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DGIM Innere Medizin
Info
Verfasst von:
Nicola Gökbuget und Dieter Hoelzer
Publiziert am: 13.12.2014

Akute lymphatische Leukämie

Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist eine lebensbedrohliche maligne Erkrankung. Während die ALL im Kindesalter die häufigste maligne Erkrankung ist, tritt sie im Erwachsenenalter nur selten auf. Wegen der anspruchsvollen Diagnostik, komplexen Therapie, des lebensbedrohlichen Verlaufs und der Seltenheit der Erkrankung ist die Überweisung an ein hämatologisches Zentrum mit entsprechender Erfahrung dringend zu empfehlen. Es gibt keine allgemeingültige Standardtherapie und durch den Einsatz innovativer Therapieelemente findet eine ständige Fortentwicklung statt. Um eine optimales Management zu gewährleisten und gleichzeitig eine Optimierung der Therapiekonzepte zu ermöglichen, sollten Patienten im Rahmen von Therapiestudien oder gemäß aktuellen Expertenempfehlungen behandelt werden. In Deutschland sind dies die Studien der Deutschen Studiengruppe für die Leukämie des Erwachsenen (German Multicenter Study Group for Adult ALL, GMALL).

Einleitung

Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist eine lebensbedrohliche maligne Erkrankung. Während die ALL im Kindesalter die häufigste maligne Erkrankung ist, tritt sie im Erwachsenenalter nur selten auf. Wegen der anspruchsvollen Diagnostik, komplexen Therapie, des lebensbedrohlichen Verlaufs und der Seltenheit der Erkrankung ist die Überweisung an ein hämatologisches Zentrum mit entsprechender Erfahrung dringend zu empfehlen.
Es gibt keine allgemeingültige Standardtherapie und durch den Einsatz innovativer Therapieelemente findet eine ständige Fortentwicklung statt. Um eine optimales Management zu gewährleisten und gleichzeitig eine Optimierung der Therapiekonzepte zu ermöglichen, sollten Patienten im Rahmen von Therapiestudien oder gemäß aktuellen Expertenempfehlungen behandelt werden. In Deutschland sind dies die Studien der Deutschen Studiengruppe für die Leukämie des Erwachsenen (German Multicenter Study Group for Adult ALL, GMALL). Europäische Empfehlungen zur Therapie der ALL wurden kürzlich von der European Working Group for Adult ALL erstellt und in Buchform veröffentlich (Gökbuget 2011).

Pathophysiologie

Die ALL geht von lymphatischen Vorläuferzellen des Knochenmarks aus, deren Ausreifung auf einer bestimmten Differenzierungsebene blockiert ist. Es kommt zu einer unkontrollierten Proliferation von unreifen lymphatischen Zellen, den Blasten, die spezifische einheitliche genetische Merkmale, sog. klonale Marker, aufweisen. Die maligne Entartung kann auf verschiedenen Ebenen der physiologischen lymphatischen Zellreifung stattfinden. In der Folge können die Leukämiezellen unterschiedliche phänotypische Merkmale aufweisen, z. B. Konstellationen von Oberflächenmarkern, die mit der Reifungsstufe und auch mit der klinischen Manifestation der Erkrankung in Zusammenhang stehen.
Mehr als 60 % der erwachsenen ALL-Patienten zeigen zytogenetisch oder molekulargenetisch nachweisbare Veränderungen. Sie geben Hinweise auf Gene, die in Zusammenhang mit der Pathogenese der Erkrankung stehen. Bei den von Aberrationen betroffenen Genen bzw. deren Genprodukten handelt es sich um Faktoren, die an Signaltransduktion, Transkriptionsregulation, Zellzykluskontrolle und/oder der Regulation der Apoptose beteiligt sind. Dazu kommt eine Reihe von Genen, die in epigenetische Prozesse eingreifen. Dabei hat die Veränderung einzelner Gene komplexe Konsequenzen für die Expression nachgeordneter Gene und davon abhängiger Regulationsmechanismen. Es ist zudem davon auszugehen, dass mehrere genetische Aberrationen erforderlich sind, um die maligne Entartung auszulösen. Ein Beispiel für die pathogenetische Bedeutung einer einzelnen Aberrationen ist die Translokation t(9;22) (Philadelphia-Chromosom; Ph+), die mit der Bildung des BCR-ABL-Fusionsgens verbunden ist. Man findet diese Translokation auch bei der chronischen myeloischen Leukämie (CML). Hierbei wird ein leukämiespezifisches Fusionsprotein mit aberranter Tyrosinkinaseaktivität exprimiert, das ursächlich mit der Entstehung der Ph/BCR-ABL-positiven (Ph+) ALL in Zusammenhang steht (s. auch Kap. Molekulare Grundlagen der malignen Transformation und Chronische myeloische Leukämie). Die Philadelphia-Translokation findet sich bei ca. 30 % der ALL im Erwachsenenalter; bei Kindern ist sie seltener.
Die unkontrollierte Akkumulation maligner unreifer Zellen führt zu einer Verdrängung des normalen blutbildenden Knochenmarks. Dadurch kommt es zu Zytopenien aller drei Zellreihen (Anämie, Thrombozytopenie, Granulozytopenie). Auch andere lymphatische (z. B. Lymphknoten, Milz) und nichtlymphatische Organe (z. B. Leber, ZNS, Hoden, Haut, Knochen etc.) können befallen sein.

