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DGIM Innere Medizin
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Verfasst von:
Peter Borchmann
Publiziert am: 07.11.2015

Antineoplastische Immuntherapie

Die Immuntherapie erfährt aktuell eine Wiedergeburt, nachdem die Forschung in den letzten Jahren durch ein genetikzentriertes Verständnis von Krebs dominiert worden war. Dauerhafte Remissionen bei refraktärem Lungenkrebs durch Aktivierung von T-Zellen sind eine zuvor nie gemachte Beobachtung, die das Potenzial der Immuntherapie verdeutlicht. Zahlreiche neue Antikörper erweitern das therapeutische Armentarium bei soliden Tumoren und hämatologischen Neoplasien. CAR-T-Zellen sind in der Lage, refraktäre akute und chronische B-Zell-Leukämien in dauerhafte Remission zu bringen, wobei die Hauptnebenwirkung durch die immense Expansion der zytotoxischen Zellen im Patienten entsteht und Ausdruck der Effektivität ist. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die onkogenetischen und immuntherapeutischen Konzepte in der Tumortherapie. Diese Übersicht legt den Schwerpunkt auf den klinisch relevanten Teil, und anhand von konkreten Beispielen wird aufgezeigt, wie sich das Konzept der Immuntherapie zur Behandlung von Krebs in der Praxis umsetzen lässt.

