Risikofaktoren
Bei der Suche nach Risikofaktoren für die Entstehung eines Dünndarmkarzinoms muss zwischen Umweltfaktoren, prädisponierenden Erkrankungen und genetischen Faktoren unterschieden werden. Insgesamt ist die Datenlage aufgrund der geringen Inzidenz der Erkrankung sehr spärlich. Dennoch konnte der Zusammenhang einiger sog. Lifestyle-Faktoren mit dem Auftreten von Dünndarmkarzinomen aufgezeigt werden. Ein systematisches Review der Literatur fasste kürzlich zusammen, dass ein erhöhter Alkoholkonsum,
Rauchen sowie ein vermehrter Verzehr von rotem Fleisch mit einem erhöhten Risiko für das Dünndarmkarzinom assoziiert zu sein scheinen (Bennett et al.
2015). Ähnliche Ergebnisse zeigte auch eine Studie aus Asien mit über 500.000 Patienten, in der zusätzlich auch ein erhöhter
Body-Mass-Index einen negativen Einfluss auf die Entstehung eines Dünndarmkarzinoms ergab (Boffetta et al.
2012). Eine protektive Wirkung wurde im Gegensatz hierzu im Rahmen mehrerer Studien für den Verzehr von Kaffee, Obst und Gemüse nachgewiesen.
Bei den prädisponierenden Erkrankungen sind vor allem
chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) zu nennen. In einer großen retrospektiven Multicenterstudie mit mehr als 9000 CED-Patienten zeigte sich ein deutlich erhöhtes relatives Risiko von 3,7 (95 % CI, 1,23–11,13) für die Entstehung eines Dünndarmkarzinoms (Algaba et al.
2015). Insbesondere bei M. Crohn fällt neben der erhöhten Inzidenz zudem auf, dass die Patienten im Vergleich zu den Patienten mit sporadischen Dünndarmkarzinomen eher jünger sind und sich das Karzinom oftmals im Bereich des Ileums entwickelt. Das kumulative Risiko für die Entstehung eines Dünndarmkarzinoms wird beim M. Crohn nach 25-jähriger Krankheitsdauer mit mehr als 2 % angegeben (Cahill et al.
2014).
Eine weitere Erkrankung, bei der ein Zusammenhang mit der Entstehung von Dünndarmkarzinomen diskutiert wird, ist die
Zöliakie (Sprue). Kleineren Studien zufolge soll das relative Risiko im Vergleich mit der Normalbevölkerung hier um bis zu 10-fach erhöht sein, wobei die Hauptlokalisation der Karzinome überwiegend im Jejunum liegt (Shenoy
2016).
Eine weitere wichtige Risikogruppe für das Dünndarmkarzinom sind Patienten mit erblichen Tumorsyndromen. Bei der
familiären adenomatösen Polyposis (FAP)
, bei der es aufgrund einer autosomal dominant vererbten
Keimbahnmutation im APC-Gen zur Ausbildung einer Vielzahl von Polypen im Darm kommt, stellt das Dünndarmkarzinom nach dem
Kolonkarzinom den zweithäufigsten bösartigen Tumor dar. Das Lebenszeit-Risiko der FAP-Patienten für die Entstehung eines Dünndarmkarzinoms liegt bei ca. 3–5 %, wobei das Duodenum und die periampulläre Region die häufigste Tumorlokalisation repräsentieren (Galiatsatos und Foulkes
2006).
Das
Peutz-Jeghers-Syndrom beschreibt eine autosomal dominant vererbte Erkrankung, die in erster Linie durch eine Mutation im STK11 (LKB1)-Gen verursacht wird. Klinisch auffällig werden die Patienten durch multiple hamartöse oder adenomatöse Polypen im Gastrointestinaltrakt. Das relative Risiko für ein Dünndarmkarzinom im Vergleich zur Normalbevölkerung wird auf ca. 520 geschätzt, wobei das Lebenszeit-Risiko in der Literatur zwischen 1,7 % und 13 % beschrieben ist (Hearle et al.
2006; Lim et al.
2003).
Das
Lynch-Syndrom ist eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung, bei der
Keimbahnmutationen in verschiedenen Mismatch-Repair-Genen (MMR-Gene: MLH1, MSH2, MSH6, PMS2) zu einem deutlich erhöhten Risiko für die Entstehung verschiedener Karzinome (v. a. kolorektales Karzinom,
Endometriumkarzinom) führen. Das Lebenszeit-Risiko für die Entstehung eines Dünndarmkarzinoms bei Patienten mit Lynch-Syndrom wird auf ca. 4 % geschätzt, wobei das relative Risiko im Vergleich zur Normalbevölkerung bei etwa 100 liegt (Koornstra et al.
