Definition und Klassifikation
Die Nomenklatur der Vaskulitiden wurde in der Chapel Hill Consenus Conference (CHCC) von 2012 überarbeitet. Die
eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA) ist eine nekrotisierende
Vaskulitis mit Präferenz der kleinen und mittelgroßen Gefäße und eosinophilenreicher, nekrotisierender und granulomatöser Entzündung mit häufiger Beteiligung des Respirationstraktes. Es besteht eine Assoziation zum
Asthma bronchiale, Polyposis nasi und einer Bluthypereosinophilie. ANCA
, zumeist MPO-ANCA, sind in ca. 30 % der Fälle nachweisbar. ANCA-positive Fälle weisen ein etwas anderes klinisches Spektrum auf, insbesondere sind sie stärker mit einer Glomerulonephritis verbunden.
Zur Klassifikation der EGPA sind unverändert die Kriterien der American Association of Rheumatology (ACR) gültig (Tab.
1).
Tab. 1
ACR-Kriterien zur Klassifikation der EGPA (zur Zeit der Veröffentlichung noch Churg-Strauss-Syndrome).
1. Asthmatische Beschwerden in der Anamnese |
|
3. Mononeuropathie, Mononeuropathie multiplex oder Polyneuropathie ohne andere Erklärung |
4. Wandernde oder vorübergehende radiologisch nachweisbare pulmonale Infiltrationen ohne andere Erklärung |
5. Akute oder chronisch-rezidivierende Sinusitiden der Nasennebenhöhlen oder radiologische Veränderungen im Sinne einer chronischen Sinusitis |
6. Bioptische Sicherung einer Vaskulitis mit dem Nachweis einer eosinophilen Infiltration im extravaskulären Gewebe |
Vier der sechs Kriterien müssen zur Klassifikation als EGPA erfüllt sein. |
Außer in der Systematik der Vaskulitiden wird die EGPA auch als eine Sonderform der hypereosinophilen Syndrome klassifiziert, was insbesondere differenzialdiagnostisch bedeutsam sein kann.
Pathophysiologie
Die Ätiologie der EGPA ist nicht geklärt. Im Hinblick auf Symptomatik und Endorganschäden lassen sich zwei wesentliche Mechanismen abgrenzen: die
Vaskulitis im engeren Sinne und die eosinophilen Gewebsinfiltrationen. Tendenziell stehen bei den ANCA-positiven Fällen die vaskulitischen Manifestationen, bei den ANCA-negativen die Schädigung durch eosinophilie Gewebsinfiltration im Vordergrund.
Auch bei der EGPA gibt es Hinweise, dass eine genetische Disposition zur Pathogenese beiträgt, die sich von anderen Vaskulitiden, z. B. der
Granulomatose mit Polyangiitis (
GPA), unterscheidet und auch zwischen ANCA-positiven und ANCA-negativen Formen differiert. Das fast immer vorhandene
Asthma bronchiale, die Polyposis nasi, z. T. stark erhöhte IgE-Serumkonzentrationen sowie die Hypereosinophilie legen eine auslösende allergische Reaktion nahe. Eine Auslösung durch Medikamente, hier insbesondere solche zur Asthmatherapie, wurde oft beschrieben und in mehreren Studien, insbesondere zu den Leukotrien-Rezeptorantagonisten, untersucht.
Eine wesentliche Rolle von T-Zellen ist an der vermehrten Produktion relevanter
Zytokine (Th-2) und dem Nachweis von T-Zellen im betroffenen Gewebe nachweisbar. Hierbei kommt, wie bei andere hypereosinophilen Syndromen, dem Interleukin-5
(IL-5) eine zentrale Bedeutung zu. IL-5 ist der potenteste bekannte Induktor der Eosinophileninduktion, −reifung und -ausschwemmung aus dem
Knochenmark. Darüber hinaus aktiviert es Eosinophile und inhibiert deren
Apoptose. Über eine ebenfalls gesteigerte Produktion von chemotaktischen Faktoren (z. B. Eotaxin) kommt es zur Gewebsinfiltration. Eosinophilenprodukte, wie z. B. das eosinophile kationische Protein oder das Eosinophilenneurotoxin, führen schließlich zur direkten Gewebsschädigung. Eosinophile
können darüber hinaus auch eine Gewebsfibrose induzieren, die dann sekundär zu Funktionseinschränkungen, z. B. im Sinne einer
Kardiomyopathie, führt.