Epidemiologie

Die Inzidenz der ALL liegt insgesamt bei etwa 1,1/100.000 im Jahr. Man beobachtet eine altersabhängige Verteilung mit einem Häufigkeitsgipfel im Kindesalter zwischen 1–5 Jahren (5,3/100.000) und einem zweiten Häufigkeitsgipfel im Alter über 80 Jahren (2,3/100.000). Die Erkrankung tritt bei Jungen und Männern häufiger auf (1,4:1,0).

Klinik

Akute Leukämien stellen häufig einen Notfall der Inneren Medizin dar. Unbehandelt kann die Erkrankung innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen zum Tode führen. Die Krankheitssymptome können sich innerhalb von Tagen entwickeln. Die Patienten bemerken häufig einen raschen Verlust der körperlichen Leistungsfähigkeit. Das klinische Bild der ALL ergibt sich aus Symptomen, die auf die zunehmende Insuffizienz der normalen Blutbildung und zum anderen auf die Infiltration von Organen zurückzuführen sind. Symptome der hämatologischen Insuffizienz sind:
Es können spontane Blutungen ebenso wie in vielen Fällen schwere Infektionen mit septischem Verlauf auftreten. Bei 60 % der ALL-Patienten findet man eine Leukozytose. Ebenso viele Patienten weisen eine Lymphknotenvergrößerung und/oder eine Splenomegalie auf. Andere Manifestationen hängen in ihrer Häufigkeit vom Subtyp der ALL ab. Ein Mediastinaltumor findet sich in 60 % der Patienten mit T-ALL. 7 % der Patienten zeigen initial einen ZNS-Befall. Der ZNS-Befall wird meist im Rahmen einer Routineuntersuchung des Liquors diagnostiziert; es können aber auch Symptome auftreten, angefangen von Kopfschmerzen, Erbrechen, Lethargie, Nackensteifigkeit über Nervenausfälle (insbesondere Hirnnerven) bis hin zu Querschnittssymptomen bei Befall des Rückenmarks. In 9 % der Fälle liegt ein anderer extramedullärer Organbefall vor.

Diagnostik

Die Verdachtsdiagnose einer akuten Leukämie kann in vielen Fällen aufgrund des klinischen Erscheinungsbilds eines schwer kranken Patienten mit Zeichen von Blutungen oder Infektionen ergänzt durch eine Laboruntersuchungen des peripheren Blutes mit Nachweis von Leukozytose, Anämie, Thrombopenie und Nachweis leukämischer Blasten im Differentialblutbild gestellt werden. Ein normales Blutbild schließt das Vorliegen einer akuten Leukämie jedoch nicht aus.

Klinische Diagnostik

Die Durchführung einer Knochenmarkpunktion ist bei Verdacht auf eine akute Leukämie obligatorisch. Bei fast allen Patienten zeigt das Knochenmark eine massive leukämische Infiltration von mehr als 50 %. Zur Erfassung von Allgemeinzustand, Organbefällen und Komorbiditäten sind Anamnese und gründliche körperliche Untersuchung erforderlich. Weiterhin wird eine Lumbalpunktion zum Ausschluss eines Liquorbefalls und ggf. Gabe einer ersten intrathekalen Therapie durchgeführt.

