Ein Therapieansprechen beim Prostatakarzinom (PCA) wird an Endpunkten, wie dem biochemischen Rezidiv, der Reduktion distaler Metastasen oder dem prostatakarzinomspezifischen Überleben festgemacht. Etablierte prognostische Faktoren des PCA sollten daher möglichst genau mit dem Stadium der Erkrankung und der Lebenserwartung korrelieren.
Lokalisierte PCA zeigen erwartungsgemäß eine bessere Prognose als lokal oder systemisch fortgeschrittene Tumoren. Das exakte Staging ist deshalb unabdingbare Voraussetzung für eine stadiengerechte Therapie, zumal das lokalisierte PCA durch die in Kap. „Lokal begrenztes Prostatakarzinom: Therapie“ erwähnten lokalen Therapieformen kurativ behandelbar ist.
Da das PCA in frühen Stadien keine Beschwerden verursacht, wurden noch vor einigen Jahren viele Tumoren erst in fortgeschrittenen Stadien festgestellt. In diesen Fällen liegt bereits ein so ausgedehntes Tumorstadium vor, dass dem Patienten der Tumor oder seine Metastasen Beschwerden bereiten. In solchen Fällen ist eine Therapie mit kurativem Ansatz in der Regel nicht mehr möglich.
Durch den verbreiteten Einsatz der Serumbestimmung des prostataspezifischen
Antigens (PSA) seit Ende der 1980er-Jahre kam es zu einem deutlichen Anstieg der Inzidenz des PCA (Farkas et al.
1998), jedoch auch zu einer Abnahme der tumorbedingten Mortalität (Etzioni et al.
2002; Mettlin et al.
1998). PCA können durch die regelmäßige PSA-Wert Bestimmung häufiger in prognostisch günstigeren, potenziell heilbaren Frühstadien entdeckt werden. Dies sind im Wesentlichen Tumore, die lokal auf die Prostata beschränkt sind. Daher ist die richtige Patientenselektion, anhand von spezifischen Tumorcharakteristika, Komorbiditäten sowie der Lebenserwartung, für die jeweilige Therapie von zentraler Bedeutung, um eine Übertherapie zu vermeiden (Etzioni et al.
2002; Huland und Graefen
2015). Das vieldiskutierte Schlagwort heißt hier „overtreatment
“.
Neben Autopsiestudien hat auch der aktuelle Prostate Cancer Prevention Trial (PCPT) gezeigt, dass die
Prävalenz des PCA höher liegt als durch PSA-Screening bisher vermutet (Sakr und Partin
2001; Thompson et al.
2006).
Das Risiko eines Mannes, während seines Lebens an einem PCA zu erkranken, liegt demnach bei 1:8-1:9, wobei das Risiko, an einem PCA zu sterben, bei 1:31 liegt (Siegel et al.
2018; RKI
2017). Zudem weisen, in Screening-Populationen, 20–30 % der PCA-Patienten ein insignifikantes PCA auf (Epstein et al.
1994). Diese Tumoren zeigen häufig einen indolenten klinischen Verlauf, sodass es fraglich ist, ob in diesen Fällen eine invasive Therapie, gerade bei älteren Patienten, von Nutzen ist (Epstein et al.
1994; Carter et al.
2002; Kap. „Lokal begrenztes Prostatakarzinom: Therapie“).
Klassifikation
Eine prätherapeutische Einteilung der PCA in lokalisierte (meist heilbare) und fortgeschrittene (meist inkurable) Tumoren erfolgt durch eine individuelle Abschätzung aller vorhandenen klinisch-pathologischen Parameter (präoperativer PSA-Wert, digital-rektale Untersuchung, transrektale Ultraschalluntersuchung und histologische Analyse der Prostatastanzbiopsien).
