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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 02.12.2014

Arzneimittelinduzierte Leberschäden

Verfasst von: Christoph Hner zu Siederdissen und Markus Cornberg

Definition

Arzneimittelinduzierte Leberschäden („drug-induced liver injury“, DILI) bezeichnen alle durch Medikamente verursachten Schädigungen der Leber. Es schließt sowohl frei verkäufliche als auch rezeptpflichtige Medikamente ein. Die Leberschädigung kann hoch akut oder mit zeitlichem Abstand von einigen Wochen nach Einnahme eintreten. Die Schädigungen können von leichter und reversibler bis tödlicher Ausprägung sein. Da das Erkennen einer arzneimittelinduzierten Leberschädigung aufgrund des unspezifischen Beschwerdebildes und der zeitlichen Latenz sehr schwierig ist, ist ein hohes Maß an klinischer Aufmerksamkeit zur Diagnosestellung erforderlich.
Besondere Bedeutung gewinnt dieses Thema, da arzneimittelinduzierte Leberschäden die häufigste Ursache eines akuten Leberversagens in den Industrienationen sind (Ostapowicz et al. 2002). Ebenso sind sie der häufigste Grund von Fehlschlägen in der Arzneimittelentwicklung, von Rücknahme von Medikamenten aus dem Markt bzw. Medikamentenmodifizierungen und Warnungen im Zusammenhang mit Medikamentennutzung (Watkins und Seeff 2006). Von mehr als 1000 Medikamenten ist derzeit eine potenzielle Hepatotoxizität bekannt (Andrade et al. 2005).

Pathophysiologie

Medikamente besitzen in der Regel lipophile Eigenschaften, um über den Darm aufgenommen zu werden. Über den Pfortaderkreislauf werden sie in die Leber transportiert. In der Leber wird die Mehrzahl aller Medikamente mit dem Ziel verstoffwechselt, sie aus dem Körper zu eliminieren. Die spätere Elimination erfolgt über die Galle oder die Nieren. Zur Elimination ist eine vorherige Umwandlung zur Steigerung der Wasserlöslichkeit in der Leber erforderlich, die sog. Biotransformation. Die dafür notwendigen Schritte unterteilen sich im Wesentlichen in Phase-I- und Phase-II-Reaktionen.
In der Phase I werden dem Medikament durch Oxidation, Reduktion oder Hydrolyse polare Gruppen hinzugefügt. Verantwortlich sind Enzyme aus der Cytochrom-P450-Familie. Die wichtigsten Vertreter für die Metabolisierung von Medikamenten sind die CYP1-, CYP2- und CYP3-Familien. Die Aktivität der Cytochrome ist dabei variabel und von äußeren Einflüssen abhängig und kann in der vermehrten oder verminderten Aktivität von Arzneimitteln resultieren.
In der Phase II erfolgt die Konjugation, das Hinzufügen polarer Gruppen an die Medikamente, um sie wasserlöslich zu machen, sodass die Medikamente über die Gallensäure bzw. renal ausgeschieden werden können.
Auch wenn bestimmte Medikamente direkt hepatotoxisch wirken, erfolgt die Schädigung in der Regel über Stoffwechselzwischenprodukte, die im Rahmen der Eliminationsprozesse entstehen und für ein Medikament bzw. Medikamentenklasse typisch sind.
Über die kovalente Bindung an intrahepatische Proteine erfolgt eine direkte Schädigung der Hepatozyten mit einem klinisch hepatozellulären Schädigungsmuster. Über eine Bindung an Transportproteine kann der Galletransport beeinträchtigt werden, was klinisch zu einer Cholestase und letztlich sekundärer heptischer Schädigung über Gallensäuren führt. Eine immunogene Schädigung der Leber erfolgt über die Bindung von Medikamenten an Proteine und Präsentation auf der Zelloberfläche der Hepatozyten, die dann vom Immunsystem erkannt werden (Lee 2003a).
Unter klinischen Gesichtspunkten werden zwei Formen der Leberschädigung unterschieden:

Direkte toxische Leberschädigung

Die direkte toxische Leberschädigung ist vorhersehbar und dosisabhängig. Hierbei kommt es entweder zu einer direkten Schädigung durch die Substanz oder zu einer indirekten Schädigung durch ein toxisches Zwischenprodukt beim Abbau des Medikaments. Der Zeitraum bis zum Auftreten erster Symptome ist in der Regel kurz. Sie ist in Tierversuchen reproduzierbar. Amanita und Paracetamol können beispielsweise eine direkte toxische Leberschädigung bewirken (Kaplowitz 2005).