Laboruntersuchungen

  • Blutbild, Differentialblutbild, klinische Chemie einschließlich Gerinnungsdiagnostik und Urinanalyse
  • HLA-Typisierung (bei potenzieller Indikation für eine Stammzelltransplantation)
  • Infektiologische Untersuchungen einschließlich Hepatitis-B, -C- und HIV-Serologie
  • Schwangerschaftstest
  • Zytologische Liquordiagnostik

Diagnostische Spezialuntersuchungen

Das Knochenmarkaspirat sollte klinikintern zytologisch und immunologisch untersucht werden, um eine rasche Diagnosefindung mit nachfolgendem Therapiebeginn zu ermöglichen. Folgende Untersuchungen sollten zusätzlich in einem Referenzlabor durchgeführt werden:
  • Mikroskopische Untersuchung von Knochenmarkausstrichen (Zytologie), ggf. ergänzt durch die histologische Untersuchung einer Knochenmarkbiopsie
  • Immunphänotypisierung zur Bestimmung des Oberflächenantigenprofils der Blasten
  • Molekulargenetische Untersuchung zum Nachweis häufiger genetischer Aberrationen und zytogenetische Untersuchung
  • Einsendung von Knochenmark für die Etablierung eines Assays zur Messung der minimalen Resterkrankung (MRD)
Wesentlich ist neben der Abgrenzung der akuten lymphatischen von der akuten myeloischen Leukämie (s. Kap. Akute myeloische Leukämie) die Unterscheidung der B- und T-Vorläufer-ALL sowie der weiteren immunologischen Subtypen. Zusätzlich müssen Zielstrukturen für die Therapie identifiziert werden. Dazu gehören derzeit die CD20-Expression sowie die Präsenz einer bcr-abl Translokation.
Nur zum Zeitpunkt der Erstdiagnose kann blastenhaltiges Material, in den meisten Fällen Knochenmark, in ein Referenzlabor geschickt werden, um einen Assay zur späteren Verlaufsbestimmung der minimalen Resterkrankung (MRD) zu etablieren. Die Bestimmung der MRD erlaubt eine genauere Messung des Therapieansprechens. MRD ist definiert als geringer Anteil von Leukämiezellen im Knochenmark, der unterhalb der Nachweisgrenze der Mikroskopie von etwa 5 % liegt. Mit Hilfe der MRD-Bestimmung kann ein Anteil von bis zu 0,01 % Leukämiezellen quantitativ gemessen werden. Bei der ALL stehen verschiedene Verfahren zur Messung der MRD zur Verfügung (Bruggemann et al. 2012), z. B. „real-time“-PCR von individuellen T-Zell-Rezeptor-(TCR) oder Immunglobulin-Rearrangements sowie für den Nachweis von spezifischen Translokationen oder leukämiespezifischer Phänotypen mit Hilfe von Flowzytometrie. Diese Untersuchungen sollten ausschließlich in Referenzlaboren erfolgen.

Bildgebende und apparative Diagnostik

Bildgebende Untersuchungen sollten in jedem Fall mindestens eine Röntgenthoraxuntersuchung und eine abdominelle Sonographie umfassen. Zusätzliche Computertomographien oder MRT-Untersuchungen von Thorax, Abdomen oder Kopf sowie weitere Untersuchungen werden je nach Symptomatik und körperlichem Untersuchungsbefund durchgeführt. Als Ausgangsbefund müssen auch EKG und Echokardiographie durchgeführt werden.
Klassifikation der ALL
Für die klinische Praxis ist eine Klassifikation der ALL anhand der immunologischen Subtypen und häufiger molekularer Aberrationen am sinnvollsten. Am häufigsten (75 %) gehört die ALL der lymphatischen B-Zellreihe an, die je nach Differenzierungsgrad als pro-B, common-B, prä-B und reifzellige B-ALL klassifiziert werden kann. 25 % der ALL des Erwachsenen gehören zur T-Zellreihe mit den Differenzierungsstufen „early", "thymische" und „mature“ T-ALL. Mit den immunologischen Subtypen der ALL sind spezifische klinische und zytogenetische bzw. molekulargenetische Aberrationen assoziiert (Tab. 1). Die immunologischen Subtypen sind relevant für die Bestimmung der Prognose der ALL. Besonders wichtig ist die Abgrenzung der reifzelligen B-ALL bzw. Burkitt-Leukämie/Lymphom von der B-Vorläufer-ALL (pro-B-, common-B, prä-B), da diese Unterscheidung relevant für die Therapie ist.
Tab. 1
Immunologische, zytogenetische und molekulargenetische Klassifikation der ALL
Subgruppe Bezeichnung
Inzidenz (%)
Zyto/Molekulargenetik
Häufige Aberrationen
Molekulare Marker
B-Linien ALL
76
 