Die Stadieneinteilung (Staging) des Adenokarzinoms der Prostata erfolgt gemäß der
TNM-Klassifikation, welche zuletzt 2009 geändert wurde. Im Rahmen dieser Klassifikation werden die lokale Ausdehnung des Primärtumors (T-Stadium), der regionäre Lymphknotenbefall (N-Stadium) und das Vorliegen potenzieller Fernmetastasen (M-Stadium) beurteilt. Es wird zwischen einer klinischen Stadieneinteilung (cTNM) basierend auf der digital-rektalen Untersuchung, dem PSA-Wert und bildgebenden Verfahren sowie einer pathologischen Klassifizierung (pTNM). anhand des endgültigen histologischen Befundes des Prostatektomiepräparates, unterschieden.
Das Ziel des Staging ist es, Patienten individuell einer entsprechenden Therapieform zuzuführen (klinisches Staging) oder prognostische Aussagen zu treffen (pathologisches Staging).
TNM/pTNM-Klassifikation
Die TNM/pTNM-Klassifikation aus dem Jahr 2009 zeigt (Tab.
1).
Tab. 1
TNM/pTNM-Klassifikation. (Nach Sobin et al.
2009)
T – Lokale Ausdehnung des Primärtumors |
Tx | | Primärtumor kann nicht beurteilt werden |
T0 | | Kein Hinweis auf Primärtumor |
T1∗ | | Klinisch inapparenter Primärtumor, nicht palpabel oder durch bildgebende Verfahren nachweisbar |
| T1a | Inzidenteller Tumor: histologisch in ≤5 % des Resektionsgewebes |
| T1b | Inzidenteller Tumor: histologisch in >5 % des Resektionsgewebes |
| T1c | Tumor identifiziert durch Stanzbiopsie bei erhöhtem PSA-Wert |
T2 | | Primärtumor beschränkt auf Prostata |
| T2a | Tumor befällt ≤ 50 % eines Seitenlappens |
| T2b | Tumor befällt > 50 % eines Seitenlappens |
| T2c | Tumor befällt beide Seitenlappen |
T3 | | Primärtumor überschreitet die Prostatakapsel |
| T3a | Extrakapsulärer Tumor ohne Samenblasenbefall (eingeschlossen mikroskopisch nachweisbare Infiltration des Blasenhalses) |
| T3b | Tumor infiltriert die Samenblase(n) |
T4 | | Primärtumor ist fixiert oder infiltriert benachbarte Strukturen |
N – Regionäre Lymphknoten |
NX | | Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden |
N0 | | Kein Anhalt für regionäre Lymphknotenmetastasen |
N1 | | Regionärer Lymphknotenbefall |
M – Fernmetastasen |
M0 | | Kein Anhalt für Fernmetastasen |
M1 | | Vorliegen von Fernmetastasen |
| M1a | Nichtregionärer Lymphknotenbefall |
| M1b | Knochenmetastasen |
| M1c | Andere Lokalisation(en) |
Klinisches Stadium
Die digital-rektale Untersuchung (DRU) dient zur Abschätzung der lokalen Tumorausdehnung eines PCA (cT-Stadium). Die Einteilung des DRU-Befundes kann nach den Klassifikationen nach Jewett oder der TNM (Tab.
1) erfolgen. Die Interpretation der DRU unterliegt jedoch starken untersucherabhängigen Schwankungen. So konnte in mehreren Studien gezeigt werden, dass die DRU häufig falsch-negative Vorhersagen liefert.
Partin et al. bewerteten die DRU an 565 Patienten (Partin et al.
1993). Hier bestätigte sich der klinische Verdacht auf ein organbegrenztes PCA nur in 52 %. Hingegen wiesen 31 %, respektive 17 %, entgegen der DRU ein extrakapsuläres Wachstum, eine Samenblaseninfiltration bzw. Lymphknoteninfiltration auf. Ein organüberschreitender Tastbefund (cT4) bestätigte sich nur in 36 %. Insgesamt ergab sich dadurch für die alleinige DRU eine
Sensitivität von 52 % und
Spezifität von 81 %.
Eine Studie aus den USA berichtet aktuell von einem deutlichen Rückgang (über 50 %) in der routinemäßigen Verwendung der DRU im Rahmen der urologischen Vorsorge (Shoag et al.
2016).