Idiosynkratische Leberschädigung

Die idiosynkratische Leberschädigung ist nicht vorhersagbar, dosisunabhängig und mit einem steigenden Risiko durch Reexposition verbunden. Es wird zwischen einer allergischen/immunogenen und einer metabolischen idiosynkratischen Leberschädigung unterschieden. Während bei der allergischen Reaktion Symptome rasch nach Reexposition auftreten und mit einem Hypersensitivitätssyndrom (Fieber, Ausschlag, Eosinophilie) verbunden sind, trifft dieses auf die metabolische Ursache nicht zu. Eine Darstellung im Tiermodell ist nicht möglich. Augmentan ist beispielsweise ein häufiger Auslöser einer idiosynkratischen Reaktion (Kaplowitz 2005).

Epidemiologie

Die jährliche Inzidenz der arzneimittelinduzierten Leberschädigung wird auf 1 zu 10.000–100.000 geschätzt (Larrey 2002; Shapiro und Lewis 2007). Die tatsächliche Anzahl an arzneimittelinduzierten Leberschädigungen liegt wahrscheinlich deutlich höher, da nur ca. 6–10 % aller Schädigungen nach Marktzulassung eines Medikamentes berichtet werden (Sgro et al. 2002; HepNet 2012). Es ist der häufigste Grund für ein akutes Leberversagen in den Industrienationen (Ostapowicz et al. 2002).
Hinsichtlich des Outcome ist das transplantationsfreie Überleben im Rahmen eines akuten Leberversagens mit ca. 20–30 % vergleichsweise gering (Lee 2003a; Hadem et al. 2012).
Arzneimittelinduzierte Leberschädigungen sind für ca. 10 % der unerwünschten Arzneimittelwirkungen („adverse drug events“, ADE) verantwortlich (Shapiro und Lewis 2007) und der häufigste Grund für den Rückzug von zugelassenen Medikamenten aus dem Markt (Watkins und Seeff 2006).
Von mehr als 1000 Medikamenten und pflanzlichen Substraten ist derzeit bekannt, dass sie potenziell leberschädigende Wirkungen haben können (Stirnimann und Kessebohm 2010). Eine durchsuchbare Datenbank für den klinischen Alltag wird vom National Institutes of Health geführt (vgl. http://www.livertox.nih.gov/).
Bei Frauen liegt eine höhere Prävalenz von arzneimittelinduzierten Leberschädigungen vor (Ostapowicz et al. 2002).
Bei Patienten mit bereits bekannter Lebererkrankung ist die Enzymfunktion zum Abbau der Medikamente im Regelfall weitgehend intakt. Bei Patienten mit einer Leberzzirrhose kann der Abbau von Medikamenten um bis zu 50 % reduziert sein (Froomes et al. 1999). Das Vorliegen einer renalen Erkrankung kann durch verminderte Ausscheidung zu einer Verstärkung hepatotoxischer Wirkungen führen. Auch die gleichzeitige Medikation mit mehreren hepatotoxischen Medikamenten kann durch pharmakologische Interaktionen eine Wirkverstärkung bewirken. Unter Berücksichtigung dieser Punkte ist bei diesen Patienten nicht per se von einer erhöhten Rate an arzneimittelinduzierter Leberschädigung auszugehen.

