Kongenitale Missbildungen des Urogenitaltraktes (CAKUT = „congenital anomalies oft the kidney and urinary tract“) entstehen durch Entwicklungsstörungen während der Bildung der Nieren und der ableitenden Harnwege. Als Ursachen sind z. B. genetische Veränderungen oder teratogene Substanzen möglich. Sie umfassen 20–30 % aller in der Pränatalperiode diagnostizierter Anomalien. Da diese Malformationen in 30–50 % der Fälle zu einer terminalen Niereninsuffizienz führen können, ist es wichtig, diese frühzeitig zu erkennen und zu therapieren.
Kongenitale Missbildungen im Urogenitaltrakt, im englischen auch „congenital anomalies oft the kidney and urinary tract = CAKUT“ genannt, stellen 20–30 % aller Anomalien dar, die in der Pränatalperiode, meist mittels Ultraschall, festgestellt werden. Sie repräsentieren verschiedene Entwicklungsstörungen, die durch eine Fehlregulation der Nierenentwicklung und der Bildung der ableitenden Harnwege begründet sind. Dazu zählen Malformationen des Nierenparenchyms, die aus einer Fehlentwicklung des Nephrons entstehen, wie z. B. eine renale Dysplasie/Hypoplasie, renale Agenesie, renal-tubuläre Dysgenesie und polyzystische Nierenerkrankungen. Anomalien der embryonalen Nierenmigration resultieren in einer renalen Ektopie (z. B. Beckenniere) oder Fusionsanomalien (z. B. Hufeisenniere, Abb. 1). Ebenfalls gibt es Störungen in der Entwicklung des ableitenden Harnsystems (z. B. ein Ureter duplex, Ureter fissus, posteriore Urethralklappen und Obstruktionen des ureteropelvinen Übergangs). Die Defekte können unilateral oder bilateral auftreten. Oft treten auch mehrere Defekte bei einem Patienten auf. Angeborene Missbildungen können in 30–50 % der Fälle zu einer terminalen Niereninsuffizienz führen. Daher ist es essentiell, diese Anomalien frühzeitig zu entdecken und zu therapieren.
Abb. 1
Hufeisenniere. In der kontrastverstärkten CT (nach i.v. und oraler Kontrastmittelgabe; axiale Schnittebene) Darstellung einer Hufeisenniere in klassischer Lage: Die Nierenunterpole sind miteinander fusioniert, die Nierenbecken sind nach ventral ausgerichtet. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. D. Maintz, Radiologie, Uniklinik Köln)
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In vielen Fällen, die früher als Refluxnephropathie oder chronische Pyelonephritis gewertet wurden, kann heute durch Fortschritte genetischer und entwicklungsbiologischer Untersuchungen nachgewiesen werden, dass es sich um primäre renale Malformationen handelt und nicht um sekundäre Narbenbildungen durch Obstruktion und rezidivierende Infekte. Da viele der Erkrankungen auch mit einer deutlich reduzierten Nephronzahl einhergehen, ist die Entwicklung eines späteren Hyperperfusionsschadens und einer sekundären fokal-segmentalen Glomerulosklerose (FSGS) nicht selten.
Pathophysiologie
Die Nierenentwicklung vollzieht sich in drei verschiedenen Phasen. Zunächst bildet sich in der 4. Gestationswoche die Vorniere (Pronephros), eine rudimentäre Nierenanlage ohne bekannte Funktion, die nach dem Ende der 4. Woche wieder verschwindet. Deren Degeneration ist wichtig für die spätere Entwicklung der normalen Niere. Die Urniere (Mesonephros), die aus dem intermediären Mesoderm entsteht, entwickelt sich ab der 5. Woche in 20 paarig angelegte Tubuli, die eine geringe Menge Urin produzieren. Die Urniere fusioniert mit dem Gewebe der Kloake und trägt zur Bildung der Blase und bei Männern des Genitalsystems bei. Die letzte Phase der Nierenentwicklung stellt die Nachniere (Metanephros) dar, die sich aus dem metanephrischen Mesenchym und der Ureterknospe entwickelt. Die Ureterknospe wächst und verzweigt sich in das metanephrische Mesenchym, welches durch Induktionsvorgänge in Epithel umdifferenziert wird. Dabei entstehen aus dem metanephrischen Mesenchym weitestgehend alle Teile des Nephrons bis auf die Sammelrohre, das Nierenbecken und den Ureter, die der Ureterknospe zuzurechnen sind. Aus dem Zusammenspiel beider Komponenten entstehen also Glomerulus, Tubulussystem und das ableitende Harnsystem. Während dieser Zeit werden verschiedene Gene differenziell exprimiert, deren Fehlfunktion in kongenitalen Missbildungen des Urogenitaltraktes resultiert. Auch teratogene Substanzen können in dieser Zeit zu Malformationen führen. Die metanephrische Niere beginnt mit der 6.–10. Woche zu funktionieren. Sie ist initial im Becken positioniert und wandert bis zur 8. Woche nach kranial. Die Blase entwickelt sich aus dem Sinus urogenitalis.
