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DGIM Innere Medizin
Info
Verfasst von:
Ralph Kettritz
Publiziert am: 22.08.2023

ANCA-Vaskulitis

Vaskulitiden sind entzündliche Blutgefäßerkrankungen verschiedenster Ursachen. Vaskulitiden, die durch das Auftreten eines anti-neutrophilen zytoplasmatischen Autoantikörpers (ANCA) im Serum gekennzeichnet sind, betreffen vorwiegend kleine Gefäße („small-vessel vasculitis“) und weisen keine oder nur spärliche Immunglobulinablagerungen auf. Die Hauptzielantigene der ANCA sind entweder Proteinase 3 (PR3) oder Myeloperoxidase (MPO). ANCA-Vaskulitiden treten als Systemerkrankungen mit Multiorganbefall (inklusive einer nekrotisierenden extrakapillär-proliferativen Glomerulonephritis) oder als organlimitierte (z. B. renal limitierte) Formen auf. Als distinkte klinisch-pathologische Varianten der systemischen ANCA-Vaskulitis werden die mikroskopische Polyangiitis (MPA), die Granulomatose mit Polyangiitis (GPA, früher: Wegenersche Granulomatose) und die eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA, früher: Churg-Strauss) gewertet (Jennette JC, Falk RJ, Bacon PA et al [2013] 2012 revised international Chapel Hill consensus conference nomenclature of vasculitides. Arthritis Rheum 65:1–11). Die wichtigsten Nomenklaturmerkmale ANCA-assoziierter systemischer Vaskulitiden nach der Chapel Hill Concensus Conference 2012 sind in einer Tabelle aufgeführt.

Definition

Vaskulitiden stellen entzündliche Blutgefäßerkrankungen verschiedenster Ursachen dar. Vaskulitiden, die durch das Auftreten eines anti-neutrophilen zytoplasmatischen Autoantikörper s (ANCA) im Serum gekennzeichnet sind, betreffen vorwiegend kleine Gefäße („small-vessel vasculitis“) und weisen keine oder nur spärliche Immunglobulinablagerungen auf. Die Hauptzielantigene der ANCA sind entweder Proteinase 3 (PR3) oder Myeloperoxidase (MPO). ANCA-Vaskulitiden treten als Systemerkrankungen mit Multiorganbefall (inklusive einer nekrotisierenden extrakapillär-proliferativen Glomerulonephritis) oder als organlimitierte (z. B. renal limitierte) Formen auf. Als distinkte klinisch-pathologische Varianten der systemischen ANCA-Vaskulitis werden die mikroskopische Polyangiitis (MPA), die Granulomatose mit Polyangiitis (GPA, früher: Wegenersche Granulomatose) und die eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA, früher: Churg-Strauss) gewertet (Jennette et al. 2013). Die wichtigsten Nomenklaturmerkmale ANCA-assoziierter systemischer Vaskulitiden nach der Chapel Hill Concensus Conference 2012 sind in Tab. 1 aufgeführt.
Tab. 1
Nomenklatur ANCA-assoziierter systemischer Vaskulitiden nach der Chapel Hill Concensus Conference 2012
Krankheitsname
Definition
Nekrotisierende Vaskulitis der kleinen Gefäße mit wenigen oder keinen Immunablagerungen. Nekrotisierende Glomerulonephritis und pulmonale Kapillaritis sind häufig. Granulomatöse Läsionen fehlen.
Granulomatose mit Polyangiitis (GPA, früher: Wegenersche Granulomatose)
Nekrotisierende granulomatöse Inflammation häufig im oberen und unteren Respirationstrakt. Zusätzlich nekrotisierende Vaskulitis der kleinen Gefäße mit wenigen oder keinen Immunablagerungen. Nekrotisierende Glomerulonephritis ist häufig.
Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA, früher: Churg-Strauss)
Eosinophilen-reiche und nekrotisierende Entzündung, die häufig den Respirationstrakt betrifft und nekrotisierende Vaskulitis der kleinen Gefäße mit wenigen oder keinen Immunablagerungen. Assoziiert mit Asthma und Eosinophilie. ANCA sind häufiger, wenn nekrotisierende Glomerulonephritis präsent ist.
Alle ANCA-Vaskulitiden betreffen vorwiegend die kleinen Gefäße (Kapillaren, Venolen, Arteriolen und kleine Arterien)