Klinik

Das klinische Bild einer arzneimittelinduzierten Leberschädigung ist sehr variabel und zunächst nicht von anderen Lebererkrankungen zu unterscheiden. Es kann von einer asymptomatischen Erhöhung der Leberwerte bis hin zu einer Hepatitis oder Cholestase reichen.
Eine arzneimittelinduzierte Leberschädigung kann sich auch als Steatose äußern oder durch Granulome oder Tumoren (Adenome) in der Leber auffallen. Selten kommt es zur Fibrose bzw. Zirrhose (Shapiro und Lewis 2007). Tab. 1 gibt eine Übersicht über medikamentös induzierte Leberveränderungen und häufige auslösende Medikamente.
Tab. 1
Medikamentös induzierte Leberveränderungen. (Modifiziert nach Lee 2003b)
Leberveränderung
Ursache
Auslösende Medikamente
Asymptomatische Leberwerterhöhung
Multifaktoriell
Z. B. Paracetamol, Statine, Clindamycin, Isoniazid, Ciprofloxacin, Amoxicillin
Hepatitis (akut, chronisch)
Direkte Schädigung von Hepatozytenproteinen oder immunvermittelt
Isoniazid, Trazodon, Diclofenac, Venlafaxine, Lovastatin, Nitrofurantoin, Methyldopa, Minocyclin, Amoxicillin-Clavulansäure, Carbamazepin, pflanzliche Stoffe, Cyclosporin, Thiamazol, Sulfonamide
Cholestase (akut, chronisch)
Verletzung von kanalikulären Membranen und Transportproteinen
Chlorpromazin, Estrogene, Erythromycin und Derivate, Amoxicillin-Clavulansäure, Carbamazepin, pflanzliche Stoffe, Cyclosporin, Thiamazol, Sulfonamide
Multifaktoriell
Amiodaron, Tamoxifen, Alkohol, Methotrexat, Glukokortikoide, Zytostatika
Granulome
Infiltration von Makrophagen und Lymphozyten in den Leberlappen
Diltiazem, Sulfonamide, Allopurinol, Acetylsalicylsäure
Fibrose, Zirrhose
Aktivierung von Ito-Zellen
Methotrexat, Vitamin-A-Überdosis
Tumoren
 
Orale Kontrazeptiva, Androgene
Relativ häufig ist die asymptomatische Leberwerterhöhung zu beobachten, die trotz weiterer Exposition ohne Zeichen der Entzündung oder Nekrosebildung in der Leber abläuft und sich im Verlauf spontan normalisiert.
Das klinische Bild ist insgesamt sehr heterogen und unspezifisch. Trotz erhöhter Transaminasen können keine oder nur wenige Beschwerden vorliegen. Die geäußerten Beschwerden umfassen typischerweise Übelkeit, Müdigkeit und gelegentlich Schmerzen im Bereich der Leber. Selten können Fieber und Hautausschlag auftreten. Anamnestische Hinweise auf einen „allergischen“ Symptomkomplex im Zusammenhang mit einer vermuteten arzneimittelinduzierten Leberschädigung können mit einer immunvermittelten idiosynkratischen Reaktion in Verbindung stehen.
Ein Ikterus tritt mit 5 % selten als spezifisches Symptom einer Leberschädigung auf (Shapiro und Lewis 2007).
Differenzialdiagnostisch muss an weitere Ursachen eines Ikterus gedacht werden, da eine Leberzirrhose, eine schwere Infektion oder das Vorliegen einer malignen Grunderkrankung in ihrer Gesamtheit häufigere Ursachen für einen Ikterus sind, als die zu ihrer Behandlung eingesetzten Medikamente (Whitehead et al. 2001).
Eine Unterscheidung zwischen hepatischen und cholestatischen Leberschäden bzw. gemischten Formen ist, wie in Tab. 2 dargestellt, anhand der Leberparameter Alanin-Aminotransferase (ALT) und alkalische Phosphatase (AP) möglich. Diese Klassifizierung ermöglicht Rückschlüsse auf das auslösende Agens (Bénichou 1990) (s. auch Tab. 1). Tab. 2 zeigt die Klassifizierung von Leberschäden anhand der Laborparameter ALT und AP.
Tab. 2
Klassifizierung von Leberschäden. (Nach Bénichou 1990)
Parameter
Hepatozellulärer Leberschaden
Cholestatischer Leberschaden
Gemischter Leberschaden
ALT
>2 ULN
>2 ULN
AP
>2 ULN
>2 ULN
ALT/AP
>5 ULN
<2 ULN
2–5 ULN
ALT Alanin-Aminotransferase, AP alkalische Phosphatase, ULN obere Normgrenze
Beispiele für Arzneimittel, die einen hepatozellulären Leberschaden verursachen können, sind: Paracetamol, HIV-spezifische ART, Allopurinol, Isoniazid, Statine, Herbals (Kava Kava)
Beispiele für Arzneimittel, die einen cholestatischen Leberschaden verursachen können, sind: Augmentan, Erythromycin, anabole Steroide, Kontrazeptiva
Beispiele für Arzneimittel, die einen gemischten Leberschaden verursachen können, sind: Clindamycin, Azathioprin, Phenytoin, Carbamazepin, Nitrofurantoin