Die Bedeutung von B-Zellen ist bisher weniger gut beleuchtet, jedoch gibt es Hinweise, dass diese ebenfalls eine Rolle in der Pathogenese spielen. So scheinen
Immunglobuline, wie die ANCA selbst oder aber auch die IgG
4-Subklasse, einen Einfluss zu haben. Schließlich weisen auch beschriebene Therapieerfolge durch B-Zelldepletion in diese Richtung.
Klinik
Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten besteht ein langjähriges
Asthma bronchiale, häufig begleitet von einer Polyposis nasi, bevor es zu ersten Symptomen einer
Vaskulitis kommt. Wie bei den anderen AAV kann praktisch jedes Organsystem betroffen sein. Tab.
2 gibt die Häufigkeiten von Organmanifestationen, wie sie in den beiden bisher größten Kohorten ermittelt wurden, wieder.
Tab. 2
Symptomatik bzw. Organbeteiligungen bei EGPA.
n | 383 (100 %) | 150 (100 %) |
Asthma | 349 (91 %) | 139 (93 %) |
B-Symptomatik | | 117 (78 %) |
- Gewichtsverlust | 189 (49 %) | |
| 149 (39 %) | |
Myalgien | 149 (39 %) | |
Arthralgien/Arthritis | 114 (30 %) | |
HNO-Beteiligung | 184 (48 %) | |
Lunge (ohne Asthma) | 350 (91 %) | |
- eosinophile Alveolitis | 148 (39 %) | |
- alveoläre Hämorrhagie | 16 (4 %) | |
- „Granulome“(Röntgen) | 20 (5 %) | |
Haut | 152 (40 %) | 74 (49 %) |
Nervensystem | 211 (55 %) | 115 (77 %) |
- Mononeuritis | 176 (46 %) | |
- ZNS | 20 (5 %) | |
Herz | 105 (27 %) | 70 (47 %) |
| 63 (16 %) | 31 (21 %) |
Gastrointestinal | 89 (23 %) | 43 (29 %) |
Niere | 83 (22 %) | 28 (19 %) |
Augen | 25 (7 %) | 18 (12 %) |
Ein häufig führendes Symptom ist Dyspnoe, die abgesehen vom Asthma, durch eine Lungen- oder Herzbeteiligung verursacht sein kann. Dabei findet sich häufig eine eosinophile Alveolitis, seltener auch eine alveoläre Hämorrhagie. Bei bis zu 50 % der Patienten kommt es zu einer eosinophilen
Myokarditis mit den entsprechenden Zeichen einer
Herzinsuffizienz. Eine Beteiligung des peripheren Nervensystems ist ebenfalls oft vorhanden und äußert ich zumeist in einer Schwerpunktneuropathie, bzw. einer Mononeuritis multiplex. Charakteristisch für die EGPA ist, dass die entsprechende Symptomatik oft sehr rasch („apoplektiform“) einsetzt. Eine Glomerulonephritis ist sehr viel seltener als bei den anderen AAV. Wie bereits oben dargestellt, unterscheidet sich das klinische Erscheinungsbild der ANCA-positiven von den ANCA-negativen Patienten dahingehend, dass bei ersteren mehr „vaskulitische“ Manifestationen festzustellen sind. So findet sich eine Glomerulonephritis so gut wie nie bei ANCA-negativen Patienten, während eine eosinophile Myokarditis häufiger auftritt.
Diagnostik
Bisher wurden neben der vorhandenen Nomenklatur (CHCC 2012) und den Klassifikationskriterien keine einheitlich akzeptieren Diagnosekriterien erarbeitet.
