Definition
Die übliche Festlegung, dass das Herz unterhalb einer Frequenz von 60/min zu langsam arbeite (Bradykardie
), greift offensichtlich zu kurz. Die Grenze gilt nicht im Neugeborenen- und Kindesalter (Paul et al.
2010), ist bei trainierten Sportlern eindeutig zu hoch angesetzt (Bjornstad et al.
1994; Pressler und Halle
2012) und wird durch Langzeit-EKG-Registrierung – selbst im Alter zwischen 6 und 16 Jahren (Lindinger und Hoffmann
1984) – nicht gestützt. Da Herzraten sich üblicherweise auf eine Zeiteinheit beziehen, sind sie zur Kennzeichnung von Pausen, auch symptomatischen, ungeeignet. Letztlich ist der angegebene Ruhewert nicht repräsentativ für das Frequenzverhalten unter Belastung, das in Form der chronotropen Inkompetenz Beschwerdebild und Prognose bestimmt (Jorde et al.
2008; Lauer et al.
1996). Die wenigen Bemerkungen legen nahe, behandlungsbedürftige Bradykardie an der Symptomatik festzumachen (Brignole et al.
2013), während die Evidenz für prognostische Therapieindikationen begrenzt ist.
Pathophysiologie
Sieht man vom Konzept der „panconductional disease“ ab, welche das gesamte Reizbildungs- und Leitungssystem des Herzens betreffen kann (Rakovec et al.
1982; Narula
1971), so wird Bradykardie entweder durch verminderte Bildung oder durch Blockierung in der Fortleitung elektrischer Reize
an das Myokard verursacht. Erstgenannte Störung lokalisiert sich vordergründig im Sinusknoten
, dem natürlichen Taktgeber des Herzens, der in einer unscharf begrenzten Region des rechten oberen Vorhofs lokalisiert ist, über spontane diastolische Depolarisation zur elektrischen Automatie fähig (DiFrancesco und Camm
2004) sowie hormonell und mittels sympathischer und vagaler Fasern an die vegetative Frequenzregulation angekoppelt ist. Die Sinusknotenregion kann zellulär verarmen, von
Fibrose durchsetzt sein und Funktionsmängel zeigen (Sanders und Morton 2004), die in zu langsame Herzschlagfolge und Pausen oder in einen Wechsel zwischen (Sinus-)Bradykardie und Tachyarrhythmie (meist
Vorhofflimmern) münden.
Verzögerte Erregungsleitung kann alle Strukturen des spezifischen Leitungssystems betreffen, manifestiert sich klinisch jedoch meist als atrioventrikuläre (AV-)Blockierung
. Dabei gilt es zu unterscheiden, ob die Störung im AV-Knoten selbst oder darunter lokalisiert ist. Weil vegetative Einflüsse nodal sehr wohl, infrahisär aber kaum wirksam sind, kann ein nächtlicher AV-Block 3. Grades mit schmalen Kammerkomplexen allein vagal verursacht und benigne sein, während ein weiter distal gelegener, meist am breiten QRS erkennbarer Block eher strukturell bedingt ist und eine ominöse Prognose anzeigt. Die Unterscheidung gelingt oft mit vegetativen Provokationstests, die mit Steigerung des Sympathikotonus (Belastung,
Katecholamine) die nodale Leitung verbessern, mit Erhöhung der Vorhoffrequenz jedoch die Leitungskapazität infrahisärer Strukturen überfordern und die AV-Untersetzung verstärken können (Wellens und Conover
1992). Umgekehrt gilt für vagotone Intervention (Carotissinusmassage), dass die Leitung sich nodal verschlechtert und infrahisär weitgehend unbeeinflusst bleibt.
Nicht zwanglos in dieses Schema fügen sich paroxysmale (zu unterscheiden von intermittierenden) AV-Blockierungen
, die funktionell ausgelöst werden, jedoch auf manifeste faszikuläre Leitungsstörungen treffen können. Sie treten plötzlich, oft aus völlig normalen Leitungsbedingungen im AV-Knoten
auf, sind gefolgt von einer länger andauernden Asystolie und werden unterschiedlichen Mechanismen zugeschrieben (wiederholt verborgene, letztlich blockierte Leitung von P-Wellen im AV-Knoten, diastolische Spontandepolarisationen [Phase-IV-Block] in der distalen AV-Knoten-Region oder im verbleibenden Faszikel des His-Purkinje-Systems [Rosenbaum et al.