PSA
Der Anteil der PSA-entdeckten Tumoren (T1c) macht mittlerweile den überwiegenden Anteil der neu entdeckten PCA aus. Obwohl das Tumorvolumen mit der Höhe des PSA-Spiegels korreliert, ist der Serum-PSA-Wert zu ungenau für ein individuelles präoperatives Staging (Noldus und Stamey
1996; Pannek et al.
1996). Weiterhin wurde in Screeningpopulationen eine sinkende Korrelation des PSA-Wertes zum Tumorvolumen beobachtet (Stamey et al.
2004).
Verbessert man die
Sensitivität des PSA-Wertes bei der Krebsfrüherkennung durch Senkung des Grenzwertes von 4,0 auf 2,5 ng/ml, so finden sich in den so entdeckten Patientenkollektiven bis zu 26 % Tumoren mit einem Tumorvolumen von <0,5 cm
3 (Epstein et al.
1994). Diese sog. insignifikanten Tumore gelten zunehmend als klinisch unbedeutend und bei älteren Patienten als nicht behandlungsbedürftig (Epstein et al.
1994). Andererseits zeigen Verlaufsbeobachtungen an gescreenten Bevölkerungspopulationen, wie z. B. in der sog. Göteborger Studie, dass ein hoher Anteil signifikanter PCA normale PSA-Werte aufweist. Im Rahmen dieser randomisierten Studie, erhielten circa 10.000 Männer im Alter von 50–66 Jahre, ein PSA-Screening alle 2 Jahre. Bei etwa 25 % der Männer mit PCA-Nachweis wurde ein PSA-Wert zwischen 3–4 ng/ml festgestellt (Lodding et al.
1998). Des Weiteren konnte Im Rahmen des PCPT bei 11–30 % der untersuchten Männer mit einem PSA-Wert zwischen 0,1–4 ng/ml ein PCA in der Prostatabiopsie diagnostiziert werden (Thompson et al.
2004,
2006)
Histopathologie
Die histopathologische Diagnostik ist obligat in der Diagnose des PCA und liefert darüber hinaus wichtige Informationen zur individuellen Patientenberatung. Der folgende Text gibt eine Übersicht über Wertigkeit und Grenzen der histopathologisch-erhebbaren karzinomrelevanten Parameter an Biop-sie und Prostatektomiepräparat.
Histopathologie von Prostatastanzbiopsien
Radikale Prostatektomie
Am radikalen Prostatektomiepräparat stellt die Ermittlung der exakten Tumorausdehnung (pT-Stadium) einen wichtigen Prognosefaktor dar. Organüberschreitendes Wachstum ist hierbei definiert als Tumorausdehnung in das periprostatische Fettgewebe und/oder der mikroskopische Befall des Blasenhalses (pT3a) bzw. als Infiltration der Samenblase(n) (pT3b).
Der Nachweis einer Fettgewebsinfiltration konnte in mehreren Untersuchungen mit einer Prognoseverschlechterung assoziiert werden (Epstein et al.
1993; Wheeler et al.
1998). Die korrekte Ermittlung der Ausdehnung der Fettgewebsinfiltration ist erschwert durch das Fehlen einer durchgängigen, histologisch klar definierten Prostatakapsel. Während einige Regionen eine fibröse oder fibromuskuläre kapselartige Abgrenzung aufweisen, fehlt diese an anderen Stellen. Hier können benigne Prostatadrüsen bis unmittelbar an den Organrand heranreichen. Aufgrund dieser anatomischen Gegebenheit bestehen untersucherabhängige Unterschiede in der Beurteilung eines extraprostatischen Tumorwachstums (Epstein et al.
1993).
Am verlässlichsten kann die Diagnose eines extraprostatischen Tumorwachstums in der dorsolateralen und dorsomedialen Region gestellt werden, aufgrund des hier nachweisbaren periprostatischen Fettgewebes. Erschwert wird die Diagnose in Fällen, in denen das extraprostatische Wachstum eine desmoplastische Bindegewebsreaktion induziert und so eine Fettgewebsinfiltration vortäuschen kann. Neben den genannten Schwierigkeiten in der Diagnose des extraprostatischen Wachstums bestehen auch Uneinigkeiten hinsichtlich der Angabe der Ausdehnung (Epstein et al.