B-Vorläufer ALL
 
-Pro-B
11
t(4;11)
ALL1-AF4
-c- („common“)
49
t(9;22)
BCR-ABL
-Prä-B
12
t(1;19)
E2A-PBX1
t(9;22)
BCR-ABL
Reife B
4
t(8;14)
 
T-Linien ALL
24
 
„Early“ T
6
Thymische
12
„Mature“ T
6
Aufklärung
Nach Bestätigung der Diagnose werden die Patienten ausführlich über die Erkrankung und Therapiemöglichkeiten aufgeklärt. Da häufig eine Beteiligung an Studien, Registern und Biomaterialsammlungen ansteht, werden die entsprechenden Aufklärungsdokumente besprochen. Zusätzlich ist unbedingt eine Aufklärung über fertilitätserhaltende Maßnahmen und die Notwendigkeit der Antikonzeption unter Chemotherapie erforderlich.

Differenzialdiagnostik

Die o.g. Spezialuntersuchungen erlauben in der überwiegenden Zahl der Fälle eine eindeutige Abgrenzung der ALL von der akuten myeloischen Leukämie (AML), dem myelodysplastischem Syndrom (MDS), der chronischen lymphatischen Leukämie, dem lymphatischem Blastenschub bei CML oder anderen Formen chronischer und akuter Leukämien sowie von reaktiven Lymphozytosen, z. B. bei infektiöser Mononukleose. Die Abgrenzung der ALL von lymphoblastischen T- oder B-Non-Hodgkin-Lymphomen erfolgt anhand des Blastenanteils im Knochenmark. Bei einem Anteil unter 25 % spricht man von einem lymphoblastischen Lymphom.

Therapie

Die Therapie der ALL wird in mehrere Phasen unterteilt: Induktions-, Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie. Ziel der Induktionstherapie ist das Erreichen einer kompletten Remission („complete remission“, CR) der Erkrankung. Heute kann man mittels molekularer Verfahren die Bestimmung der CR verfeinern. Wenn auch mit molekularen Verfahren keine Blasten mehr nachweisbar sind, spricht man von einer molekularen Remission. Die neue Terminologie wurde in einer Konsensuspublikation bestätigt (Bruggemann et al. 2010) (Tab. 2).
Tab. 2
Definitionen der kompletten Remission und des Rezidivs bei ALL
Konventionelle Remissionskontrolle
MRD-Bestimmung
Komplette Remission
<5 % Blasten im KM-Ausstrich
Molekulare Remission
Negativer MRD-Status nachgewiesen mit einer Sensitivität von mindestens 0,01 %
und
Regeneration des peripheren Blutbildes
und
Molekulares Therapieversagen
Positiver MRD-Status über 0,01 %
Rückbildung extramedullärer Manifestationen
Rezidiv
Nachweis von über 5 % Blasten im Knochenmark nach vorheriger CR
Molekulares Rezidiv
Erneuter positive MRD-Status über 0,01 % nach vorheriger molekularer CR
oder
Neubildung einer extramedullären Manifestation
Das Erreichen einer CR ist Grundvoraussetzung für ein Langzeitüberleben bzw. Heilung der Erkrankung. Die Therapieabschnitte Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie dienen der Aufrechterhaltung der CR und werden unter dem Begriff der Postremissionstherapie zusammengefasst. Diese Therapie wird unter Berücksichtigung des individuellen MRD-Verlaufs angepasst. Unter dem Begriff der Konsolidationstherapie wird auch die Knochenmark- bzw. Blutstammzelltransplantation (SZT) subsummiert. Parallel zu der systemischen Chemotherapie erfolgt eine Prophylaxe von ZNS-Rezidiven. Die Therapiedauer beträgt im allgemeinen 2½ Jahre.