Pathophysiologie

In-vitro- und In-vivo-Daten zeigen, dass Vaskulitis und Glomerulonephritis durch Aktivierung zytokin-voraktivierter neutrophiler Granulozyten und Monozyten durch ANCA hervorgerufen werden (Kettritz 2012). Die Degranulation intrazellulärer Proteine sowie die Generation von Sauerstoffradikalen und Entzündungsmediatoren wie IL-1β sind Vermittler der vaskulitischen Gewebeschädigung. Kürzlich wurde die Bedeutung des alternativen Komplementweges mit Aktivierung des C5a-Rezeptors gezeigt (Schreiber et al. 2009). Genetische Varianten spielen eine zusätzliche pathogenetische Rolle (Lyons et al. 2012).

Epidemiologie

ANCA-Vaskulitiden treten mit einer jährlichen Inzidenz von 10–20/Mio. Einwohner auf (Ntatsaki et al. 2010). In Europa besteht ein Nord-Süd-Gefälle mit mehr PR3-ANCA-Vaskulitiden im Norden und ein Überwiegen von MPO-ANCA im Süden.

Klinik

Entsprechend dem Charakter einer systemischen Vaskulitis kann jedes Organ im Körper befallen sein. Häufige Symptome, die insbesondere in Kombination einen hohen klinischen Verdacht auf eine ANCA-Vaskulitis auslösen sollten, finden sich nachfolgend.
Klinische Checkliste für das Vorliegen einer ANCA-Vaskulitis:
  • Chronisch destruierende Atemwegserkrankungen
  • Lungenherde
  • Subglottische Trachealstenose
  • Episkleritis oder retro-orbitale Tumoren
  • Pulmorenales Syndrom
  • Rapid-progressive Glomerulonephritis
  • Hautvaskulitis
  • Mononeuritis multiplex
  • Weitere Kombinationen mit hohem klinischen Verdacht (z. B. anhaltender blutiger Schnupfen mit Erythrozyturie)
Der renale Befall tritt häufig als rapid-progrediente Glomerulonephritis mit schnellem Kreatininanstieg und nephritischem Sediment (Erythrozyturie mit Akanthozyten und Erythrozytenzylindern) auf. In der Biopsie findet sich eine nekrotisierende extrakapillär-proliferative Glomerulonephritis. Die immunhistologische Untersuchung ist negativ oder zeigt nur spärliche Ablagerungen von Immunglobulinen und Komplement. Folgende krankheitstypische Symptomenkombinationen machen die klinische Zuordnung zu einer der ANCA-Entitäten möglich:
  • Blutig/seröse Rhinitis und Sinusitis, „rotes Auge“, Hämoptoe und rapid-progressive Glomerulonephritis finden sich bei der GPA (ehemals Wegenersche Granulomatose).
  • Hämoptoe, Mononeurits multiplex und rapid-progressive Glomerulonephritis weisen auf eine MPA hin.
  • Asthma in der Vorgeschichte und Bluteosinophilie deuten auf eine EGPA hin. ANCA sind nur bei etwa 30–40 % der EGPA-Patienten positiv, dann meistens mit MPO als Zielantigen. Die ANCA-positive EGPA geht häufig mit Glomerulonephritis und peripherer Neuropathie einher, während die ANCA-negative EGPA ein hohes Risiko für kardiale und pulmonale Manifestationen zeigt.

Diagnostik

Labor

Blutbild (mit Differenzialblutbild für Eosinophilie), CRP, Kreatinin, Urinstix, Sedimentmikroskopie, Albumin/Kreatinin-Ratio im Spontanurin, ANCA-Test (Immunfluoreszenz auf Granulozyten und ELISA gegen PR3 und MPO), Komplement C3, C4.

Bildgebung

Röntgen-Thorax und ggf. Thorax-CT, Abdomensonografie, Nasennebenhöhlen-Röntgen.

Weiterführende Diagnostik

Augenarzt, HNO-Arzt, Organbiopsie (z. B. Niere). Die Krankheitsaktivität sollte nach dem Birmingham Vasculitis Activity Score eingeschätzt werden (BVAS, http://www.epsnetwork.co.uk/BVAS/bvas_flow.html).

Differenzialdiagnostik

Vaskulitiden anderer Genese wie z. B. bei SLE oder Goodpasture mit pulmorenalem Syndrom, akutes Nierenversagen anderer Genese (z. B. pneumogene Sepsis mit Nierenversagen).