Diagnostik und Differenzialdiagnose

Aufgrund der unspezifischen Symptome und der selten offensichtlichen Kausalkette bei medikamentös-toxischen Leberschädigungen sind die exakte Anamnese und der Ausschluss anderer primärer Lebererkrankungen unbedingt erforderlich.
Wesentlich ist eine gute und ausführliche Medikamentenanamnese, die in jedem Fall ein Jahr zurückreichen sollte und auch ggf. nur kurzzeitig eingenommene Medikamente einschließt (z. B. Antibiotika). Explizit sollte die Einnahme von verschreibungspflichtigen, nicht verschreibungspflichtigen, pflanzlichen und illegalen Substanzen (z. B. Drogen, Anabolika) erfragt werden.
Eine Besserung nach Absetzen des vermutlich auslösenden Agens und ein erneutes Auftreten der Hepatotoxizität sind beweisend, jedoch ist dieses Vorgehen im klinischen Alltag in der Regel nicht mit vertretbarem Risiko umsetzbar (Shapiro und Lewis 2007). Empfehlenswert ist es, nach Auftreten einer arzneimittelinduzierten Leberschädigung das auslösende Medikament durch ein Alternativpräparat zu ersetzen. Nur bei zwingender und vitaler Indikation ohne Alternativmedikation und mildem Verlauf der Leberschädigung ist eine erneute Therapie mit dem auslösenden Medikament unter engmaschiger Kontrolle vertretbar.
Zur Diagnostik sollten die kompletten Leber- und Cholestasewerte (γ-GT, AP, Bilirubin, ALT, AST) sowie Marker der Leberfunktion (Albumin, Protein, INR, PTT) erfasst werden. Das Vorliegen einer akuten Virushepatitis ist ebenso wie eine Autoimmunhepatitis auszuschließen. Der Verdacht auf eine Paracetamolintoxikation kann mit einer Spiegelbestimmung weiter abgeklärt werden. Das Auftreten einer Eosinophilie und erhöhte Immunglobuline sind mit einer idiosynkratischen Arzneimittelreaktion assoziiert.
Sonographisch sollte eine rasche Evaluation der Gallengänge als auch der die Leber versorgenden Gefäße erfolgen. Gefäßverschlüsse oder eine Stauungsleber weisen auf eine kardiovaskuläre Ursache hin, erweiterte Gallenwege sind diagnostisch hinweisend auf eine mechanische Obstruktion durch einen Tumor oder Steinleiden. Sonographische Hinweise auf einen bereits vorliegenden chronischen Leberschaden sind Leberparenchymveränderungen, Veränderungen der Lebergröße, Zeichen eines portalen Hypertonus (Flussumkehr im Pfortaderkreislauf, Umgehungskreisläufe) oder eine Splenomegalie. Raumforderungen lassen sich sonographisch ebenfalls abgrenzen.
Tabelle 3 gibt einen Überblick über Differenzialdiagnosen, die auch im Rahmen einer möglichen arzneimittelinduzierten Leberschädigung abgeklärt werden sollten.
Tab. 3
Differenzialdiagnosen und nichtinvasive diagnostische Maßnahmen.
Erkrankung
Diagnostische Maßnahme
Alle Lebererkrankungen
"Basislabor": γ-GT, AP, Bilirubin, ALT, AST, Albumin, Protein, INR, PTT, Thrombozytenzahl
Steinleiden, Gefäßerkrankung, chronische Erkrankung, Malignität
Virushepatitis (Basis)
HAV-IgG und -IgM, HBsAg, Anti-HBc, Anti-HBs, HCV-RNA, HEV-RNA
EBV, CMV, ggf. ausweiten
Autoimmunerkrankung (AIH, PBC, PSC)
ANA, SMA, SLA, LKM, pANCA, AMA, IgG und IgM
M. Wilson
Alpha-1-Antitrypsin
AIH Autoimmunhepatitis, ALT Alanin-Aminotransferase, AMA antimitochondriale Antikörper, ANA antinukleäre Antikörper, Anti-HBc Antikörper gegen Hepatitis-B-Core-Antigen, Anti-HBs Antikörper gegen Hepatitis-B-Oberflächenantigen, AP alkalische Phosphatase, AST Aspartat-Aminotransferase, CMV Cytomegalovirus, EBV Epstein-Barr-Virus, γ-GT Gamma-Glutamyltransferase, HAV Hepatitis-A-Virus, HBsAg Hepatitis-B-Oberflächenantigen, HCV Hepatitis-C-Virus, HEV Hepatitis-E-Virus, HSV Herpes-simplex-Virus, IgG Immunglobulin G, IgM Immunglobulin M, INR International Normalized Ratio, LKM Antikörper gegen endoplasmatisches Retikulum der Leber und Niere, pANCA antineutrophile cytoplasmatische Antikörper mit perinukleärem Muster, PBC primär biliäre Zirrhose, PSC primär sklerosierende Cholangitis, PTT partielle Thromboplastinzeit, SLA lösliches Leberantigen, SMA Antikörper gegen glatte Muskulatur
Zur endgültigen Diagnosestellung sollte eine Leberbiopsie durchgeführt werden. Dieses kann in Abhängigkeit von den Gerinnnungsparametern entweder perkutan oder transjugulär erfolgen.