1973; el-Sherif et al.
1974], Einfall von P-Wellen in die supernormale Phase eines geschädigten His-Purkinje-Systems [Rardon et al.
2000]).
Das Produkt aus Herzfrequenz und Schlagvolumen ergibt unmittelbar die Herzauswurfleistung. Bradykardie ist dennoch nicht zwangsläufig von Mangelsymptomen gefolgt, die in Müdigkeit, Belastungsminderung, manifester
Herzinsuffizienz,
Schwindel oder
Synkopen bestehen können. Grund dafür ist die Fähigkeit zur Kompensation mittels erhöhten Schlagvolumens, die individuell sehr unterschiedlich ausfällt, bei Sportlern gar als Normalzustand zu begreifen ist, bei schwerem Pumpversagen der linken Herzkammer aber den erschöpften Frank-Starling-Mechanismus kaum noch nutzen (Komamura et al.
1993; Gill et al.
2006; siehe aber auch Holubarsch et al.
1996; Weil et al.
1998) und deshalb auch ganz ausbleiben kann. Die Vorstellung, durch höhere Schlagzahl das Herzzeitvolumen signifikant steigern und so eine Herzinsuffizienz bessern zu können, trifft sicher nur akut und für kurze Zeit zu, weil sich einerseits Herzfrequenz und Schlagvolumenkompensation rasch ausnivellieren (Nager et al.
1966) und andererseits dauerhafte Frequenzerhöhung sowie chronische (Ventrikel-)Stimulation entweder keinen Effekt auf die Prognose oder sogar deletäre Konsequenzen haben (Böhm und Reil
2013; Nahlawi et al.
2004; Dolder et al.
1975).
Kaum weniger ambivalent ist die Datenlage zur chronotropen Inkompetenz
. Auch wenn die pathophysiologische Rolle der Herzfrequenz bei der Kreislaufanpassung an gesteigerte metabolische Anforderungen unbestritten ist (Alt
1986), so scheint aktive Frequenzmodulation durch Schrittmacher nur bei ausgeprägter chronotroper Inkompetenz nützlich (Lemke
1997), selten effektiv (Lamas et al.
2007), für symptomatisches „Overpacing“ anfällig (Kay et al.
1995; Epperlein et al.
1996) und mit dem Risiko kardialer Dekompensation behaftet (Lamas et al.
2007). Letzteres ist bei unzureichend behandelter Koronarinsuffizienz sofort einsichtig, droht aber auch bei zu aggressiver Beschleunigung insuffizienter Herzen (Kindermann et al.
2002), obwohl diese oft eine strukturelle (Sanders et al. 2004) und/oder medikamentös aggravierte Sinusknotenfunktionsstörung aufweisen und von einer wohlabgewogenen Frequenzreserve profitieren könnten (Tse et al.
2005). Auch für die
Herzinsuffizienz ohne primäres Pumpversagen (HFNEF) ist eine chronotrope Inkompetenz typisch (Borlaug et al.
2006), Interventionsstudien mit aktiver Frequenzmodulation fehlen.
Epidemiologie
Eine Sinusknotenfunktionsstörung
(SSS) ist bei Kindern die Ausnahme und kommt noch am ehesten nach umfangreicher atrialer Chirurgie kongenitaler Malformationen (z. B. nach Fontan-Prozedur) vor. Alte Serien finden symptomatische sinoatriale Erkrankungen erst jenseits des 40. Lebensjahrs (Rokseth und Hatle
1974), andere beschreiben eine bimodale Altersverteilung (Rubenstein et al.
1972), deren Häufigkeitsgipfel in der dritten Lebensdekade eher extrinsische Ursachen der (teils profunden, aber asymptomatischen) Bradykardie nahelegt. Jenseits des 50. Lebensjahrs wird die Inzidenz mit 0,17 % angegeben (Kulbertus et al.
1973); eine klare Geschlechtspräferenz fehlt. Abhängig von Klientel und therapeutischen Konsequenzen macht das
Sinusknotensyndrom 10–34 % der untersuchten Bradykardien aus (Rokseth und Hatle
1974). In der deutschen
Qualitätssicherung steht ein Anteil von 37 % aller Schrittmacherindikationen unter dem Vorbehalt, dass diese bisher auch mit Empfehlungsgrad IIb noch als leitlinienkonform galten und die Zahl von jährlich rund 350 Neuimplantationen pro 1 Million Einwohner nicht ausnahmslos harter Indikation entspricht (Markewitz
2012).