Die Verdachtsdiagnose ergibt sich in der Regel aus der charakteristischen Kombination aus
Asthma bronchiale, Bluthypereosinophilie und den Symptomen der
Vaskulitis. Diagnostischer
Goldstandard ist die histologische Sicherung mit dem Nachweis von Vaskulitis und Gewebseosinophilie
. Biopsien können dabei aus allen betroffenen Organen gewonnen werden, wobei solche aus dem oberen Respirationstrakt häufig nur unspezifische Veränderungen zeigen. Oft diagnostisch sind Biopsien der Lunge aus radiologisch betroffenen Arealen, der Haut bei Vorliegen einer Purpura oder aus der Niere bei Nachweis eines nephritischen Sedimentes. Biopsien aus dem Myokard oder dem Gastrointestinaltrakt weisen häufig lediglich eine Gewebseosinophilie auf, ohne den Nachweis einer Vaskulitis zu erbringen. In Fällen, in denen eine Biospie nicht gewonnen werden kann, werden klinische Parameter als Surrogat herangezogen. So werden eine palpable Purpura, eine alveoläre Hämorrhagie und eine Glomerulonephritis oft als klinischer Nachweis einer Vaskulitis angesprochen. Von einigen Autoren wird auch eine Schwerpunktneuropathie diesen klinischen Vaskulitisäquivalenten zugerechnet. Dies muss aber kritisch betrachtet werden, da nicht sicher geklärt ist, ob nicht auch eine reine Gewebseosinophilie ohne Vaskulitis zu derartigen Nervenschädigungen führen kann (Differenzialdiagnose zu anderen hypereosinophilen Syndromen).
Ist histologisch oder klinisch der Nachweis der
Vaskulitis erbracht, können zur Klassifikation die ACR-Kriterien (Abschn.
1) herangezogen werden.
Wegen des systemischen Charakters der EGPA ist zur Erfassung der Krankheitsschwere und -ausdehnung eine multidisziplinäre strukturierte Diagnostik sinnvoll. Diese sollte je nach Befundkonstellation neben dem federführenden internistischen Rheumatologen die Fachbereiche Neurologie, Kardiologie, Nephrologie, Pneumologie, Gastroenterologie, Dermatologie und HNO umfassen. Neben der apparativen Standarddiagnostik werden häufig Endoskopien (u. a.
Bronchoskopie,
Koloskopie) und erweiterte Bildgebung (MRT des Kopfes, Kardio-MRT) benötigt. Anhand der Befunde sollte nach den Empfehlungen der EULAR eine Stadien und Aktivitätsbestimmung erfolgen. Die wesentlichen Parameter hierfür sind in Tab.
3 wiedergegeben. Für wissenschaftliche Zwecke sollte zusätzlich der Aktivitätsscore (BVAS) genutzt werden, der auch für die klinische Routine einen Überblick über die notwendige Diagnostik geben kann (
www.vasculitis.org).
Tab. 3
Definitionen für Krankheitsstadien und Aktivitätszustände nach EULAR/EUVAS.
Erkrankungsstadien
|
Lokalisiert | Beteiligung nur des oberen und/oder unteren Respirationstraktes |
Frühsystemisch | Alle, die nicht lokalisiert sind und die keine organ- oder lebensbedrohenden Manifestationen aufweisen |
Generalisiert | Organbedrohende Manifestation, im Falle einer Nierenbeteiligung Kreatinin unter 5,6 mg/dl |
Schwer | Nierenbeteiligung mit Kreatinin >5,6 mg/dl oder anderes lebensbedrohliches Organversagen |
Aktivitätszustände
|
Remission | Abwesenheit jedweder Krankheitsaktivität und eine tägliche Glukokortikoiddosis von ≤7,5 mg |
Therapieansprechen (response) | Mindestens 50 % Reduktion des Aktivitätsscores (BVAS) und fehlen neuer Manifestationen |
Rezidiv | Wieder- oder Neuauftreten von Krankheitsmanifestationen |
- Major | Rezidiv mit potenziell organ- oder lebensbedrohlicher Manifestation |
- Minor | Rezidiv ohne potenziell organ- oder lebensbedrohender Manifestation |
Refraktär | Unveränderte oder zunehmende Aktivität bei aktiver Erkrankung nach vier Wochen Standardtherapie, oder Fehlendes Therapieansprechen nach 6 Wochen Therapie, oder Chronisch persistierende Aktivität eine Major- und/oder 3 Minor-Manifestationen (= Items im BVAS-Score) nach mindestens 12 Wochen Therapie |
Niedrige Aktivität | Persistenz von Minor-Symptomen (z. B. Myalgien), die auf geringe Steigerung der Glukokortikoiddosis ansprechen und keine wesentliche Therapieeskalation erfordern |
Differenzialdiagosen
Die wichtigsten Differenzialdiagnosen der EGPA sind andere Formen der
Vaskulitis und sonstige Erkrankungen, die mit einer Hypereosinophilie einhergehen.