Die Histologie liefert wertvolle Hinweise zum Ausschluss anderer primärer Ursachen und kann bei klinischem Verdacht auf ein auslösendes Medikament ein für dieses typisches Schädigungsmuster zeigen (histologisches Korrelat der in Tab. 1 genannten Leberveränderungen). Ohne klinischen Kontext ist sie jedoch aufgrund der großen Heterogenität der Schädigungsmuster der Leber durch Arzneimittel schwierig zu bewerten.
In der initialen klinischen Diagnostik ist zur groben Strukturierung möglicher Ursachen auch die Höhe des Transaminasenanstiegs hilfreich.
Transaminasenanstiege >1000 U/l sind häufig im Rahmen von perakuten Geschehen, wie ischämische, hypoxische und toxische (medikamentös, Pilzvergiftung) Ereignisse, zu beobachten. Akute Schädigungen bei vorbekannten chronischen Lebererkrankungen, einem Autoimmunhepatitisschub oder akuten viralen Infektionen weisen häufig Transaminasenwerte um 100–1000 U/l auf. Werte <100 U/l sind typisch für chronische virale Infektionen, nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD), nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH), Hämochromatose, M. Wilson und eine Autoimmunhepatitis.
Zur Beurteilung des hepatotoxischen Potenzials können die in Tab. 4 zusammengestellten Daten von 461 Patienten mit arzneimittelinduzierter Leberschädigung aus den Jahren dienen, die im Zeitraum von 1994 bis 2004 in einem regionalen Register in Südspanien erhoben wurden (Andrade et al. 2005).
Tab. 4
Die Verteilung der häufigsten verdächtigen Medikamente in 446 Fällen von arzneimittelinduzierter Leberschädigung zwischen 1994 und 2004 im spanischen Register. (Modifiziert nach Andrade et al. 2005)
Medikament
Fälle
Hepatozellulärer Schaden
Cholestatischer Schaden
Gemischter Schaden
Eosinophilie
Hospitalisierung
ALV/Tx
Tod
Amoxicillin + Clavulansäure
59
22
16
21
19
40 (68 %)
2a/1
1
Ebrotidina
22
21
1
2
13 (59 %)
1/0
1
INH + RIP + PIZ
22
15
5
2
2
14 (64 %)
3/1
5
18
8
1
9
2
10 (56 %)
2/1
1
Flutamid
17
11
1
5
9 (53 %)
2/1
4
Ticlopidin
13
7
5
1
5
8 (62 %)
12
10
2
1
6 (50 %)
Isoniazid
9
8
-
1
1
5 (56 %)
1
Pflanzliche Medikamente
9
8
1
1
5 (56 %)
1
Nimesulidb
9
7
2
2
3 (33 %)
2/1
1
8
4
1
3
4
3 (38 %)
1/0
1
Bentazepamc
7
5
2
3 (43 %)
Tetrabamated
7
6
1
2 (29 %)
Azathioprin
6
1
4
1
1 (17 %)
Erythromycin
6
4
2
1
3 (50 %)
Paroxetin
6
3
1
2
3 (50 %)
Valproat
5
4
1
1
2 (40 %)
Trovafloxacine
5
4
1
2
3 (60 %)
Thiamazol
5
1
4
1
3 (60 %)
ALV/Tx aktues Leberversagen/Lebertransplantation, INH Isoniazid, PIZ Pirazinamid, RIP Rifampicin
aH2-Rezeptorantagonist, nicht in Deutschland erhältlich
bCyclooxygenaseinhibitor, nicht in Deutschland erhältlich
cBenzodiazepinanalogon, nicht in Deutschland erhältlich
dKombinationspräparat, nicht in Deutschland erhältlich, 1997 vom Markt genommen
eFluorchinolon, nicht in Deutschland erhältlich, 1999 vom Markt genommen
Zur Einschätzung, ob es sich um eine medikamentöse Ursache handelt, wurden mehrere Scores entwickelt. Der derzeit am weitesten verbreitete ist der RUCAM-Score, der in der Tab. 5 dargestellt wird.
Tab. 5
RUCAM-Score zur Erkennung arzneimitteltoxischer Wirkungen. (Angepasst nach Danan und Benichou 1993)
Zeitlicher Verlauf: Beginn der Erkrankung seit Beginn der Medikation
Initiale Behandlung: 5–90 Tage; folgende Behandlung: 1–15 Tage
+2
Initiale Behandlung: <5 oder >90 Tage; folgende Behandlung: >15 Tage
+1
Seit Beendigung der Medikation: ≤15 Tagea
+1
Verlauf
ALT sinkt ≥50 % vom Maximalwert innerhalb von 8 Tagen nach Absetzen
+3
ALT sinkt ≥50 % vom Maximalwert innerhalb von 30 Tagen nach Absetzen
+2
Bei fortgesetzter Medikation
0
Risikofaktoren
Alkohol
+1
Kein Alkohol
0
Alter >55 Jahre
+1
Alter >55 Jahre
0
Begleitmedikation
Begleitmedikation mit ähnlichem Therapiebeginn
-1
Begleitmedikation mit ähnlichem Therapiebeginn, Hepatotoxizität bekannt
-2
Begleitmedikation, die bei Reexposition erneute Hepatotoxizität auslöst
-3
Anzahl der nichtmedikamentösen Ursachen
Hepatitis A, B oder C, Gallengangverschluss; Alkoholismus (AST ≥2 × ALT); kürzliche Hypotension; CMV, EBV oder HSV-Infektion ausgeschlossen
 