Therapie

Aktive ANCA-Vaskulitiden und Glomerulonephritiden erfordern eine immunsuppressive Induktionstherapie und eine deeskalierte Erhaltungstherapie (Smith et al. 2012). Die Induktionstherapie umfasst Steroide (z. B. initial i.v. 0,5 g/Tag für 3 Tage, dann oral 1 mg/kg KG für 1 Woche, danach Dosisreduktion nach PEXIVAS (Walsh et al. 2020) und Zyklophosphamid. (z. B. 15 mg/kg/Bolus als i.v. Stoßtherapie mit Anpassung entsprechend dem Alter und Kreatinin > 3 mg/dl) oder Rituximab (z. B. 4 Gaben von 375 mg/m2 KOF im Wochenabstand). Seit 2022 steht ein C5a Rezeptorblocker (Tavneos) als steroidsparende oder steroidfreie Alternative in Kombination mit entweder Zyklophosphamid oder Rituximab zur Verfügung (Jayne et al. 2021). Eine Routineanwendung von Plasmapherese wird nicht mehr empfohlen (Walsh et al. 2020) kann allerdings bei rapid-progressivem Verlauf einer GN mit Kreatininanstieg auf > 300 μmol/l durchgeführt werden (Zeng et al. 2022). Zur Remissionserhaltung werden Rituximab, Azathioprin oder Methotrexat (bei Kreatinin < 1,5 mg/dl, eGFR > 50 ml/min) verwendet. Bei der refraktären oder rezidivierenden EGPA steht eine zusätzliche eosinophilengerichtete Therapie mit Mepolizumab (z. B. 300 mg s.c. alle 4 Wochen), einem Antikörper gegen Interleukin-5 zur Verfügung (Wechsler et al. 2017).

Verlauf und Prognose

Limitierte Varianten mit ausschließlichem HNO-Befall sind mit einer geringen Mortalität verbunden. Generalisierte Verlaufsformen, insbesondere mit Nieren- und Lungenbefall, weisen eine Mortalität bis zu 25 % im 1. Jahr auf. Das Rezidivrisiko der ANCA-Vaskulitiden liegt bei 30–50 % innerhalb von 5 Jahren.
Literatur
Jayne DRW, Merkel PA, Schall TJ et al (2021) Avacopan for the treatment of ANCA-associated vasculitis. N Engl J Med 384:599–609CrossRefPubMed
Jennette JC, Falk RJ, Bacon PA et al (2013) 2012 revised international Chapel Hill consensus conference nomenclature of vasculitides. Arthritis Rheum 65:1–11CrossRefPubMed
Kettritz R (2012) How anti-neutrophil cytoplasmic autoantibodies activate neutrophils. Clin Exp Immunol 169:220–228CrossRefPubMedPubMedCentral
Lyons PA, Rayner TF, Trivedi S et al (2012) Genetically distinct subsets within ANCA-associated vasculitis. N Engl J Med 367:214–223CrossRefPubMedPubMedCentral
Ntatsaki E, Watts RA, Scott DG (2010) Epidemiology of ANCA-associated vasculitis. Rheum Dis Clin North Am 36:447–461CrossRefPubMed
Schreiber A, Xiao H, Jennette JC et al (2009) C5a receptor mediates neutrophil activation and ANCA-induced glomerulonephritis. J Am Soc Nephrol 20:289–298CrossRefPubMedPubMedCentral
Smith RM, Jones RB, Jayne DR (2012) Progress in treatment of ANCA-associated vasculitis. Arthritis Res Ther 14:210CrossRefPubMedPubMedCentral
Walsh M, Merkel PA, Peh CA et al (2020) Plasma exchange and glucocorticoids in severe ANCA-associated vasculitis. N Engl J Med 382:622–631CrossRefPubMedPubMedCentral
Wechsler ME, Akuthota P, Jayne D et al (2017) Mepolizumab or placebo for eosinophilic granulomatosis with polyangiitis. N Engl J Med 376:1921–1932CrossRefPubMedPubMedCentral
Zeng L, Walsh M, Guyatt GH et al (2022) (2022) Plasma exchange and glucocorticoid dosing for patients with ANCA-associated vasculitis: a clinical practice guideline. BMJ 376:e064597CrossRefPubMed