Renale Hypoplasie
Es liegt eine verminderte Anzahl von normalen Nephronen vor. Die Nierengröße ist um mehr als zwei Standardabweichungen der altersadaptierten mittleren Größe reduziert. Bei unilateraler Hypoplasie ist die kontralaterale Niere kompensatorisch hypertrophiert. Diese Erkrankung ist nicht selten und wird im Ultraschall zumeist als einseitige Schrumpfniere erkannt.
Renale Dysplasie
Malformationen im Nierengewebe liegen vor, z. B. mikroskopisch sichtbare dysorganisierte Nephronabschnitte, fehldifferenzierte mesenchymale und epitheliale Strukturen und eine reduzierte Anzahl an Nephronen. Oft sind Nierenzysten nachweisbar. Die renale Dysplasie kann einseitig oder beidseitig auftreten und kommt in 2–4 pro 1000 Geburten vor. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen (Harris et al. 2000). Im Ultraschall sieht man echoreiches Nierengewebe, eine schlechte Abgrenzbarkeit von Parenchym und Pyelon und ggf. Zysten. Häufig liegen zusätzlich Missbildungen des Nierenbeckens und des Ureters vor (Hydronephrose, Ureter duplex, Megaureter, vesikoureteraler Reflux (VUR), Urethrastenose).
Multizystische Nierendysplasie
Durch eine Störung während der renalen Differenzierung kommt es zur Bildung einer afunktionellen Niere mit multiplen Zysten. Die meisten Patienten mit unilateraler multizystischer Nierendysplasie sind asymptomatisch.
Nierenagenesie
Es liegt ein Defekt der frühen metanephrischen Entwicklung vor. Die unilaterale Nierenagenesie tritt in 5 % aller renalen Malformationen auf. Sowohl genetische als auch exogene Ursachen sind beschrieben. Meist sind Patienten mit unilateraler Nierenagenesie asymptomatisch. In 33–65 % liegen zusätzliche urologische Störungen vor, häufig ein VUR (37 %).
Nierenektopie
Nierengewebe kann analog zur embryonalen Entwicklung im kleinen Becken und entlang der Wirbelsäule vorkommen. Ebenfalls kann eine Fusion beider Nierenanlagen wie bei der Hufeisenniere vorliegen. Bei diesen Patienten können zusätzliche urologische Störungen wie ein VUR bestehen.
Tubuläre Dysgenesie
Eine Entwicklungsstörung der proximalen Tubuli mit Verdickung der arteriellen Nierengefäße wird durch genetische Faktoren (Mutation im Renin-, Angiotensinogen-, ACE- oder AT1-Gen) oder exogene Faktoren (fetofetales Transfusionssyndrom, Einnahme von ACE-Hemmern oder AT1-Rezeptorantagonisten) hervorgerufen. Die Nierensonographie ist normal. Es kann zu Anurie und Nierenversagen und in schweren Fällen zu einem Potter-Syndrom (s. unten) kommen. Die Mehrzahl der Patienten verstirbt in der Postnatalperiode aufgrund eines Nierenversagens oder einer Lungenhypoplasie.
Potter-Syndrom
Bei bilateralem Nierenfunktionsausfall und schwerem Oligohydramnion entwickelt sich ein Potter-Syndrom mit Lungenhypoplasie, Pseudoepicanthus, fliehendem Kinn, flachen, nach posterior rotierten Ohrmuscheln und einer flachen Nase, das aufgrund der Lungenfunktionsstörung nicht mit dem Leben vereinbar ist.
Zystische Nierenerkrankungen
Diese Nierenerkrankungen sollten spezifisch benannt und nicht unter CAKUT zusammengefasst werden. Die autosomal rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) ist durch multiple mikroskopische Zysten, v. a. der Sammelrohre, gekennzeichnet. Ursache sind Mutationen im PKHD1-Gen, welches Fibrozystin kodiert. Zusätzlich zur Nierenfunktionsstörung treten Leberfibrose, Oligohydramnion, Lungenhypoplasie, Hypertonie und Herzinsuffizienz auf.