Einleitung: onkogenetische und immuntherapeutische Konzepte

Welches Verständnis haben wir von „Krebs“? Mit der Entschlüsselung des humanen Genoms und der Entdeckung von Onkogenen und „driver lesions“ wurde das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends von einer Entwicklung bestimmt, die das mutierte Erbgut der malignen Zelle im Focus hatte. Das Design kleiner Moleküle gegen Proteine (Kinasen), die in malignen Zellen überexprimiert werden und einen gesteigerten Stoffwechsel mit einem malignen Phänotyp bewirken, hat die Krebszelle und ihr Genom in den Mittelpunkt der therapeutischen Forschung gerückt.
Ausgangspunkt für diese Entwicklung war neben der rasanten Entwicklung der gentechnischen Möglichkeiten und des damit besseren Verständnisses onkogener Ereignisse die Zulassung von Imatinib zur Therapie der chronisch myeloischen Leukämie (CML). Die CML ist eine oftmals zunächst über Jahre indolent verlaufende, genetisch über eine Translokation (t(9;22)(q34;q11), Philadelphia-Chromosom) definierte Erkrankung. Als Folge der Translokation wird das Genprodukt Bcr-Abl, eine Rezeptor-Tyrosinkinase, aberrant überexprimiert. Dies resultiert in einer gesteigerten Proliferation der betroffenen Zelle. Mit dem spezifischen Bcr-Abl-Inhibitor Imatinib (Glivec) lässt sich dieses maligne Wachstum vollständig blocken, und der Klon verliert seinen malignen Phänotyp und Überlebensvorteil. Früher wurde die Mehrzahl der CML-Patienten sehr aggressiv behandelt und möglichst allogen transplantiert, um sie vor dem Tod durch die langsam, aber unaufhaltsam fortschreitende CML zu bewahren. Heute nehmen dieselben Patienten eine Tablette am Tag (zum Beispiel Imatinib), die häufig ohne subjektive Nebenwirkungen toleriert wird und zu dauerhaften kompletten Remissionen führt.
Mit Imatinib war ein neues Therapieprinzip definiert worden, das das krebszellzentrierte und genetisch basierte Konzept unterstützte. Die daraufhin einsetzende Entwicklung von Substanzen gegen definierte intrazelluläre Zielmoleküle ist noch nicht abgeschlossen. Aber schon heute kann man sagen, dass trotz einiger spektakulärer Erfolge bezüglich des Ansprechens von Tumoren bei keiner weiteren malignen Erkrankung mit diesem Therapieprinzip Heilungen erreicht wurden.
Ein anderes Konzept der Onkogenese wird daher in den letzten Jahren wieder klarer formuliert: Zu einem umfassenden Verständnis von Krebs gehört auch das System, in dem er entstehen kann. Dabei geht es vor allem auch um die Bedingungen im lokalen Gewebe („microenvironment“), das die Tumorzellen umgibt und ihr Wachstum unterstützen oder blockieren kann. Die Entzündungsreaktion im Tumorgewebe ist schon lange bekannt, hingegen war und ist es schwierig, die komplexen Zusammenhänge zwischen Entzündung, Immunität und Krebswachstum zu verstehen.
Spielt Immunität überhaupt eine Rolle bei der Kontrolle maligner Zellen? Die Forschung der letzten Jahre hat diese Frage eindeutig beantwortet, und wir können heute sagen, dass die Dysfunktion des Immunsystems eine wesentlich Voraussetzung für die Entstehung von Krebs ist. Die Dysfunktion wird oft durch die Krebszellen selber induziert, insbesondere indem immunkompetente Zellen durch spezifische Signale gehemmt werden. Damit verschafft der Tumor selber sich die Bedingungen für das sog. „Immune escape“-Phänomen: die Absenz einer immunologischen Attacke trotz der Anwesenheit immunkompetenter Zellen und einer Entzündungsreaktion im Tumor. Aus dieser Perspektive wird klar, wie wichtig unser Konzept von der Onkogenese für die Entwicklung von therapeutischen Strategien ist.
Krebs ist sicher auch als ein genetisches Ereignis zu verstehen, in dessen Folge sich ein malignes Potenzial der betroffenen Zelle entwickelt. Vor allem aber ist klinisch manifester Krebs das Ergebnis einer Auseinandersetzung, dass der potenziell maligne Klon mit seinem „microenvironment“ geführt hat. Die genetische Plastizität der Tumorzelle begünstigt die Selektion von überlebenswichtigen Funktionen. Neben der Proliferation sind für malignes Wachstum bedeutend mehr und andere Qualitäten erforderlich (Hanahan und Weinberg 2011). Die Blockade der immunologischen Attacke ist ein zentraler Mechanismus, den die Krebszelle beherrschen muss, um überleben zu können. Für diese Hypothese gibt es mittlerweile experimentell und klinisch zahlreiche Beispiele. Mit diesem umfassenderen Verständnis von Krebs rückt das Zusammenspiel von Krebszelle, Stromagewebe und Immunsystem in den Vordergrund. Die Ansätze, die sich aus diesem Konzept ergeben, sind in Abb. 1 illustriert. Immuntherapeutische Konzepte versuchen, die Blockade des Immunsystems durch den Krebs aufzuheben und/oder die immunologischen Abwehrfunktionen des Patienten wiederherzustellen. Ziel dieser Therapieansätze ist es, in Zukunft auf zytotoxische und für den Patienten belastende Therapien verzichten zu können. Auch deuten erste Ergebnisse mit PD1-Antikörpern beim Lungenkrebs darauf hin, dass selbst bei chemotherapieresistenten Tumoren die Aktivierung des Immunsystems zu langfristigen Remissionen führen kann. Somit eröffnet die Immuntherapie ganz neuen Optionen für Krebspatienten.
Es muss jedoch auch darauf hingewiesen werden, dass die Agonisten (zum Beispiel die natürlichen Killerzellen, NK-Zellen) und Antagonisten (zum Beispiel regulatorische T-Zellen, Treg-Zellen) im humanen Immunsystem und deren Interaktionen im Tumormilieu immer noch nicht verstanden sind. Dem interessierten Leser sei an dieser Stelle ein hervorragendes Buch empfohlen, was sowohl eine Einführung in die Immunologie als auch den aktuellen Stand der Immuntherapie bietet (Prendergast 2013). Trotz der großen Fortschritte in den letzten Jahren ist auf dem Gebiet der Immuntherapie sowohl Grundlagenforschung als auch Forschung bei der Anwendung im Patienten („bedside-to-bench“) noch dringend nötig, um rationale Konzepte zu entwickeln.
In dieser Übersicht werde ich mich im Folgenden auf den klinisch relevanten Teil fokussieren und anhand von konkreten Beispielen aufzeigen, wie sich das Konzept der Immuntherapie zur Behandlung von Krebs in der Praxis umsetzen lässt.