Bei MPO-ANCA-Positivität ist vor allem die Differenzialdiagnose zur
mikroskopischen Polyangiitis zu treffen. Letztere geht ohne Hypereosinophile
einher und ist nicht regelhaft mit einem
Asthma bronchiale vergesellschaftet. Die
Granulomatose mit Polyangiitis (Morbus Wegener,
GPA) kann hingegen gelegentlich auch mit einer mäßigen Erhöhung der Eosinophilenzahl einhergehen. Sie ist zumeist mit einem PR3-ANCA assoziiert und weist eine stärker ausgeprägte und destruierende granulomatöse Komponente auf.
Schwieriger kann die Differenzierung zu anderen Formen der hypereosinophilen Syndrome
(HES) sein. Das grundsätzliche Unterscheidungsmerkmal ist hier das Vorliegen einer
Vaskulitis. In Fällen, in denen diese weder histologisch gesichert, noch durch typische klinische Befunde (z. B. Purpura, Abschn.
5) wahrscheinlich gemacht werden kann, ist eine sichere Differenzierung manchmal nicht möglich. In jedem Fall sollten andere Ursachen einer Hypereosinophilie, wie beispielsweise Parasitosen (z. B. Strongyloidesinfektion), unerwünschte Medikamentenwirkungen, maligne Erkrankungen (u. a.
Leukämien und
Lymphome), ausgeschlossen werden.
Therapie
Vergleiche von Registerdaten und Kohortenstudien weisen nach, dass die Behandlung in einem spezialisierten Vaskulitiszentrum zu besseren Überlebensraten führt. Die EULAR empfiehlt daher eine solche Zentrumsbehandlung, bzw. die Einbeziehung eines Zentrums. Wie bei allen Vaskulitiden wird eine stadien- und aktivitätsangepasste Therapie durchgeführt. Dabei erfolgt zunächst eine Remissionsinduktion, gefolgt von einem Remissionserhalt. Basis der Therapie sind in jedem Fall
Glukokortikoide (GC), die initial hochdosiert (1 mg/kg KG) eingesetzt werden. Bei fehlender gravierender Organbeteiligung, d. h. bei lokalisierten oder frühsystemischen Formen, wird zusätzlich eine mittelpotente Immunsuppression, wobei in erster Linie Methorexat oder Azathioprin, alternativ auch Leflunomid infrage kommen, eingesetzt. Die häufig in dieser Situation noch beschriebene GC-Monotherapie sollte nur ausnahmsweise erfolgen, da sich gezeigt hat, dass in den meisten Fällen langfristig eine ausreichende GC-Reduktion nicht möglich ist.
Verlauf und Prognose
Der Verlauf der EGPA ist vor allem von einer Rezidivneigung geprägt, weshalb der remissionserhaltenden Therapie und regelmäßigen Kontrollen eine große Bedeutung zukommt. Oft stellt eine schlecht zu beherrschende Asthmasymptomatik ein Problem dar.
Die Prognose hängt im Wesentlichen von der Frage der Herzbeteiligung ab. In mehreren Kohorten konnte gezeigt werden, dass eine EGPA-bedingte
Herzinsuffizienz mit einer deutlich gesteigerten Mortalität (standardisierte Mortalitätsrate [SMR] ca. 3) einhergeht. In der größten bisher veröffentlichten multizentrischen Kohorte betrug das 5-Jahres-Überleben 89 %, das 10-Jahres-Überleben 79 %. Bei monozentrischer Zentrumsbehandlung konnte mit einem 5-Jahres-Überleben von 97 % und einem 10-Jahres-Überleben von 89 % erstmals eine Normalisierung der Lebenserwartung nachgewiesen werden.