Skip to main content
DGIM Innere Medizin
Info
Publiziert am: 06.10.2015

Analprolaps und Rektumprolaps

Verfasst von: Jürgen Feisthammel und Arne Dietrich
Während beim Analprolaps nur das trockene Anoderm prolabiert, finden sich bei einem Hämorrhoidalprolaps neben Anteilen des Anoderms mittig auch typischerweise thrombosierte oder fibrosierte Hämorrhoidalknoten. Im Gegensatz dazu prolabiert beim Rektumprolaps Mukosa von oberhalb der Levatorebene. Typische Klinik aller Prolapsformen ist das Fremdkörpergefühl durch die prolabierenden Strukturen nach dem Stuhlgang. Neben der Anamnese ist vor allem die körperliche Untersuchung in der Lage, prolabierte Schleimhaut meist zuverlässig der entsprechenden anatomischen Struktur zuzuweisen. Prolapse, die sich nicht nach dem Stuhlgang selbst reponieren, sollten von anal her operativ versorgt werden.

Definition

Bei einem Analprolaps handelt es sich um prolabiertes Anoderm des Analkanals. Definitionsgemäß hat das prolabierende Gewebe seinen Ursprung unterhalb der Levatorebene.
Der Hämorrhoidalprolaps lässt sich nicht immer eindeutig vom Analprolaps abtrennen, da häufig beide Prolapsformen gleichzeitig auftreten und sich auch nur unscharf gegeneinander abgrenzen lassen. Während beim Analprolaps nur das trockene Anoderm prolabiert, finden sich bei einem Hämorrhoidalprolaps neben Anteilen des Anoderms mittig auch typischerweise thrombosierte oder fibrosierte Hämorrhoidalknoten, die von feuchter Schleimhaut überzogen sind.
Im Gegensatz dazu prolabiert beim Rektumprolaps Mukosa von oberhalb der Levatorebene. Ein unvollständiger innerer Rektumprolaps wird oft auch als Intussuszeption bezeichnet.
Analprolaps und Rektumprolaps sind keine aufeinanderfolgenden Stadien derselben Krankheit, sondern unterschiedliche Krankheitsentitäten.

Pathophysiologie

Prädisponierende Faktoren für das Auftreten eines Rektumprolaps sind Beckenbodeninsuffizienz, vaginale Geburten, chronische Obstipation (Kap. Obstipation, Kap. Leitsymptom: Obstipation) mit übermäßigem Pressen und neurologische Störungen. In engem Zusammenhang stehen insbesondere bei älteren Frauen auch die benachbarten Organe des Beckens wie Blase, Vagina und Uterus sowie deren Prolapsformen. Bei vielen Patienten, insbesondere den betroffenen Männern, bleibt die Ursache unklar (Stein 2003).

Epidemiologie

Eine finnische Untersuchung zeigte eine Inzidenz des Rektumprolaps von 2,5/100.000 Einwohner (Kairaluoma und Kellokumpu 2005).
Ein Rektumprolaps tritt mit zunehmendem Alter häufiger auf. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer.

Klinik

Typische Klinik aller Prolapsformen ist das Fremdkörpergefühl durch die prolabierenden Strukturen nach dem Stuhlgang. Insbesondere länger bestehende und außen fixierte Prolapsformen können dem Patenten überraschend geringe Beschwerden bereiten, wenn auch in dieser Situation regelmäßig die Kontinenz gestört ist (Herold 2005).
Insbesondere für den höher gelegenen Rektumprolaps ist eine dynamische Obstruktion mit Schwierigkeiten der Stuhlpassage beim Pressen typisch. Die Patienten verspüren einen Stuhldrang, schaffen es aber nur, geringe Mengen Stuhl abzusetzen. Es besteht das Gefühl der unvollständigen Entleerung. Dies führt bei den Patienten zu verstärktem Pressen während der Defäkation, was letztlich über die Jahre den Progress eines ursprünglich kleinen inneren Prolapses zu einem externen Prolaps bahnen kann.

Diagnostik

Neben der Anamnese mit der gezielten Frage nach Prolapsereignissen (Wann treten diese auf?, Kommt es zu einer spontanen Reposition?) ist vor allem die körperliche Untersuchung in der Lage, prolabierte Schleimhaut meist zuverlässig der entsprechenden anatomischen Struktur zuzuweisen. Während bei einem reinen Analprolaps meist längs gefaltetes trockenes Anoderm sichtbar ist, finden sich bei einem Hämorrhoidalprolaps oft drei Knoten in typischer Position (bei 3, 7 und 11 Uhr in Steinschnittlage). Bei einem länger bestehenden Hämorrhoidalprolaps kann dieser wegen dann oft schon fibrosierten und mit trockenem Gewebe überzogenen Strukturen von Anfängern manchmal nicht als Hämorrhoiden gedeutet werden (Abb. 1).
Ein Rektumprolaps zeigt dagegen ein völlig anderes Bild. Es prolabiert typischerweise rosiges zirkulär gefälteltes Gewebe. Die Form des Prolapses erinnert an ein Bienenkörbchen (Abb. 2). Die Länge des Prolapses kann 15 cm und mehr erreichen. Die manuelle Reposition gelingt oft. Durch die prolapsbedingte Überdehnung der Sphinktermuskulatur haben diese Patienten nach Reposition des Prolapses einen klaffenden Analsphinkter, welcher beinahe pathognomonisch für einen Rektumprolaps gelten kann.
Es fällt manchmal schwer, die oben genannten Prolapsformen während einer Untersuchung zu provozieren und darzustellen. Dies liegt einerseits an einer manchmal schambedingt unsicheren Compliance der Patienten, andererseits aber auch an einer unphysiologischen Untersuchungsposition. Auf dem gynäkologischen Untersuchungsstuhl gelingt dies besser als in der Seitenlage. Am zuverlässigsten kann ein Prolaps beim Pressen auf einem Toilettenstuhl provoziert werden. Zur Provokation eines Prolapses kann auch die Anwendung eines Einlaufs hilfreich sein.
Deutlich schwieriger gestaltet sich der Nachweis eines unvollständigen inneren Rektumprolapses. Hierbei handelt es sich um eine zirkuläre oder ventrale invaginationsartige Schleimhautvorstülpung. Diese entgeht dem Untersucher in der Koloskopie häufig, und auch mit dem starren Rektoskop kann die Darstellung schwierig sein. Bei endoskopischen Untersuchungen (Rektoskopie, Koloskopie) fällt dem Untersucher manchmal ein einzelnes Ulkus am distalen Rektum auf (Ulcus recti simplex). Die Ursache hierfür ist die mechanische Belastung auf die Schleimhaut durch den Prolaps.
Deutlich zuverlässiger kann ein innerer Prolaps im Rahmen einer dynamischen Magnetresonanztomographie (MRT) des Beckenbodens (Magnetresonanzdefäkographie) dargestellt werden. Hierbei können auch eine Vielzahl weiterer statischer oder dynamischer Architekturstörungen des Beckenbodens gezeigt werden.