Immuntherapeutische Strategien in der Praxis

Passive Immuntherapie mit Antikörpern gegen tumorspezifische Antigene

Die Entwicklung von Antikörpern hat eine lange und interessante Geschichte. Emil von Behring (1854–1917) hat Ende des 19. Jahrhunderts die Hypothese von der Existenz von Antikörpern formuliert. Er hatte Kaninchen mit geringen Mengen Tetanustoxin geimpft und dann eine letale Dosis Toxin mit dem Serum der geimpften Tiere vermischt. Dieses Gemisch hatte jedoch keine toxische Wirkung mehr, wenn es in nicht geimpfte Kaninchen gespritzt wurde. Das Serum der geimpften Tiere musste also ein spezifisches und lösliches Antitoxin enthalten haben (Behring 1890).
Paul Ehrlich (1854–1915) schlug im Jahr 1900 vor, das Immunsystem zur spezifischen Therapie maligner Tumoren einzusetzen und prägte die Vision von den „magic bullets“ (Ehrlich 1900). Allerdings dauerte es bis in die 1960er-Jahre, bis die Proteinbiochemie ausgereift genug war, um so komplexe Proteine wie Antikörper zu charakterisieren und noch einmal fast 20 Jahre, bevor die Technologie zur Produktion monoklonaler Antikörper von Köhler und Milstein etabliert wurde (Hybridomtechnologie) (Kohler und Milstein 1975). Kohler und Milstein verzichteten damals bewusst auf die Patentierung ihrer Erfindung, um die Forschung im Interesse der Patienten nicht zu behindern. Die daraufhin voller Enthusiasmus durchgeführten klinischen Studien mit Mausantikörpern gegen humane Tumorantigene verliefen jedoch enttäuschend. Sie zeigten mehr die Schwierigkeiten und Nebenwirkungen dieses neuen Therapieansatzes als eine nennenswerte Wirkung. Erst die zunehmende Humanisierung der Antikörper ermöglichte deren erfolgreichen Einsatz in der Klinik. Der erste zur Therapie maligner Erkrankungen zugelassene Antikörper war schließlich Rituximab, ein chimärer Anti-CD20-Antikörper, der noch relativ große murine Proteinanteile enthält. CD20 ist ein Antigen, das von B-Zellen exprimiert wird. Die Zulassung erfolgte 1998 zunächst als Monotherapie beim rezidivierten follikulären B-Zell-Non-Hodgkin Lymphom, dehnte sich aber sehr schnell auf die kombinierte Immunchemotherapie auch bei aggressiven Lymphomen aus und etablierte sich schließlich auch als Erhaltungstherapie und zur Therapie von akuter und chronische B-Zell-Leukämie (ALL, CLL). Die Wirkmechanismen von naiven Antikörpern können sehr gut anhand dieses ersten Antikörpers illustriert werden (Abb. 2).

Komplementabhängige Zytotoxizität („complement dependent cytotoxicity“, CDC)

Über die Bindung des Antikörpers an die maligne Zielzelle wird eine Konformationsänderung im konstanten Teil des Antikörpers ausgelöst. Daraufhin wird Komplement durch den Antikörper an der Zielzelle aktiviert und die Zielzelle lysiert. Diese direkte Zytotoxizität ist ein wichtiger Effektormechanismus von Antikörpern, was insbesondere durch die Weiterentwicklung von Rituximab eindrücklich bewiesen wurde. Der Anti-CD20-Antikörper der zweiten Generation Obinutuzumab wurde gezielt optimiert und ist in der Lage, Komplement wesentlich besser zu aktivieren. Die ist klinisch relevant, wie bei der Therapie der CLL eine klare Überlegenheit gegenüber Rituximab gezeigt werden konnte (DCLLSG-CLL11-Studie).