1993; Wheeler et al.
1998). Als einfache, zwar subjektive, aber im klinischen Alltag praktikable Methode kann eine Unterteilung in fokal vs. nicht-fokal vorgenommen werden, wobei fokal dem Nachweis einiger weniger extraprostatischer Tumordrüsen entspricht.
Die Infiltration der Samenblasen (pT3b), definiert als Tumorinfiltration der muskulären Samenblasenwand, gilt als signifikanter negativer Prognosemarker (Epstein et al.
2000; Pierorazio et al.
2011). Berichtete 5-Jahres-Progressionsfreiheitsraten von 5–60 % weisen auf das Vorhandensein prognoserelevanter Subgruppen hin. So konnte gezeigt werden, dass der Befall des extraprostatischen Samenblasenanteils mit einer deutlichen Prognoseverschlechterung einhergeht. Wohingegen der Befall des intraprostatischen Samenblasenanteils nicht mit einer Prognoseverschlechterung einher zu gehen scheint. Daher wird von einigen Autoren diskutiert, ein Stadium pT3b nur im Falle eines Befalls des extraprostatischen Samenblasenanteils anzugeben (Epstein et al.
2005b). Eine weitere Studie konnte zeigen, dass der bilaterale Samenblasenbefall, im Vergleich zum Unilateralen, mit einem erhöhten Risiko für ein biochemisches Rezidiv assoziiert ist (Lee et al.
2016).
Im Folgenden werden weitere histomorphologische Parameter am radikalen Prostatektomiepräparat besprochen.
Im Gegensatz zu anderen Tumorentitäten gilt ein Tumorwachstum bis knapp an den farbmarkierten Resektionsrand nicht als tumorbefallener Resektionsrand, auch wenn die Distanz weniger als 0,1 mm beträgt (Epstein
1990; Epstein und Sauvageot
1997).
Potenzielle
Fehlerquellen, die zu einem falsch-positiven Resektionsrand führen können:
-
postoperative Manipulationen (z. B. Clipentfernung oder Entfernung von chirurgischem Nahtmaterial) können zu artifiziellen Einrissen am Präparaterand führen in die sekundär Farbstoff läuft, sodass es hier fälschlicherweise zur Diagnose eines positiven Resektionsrandes kommt.
-
verwendete Apexpräparationtechnik im Rahmen der histologischen Präparataufarbeitung.
-
sehr dünne Schnitte der Apexabsetzungsregion in koronarer Schnittführung („shave margin“), werden bei Tumornachweis in diesem Schnitt als positiver Rand definiert. Tatsächlich kann der Tumor aber noch wenige Millimeter vom Resektionsrand entfernt sein. Die Aufarbeitung der Apexregion in sagittaler Schnittführung eliminiert diese Fehlerquelle.
Trotz der allgemein anerkannten prognostischen Relevanz des Resektionsrandstatus existieren
histologische Kofaktoren mit Einfluss auf die prognostische Wertigkeit:
-
Malignitätsgrad: Einige Studien zeigten, dass das Gleason-Muster am positiven Resektionsrand eine wichtige prognostische Bedeutung hat und deshalb im pathologischen Befund erwähnt werden sollte (Viers et al.
2014; Kates et al.
2016).
-
pT-Stadium: Einige Untersuchungen konnten zeigen, dass ein positiver Resektionsrand, bei pT2-Tumoren ohne prognostische Relevanz ist (Ohori et al.
1995) oder zumindest mit einem deutlich geringeren Progressionsrisiko behaftet ist, verglichen zu einem positiven Resektionsrand bei pT3-Tumoren (Babaian et al.
2001; Freedland et al.
2003a; Alkhateeb et al.
2010; Wright et al.
2010).