2008).
Klinische Symptomatologie
Dünndarmkarzinome verursachen typischerweise keine oder nur unspezifische Initialsymptome (abdominelle Schmerzen, Gewichtsverlust, Übelkeit, Erbrechen etc.), so dass sich viele Patienten zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits in einem fortgeschrittenen Tumorstadium befinden. Mehrere Studien haben hierzu gezeigt, dass bei mehr als 50 % aller Patienten zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits ein fortgeschrittenes Tumorstadium (Stadium III oder IV) vorlag (Overman et al.
2012). Häufig werden die Karzinome erst aufgrund tumorbedingter Komplikationen entdeckt. Diese können sich beispielsweise in einer tumorbedingten Obstruktion oder einer gastrointestinalen Blutung manifestieren. Während Tumoren im Duodenum oftmals eine Magenentleerungsstörung verursachen, verursachen Karzinome des Jejunums und Ileums häufiger krampfartige abdominelle Schmerzen. Etwa 25–30 % aller Dünndarmkarzinome verursachen okkulte Blutungen, sodass Blutungen dieser Art nach unauffälliger oberer und unterer Endoskopie immer durch eine weiterführende Diagnostik abgeklärt werden sollten. Mehrere Studien konnten hierzu belegen, dass mehr als 40 % aller Patienten mit einem Dünndarmkarzinom im Notfall operiert werden müssen, wobei
Ileus, Perforation oder Blutung ursächlich hierfür sein können (Negoi et al.
2015).
Diagnostik und Differenzialdiagnostik
Die Primärdiagnostik des Dünndarmkarzinoms beinhaltet zunächst die ausführliche Anamnese sowie eine körperliche Untersuchung. Laborchemisch kann z. B. ein niedriger Hb-Wert ein Anzeichen für eine okkulte Blutung sein. Spezifische
Tumormarker sind nicht vorhanden, CEA und CA 19-9 können jedoch in ca. 30–40 % der Fälle erhöht sein und somit als Verlaufsparameter hinzugezogen werden.
Die initiale Diagnostik besteht zudem aus endoskopischen, sonografischen oder schnittbildgebenden Techniken. Je nach Lokalisation des Tumors kann die Endoskopie eingesetzt werden, ggf. in Verbindung mit einer endoskopischen Ultraschalluntersuchung zur Diagnosefindung und ggf. histologischen Sicherung. Die Doppelballonendoskopie erlaubt bei tieferliegenden Befunden die Untersuchung auch des Jejunums und kann gleichzeitig zum Abtragen kleinerer Befunde eingesetzt werden. Bei unklaren Befunden, beispielsweise einer okkulten Blutung, die durch die klassische Endoskopie nicht erreicht werden können, kann eine Kapselendoskopie durchgeführt werden, wobei Studien gezeigt haben, dass aufgrund der schnellen Transitzeit ein Übersehen kleinerer Tumoren hierbei dennoch möglich ist (Cheung et al.
2010). Der Nachteil dieser Methodik liegt zum einen in der fehlenden Möglichkeit der Histologiegewinnung und zum anderen in der Gefahr des Darmverschlusses bei bestehenden Dünndarmobstruktionen. Bei dem Verdacht einer relevanten Lumeneinengung des Dünndarms ist diese Methode dementsprechend kontraindiziert (Hara et al.
2005).
Die
Sensitivität der Schnittbildgebung hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert, so dass sowohl CT als auch MRT in der initialen Diagnostik des Dünndarmkarzinoms eingesetzt werden sollten. Neben der Detektion des Tumors sowie der Einschätzung der Tumorgröße kann eine Fernmetastasierung mittels CT oder MRT beurteilt werden. Durch den Einsatz eines oralen Kontrastmittels kann durch eine MR-Sellink-Untersuchung der gesamte Dünndarm untersucht werden. Diese Methodik erlaubt eine verbesserte Detektion kleinerer Tumoren sowie eine Darstellung auch geringgradiger Stenosen des Dünndarms. Das PET-CT kommt in der Routinediagnostik des Dünndarmkarzinoms nicht zum Einsatz und ist speziellen Fragestellungen (z. B. Fernmetastasierung) vorbehalten.