Differenzialdiagnostik

Enterozele, Rektozele, Zystozele.

Therapie

Prolapse von Analkanal und/oder Hämorrhoidalknoten, die sich nicht nach dem Stuhlgang selbst reponieren (entspricht definitionsgemäß Hämorrhoiden Grad III oder IV), sollten von anal her operativ versorgt werden (z. B. Staplerhämorrhoidektomie nach Longo). In der akuten Situation mit frisch thrombosierten Gefäßen und/oder einem ausgeprägten Gewebeödem sollte zunächst abgewartet werden. Die Operation kann dann nach lokaler Abschwellung durchgeführt werden, sofern sie dann noch nötig erscheint. Das Abschwellen sollte durch Vermeidung von hartem Stuhl (viel Flüssigkeitsaufnahme, ballaststoffreiche Kost, ggf. Flohsamenschalenpulver) unterstützt werden (Reichberger 2010).
Ein voll ausgebildeter Rektumprolaps erfordert meist die operative Therapie. Zur Verfügung steht unter anderem die abdominale Rektopexie oder Resektionsrektopexie. Nach einer Mobilisation des Mastdarms und Reposition wird dieser dann am Kreuzbein fixiert, ggf. mit Resektion eines Darmabschnittes. Alternativ ist die transanale Resektion nach Altemeier möglich. Dieser Eingriff ist weniger invasiv, aber dafür mit einem höheren Rezidivrisiko assoziiert.
Kleinere oder nicht voll ausgebildete Rektumprolapse können auch von anal staplerunterstützt reseziert werden (z. B. STARR-Operation: „stapled transanal rectal resection“). Dabei wird mit einem Klammergerät ein Vollwandresektat entfernt.
Bei Vorliegen komplexer Architekturstörungen des Beckenbodens werden manchmal deutlich umfangreichere Rekonstruktionen, teilweise mit Einsatz von Netzen, nötig. Insbesondere in diesen Fällen sollte eine Therapie in enger Abstimmung mit den anderen beteiligten Fachdisziplinen (Chirurgie, Urologie, Gynäkologie) erfolgen. An dieser Stelle sei auch an die in letzter Zeit an immer mehr Kliniken eingerichteten Beckenbodenzentren erinnert.

Verlauf und Prognose

Insbesondere nach Operation eines voll ausgebildeten und länger bestehenden Rektumprolapses bleibt bei den Patienten ein klaffender Analsphinkter zunächst bestehen. Bei endosonographisch intaktem Sphinkter sollte in dieser Situation intensive Physiotherapie mit Beckenbodentraining sowie Training mit einem Biofeedback-Gerät über sechs Monate verordnet werden. Wenn die Situation sich in dieser Zeit nicht bessert und eine Inkontinenzsymptomatik persistiert, sollte über eine Probestimulation die Indikation zur sakralen Neuromodulation (SNM) geprüft werden. Hierfür kann die Überweisung an ein geeignetes Zentrum notwendig werden.
Wenn es zu Rezidiven kommt, dann treten sie typischerweise binnen drei Jahren nach der Operation auf. Nach abdominaler Operation mit Rektopexie werden etwas weniger Rezidive beobachtet als nach transanalen Eingriffen. Rezidive können erneut operiert werden.
Literatur
Herold A (2005) Rektumprolaps. In: Brühl W, Wienert V, Herold A (Hrsg) Aktuelle Proktologie. Uni Med, Bremen, S 137–142
Kairaluoma MV, Kellokumpu ICH (2005) Epidemiologic aspects of complete rectal prolapse. Scand J Surg 94(3):207–210PubMed
Reichberger T (2010) Pelvic organ prolapse. In: Santoro GA, Wieczorek AP, Bartram CI (Hrsg) Pelvic floor disorders. Springer, Berlin/Heidelberg/New York, S 379–384CrossRef
Stein E (2003) Analprolaps und Rektumprolaps. In: Proktologie: Lehrbuch und Atlas. Springer, Berlin/Heidelberg/New York, S 85CrossRef