-
Lokalisation des Randbefalls: Ein positiver Randbefund in der Apexregion scheint, verglichen mit der Lokalisation am Blasenhals oder posterolateral mit einer schlechteren Prognose einher zu gehen (Ploussard et al.
2014).
-
Ausdehnung des Randbefalls: Verschiedene Untersuchungen konnten eine Bedeutung der Ausdehnung des Randbefalls (z. B. Anzahl der Gewebeblöcke mit Randbefall, Befall in Millimetern, fokal versus ausgedehnt) hinsichtlich der Prognose zeigen (Epstein et al.
1993; Watson et al.
1996; Kates et al.
2016).
Vorhersagemodelle: klinische Entscheidungshilfen
Ein exaktes präoperatives Staging ermöglicht die Planung einer adäquaten stadiengerechten Therapie. Zudem sind Modifikationen der gewählten Therapiemaßnahme wie z. B. die ein- bzw. beidseitige Nerverhaltung bei
radikaler Prostatektomie sicherer plan- und durchführbar (Graefen et al.
2001).
Einen wesentlichen Beitrag zur genaueren Risikostratifizierung hat die Einführung von prädiktiven Modellen (z. B. Nomogramme, Lookup-Tafeln oder neuronale Netzwerken) geleistet. Diese basieren auf einer Kombination von leicht zugänglichen und standardisierten klinischen und/oder pathologischen Parametern (z. B. präoperativer PSA-Wert, Gleason-Grad, prozentualer Stanzbefall, klinisches Stadium, pathologisches Stadium). Unterschiedliche Modelle haben sich fest in der klinischen Routine bewährt. Sie sind in der Lage, unterschiedliche Endpunkte vom Biopsieergebnis bis hin zum karzinombedingten Tod vorherzusagen.
Jedoch haben auch diese Methoden durch mehrere Fehlerquellen ihre Limitation. So kommt es z. B. häufig zu einem Unter- oder Übergrading der Tumoren in den Prostatabiopsien. Weiterhin sinkt der prädiktive Wert dieser Modelle gerade in Screeningpopulationen durch die sinkende Korrelation des PSA zum Tumorvolumen. Hier erwartet man einen deutlichen Fortschritt durch die Etablierung molekularer Marker.
Im Speziellen haben sich Nomogramme bewährt, welche auf multivariaten Regressionsmodellen basieren. Specht et al. konnten zeigen, dass Nomogramme genauere Vorhersagen treffen können als Experten (Specht et al.
2005). Dieses Ergebnis wird noch deutlicher, wenn klinische Vorhersagen durch weniger erfahrene Kliniker getroffen werden.
Die klinische Arbeit nachhaltig beeinflusst haben die sog. Partin-Tafeln, zur präoperativen Abschätzung des pathologischen Stadiums. Als Basis für die Vorhersage dienen dabei der präoperative PSA-Wert, das klinische Stadium und der bioptische Gleason-Grad (Partin et al.
1997). Die Validierungsanalyse zeigte eine allgemeine Genauigkeit von 72,4 %, 67,3 % für die Vorhersage eines organbegrenzten Stadiums, 59,6 % für ein extraprostatisches Wachstum, 79,6 % für eine Samenblaseninfiltration und 82,9 % für eine Lymphknoteninfiltration.
Zwei europäische Validierungsstudien zeigten eine gute Anwendbarkeit und Genauigkeit der Partin-Tafeln (Graefen et al.
2003; Augustin et al.
2004). Hieraus kann abgeleitet werden, dass die Anwendung der Partin-Tafeln bei europäischen Patienten ohne Einbuße in der prädiktiven Genauigkeit einhergeht. Trotz der weiten Verbreitung und guten prädiktiven Genauigkeit der Partin-Tafeln oder anderer Vorhersagemodelle, werden verbesserte Vorhersageparameter benötigt, um noch genauere Vorhersagen treffen zu können.
Des Weiteren können Vorhersagemodelle, trotz ihrer Vorteile wie z. B. die einfache Handhabung, die klinische Einschätzung nicht ersetzen. Daher bleibt es die Aufgabe des Klinikers die Wertigkeit der Vorhersagen in den komplexen Zusammenhang unter Berücksichtigung von Komorbidität, Alter und Lebenserwartung, zu stellen.