Indikationsstellung und Therapiealternativen
Die Therapie des Dünndarmkarzinoms richtet sich im Wesentlichen nach dem jeweils vorliegenden Stadium der Erkrankung. Hierbei werden 3 grundsätzliche Therapieansätze unterschieden:
Lokalisiert resektabel
Operative Therapie
Bei dem lokalisiert resektablen Dünndarmkarzinom ist die chirurgische R0-Resektion einschließlich des dazugehörigen lymphatischen Gewebes die Therapie der Wahl. Je nach Lokalisation des Tumors im Dünndarm wird dementsprechend das Resektionsausmaß gewählt. Während Tumoren des Ileums und Jejunums durch eine
Segmentresektion des Dünndarms adäquat operiert werden, ist bei duodenalen Tumoren die Durchführung einer Pankreatikoduodenektomie notwendig.
Bei der
Segmentresektion des Dünndarms wird der tumortragende Dünndarmabschnitt mitsamt dem dazugehörigen Mesenterium entfernt. Der Sicherheitsabstand vom Tumor zum oralen und aboralen Absetzungsrand sollte hier mindestens 5 cm betragen. Im Rahmen elektiver Eingriffe wird die Kontinuität mittels End-End-Anastomose oder Seit-Seit-Anastomose wiederhergestellt. Bei Resektionen im Notfall (Perforation,
Ileus) können, je nach Ausmaß der
Peritonitis bzw. Zustand des Darms, auch die Anlage eines protektiven Stomas, Anastomosenstomas oder die Diskontinuitätsresektion zum Einsatz kommen. Die relevanteste Komplikation dieses Eingriffs besteht in der Gefahr der Anastomoseninsuffizienz, die trotz Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen nie zu 100 % ausgeschlossen werden kann und einen Revisionseingriff zur Folge hat.
Bei Karzinomen des Duodenums sollte eine onkologische Pankreaskopfresektion wie beispielsweise auch beim Pankreaskopfkarzinom erfolgen. Diese kann je nach Lokalisation des Tumors pyloruserhaltend oder als klassische Whipple-Operation durchgeführt werden. Bezüglich der Möglichkeit einer laparoskopisch oder robotisch-assistierten Operation sind die Daten aktuell noch nicht ausreichend, um diese Verfahren in Bezug auf ihr onkologisches Outcome und ihre Sicherheit abschließend zu bewerten. Grundsätzlich sind heutzutage in Bezug auf die Herstellung der Pankreasanastomosen verschiedene Techniken in Gebrauch, wobei sich in zahlreichen Studien bisher kein Verfahren als eindeutig überlegen herausgestellt hat, so dass hier verschiedene Techniken weiterhin angewandt werden.
Eine bekannte Komplikation der Pankreaskopfresektion stellt die postoperative Pankreasfistel dar, die auch in spezialisierten Zentren unabhängig von der Anastomosierungstechnik in über 20 % der Fälle auftreten kann. Ein adäquates Komplikationsmanagement ist hier essenziell, um die Gefahr von Arrosionsblutungen zu minimieren.
Adjuvante Therapie
Aufgrund der geringen Inzidenz der Erkrankung sowie dem Mangel an randomisiert kontrollierten Studien, ist die Evidenz für die Durchführung einer adjuvanten Chemotherapie nach einer Resektion eines Dünndarmkarzinoms sehr gering. Die aktuell gültigen Empfehlungen basieren daher im Wesentlichen auf retrospektiven Studien oder Meta-Analysen. Diese zeigen in Bezug auf den onkologischen Benefit einer adjuvanten Therapie teilweise widersprüchliche Ergebnisse.
Eine Datenbankanalyse aus den USA mit fast 5000 Patienten zeigte, dass für Patienten im Stadium III die Durchführung einer adjuvanten Chemotherapie nach R0-Resektion eines Dünndarmkarzinoms eine signifikante Verlängerung des Überlebens von 26,1 auf 42,4 Monate (p < 0,001) erreicht werden konnte (Ecker et al.
2016). Die gleiche Studie zeigte für Patienten in den Stadium I und II keinen signifikanten Effekt der adjuvanten Therapie. Für Patienten mit duodenalem Adenokarzinom konnte von derselben Gruppe 2017 gezeigt werden, dass durch den Einsatz einer Radiochemotherapie kein Benefit im Vergleich zu einer alleinigen Chemotherapie erreicht werden konnte (48,9 Monate vs 43,5 Monate, P = 0,669) (Ecker et al.
2017). Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2018, bei der insgesamt 15 Studien mit über 6000 Patienten mit Dünndarmkarzinom eingeschlossen wurden, zeigte sowohl für die Dünndarmkarzinome (Ileum, Jejunum) als auch für die duodenalen Adenokarzinome keinen signifikanten Überlebensvorteil für die Patienten durch die Gabe einer adjuvanten Chemotherapie (Ye et al.