Die autosomal dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) wird durch Mutationen im PKD1- (85 %) oder PKD2- (15 %) Gen hervorgerufen, welche Polyzystin 1 und 2 kodieren. Diese Proteine lokalisieren in den primären Zilien der Nierenepithelzellen. Es kommt zu einem progressiven Wachstum multipler Nierenzysten und zur Nierenfunktionseinschränkung meist erst im Erwachsenenalter. Die Erkrankung ist die häufigste genetische Erkrankung der Nieren und eine der häufigsten genetischen Erkrankungen überhaupt. Hypertonie, Hämaturie, Flankenschmerzen und Zysteninfektionen sind häufig.
Eine weitere Störung der ziliären Funktion ist die Nephronophthise. Sie wird durch Mutationen in verschiedenen Genen hervorgerufen (s. Tab. 2) und kann mit retinaler Degeneration oder Retinitis pigmentosa (Senior-Løken-Syndrom), zerebellärer Vermisaplasie, mentaler Retardierung oder Entwicklungsanomalien des Gehirns (Joubert-Syndrom) vergesellschaftet sein.
Fehlbildungen des Urogenitaltraktes
Zu diesen Störungen zählen eine ureteropelvine Obstruktion, ein Megaureter, ein ektopischer Ureter, eine Ureterozele, ein Ureter duplex, ein Ureter fissus, ein VUR, Blasenstörungen (Blasenexstrophie, Detrusorstörungen) sowie Urethraveränderungen (z. B. posteriore Urethralklappen). Ein Ureter duplex oder fissus ist die häufigste der urogenitalen Fehlbildungen. Sie entstehen durch Dopplung der Ureterknospe während der Embryonalentwicklung.
Prune-Belly-Syndrom
Dieses Syndrom tritt meist bei Männern mit einer Inzidenz von 1:30.000–50.000 auf und ist auf eine CHRM3-Mutation zurückzuführen. Es besteh eine Hypoplasie der Bauchmuskeln, eine große Blase, lange Ureteren und ein Kryptorchismus.
Epidemiologie
Die Rate an urogenitalen Missbildungen beträgt ca. 0,3–1,6 pro 1000 Kinder (Caiulo et al. 2012; Wiesel et al. 2005). Bei Kindern aus Familien mit bekannten urogenitalen Anomalien sowie bei Müttern mit Nierenerkrankungen oder Diabetes ist die Rate höher (Shnorhavorian et al. 2011). Die häufigste Fehlbildung ist die Hydronephrose. In Tab. 1 sind die Prävalenzen der unterschiedlichen Fehlbildungen dargestellt.
Tab. 1
Prävalenzen urogenitaler Fehlbildungen, die per Ultraschall diagnostiziert werden. (Aus Wiesel et al. 2005)
Renale Malformationen gehen in 30 % mit zusätzlichen kongenitalen Missbildungen einher. Eine Kombination von renalen Malformationen mit nichtrenalen Anomalien findet man in über 200 verschiedenen Syndromen. Ein erhöhtes Risiko für ein CAKUT besteht bei Malformationen des Außenohres oder dem Vorliegen nur einer Umbilikalarterie.
Klinik
Kongenitale Anomalien präsentieren sich entweder im Rahmen einer pränatalen Ultraschalluntersuchung, bei Untersuchungen von Kindern mit Wachstumsretardierung, bei Patienten mit rezidivierenden Harnwegsinfekten, als Zufallsbefund oder bei Erwachsenen mit Nierensteinen, Hypertonie oder Nierenfunktionsstörung.
Einige Formen der urogenitalen Fehlbildungen sind auf bereits bekannte Gendefekte zurückzuführen (s. Tab. 2). Eine renale Dysplasie wird z. B. bei Mutationen in FRAS1 (Fraser-Syndrom), PAX2 (Nieren-Kolobom-Syndrom), TCF2 (Nierenfehlbildungen und Diabetes mellitus), SALL1 (Townes-Brocks-Syndrom) sowie EYA1, SIX1 und SIX5 (brachiootorenales Syndrom) beobachtet. Urogenitale Anomalien können auch durch exogene Noxen ausgelöst werden. ACE-Hemmer und AT1-Rezeptorantagonisten interferieren mit der Differenzierung der proximalen Tubuli und führen zu einer tubulären Dysgenesie mit verstärkter kortikaler und medullärer Fibrose. Daher sind diese Substanzklassen in der Schwangerschaft kontraindiziert. Ebenfalls führen Retinoide und eine Vitamin-A-Überdosierung zu Nierenentwicklungsstörungen.