Molekulare Biomarker beim Prostatakarzinom
Einleitung
Durch die oben vorgestellten klinischen Nomogramme konnten große Fortschritte im klinischen Management des PCA erzielt werden. Die prädiktive Signifikanz dieser Modelle ist jedoch durch die zugrunde liegenden klinischen Parameter limitiert. Die niedrige
Spezifität des PSA, Subjektivität der DRU sowie die Gleason-Klassifizierung von Prostatabiopsien stellen gerade in präoperativen Nomogrammen unsichere Variablen dar. Weiterhin geben auch die besten klinischen Nomogramme keine Informationen über den natürlichen Krankheitsverlauf des PCA, um z. B. klinisch indolente Tumoren zu identifizieren.
Das Ziel von molekularen Markern ist es, das biologische Verhalten eines Tumors auf den Ebenen vorherzusagen auf denen die biologischen Prozesse einer Zelle gesteuert werden (Genom, Epigenom, Transkriptom, Proteom). Die zugrunde liegende Hypothese ist, dass biologische Prozesse, die zu einem relevanten Tumorprogress (Metastasierung, Tod) führen, auf molekularer Ebene detektierbar sind. Nach heutigem Wissensstand setzt z. B. der klinisch signifikanteste Schritt einer Tumorerkrankung, die Metastasierung, eine komplexe Abfolge von zellulären Prozessen wie Invasion, Überleben in der Blut-/Lymphbahn, Extravasation, Adhäsion, Proliferation und Vaskularisierung voraus. Es bestehen Hinweise, dass die Fähigkeit zur Metastasierung bereits im Primärtumor ausgebildet wird und hier auch detektiert werden kann (Hanahan und Weinberg
2000; Chambers et al.
2002; Ramaswamy et al.
2003). Es gilt nun, diese molekularen Prozesse zu identifizieren und für die klinische Routine zu nutzen.
Identifikation von Biomarkern
Gute prognostische Marker sollten reproduzierbar und mit allgemein zugänglichen Nachweismethoden gemessen werden können und eine stabile Assoziation zur biologischen Charakteristik des Tumors aufweisen. Zur Ermittlung ihrer klinischen Signifikanz müssen potenzielle Marker an einem Patientenkollektiv mit adäquatem Follow-up und suffizienter Zahl von klinischen Ereignissen (Rezidiv, Metastasen, Tod) auf die Vorhersage der relevanten Endpunkte (Therapieresponse, Rezidiv und Überleben) getestet werden. Die meisten molekularen Tumorstudien wurden auf DNA- (molekulare
Zytogenetik) und Proteinebene (
Immunhistochemie) durchgeführt, da diese Methoden gut an langzeitasseviertem Gewebe durchführbar sind.
Große Projekte der Genomforschung, allen voran das humane Genomprojekt, machten die Entwicklung neuer Technologien zur Hochdurchsatzanalyse biologischer Proben erforderlich. In erster Linie handelte es sich hierbei um Methoden zum
Screening nach neuen chromosomalen und Genexpressionsmarkern, wie z. B. DNA-Microarrays. Nach einer der ersten Studien mit Prostatagewebe (Dhanasekaran et al.
2001) sind diverse Publikationen erschienen, die DNA-Microarrays für die Analyse klinischer Prostataproben nutzten (Lapointe et al.
2004; Yu et al.
2004; Tomlins et al.
2007; Schlomm et al.
2009b).
Trotz der Heterogenität der PCA zeichnen sich Konsensus-Signaturen von exprimierten Genen ab, die gegenwärtig näher funktionell charakterisiert und auf ihren Zusammenhang mit der Bildung und Progression des PCA überprüft werden.
2005 gelang die Identifizierung der TMPRSS2/ERG-Genfusion (Tomlins et al.