Supportivtherapie

Die supportive Therapie hat eine große Bedeutung für das effektive Management der ALL. Dazu gehören die Prophylaxe und frühzeitige Behandlung von bakteriellen, mykotischen und viralen Infektionen. Häufig sind wiederholte Transfusionen von Thrombozyten- und Erythrozytenkonzentraten gerade in den oft Wochen andauernden Phasen der chemotherapiebedingten Panzytopenie erforderlich. Während der Induktionstherapie ist zudem wegen des oft raschen Zellzerfalls häufig eine intensive supportive Therapie mit forcierter Diurese und Harnalkalisierung erforderlich, um einem Tumorlysesyndrom vorzubeugen.

Vorphasetherapie

Die Vorphasetherapie über 5 Tage beinhaltet eine milde Chemotherapie (Dexamethason, Cyclophosphamid) zur schonenden Reduktion der Blastenzahl. Sie sollte baldmöglichst angesetzt werden. Während der Vorphasetherapie kann die Diagnostik komplettiert werden. Auch bei Patienten mit Hyperleukozytose reicht die Vorphasetherapie im Allgemeinen für eine schonende Zellreduktion aus und meist kann ein Tumorlysesyndrom vermieden werden.

Induktionstherapie

Die Induktionstherapie setzt sich aus mindestens 7 verschiedenen Zytostatika zusammen, die in zwei Phasen appliziert werden. Dazwischen liegt eine Remissionsevaluation. Standardmedikamente sind Vincristin und Dexamethason in Kombination mit einem Anthrazyklin (Daunorubicin). Ein spezifisches Medikament in der Therapie der ALL ist die Asparaginase; die Substanz ist spezifisch bei ALL wirksam, unterscheidet sich im Hinblick auf Wirkungsmechanismus, Resistenz und Nebenwirkungsspektrum von anderen Zytostatika und erfordert spezifische Maßnahmen der Supportivtherapie, z. B. Überwachung der Leberwerte, Pankreasenzyme, Glucose, Thromboseprophylaxe, Gerinnungsfaktoren und ggf. die Substitution von Gerinnungsfaktoren (wie AT). In Induktionsphase II erfolgt die Zugabe weiterer Medikamente – Cyclophosphamid, Cytosin-Arabinosid und 6-Mercaptopurin. In aktuellen Therapiekonzepten werden auch zielgerichtete Substanzen in die Induktionstherapie integriert. Dazu gehören antiCD20-Antikörpern bei CD20-positiver ALL und die Gabe von Imatinib bei Ph+ ALL.

Konsolidationstherapie

Eine zyklische Konsolidationstherapie mit wechselnden Substanzen ist Standard in der Therapie der ALL. Die Konsolidationstherapie beinhaltet insbesondere hochdosiertes Methotrexat als 24-h-Infusion, Hochdosis-Cytarabin, Asparaginase sowie die Wiederholung der Induktionstherapie (Reinduktion). Essentiell ist die möglichst zeitnahe Durchführung der Therapieblöcke in der Konsolidationstherapie, da sich Therapieverzögerungen prognostisch ungünstig auswirken können.

Erhaltungstherapie

Nach Abschluss der Konsolidations- und Intensivierungszyklen wird eine mäßig intensive Erhaltungstherapie durchgeführt, die für die Erhaltung der Remission relevant ist. Hierbei werden am Blutbild adaptiert die Substanzen Mercaptopurin täglich oral und Methotrexat wöchentlich intravenös appliziert.

Stammzelltransplantation

Die allogene Stammzelltransplantation ist bei der ALL des Erwachsenen ein wesentlicher Bestandteil der Postremissionstherapie bei Patienten mit Hochrisikomerkmalen. Es handelt sich um die intensivste verfügbare Therapieform. Durch eine intensive Strahlen- und Chemotherapie wird das Knochenmark des Patienten zerstört. Im Anschluss erfolgt dann die Infusion allogener Knochenmarkzellen eines Geschwister- oder Fremdspenders. Diese Zellen nehmen dann die normale Blutbildung wieder auf und können zusätzlichen einen antileukämischen Effekt ausüben. Es ist aber auch möglich, dass Empfängergewebe durch die Spender angegriffen wird. Man spricht dann von einer Graft-versus-Host-Reaktion. Um diese zu vermeiden, werden routinemäßig Medikamente zur Immunsuppression eingesetzt.
Die Indikationsstellung für eine SZT in erster Remission wird international unterschiedlich gestellt. Die Mehrzahl der Studiengruppen verfolgt wie die GMALL-Studiengruppe eine risikoadaptierte Indikationsstellung für eine SZT in Erstremission (Gökbuget und Hoelzer 2008). Bei allen Patienten mit Hochrisikomerkmalen wird eine Transplantation in erster CR angestrebt. Hierbei handelt es sich in den GMALL-Studien um etwa die Hälfte der Patienten. Bei Standardrisikopatienten wird in Erstremission keine Transplantation angestrebt, da diese auch mit konventioneller Chemotherapie eine Überlebensrate von über 50 % erreichen. Die Indikationsstellung für die SZT erfolgt bei Standardrisikopatienten anhand des Verlaufs der MRD. Bei allen Patienten mir Rückfall besteht eine klare Indikation für eine Stammzelltransplantation.