Antikörperabhängige zelluläre Zytotoxizität („antibody dependent cellular cytotoxicity“, ADCC)

Der konstante Teil des therapeutischen Antikörpers (Fc, „fragment constant“) wird von spezifischen Fc-Rezeptoren auf Effektorzellen erkannt, gebunden und führt zur Aktivierung dieser Zellen. Es folgt eine Lyse der malignen Zielzelle durch Ausschüttung von Enzymen (Granzyme-B, Perforin). Auch dieser Mechanismus ist relevant, was durch unterschiedliche Wirksamkeit des Antikörpers in Abhängigkeit von Polymorphismen der Rezeptoren bewiesen wurde.

Signaltransduktion

In Abhängigkeit vom Antigen kann die Bindung des Antikörpers eine intrazelluläre Signalkaskade auslösen, die im Zelltod endet. So induziert die Bindung von CD20 durch Rituximab eine intrazelluläre Tyrosinphosphorylierung, aktiviert die Proteinkinase C und führt zur Hochregulierung von Myc. Die intrazelluläre Konzentration ionisierten Kalziums steigt schließlich an, und diese antikörpervermittelten Veränderungen auf verschiedenen Ebenen der Zellregulation führen schließlich zur Apoptose. Nur wenige Antigene sind leider für eine letale Signaltransduktion geeignet.

Indirekte Zytotoxizität durch Inhibition proliferativer Signale

Ein geeigneter therapeutischer Antikörper zur Illustration dieses Mechanismus sind die Anti-EGFR(„epidermal growth factor receptor“)-Antikörper. Der erste Antikörper dieser Art war Trastuzumab, der zur Therapie des Her2/neu-positiven Mammakarzinoms zugelassen wurde. Zuvor war in eleganten Experimenten gezeigt worden, dass durch die Bindung des EGF-Rezeptors zunächst die Degradation des Rezeptors beschleunigt wird und dann die Proliferation EGF-Rezeptor-transformierter Ziellinien zum Erliegen kommt. Darüber hinaus verlieren diese Zellen aber auch insgesamt ihren malignen Phänotyp. Der Effekt ist reversibel: Nach Entzug des Antikörpers tritt der maligne Phänotyp wieder in den Vordergrund. Voraussetzung für die Wirksamkeit des Antikörpers ist die Überexpression des EGF-Rezeptors, die eine Abhängigkeit des Tumors von dem proliferativen Signal andeutet. Da maligne epitheliale Zellen mit einer Überexpression von EGF-Rezeptoren relativ chemotherapieresistent sind, hat dieser Antikörper das therapeutische Armentarium wesentlich erweitert.