2005). Durch die Fusion gerät die Expression des
onkogenen Transkriptionsfaktors ERG unter die Kontrolle des androgenregulierten TMPRSS2-Gens. Das Fusionsgen tragen 40–60 % aller PCA-Patienten (Tomlins et al.
2005).
TMPRSS2/ERG gilt als eine der spektakulärsten Entdeckungen der klinischen Forschung der letzten Jahre. Die Entdeckung, basierend auf genomweiten Microarray-Daten, zeigt die zentrale Bedeutung der Genomforschung in der biomedizinischen Forschung. In ähnlicher Weise wurden mit DNA-Arrays auch Veränderungen in der Kopienzahl (Amplifikationen/
Deletionen) von ganzen
Chromosomen oder chromosomalen Regionen bei PCA-Patienten nachgewiesen (Kamradt et al.
2007).
Am Beispiel der TMPRSS2/ERG-Genfusion wird jedoch deutlich, dass die Entdeckung neuer molekularer Veränderungen allein keinen Fortschritt im klinischen Management von Tumorerkrankungen hervorbringt. Erst die klinische
Validierung kann zeigen, ob ein Fortschritt im klinischen Alltag zu erwarten ist. So zeichnet sich für die TMPRSS2/ERG-Genfusion vornehmlich eine klinische Wertigkeit für die nichtinvasive PCA-Diagnostik sowie für die histopathologische Diagnostik ab (Tomlins et al.
2009). Die Entwicklung eines hochspezifischen Antikörpers zum Nachweis der TMPRSS2/ERG-Genfusion erlaubt mittlerweile die Erprobung in der histopathologischen Routinediagnostik (Park et al.
2010). Mittlerweile konnte gezeigt werden, dass die TMPRSS2/ERG-Genfusion jedoch keine prognostische Relevanz hat (Minner et al.
2011).
Ein weiteres Beispiel stellt die Entdeckung des prostate cancer gene 3
(PCA3) dar (Bussemakers et al.
1999). Hierbei handelt es sich um ein prostataspezifisches Gen, dessen
mRNA in PCA-Zellen überexprimiert wird und dessen Nachweis für die nichtinvasive PCA-Diagnostik
genutzt werden kann. Zwischenzeitlich wurde ein kommerzieller spezifischer PCA3 mRNA-Urintest entwickelt, der im Gegensatz zum Serum-PSA nicht durch Kofaktoren wie Entzündungen oder auch medikamentöse Therapien (5α-Reduktasehemmer) beeinflusst wird (Groskopf et al.
2006). Dies macht den Marker interessant für die Primärdiagnostik (Chun et al.
2009; Chevli et al.
2014), das Monitoring von Männern mit nachgewiesenen High-grade-PIN (Re-Biopsie nur bei ansteigendem PCA-3-Score) (Haese et al.
2008) oder die Watchful-Waiting-Situation (Tosoian et al.
2010).
Der kombinierte Einsatz mit anderen Biomarkern scheint die diagnostische Wertigkeit weiter zu erhöhen (Robert et al.
2013). Ferner deuten erste experimentelle Untersuchungen auf eine mögliche Rolle von PCA3 im Rahmen gentherapeutischer Ansätze hin (Fan et al.
2010). Derzeit wird der PCA-3-Test in den aktuellen Leitlinien als zusätzlicher Test empfohlen um unnötige Biopsien zu vermeiden oder nach initial negativer Biopsie zur Vermeidung unnötiger Re-Biopsien (Mottet et al.
2017).
Durch die Array-Technologie ist es möglich auch kleinere Amplifikationen von chromosomalen Regionen zu identifizieren. Derartige Befunde lassen sich wiederum mit Hilfe unabhängiger Microarray-Datensätze validieren (Buness et al.
2007). Schließlich setzt sich – bedingt durch Daten aus der Genomforschung – die Erkenntnis durch, dass Spleißvarianten (Thorsen et al.
2008) und
miRNAs bei der Tumorentstehung und -progression eine wichtige Rolle spielen (Casanova-Salas et al.
2014).
Zwischenzeitlich konnten dank neuester Technologien bereits erstmals vollständige PCA-Gene sequenziert werden (Berger et al.