Alle ausgeschlossen
+2
4–5 ausgeschlossen
+1
<4 ausgeschlossen
-2
Nichtmedikamentöse Ursache sehr wahrscheinlich
-3
Informationen über Hepatotoxizität der Medikation
Im Beipackzettel/Fachinformationen
+2
“Case Reports”, nicht in Fachinformation
+1
Unbekannte Reaktion
0
Reexposition
Positiv (ALT verdoppelt sich, nur fragl. Medikation eingesetzt)
+2
Vereinbar (ALT verdoppelt sich, begleitende Ursachen möglich)
+1
Negativ (Anstieg von ALT ≤2× ULN)
-2
Nicht erfolgt
0
Score >8; sehr wahrscheinlich, Score 6–8: wahrscheinlich, Score 3–5: möglich, Score 1–2: unwahrscheinlich, Score ≤0: ausgeschlossen
ALT Alanin-Aminotransferase, AST Aspartat-Aminotransferase, CMV Cytomegalovirus, EBV Epstein-Barr-Virus, HSV Herpes-simplex-Virus, ULN obere Normgrenze
aBei cholestatischem Bild: ≤30 Tage

Therapie

Zentraler Therapiebestandteil bei arzneimittelinduzierter Leberschädigung ist die frühe Erkennung und ein sofortiges Absetzen der Medikation. Eine Besserung der Leberwerte als Korrelat der akuten Entzündungsreaktion kann im Schnitt nach ca. 1–2 Monaten erwartet werden. Weitere hepatotoxische Medikamente sollten ebenfalls abgesetzt werden (Teschke 2002).
Eine spezifische Therapie für eine arzneimittelinduzierte Leberschädigung besteht für Paracetamol. Paracetamol ist in der industrialisierten Welt eine der häufigen Ursachen von arzneimittelinduziertem Leberversagen. Eine Schädigung kann infolge einer einmaligen Dosis oder auch einer multiplen Gesamtdosis erfolgen. Fasten und Alkoholabusus erhöhen dabei das Risiko für einen Leberschaden durch Enzyminduktion und Depletion der Glutathionreserven. Bei akuter Vergiftung durch eine Paracetamol-Alkohol-Kombination bewirkt Alkohol initial einen gewissen Schutz durch Blockierung des weiteren Paracetamolabbaus. Im Anschluss an den Abbau des Alkohols kommt es jedoch zu einer Rebound-Aktivierung des Enzyms CYP2E1 mit konsekutiver Zunahme der Leberschädigung. Ein anfänglich milder Verlauf bei Alkoholintoxikation sollte demnach entsprechend gut kontrolliert werden und nicht von einer Besserung ausgegangen werden (Thummel et al. 2000).
Bei Verdacht auf auf eine Paracetamolvergiftung sollte sofort eine Therapie mit N-Acetylcystein (NAC) eingeleitet werden (initial 140 mg/kg in 300 ml 5 % Dextrose über 1 Stunde und 70 mg/kg in 5 % Dextrose alle 4 Stunden über 1 Stunde für insgesamt 48 Stunden). Die Überlebensraten liegen bei ca. 80 % (Smilkstein et al. 1988).
Auch bei nicht durch Paracetamol bedingten Leberschädigungen zeigt die Gabe von NAC in einem frühem Stadium eine Verbesserung der Mortalität (Lee et al. 2009).
Bei Zeichen einer Leberfunktionseinschränkung (INR >1,5) oder beginnender Enzephalopathie ist der Kontakt zu einem Transplantzentrum dringend anzuraten, um gegebenenfalls eine Lebertransplantation vornehmen zu können.