Passiv-aktive Immuntherapie mit Antikörpern zur Aktivierung autologer T-Zellen

„Um Gas geben zu können, muss man von der Bremse gehen.“ Diese Aussage trifft besonders auf die zytotoxischen T-Zellen zu, deren Aktivität durch die Tumorzellen aktiv über verschiedene Signalwege gehemmt wird. Es wird zunehmend anerkannt, dass T-Zellen grundsätzlich in der Lage sind, Tumorwachstum zu kontrollieren und sogar etablierte Tumoren zu eradizieren. T-Zell-Immunität wird eng kontrolliert und ist daher grundsätzlich von zwei Signalen derselben Qualität (also stimulatorisch oder inhibitorisch) abhängig.
Konkret bedeutet das Abhängigkeit von einem stimulatorischen Signal (zum Beispiel über den T-Zell-Rezeptor) und gleichzeitig einem kostimulatorischen Signal (zum Beispiel über 4-1BB oder OX40). Dasselbe gilt für inhibitorische und koinhibitorische (CTLA-4, PD-1) Signale (Abb. 3). Durch Entzug (ko-)inhibitorischer Signale können die stimulatorischen Signale Übergewicht gewinnen. Das gilt für die Blockade von CTLA-4, PD-1 und PD-L1 („ligand“), weshalb Antikörper gegen diese Moleküle „checkpoint blocking antibodies“ genannt werden.
Exemplarisch für diesen Mechanismus wird im Folgenden die Bindung von PD-1/PD-L1 mit spezifischen Antikörpern beschrieben. PD-1 („programmed cell death“) ist ein koinhibitorischer Rezeptor auf T-Zellen (Abb. 4). Die entsprechenden Liganden, PD-L1 und PD-L2, werden von nahezu allen humanen Geweben exprimiert und schützt damit die Zellen vor autoimmunen Attacken. Die Expression von PD-L1 ist andererseits ein „Immune escape“-Mechanismus, der bei nahezu allen Malignomen zu finden ist. Dies gilt für epitheliale Tumoren wie das Lungenkarzinom oder das Ovarialzellkarzinom, aber auch für hämatologische Neoplasien wie das Hodgkin-Lymphom und die CLL. Die malignen Zellen exprimieren große Mengen von PD-L1 und unterdrücken damit die T-Zell-Antwort. Durch Bindung des Rezeptors auf den T-Zellen oder durch Bindung des Liganden durch Antikörper kann diese Suppression aufgehoben werden.
Besonders beeindruckend ist die Wirksamkeit von diesem Prinzip bei soliden Tumoren, die bisher der Immuntherapie gegenüber als refraktär eingeschätzt wurden. Das nicht kleinzellige fortgeschrittene Lungenkarzinom („non small-cell lung cancer“, NSCLC) zum Beispiel zeigt Ansprechraten von etwa 20 % auf die Therapie mit dem Anti-PD-1-Antikörper Nivolumab (BMS-936558). Dieser Antikörper bewirkt beim malignen Melanom und beim metastasierten Nierenzellkarzinom Ansprechraten von fast 30 %. Wie erhofft ist ein großer Teil des Ansprechens von langer Dauer, allerdings fehlen aktuell noch Daten von großen Phase-III-Studien. Die Aktivierung der T-Zellen ist allerdings nicht tumorspezifisch. Es kommt zu Nebenwirkungen, die auf eine unspezifische Aktivierung zurückzuführen sind. Bereits von dem zuvor zugelassenen Anti-CTLA-4-Antikörper waren „immune-related adverse events“ (irAEs) berichtet worden, die zahlreiche Organe betreffen: Haut (Rötung, Juckreiz, Vitiligo), Darm (Diarrhoe, Kolitis), Leber (Hepatitis), endokrine Drüsen (Hypophysitis, Thyroiditis und Hypothyroidismus, Nebenniereninsuffizienz). Diese Nebenwirkungen können lebensbedrohlich sein und müssen mit Steroiden konsequent unterdrückt werden.
Ein anderes passiv-aktives immuntherapeutisches Prinzip funktioniert über die T-Zell-Aktivierung (CD3) bei gleichzeitiger Bindung an die Zielzelle (zum Beispiel CD19 auf B-Zellen). Blinatumomab ist ein Protein, das aus den jeweiligen variablen Ketten von Antikörpern gegen CD3 und CD19 konstruiert wurde und daher etwas kleiner als ein kompletter Antikörper ist. Dieses Konstrukt hat erhebliche Wirksamkeit bei der Elimination von minimaler Resterkrankung bei akuter lymphatischer Leukämie gezeigt und wird aktuell in großen Phase-III-Studien untersucht.
Dass die Aktivierung von T-Zellen potenziell lebensbedrohlich sein kann, wurde 2006 in einer klinischen Studie mit katastrophalem Ausgang beobachtet. Geprüft wurde in dieser Studie ein humanisierter Antikörper gegen das kostimulatorische CD28-Antigen (TGN1412). Obwohl der Antikörper in vermeintlich subklinischen und inaktiven Dosen verabreicht wurde, kam es bei sechs freiwilligen Probanden zu schwerstem Multiorganversagen.
Aufgrund der zahlreichen stimulatorischen und inhibitorischen Signalwege und Interventionsmöglichkeiten werden zukünftig sicher noch mehr Therapeutika zur Anwendung kommen. Es ist auch noch unklar, warum einige Patienten von diesem Wirkprinzip profitieren, andere hingegen nicht. Mit der Zulassung von Ipilimumab 2011 (Anti-CTLA-4 beim malignen Melanom) hat die Entwicklung dieses Therapieprinzips jedenfalls einen erheblichen Schub erfahren.