2011). Molekulare Analysen, z. B. Kopienzahlvariation, Promotermethylierung sowie Gen-, Splicing- und miRNA-Expressionsprofilierung sind heutzutage aus der Genomforschung nicht mehr wegzudenken. Diese führen vor allem zu einer verbesserten standardisierten Probenanalytik. Jedoch sind diese Verfahren auf speziell asserviertes Probenmaterial angewiesen und Kohorten mit prospektiv asservierten Proben sind in ihrer Anzahl limitiert und verfügen meist über ein kurzes Follow-up.
Klinische Validierung von Biomarkern
Für eine aussagekräftige klinische
Validierung ist es notwendig, molekulare Veränderungen an robusten Patientenkollektiven mit Korrelation auf klinisch relevante Endpunkte zu testen. Die klinischen Endpunkte müssen klar definiert sein und den zu erwartenden Verlauf der PCA-Erkrankung mit und ohne Therapie widerspiegeln. Im vergangenen Jahrzehnt wurden, wie Oben beschrieben, bereits zahlreiche statistische Vorhersagemodelle (Nomogramme, neuronale Netzwerke, Partin-Tafeln) zur Vorhersage nahezu aller relevanten klinischen Endpunkte vom Biopsieergebnis bis hin zum karzinombedingten Tod entwickelt (zusammengefasst in Chun et al.
2007a). Diese Modelle zeigen je nach untersuchtem Endpunkt eine Vorhersagegenauigkeit („predictive accuracy“) von 73–84 % (Chun et al.
2007a). Mehrere Studien konnten zeigen, dass durch Kombination von klinischen Parametern und molekularen Markern in Nomogrammen eine bessere Vorhersagekraft erzielt werden kann (Kattan et al.
2003b; Shariat et al.
2008). Vor allem Nomogramme, die neben klassischen klinisch-pathologische Parameter (PSA, DRU-Befund), PCA3 als Parameter beinhalten zeigen eine gute Vorhersagegenauigkeit (Hansen et al.
2013; Greene et al.
2016).
Durch die Nutzung neuer Biomarker kann hier noch ein deutlicher Fortschritt in der Therapieplanung in den nächsten Jahren erwartet werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Fähigkeit der entsprechenden Marker die Vorhersagegenauigkeit bereits etablierter Vorhersagemodelle tatsächlich zu verbessern. Für die entsprechenden Untersuchungen ist es erforderlich, molekulare Veränderungen an tausenden
Patientenproben zu untersuchen, wozu es standardisierter Analysemethoden und umfangreicher
Biobanken bedarf. Hier hat sich die Tissue-microarray-Technik (TMA) als wertvolles Werkzeug durchgesetzt (Fleischmann et al.
2008; Köllermann et al.
2008; Schlomm et al.
2007b,
2008). Diese Technik erlaubt simultane Analysen von mehreren tausend paraffinfixierten Tumorproben mittels
Immunhistochemie oder FISH-Analysen in einem einzelnen Experiment. Hierdurch kann auf sehr große Tumorkollektive mit langem Follow-up zurückgegriffen werden. Weiterhin wird durch die standardisierten und simultanen Analysen eine sehr gute Vergleichbarkeit garantiert.
Klinisch relevante molekulare Biomarker beim Prostatakarzinom
Über 10.000 publizierte Studien haben bisher zahlreiche vielversprechende molekulare Marker für das PCA hervorgebracht von denen sich jedoch bisher keiner in der klinischen Routine durchsetzen konnte. Erklärungen hierfür sind vor allem die zu geringen Stichprobengrößen und das fehlende Follow-up der meisten molekularen Studien (Schlomm et al.
2007a). Eine Übersicht über derzeit klinisch verfügbare Biomarker ist z. B. bei Cucchiara et al. sowie Kretschmer und Tilki zu finden (Cucchiara et al.
2018; Kretschmer und Tilki
2017). Bevor diese Tests allerdings in der klinischen Routine eingesetzt werden können sind weitere prospektive Validierungsstudien notwendig.