ZNS-Prophylaxe

Die Durchführung einer effektiven Prophylaxe von ZNS-Rezidiven hat in der Therapie der ALL einen entscheidenden Stellenwert. Als Therapiemodalitäten stehen intrathekale Therapie mit Methotrexat, mit einer Dreifachkombination (Methotrexat, Cytarabin, Steroid), systemische Hochdosistherapie mit Methotrexat und/oder Cytarabin sowie eine Schädelbestrahlung (24 Gy) zur Verfügung. Die besten Ergebnisse im Hinblick auf die Rate von ZNS-Rezidiven (<5 %) werden mit einer Kombination aller Modalitäten erzielt, wie sie auch in den laufenden GMALL-Therapieempfehlungen vorgesehen ist.

Verlauf und Prognose

Prognosefaktoren

Prognosefaktoren sind bei der ALL des Erwachsenen seit vielen Jahren etabliert (Gökbuget und Hoelzer 2009; Bassan und Hoelzer 2011). Die aktuell gültigen Prognosefaktoren in den GMALL-Studien sind in Tab. 3 zusammengefasst. Dazu gehören neben der Leukozytenzahl bei B-Vorläufer-ALL auch die immunologischen Subgruppen „early“ T-ALL, „mature“ T-ALL, pro-B-ALL, t(4;11)-positive ALL und Ph+ ALL bzw. der Nachweis der entsprechenden molekularen Aberrationen. Einer der stärksten Prognosefaktoren ist das Alter. Bereits im Kindesalter unter 18 Jahren verschlechtert sich die Prognose mit zunehmendem Alter. Dieser Trend setzt sich im Erwachsenenalter fort. Ganz essentiell ist auch der individuelle Verlauf der minimalen Resterkrankung. Patienten bei denen nach Induktions- und erster Konsolidationstherapie keine molekulare Remission erreicht wird, haben ein sehr hohes Rückfallrisiko.
Tab. 3
Ungünstige Prognosefaktoren bei der ALL des Erwachsenen. (GMALL-Studie 07/2003)
Hohe Leukozytenzahl
>30.000/μl bei B-Vorläufer-ALL
Subtyp
pro B, early T, reife T
Späte CR
>3 Wochen (nach Induktion II)
Zytogenetische/molekulare Aberrationen
t(9;22) – BCR-ABL
t(4;11) – ALL1-AF4
Minimale Resterkrankung
Hohes MRD-Niveau nach Frühkonsolidationa
MRD-Anstieg unter Therapiea
aDetaillierte Definition nach Therapieprotokoll

Risikoadaptierte Therapie

Bei jüngeren Patienten wird in den GMALL-Therapieempfehlungen derzeit eine risikoadaptierte Therapiestrategie verfolgt (analog zu der GMALL-Studie 07/2003). Die in Tab. 3 genannten Risikofaktoren führen zur Definition einer Standard- (ohne ungünstige Prognosefaktoren) und einer Hochrisikogruppe (mindestens ein ungünstiger Prognosefaktor). Patienten mit Ph+ ALL werden zusätzlich mit Imatinib behandelt. Nach einer einheitlichen Induktions- und ersten Konsolidationstherapie erfolgt die Therapie risikoadaptiert. Patienten mit Hoch- und Höchstrisiko werden einer allogenen SZT zugeführt, während bei Patienten mit Standardrisiko die Chemotherapie mit alternierenden Konsolidationszyklen über ein Jahr fortgeführt wird. Standardrisikopatienten mit schlechtem Therapieansprechen, bei denen eine Intensivierung mittels SZT sinnvoll erscheint, werden anhand des MRD-Verlaufs identifiziert.