Adaptive Immuntherapie mit gentechnisch modifizierten T-Zellen

Bei der passiv-aktiven Immuntherapie werden Antikörper zur Aktivierung von autologen T-Zellen im Patienten verabreicht. Es ist jedoch auch möglich, die autologen T-Zellen des Patienten zu entnehmen, sie außerhalb des Patienten (ex vivo) zu modifizieren und anschließend zu retransfundieren. Angriffspunkt der Ex-vivo-Modifikation ist der T-Zell-Rezeptor selbst. Die Lymphozyten werden mit einem chimären T-Zell-Rezeptor transfiziert, dessen extrazelluläre Domäne aus einem „single chain“, also der leichten Kette eines Antikörpers, besteht, der von einer transmembranären Domäne gefolgt wird („hinge region“), an die sich wiederum nach intrazellulär aktivierende Domänen anschließen (Abb. 3). Die extrazelluläre Domäne bestimmt die Spezifität für die zu behandelnde Krankheit. Da die T-Zellen also nach der Transfektion mit einem lentiviralen Vektor einen chimären Antigenrezeptor tragen, werden sie CAR-T-Zellen genannt.
Bisher waren die Erfolge solcher Konstrukte und Zellen sehr beschränkt, da die Zellen nicht in der Lage waren, ausreichend zu proliferieren und nach Retransfusion im Patienten zu überleben. Auch die Zytokinsekretion der CAR-T-Zellen erreichte keine klinisch relevanten Ausmaße. Das hat sich grundlegend mit der Einführung von kostimulatorischen Signalketten in den Konstrukten geändert. Sehr gute Erfahrungen wurden mit einem Anti-CD20-CAR-Konstrukt berichtet, das nicht nur die CD3-zeta-Kette des T-Zell-Rezeptors als aktivierendes Signal enthält, sondern zusätzlich mit 4-1BB (CD137) ein kostimulatorisches Signal, das zur Proliferation der T-Zellen nötig ist. Mit diesem Konstrukt kann die Anergie der CAR-T-Zellen überwunden werden (Porter et al. 2011). Nach Retransfusion kommt es zur massiven Proliferation und Expansion der CAR-T-Zellen im Patienten auf das 10.000-Fache der infundierten Zellzahl (die transfundierte Menge an transfizierten Zellen liegt bei 5× 107 bis 5× 108 pro kg Körpergewicht). Diese Expansion etwa zwei Wochen nach Retransfusion geht mit einem ebenfalls massiven Zytokinsturm einher, der zu kritischem Blutdruckabfall führen kann, weshalb diese Patienten intensiv überwacht und betreut werden müssen. Die Wirksamkeit hingegen ist ebenfalls erstaunlich. Bei therapierefraktären Patienten mit CLL erreichen 40 % ein Ansprechen. Überwiegend handelt es sich dabei um komplette Remissionen mit Eradikation auch von minimaler Resterkrankung, sodass einige dieser Patienten mit sehr weit fortgeschrittener Tumorerkrankung möglicherweise geheilt werden können. Die Effektivität ist aber auch schon bei anderen, sehr aggressiven CD20-positiven Erkrankungen eindrücklich gezeigt worden. So ist das hier beschriebene Konstrukt auch bei der rezidivierten akuten lymphatischen Leukämie und beim rezidivierten diffus großzelligen Non-Hodgkin Lymphom (DLBCL) wirksam.
Der Vorteil dieser Technologie liegt sicher in der definierten Antigenspezifität und der Verwendung einer Kassette, die den Austausch der antigenbindenden Domäne einfach zulässt. So ist es zum Beispiel ohne weiteres möglich, dasselbe Konstrukt gegen ein prostataspezifisches Antigen zu richten und zur Therapie des Prostatakarzinoms einzusetzen. Auch die Verwendung autologer T-Zellen ist ein Vorteil dieser Methode. Bei Einsatz von Spenderzellen sind unspezifische Reaktionen gegen Wirtsantigene, wie sie von der allogenen Knochenmarktransplantation bekannt sind, gefürchtet. Die Verwendung von mehreren stimulatorischen Signalketten in dem chimären Konstrukt hat zur Folge, dass die CAR-T-Zellen im Patienten persistieren und eine dauerhafte Kontrolle der antigentragenden Zellen sicherstellen können. Somit hat die Krebszelle nur durch Antigenverlust eine Chance, der Attacke durch die CAR-T-Zellen zu entkommen. Eine Herausforderung dieser Technologie ist sicher die Bereitstellung der Ressourcen, die zur Gewinnung der T-Zellen, der gentechnischen Modifikation und Ex-vivo-Kultivierung, der Retransfusion und schließlich der Kontrolle des Zytokinsturms während der In-vivo-Expansion benötigt werden. Nichtsdestotrotz wird diese Technologie insbesondere in den USA aktuell (2013) sehr stark beforscht und ausgeweitet.

