Bluttransfusion, schwerwiegende Komplikationen und verlängerte OP-Zeit. Es wurden drei randomisierte kontrollierte Studien detektiert, die sich mit der perioperativen Intervention zwecks Reduktion des paralytischen Ileus beschäftigen. Die Gruppe um Lightfoot et al. 2007 konnte in einer kleinen Interventionsgruppe von 11 Patienten zeigen, dass Erythromycin-Gabe keinen Vorteil hinsichtlich der Reduktion des paralytischen Ileus bringen kann. Ein prospektiver Vergleich einer Roboter-assistierten Zystektomie mit der offenen Harnblasenentfernung in einem Kollektiv von 41 Patienten konnte einen signifikant früheren Wiederbeginn der Darmtätigkeit in der minimal-invasiven Gruppe nachweisen (Nix et al. 2010). Noch eine randomisierte kontrollierte Studie untersuchte der Einfluss der bilateralen Re-Adaptation des Peritoneums nach Zystektomie im Patientenkollektiv von 200 Patienten. Hierbei zeigte die Interventionsgruppe eine signifikante Besserung bezüglich der postoperativen Darmmotilität (Roth et al. 2011).
Es gibt ein starker Konsens der deutschen Leitlinien-Kommission „Blasenkarzinom“, dass die Patienten frühzeitig (innerhalb von 24 Stunden postoperativ) mobilisiert werden sollen. Die Auswirkung dieser Maßnahme auf die peri- und postoperative Morbidität wurde bislang nicht gezielt untersucht. Jedoch gehört die frühzeitige Mobilisation zum festen Bestandteil in den meisten Studien, welche Protokolle zur schnelleren postinterventionellen Regeneration erarbeitet haben. Aufgrund dessen ist der unmittelbarer Einfluss der frühzeitigen Mobilisation auf die Rekonvaleszenz nicht abschließend bewertbar (S3-Leitlinien Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms).
Der Einfluss der Kaugummi auf Darmmotilität nach der Zystektomie wurde sowohl in chirurgischen als auch in der urologischen Studien untersucht (Choi et al. 2011; Kouba et al. 2007). Der Zeitraum von der Operation bis zum Abgang von Winden (2,4 vs. 2,9 Tage) und bis zum Einsetzen der Darmtätigkeit (3,2 vs. 3,9 Tage) waren bei Patienten, die Kaugummi bekamen signifikant verkürzt (Kouba et al. 2007).

Postoperative Ernährung

Der frühzeitige Beginn der oralen Kostaufbau nach der Operation wird innerhalb der 24-Stunden in vielen ERAS-Protokollen empfohlen. Auch die deutsche Leitlinien-Kommission Blasenkarzinom propagiert Verzicht auf eine routinemäßige postoperative parenterale Ernährung. Die orale Nahrung (Fruchtjoghurt, Suppe und/oder orale Nahrungssupplementierung) kann bei den meisten Patienten sofort nach der Operation begonnen werden.
In einer prospektiven Studie wurde die Patienten nach der Zystektomie in zwei Gruppen randomisiert. Die erste Gruppe bekam eine flüßige Kost am 1. postoperativen Tag mit der weiteren Kostaufbau ab dem 2. Tag. Die Kontrollgruppe erhielt eine flüßige Ernährung bis zum Einsetzten der Darmtätigkeit. Die Autoren fassen zusammen, dass ein früher Beginn der Kostaufbau weder positive noch negative Auswirkungen auf Komplikationsrate, Aufenthaltsdauer, Rate des paralytisches Ileus nach der Zystektomie ausübte (Deibert et al. 2016). Die Studien aus der kolorektalen Chirurgie berichten über eine Senkung der Rate an Komplikationen im Vergleich zu einem traditionell post- operativ verzögertem Kostaufbau ohne negative Beeinflussung von Letalität, Anastomosenheilung, Wiedereintreten der Darmfunktion oder der Krankenhausverweildauer (Osland et al. 2011).
Das perioperatives Management in der Uroonkologie erlebt einen Paradigmenwechsel durch Implementation von ERAS-Protokolle. Verzicht auf extensive Abführmaßnahmen, Verkürzung der präoperativen Nüchternheit, präoperative Anwendung der glukosehaltigen Getränke, Fortführung der prophylaktischen Antikoagulation postoperativ, restriktives Infusionsmanagement sowie frühzeitiger Beginn der oralen Kostaufbau gehören zur relevanten Aspekten in der operativen Uroonkologie. Trotz der steigenden Evidenz für die Sicherheit, potenzielle Kosteneffizienz und verbesserte Ergebnisse von ERAS kann es mehrere Jahren dauern, um existierende Protokolle der perioperativen Betreuung zu adaptieren. Da die meisten ERAS Programme für die Zystektomie aus der kolorektalen Chirurgie hergeleitet wurden, sollen die ERAS Pfade dringend in urologischen Patienenkollektiven untersucht werden.
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