Als symptomatische Therapie kann eine Vitamin-K-Gabe eingeleitet werden. Zur Therapie der hepatischen Enzephalopathie sollte mindestens einmal täglich ein weicher Stuhlgang angestrebt werden. Dazu ist die Gabe von Laktulose und ggf. Schwenkeinläufe bei manifester Enzephalopathie sinnvoll. Zusätzlich kann Ornithinaspartat (18 g/24 Stunden) gegeben werden (Staedt et al. 1993).
Bei Cholestase kann eine Therapie mit Ursodeoxycholsäure erwogen werde, ein Nutzen im Rahmen von arzneimittelinduzierter Leberschädigung ist jedoch bisher nicht nachgewiesen worden.
Bei einer Autoimmunhepatitis können Steroide, allerdings restriktiv und kurz, eingesetzt werden. Infektiöse Ursachen sollten vorher ausgeschlossen werden.

Verlauf und Prognose

Zur groben Einschätzung des Verlaufs kann man sich an der 10er-Regel nach Hyman Zimmerman orientieren. 1–10 % der Patienten weisen eine >3× ULN-ALT-Konzentration auf, die jedoch im Regelfall nur mit einer geringen Schädigung, respektive einer Toleranzentwicklung einhergeht.
10 % dieser Patienten entwickeln einen Ikterus und klinische Symptome einer Leberschädigung und 10 % dieser Patienten versterben an den Folgen eines akuten Leberversagens bzw. bedürfen einer Lebertransplantation.
Aus den Parametern ALT und Bilirubin lässt sich ein Rückschluss auf die Mortalität ziehen. ALT >2× ULN und Bilirubin >2× ULN entspricht einer 10–50 %igen Mortalität ("Hy‘s Law") (Andrade et al. 2005).
Der Verlauf und die Prognose sind stark abhängig vom auslösenden Agens und dem daraus resultierenden Pathomechanismus. Bei idiosynkratischen Reaktionen tritt eine spontane Erholung in <25 % der Fälle ein, während bei der relativ häufigen Paracetamolvergiftung eine Erholung in >50 % der Fälle eintritt.
Zur Einschätzung der Regeneration der Leber kann Alpha-Fetoprotein (AFP) verwendet werden, wobei ein AFP von >50 ng/ml mit einer deutlich erhöhten Überlebenswahrscheinlichkeit einhergeht (Murray-Lyon et al. 1976).
Bei der Beurteilung des Verlaufes ist zu beachten, dass die im Rahmen von arzneimitteltoxischen Nebenwirkungen hervorgerufene Cholestase länger als der hepatozelluläre Schaden andauert, eine Überdiagnostik sollte in diesem Fall vermieden werden.
Da sich bei rechtzeitigem Erkennen einer möglichen hepatotoxischen Nebenwirkung durch frühes Absetzen des auslösenden Medikamentes ein meistens gutartiger Verlauf entwickelt, kommt der Prävention eine erhebliche Bedeutung zu. Bei bekannten hepatotoxischen Substanzen ist es sinnvoll, einige Tage nach Therapiebeginn und dann auf monatlicher Basis eine orientierende Kontrolle der Leberwerte durchzuführen.
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