Aktive Immunisierung gegen Tumorantigene

Optimal wäre theoretisch die vollständige Immunisierung des Patienten gegen seinen Tumor. Zentrale Bedeutung für eine effiziente und dauerhafte Immunreaktion sind antigenpräsentierende dendritische Zellen. Dendritische Zellen entstehen aus Makropagen, die – wie ihr Name schon sagt – permanent den Körper nach phagozytierbarem Material durchstreifen. Aus den unreifen dendritischen Zellen werden nach Stimulation durch Zytokine im Rahmen entzündlicher Reaktionen reife dendritische Zellen. Diese phagozytieren nicht mehr, sondern wandern in die Lymphknoten ein. Dort werden die phagozytierten Antigene sowohl auf MHC(„major histocompatibility complex“)-Klasse-I- als auch MHC-Klasse-II-Molekülen den CD8-positiven zytotoxischen T-Zellen und den CD4-positiven T-Helferzellen präsentiert. Für eine effiziente zytotoxische T-Zell-Antwort benötigen die CD8-positiven Zellen stimulatorische Signale von den CD4-positiven T-Zellen.
Die dendritischen Zellen präsentieren auch kostimulatorische Signale wie B7-1 und B7-2, um die T-Zellen zu aktivieren und in einen funktionellen Status zu überführen. Fehlt die Expression dieser kostimulatorischen Signale, dann kommt es zur Ausbildung von immunologischer Toleranz gegenüber den präsentierten Antigenen. In diesem Fall werden regulatorische T-Zellen produziert. In Abhängigkeit von den verschiedenen Aktivierungsmarkern, die die dendritische Zelle exprimiert, kann eine humorale, zelluläre oder eben fehlende Antwort des Immunsystems auf Fremdantigene ausgelöst werden. T- und B-Zellen wandern zu der aktivierten dendritischen Zelle, was die zentrale Rolle dieser Zellen für die Immunantwort verdeutlicht. Aus diesem Grund versuchen Immunologen und Onkologen schon seit vielen Jahren, die dendritische Zelle als antigenpräsentierende Zelle zur Waffe gegen den Krebs zu entwickeln. Das oben angedeutete komplexe Netzwerk, in dem dendritische Zellen ihre Funktion sehr unterschiedlich ausüben können, hat jedoch bei der Umsetzung der Idee in die Klinik bisher viele Schwierigkeiten bereitet.
Seit 2007 gibt es ein Produkt (Provenge, Sipuleucel-T), das zur Therapie des hormonrefraktären Prostatakarzinoms von der FDA zugelassen wurde. Auch hier wird, wie bei den CAR-T-Zellen, bei dem Patienten zunächst eine Leukapherese durchgeführt, wobei die Makrophagen durch Ultrazentrifugation angereichert werden. Die Zellen werden dann mit einem Fusionsprotein aus PAP („prostatic acid phosphatase“) und GM-CSF („granuloyte-macrophage colony stimulating factor“) inkubiert, wobei in dem Apheresat nicht nur Makrophagen, sondern auch zahlreiche T-Zellen zu finden sind. Anschließend werden die Zellen wieder retransfundiert, ohne dass die sonst übliche Reifung zu dendritischen Zellen durch Stimulation mit Interleukin-4 (IL-4) durchgeführt worden wäre. Die Behandlung wird in zweiwöchigen Abständen wiederholt. Nachdem gezeigt werden konnte, dass die Transfusion der PAP-exponierten Zellen sicher ist (es kommt gelegentlich zu grippeähnlichen Symptomen), wurden Studien zum Nachweis der Wirksamkeit durchgeführt. Diese zeigten keinen Vorteil im Hinblick auf das progressionsfreie Überleben, allerdings einen Überlebensvorteil von etwa vier Monaten. Dieser konnte in mehreren Studien konstant nachgewiesen werden, sodass diese Therapie mittlerweile (2013) auch in Europa ein positives Votum der EMA („European Medical Agency“) bekommen hat. Die Suche nach der optimalen Aufbereitung und Ex-vivo-Kultivierung von dendritischen Zellen ist unverändert eine ungelöste Frage. Durch Addition verschiedener Zytokine während der Ex-vivo-Inkubation könnten ganz unterschiedliche funktionelle Eigenschaften der dendritischen Zelle induziert werden. Auch wenn der Überlebensvorteil beim Prostatakarzinom signifikant ist, so ist dieser Vorteil doch relativ klein, und es gibt kaum objektivierbares Ansprechen auf die Therapie. Eine Optimierung dieses aktiven Immunisierungsverfahrens erscheint also noch notwendig.