Tab. 2
Bekannte genetische Mutationen bei urogenitalen Missbildungen
Zwischen der 12. und 15. Gestationswoche kann die Niere im transabdominellen Ultraschall bereits detektiert werden. Auf Höhe des 2. Lumbalwirbels sind die Nieren lateral der Wirbelsäule als ovale, echoarme Formationen sichtbar. Kortex und Medulla können ab der 20.–25. Woche abgegrenzt werden. Die Ureteren sind normalerweise nicht darstellbar. Wenn sie sichtbar sind, weist dies auf eine Obstruktion oder einen VUR hin. Die uringefüllte Blase lässt sich ab der 13.–15. Woche darstellen. Dies zeigt an, dass zumindest eine der beiden Nieren Urin produziert. Wenn die Blase nicht sichtbar ist, kann dies auf eine Blasenexstrophie hinweisen. Die Sensitivität des pränatalen Ultraschalls, urogenitale Fehlentwicklungen nachzuweisen, beträgt ca. 82 % um die 23. Woche. Ab der 20. Woche wird 90 % des Volumens der Amnionflüssigkeit durch fetalen Urin gebildet, und die Bestimmung des Volumens ist daher ein exzellentes Maß für die fetale Nierenfunktion und das Vorliegen eines CAKUT. Bei Oligohydramnion ist das Vorliegen einer fetalen urogenitalen Missbildung sehr wahrscheinlich.
Funktionelle Diagnostik
Oft ist zusätzliche Diagnostik notwendig, um eine Malformation funktionell zu charakterisieren. Ein Miktionszysturethrogramm, eine dynamische Untersuchung mit intravenös appliziertem 99mTc-Mercaptotriglycylglycin (MAG3) oder eine statische Untersuchung mit 99mTc-Dimercaptosuccin-Säure (DMSA) sowie serielle Ultraschalluntersuchungen liefern wertvolle Informationen zur physiopathologischen Bedeutung der Missbildung. Die Bestimmung des Serumkreatinins ist ebenfalls wichtig. Direkt nach der Geburt ist das Kreatinin des Babys genauso hoch wie bei der Mutter. Bei reifen Neugeborenen fällt es innerhalb einer Woche auf Werte von 0,3–0,5 mg/dl (27–44 μmol/l) ab. Bei Frühgeborenen dauert diese Phase 2 Wochen. Daher sollte eine erste Kreatininbestimmung des Neugeborenen frühestens 24 h nach der Geburt erfolgen.
Genetische Diagnostik
Eine Liste der bereits bekannten genetischen Mutationen ist in Tab. 2 dargestellt.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der spezifischen zugrunde liegenden Ursache der Erkrankung. Wichtig ist, nach einer Obstruktion zu suchen, diese sicher zu diagnostizieren und, wenn möglich, zu beheben. Bei nichtobstruktiven Störungen wird in der Regel konservativ therapiert. Essenziell sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen, durch die eine Nierenfunktionsverschlechterung frühzeitig erkannt werden kann. Harnwegsinfekte sollten rasch therapiert werden.
Verlauf und Prognose
Patienten mit Malformationen, die mit einer Reduktion der Nierenmasse, Nierengröße oder Nierenzahl einhergehen, haben ein erhöhtes Risiko, später niereninsuffizient zu werden. Der Verlauf ist abhängig vom Grad der Nierenfehlbildung.
Literatur
Caiulo VA, Caiulo S, Gargasole C, Chiriacò G, Latini G, Cataldi L, Mele G (2012) Ultrasound mass screening for congenital anomalies of the kidney and urinary tract. Pediatr Nephrol 27:949–953PubMed
Harris J, Robert E, Källén B (2000) Epidemiologic characteristics of kidney malformations. Eur J Epidemiol 16:985–992PubMed
Shnorhavorian M, Bittner R, Wright JL, Schwartz SM (2011) Maternal risk factors for congenital urinary anomalies: results of a population-based case-control study. Urology 78:1156–1161PubMed
Wiesel A, Queisser-Luft A, Clementi M, Bianca S, Stoll C (2005) Prenatal detection of congenital renal malformations by fetal ultrasonographic examination: an analysis of 709,030 births in 12 European countries. Eur J Med Genet 48:131–144PubMed