Therapieergebnisse

Die kumulative Remissionsrate nach Induktionstherapie beträgt bei der ALL des Erwachsenen im Alter unter 55–65 Jahren 90 %. Etwa 60–70 % der Patienten erreichen auch eine molekulare Remission. 5 % der Patienten erreichen nur eine Teilremission oder sind progredient bei extrem ungünstiger Prognose. Die krankheits- oder therapieassoziierte Frühmortalität während der Induktionstherapie liegt bei etwa 5 %. Das leukämiefreie Überleben zeigt in den einzelnen Subgruppen eine große Schwankungsbreite zwischen 40–50 % für Hochrisikopatienten, 50–60 % für die Ph+ ALL, 60–70 % für Standardrisikopatienten und 80 % für die reife B-ALL. Innerhalb jeder Subgruppe kann nochmals anhand von Alter und individuellem Verlauf der minimalen Resterkrankung differenziert werden. Eine allgemeingültige Aussage zur Prognose ist daher nicht möglich.

Verlaufskontrollen

Auch nach Ende der Therapie können weiterhin bis zu 5 Jahre nach Erstdiagnose Rezidive auftreten. Weitere regelmäßige Blutbild-, Knochenmark- und MRD-Kontrollen sind daher erforderlich. Die Verbesserung der Überlebenschancen hat erfreulicherweise dazu geführt, dass immer mehr ehemalige Patienten in der Nachsorge auch hausärztlich betreut werden. Bei der kindlichen ALL und in geringerem Umfang bei der ALL des Erwachsenen können Spätfolgen von Therapie und Erkrankung auftreten, auf die bei der Nachsorge ein spezielles Augenmerk gelegt werden sollte (Diller 2011). Dazu gehören z. B. grauer Star, Infertilität, Knochennekrosen, Fatigue, Zweitmalignome, hormonelle Störungen oder psychische Erkrankungen. Die überwiegende Zahl der ALL-Patienten in Langzeitremission ist jedoch als geheilt anzusehen und leidet unter keinen Spätkomplikationen.

Besondere Aspekte

Die Therapie der ALL wird durch verschiedene besondere Aspekte kompliziert und individualisiert. So werden in bestimmten Subgruppen der ALL zielgerichtete Medikamente eingesetzt. Die Therapieintensität muss an das Alter der Patienten angepasst werden. In der Rezidivsituation verschlechtert sich die Prognose dramatisch und neue, experimentelle Therapieansätze müssen berücksichtigt werden.

Therapie der Ph+ ALL

In dieser Subgruppe der ALL liegt eine Translokation t(9;22) vor (Ottmann und Pfeifer 2009). Wie bei der CML konnte durch den Einsatz von Tyrosinkinase (TK)-Inhibitoren, insbesondere Imatinib, die Prognose deutlich verbessert werden. Bei jüngeren Patienten wird Imatinib in Kombination mit intensiver Chemotherapie eingesetzt. Dabei werden CR-Raten von über 90 % erreicht. Dadurch kann auch der Anteil der Patienten, die einer SZT zugeführt werden, deutlich erhöht werden. Nach SZT wird ebenfalls Imatinib appliziert. Bei älteren Patienten wird eine Kombination von TK-Inhibitoren mit einer dosisreduzierten Chemotherapie durchgeführt. Essentiell ist auch bei der Ph+ ALL die konsequente MRD-Kontrolle.

Therapie älterer Patienten

Die Prognose der ALL verschlechtert sich mit zunehmendem Alter (Gokbuget 2013). Dies ist auf die schlechtere Verträglichkeit der Chemotherapie, Komorbiditäten und die Zunahme ungünstiger Prognosefaktoren zurückzuführen. Die Remissionsraten nehmen v. a. wegen der erhöhten Frühmortalität mit zunehmendem Alter ab und liegen über 65 Jahren bei 60–80 %. Daher werden altersadaptierte mäßig intensive Chemotherapieprotokolle eingesetzt.
Auch ältere Patienten sollten einer vollständigen Diagnostik unterzogen werden. Weiterhin sollten rationale Therapiekonzepte auf der Grundlage aktueller Studien oder Therapieempfehlungen für alle Patienten unabhängig vom Alter angeboten und in entsprechenden Spezialabteilungen durchgeführt werden.

Therapie lymphoblastischer Lymphome

Lymphoblastische Lymphome entsprechen biologisch der ALL, weisen allerdings einen Knochenmarkbefall unter 25 % auf. Die Therapie orientiert sich an der Behandlung der ALL, wobei einige spezielle Aspekte, wie die Verlaufskontrolle von Restlymphomen mittels Positronenemissionstomographie, beachtet werden müssen.