Ausblick

Die Immuntherapie erfährt aktuell eine Wiedergeburt, nachdem die Forschung in den letzten Jahren durch ein genetikzentriertes Verständnis von Krebs dominiert worden war. Dauerhafte Remissionen bei refraktärem Lungenkrebs durch Aktivierung von T-Zellen sind eine zuvor nie gemachte Beobachtung, die das Potenzial der Immuntherapie verdeutlicht. Zahlreiche neue Antikörper erweitern das therapeutische Armentarium bei soliden Tumoren und hämatologischen Neoplasien. CAR-T-Zellen sind in der Lage, refraktäre akute und chronische B-Zell-Leukämien in dauerhafte Remission zu bringen, wobei die Hauptnebenwirkung durch die immense Expansion der zytotoxischen Zellen im Patienten entsteht und Ausdruck der Effektivität ist. All diese Verfahren sind noch relativ neu. Es ist davon auszugehen, dass durch ihre Anwendung unser Verständnis vom Immunsystem entscheidend profitieren wird und wir hoffentlich bald in der Lage sein werden, noch offene Fragen zu beantworten. Warum sprechen einige Patienten auf die Blockade inhibitorischer Signale an, andere nicht? Welche Tumorantigene sind für das Design von CAR geeignet, welche weniger? Welche Antigene gibt es überhaupt für häufige solide Neoplasien wie das Bronchialkarzinom oder das kolorektale Karzinom? Die Mehrzahl dieser Fragen lässt sich leider nicht, oder nur sehr beschränkt, in Tiermodellen beantworten. Wir sind mehr denn je angewiesen auf die Beobachtung unserer Patienten, um die immuntherapeutischen Strategien weiter verbessern zu können.
Literatur
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Kohler G, Milstein C (1975) Continuous cultures of fused cells secreting antibody of predefined specificity. Nature 256:495–497PubMedCrossRef
Porter DL, Levine BL, Kalos M et al (2011) Chimeric antigen receptor-modified T cells in chronic lymphoid leukemia. N Engl J Med 365:725–733PubMedPubMedCentralCrossRef
Prendergast J (2013) Cancer immunotherapy, immune suppression and tumor growth. Elsevier, Amsterdam/Boston