2018). Die Datenlage zur Rolle der adjuvanten Chemotherapie nach R0-Resektion des Dünndarmkarzinoms bleibt aktuell also kontrovers, so dass die heute gültigen Empfehlungen oftmals auf den Erfahrungen beim kolorektalen Karzinom basieren. Die Durchführung prospektiver Studien ist daher von großer Bedeutung. Die Ergebnisse der aktuell noch rekrutierenden BALLAD-Studie
, in der der Effekt einer postoperativen Chemotherapie beim Adenokarzinom des Dünndarms analysiert werden soll, könnten hier unter Umständen wichtige Informationen liefern und werden mit Spannung erwartet.
Laut der aktuellen NCCN-Guideline kommen derzeit zur adjuvanten Therapie mehrheitlich folgende von der Behandlung des kolorektalen Karzinoms bekannte Protokolle zum Einsatz (Benson et al.
2019): FOLFOX, Capecitabine + Oxaliplatin (CAPEOX), 5-FU/LV, Capecitabine.
Irresektabel
Bei Patienten mit lokal irresektablem Tumor oder klinischer Inoperabilität sollte, ähnlich der metastasierten Situation, eine palliative Chemotherapie erwogen werden. Große prospektive Studien zum möglichen Einsatz einer neoadjuvanten Therapie, um primär irresektable Befunde in einen resektablen Zustand zu bringen, liegen derzeit nicht vor, so dass die neoadjuvante Therapie nicht generell empfohlen wird, in klinischen Studien jedoch weiter evaluiert werden sollte. Im Fall tumorbedingter Komplikationen, wie beispielsweise der Darmobstruktion, sind palliative endoskopische (Stent) oder chirurgische Interventionen (Bypass) möglich.
Fernmetastasiert (Stadium IV)
Mehr als 30 % aller Patienten befinden sich bei der Diagnosestellung bereits im Stadium IV. Die häufigsten Metastasierungslokalisationen sind hierbei die Peritonealhöhle sowie die Leber. Wie beim Dünndarmkarzinom generell, sind auch die Daten für das Stadium IV insgesamt sehr rar, so dass die Empfehlungen zur palliativen Therapie ebenfalls in erster Linie auf retrospektiven Studien basieren.
Generell gilt die Empfehlung zur Durchführung einer palliativen Chemotherapie bei Patienten im Stadium IV. Ältere Daten aus einer retrospektiven Analyse zeigten ein verlängertes progressionsfreies Überleben von 20,4 Monaten bei einem rezidivfreien Überleben von 11,3 Monaten nach palliativer Kombinationstherapie mit Capecitabine und Oxaliplatin (Overman et al.
2009). Ähnliche Ergebnisse konnten weitere Phase-II-Studien für die Effektivität von FOLFOX als First-line-Therapie beim fortgeschrittenen Dünndarmkarzinom zeigen. Basierend auf diesen Studien werden aktuell vor allem oxaliplatinbasierte Chemotherapieprotokolle empfohlen. Laut aktueller Leitlinie der NCCN sind dies im Einzelnen FOLFOX, CAPEOX sowie FOLFOXIRI, ggf. unter zusätzlicher Gabe von Bevacizumab. Als Second-line-Therapien werden in der amerikanischen Leitlinie FOLFIRI oder nab-Paclitaxel empfohlen. Zudem zeigen kleinere Studien einen möglichen Nutzen der PD-1-Inhibitoren Pembrolizumab und Nivolumab, ggf. in Kombination mit dem CTLA-4-Inhibitor Ipilimumab bei dem fortgeschrittenen MSI-H-Dünndarmkarzinom, so dass die Checkpointinhibitoren eine mögliche Therapieoption für ausgewählte Dünndarmkarzinompatienten darstellen könnten (Le et al.
2015; Overman et al.
2018).
Prognose und Nachsorge
Die Prognose von Patienten mit Dünndarmkarzinom variiert stark und ist im Wesentlichen vom Tumorstadium abhängig. Während im Stadium I das 5-Jahres-Überleben mit 60–85 % angegeben wird, sinkt die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit bei Patienten im Stadium IV auf 20–40 %. Des Weiteren zeigen Studien, dass das Rezidivrisiko von Patienten nach einer Resektion relevant (>30 %) ist, so dass eine Nachsorge erfolgen sollte. Aufgrund fehlender Evidenz wird diese an das bekannte Nachsorgeschema für das kolorektale Karzinom angelegt.