Therapie der reifzelligen B-ALL

Die reifzellige B-ALL wird nach der neuen WHO-Klassifikation der Gruppe der Burkitt-Leukämien/Lymphome zugeordnet. Sie zeigt eine rasche Progredienz und häufig große Tumormasse mit erhöhter Inzidenz von ZNS- (12 %) und Organbefall (34 %) (Hoelzer et al. 1996). Die Therapieergebnisse wurden mit Therapieschemata aus der Pädiatrie mit rascher Abfolge kurzer, intensiver Chemotherapieblöcke deutlich verbessert; wesentliche Elemente sind Hochdosismethotrexat und fraktioniertes Cyclophosphamid bzw. Ifosfamid in Kombination mit einem CD20-Antikörper. Die Therapiedauer beträgt nur 21 Wochen.

Rezidivtherapie

Publizierte Daten zum Gesamtüberleben nach rezidivierter ALL zeigen Heilungschancen unter 20 % (Gökbuget und Hoelzer 2011). Das Rezidiv einer ALL stellt daher einen medizinischen Notfall dar. Die Behandlung orientiert sich an zahlreichen Faktoren, wie Subtyp, Vorbehandlung, Verfügbarkeit therapeutischer Zielstrukturen, ist komplex und sollte unbedingt in spezialisierten Zentren unter Einbeziehung aktueller auch experimenteller Therapiekonzepte durchgeführt werden. Therapieziel ist das Erreichen einer kompletten, möglichst molekularen Remission mit nachfolgender Stammzelltransplantation.
Noch erfolgversprechender ist die Erkennung von bevorstehenden Rezidiven durch konsequente MRD-Untersuchung bereits unter Erstlinientherapie. Die Behandlung von Patienten mit sog. molekularem Rezidiv ist sinnvoll, da so ggf. die Entwicklung zytologischen Rezidiven verhindert werden kann.

Klinische Studien und Expertennetzwerke

Für die ALL des Erwachsenen existiert keine Standardbehandlung. Daher sollten möglichst alle Patienten im Rahmen von klinischen Studien behandelt werden. Die Therapieoptimierungsstudien verbinden genaue Therapieanweisungen auf dem aktuellen Stand der Forschung mit einer intensiven Beratung und einer zeitnahen Auswertung der Daten und tragen so erheblich zur Qualität der Versorgung bei. Zur Erfassung aller Patienten hat die GMALL-Studiengruppe ein Register gegründet, an dem sich alle behandelnden Kliniken beteiligten können. Weiterhin werden für alle Altersgruppen und auch verwandte Erkrankungsentitäten, z. B. Burkitt-Lymphome, lymphoblastische Lymphome Therapieempfehlungen bereitgestellt.

Internetbasierte Informationen

GMALL-Studiengruppe

Informationen zu klinischen Studien, hämatologischen Zentren und Ansprechpartnern lassen sich über das Kompetenznetzes „Akute und chronische Leukämien“ (www.kompetenznetz-leukaemie.de) und dort unter der Rubrik „Ärzte – Studiengruppen – GMALL“ sowie im Studienregister auffinden. Auf den Webseiten des Kompetenznetzes findet sich auch eine von der Studiengruppe erarbeitete Patienteninformation für die ALL des Erwachsenen.

www.dgho-onkopedia.de

Im Informationsportal der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie sind die aktuellen Leitlinien für Diagnostik, Therapie und Supportivtherapie verfügbar.
Literatur
Bassan R, Hoelzer D (2011) Modern therapy of acute lymphoblastic leukemia. Journal of clinical oncology : Official journal of the American Society of Clinical Oncology 29(5):532–543
Bruggemann M, Gokbuget N, Kneba M (2012) Acute lymphoblastic leukemia: Monitoring minimal residual disease as a therapeutic principle. Semin Oncol 39(1):47–57CrossRefPubMed
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Gökbuget N, Hoelzer D (2008) HSCT for acute lymphoblastic leukaemia in adults. In: Apperley J, Carreras E, Gluckman E, Gratwohl A, Masszi T (Hrsg) The EBMT handbook: haematopoietic stem cell transplantation, Bd 5. European School of Haematology, Paris, S 373–387
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