Eine angeborene drittgradige AV-Blockierung findet sich bei einer von 14–20.000 Lebendgeburten und ist zu 90–99 % aller vor dem sechsten Lebensmonat diagnostizierten Fälle auf eine Bindegewebserkrankung der Mutter mit transplazentarem Übergang von Anti-Ro- und/oder Anti-La-Antikörpern auf den Feten zurückzuführen (Jaeggi et al.
2002). Trotz früher Elektrostimulation wird diesen Kindern eine schlechte Prognose attestiert, die wechselnd mit dem Nachweis materneller
Antikörper oder dem Zeitpunkt der AV-Block-Diagnose in Verbindung gebracht und durch frühzeitige schwere
Herzinsuffizienz bestimmt wird (Moak et al.
2001; Jaeggi et al.
2002; Kurosaki et al.
2008). Für peri- und postnatal festgestellte Blockierungen ohne begleitende Malformation scheinen symptomatische und Überlebensprognose günstig (Jaeggi et al.
2002; Kim et al.
2007), allerdings ist meist bis zum Erreichen des Erwachsenenalters die Schrittmacher-indikation gestellt (Jaeggi et al.
2002) und bei einer Spontaninzidenz von mehr als 10 % plötzlicher Todesfälle auch gut begründet (Michaelsson et al.
1995).
Ein herzchirurgischer Eingriff ist bei Kindern zweithäufigste Ursache des AV-Blocks und wird im Erwachsenenalter für 4,8 % der Schrittmacherindikationen verantwortlich gemacht (Aqua-Institut
2013). Auch wenn diese Ziffer nicht nach elektrophysiologischer Störung trennt, dürfte mehr als die Hälfte auf AV-Blockierungen zurückgehen (Markewitz
2013). Umgekehrt beträgt die Wahrscheinlichkeit, nach Herzoperation einen Schrittmacher zu benötigen, 2,1 % und variiert mit der Art des Eingriffs, der Position und Zahl korrigierter Klappen zwischen 3,5 und 25 % (Koplan et al.
2003). Interventionelle Verfahren haben ein typisches AV-Block-Risiko, das für TASH (transkoronare Ablation der Septumhypertrophie bei hypertropher obstruktiver
Kardiomyopathie (HOCM) je nach vorbestehender faszikulärer Blockierung zwischen 6 und 75 % beträgt (Talreja et al.
2004) und für TAVI („transcatheter aortic valve implantation“) von etwa 7 % (Edwards-Modell) bis zu 50 % (CorValve-Prothese) reichen kann (Markewitz
2013). Es bleibt abzuwarten, ob diese Raten mit neuer Konstruktion, insbesondere niedrigerer Prothesenbauhöhe im linksventrikulären Ausflusstrakt abnehmen.
Auch mit Lyse und perkutaner Koronarintervention (PCI) sind etwa 7 % der akuten
Myokardinfarkte durch höhergradige AV-Blockierung (Meine et al.
2005) und transiente (18,4 %) wie persistierende (5,3 %) intraventrikuläre Leitungsanomalien kompliziert (Vardas et al.
2007). Um das Risiko des plötzlichen Herztods oder höhergradigen AV-Blocks nach Myokardinfarkt abschätzen zu können, sind noch in der Vor-Revaskularisationsära Indikatoren erarbeitet worden, die ihre Gültigkeit behalten haben. Prognostisch bedeutsam sind danach im Elektrokardiogramm (
EKG) neu aufgetretene AV-Blockierungen ersten bis dritten Grades, (vor allem alternierende) Schenkelblockierungen und bifaszikuläre Blockbilder, die Infarktlokalisation (anterior versus nicht anterior) sowie die Anamnese früherer Infarktereignisse (Hindman et al.
1978a,
b). Gemeinsames Bindeglied zwischen diesen Kriterien ist das Ausmaß myokardialer Schädigung, das mit dem Grad elektrischer Leitungsstörung, mit der Zahl bereits früher abgelaufener Infarkte und mit einer Nekrose im Versorgungsgebiet des Ramus interventricularis anterior der linken Kranzarterie zunimmt und die Prognose maßgeblich beeinflusst. Weil zu Infarktbeginn schon bestehende Schenkelblockierungen mit einer erhöhten Basismorbidität vergesellschaftet sind, ist ihre prädiktive Bedeutung fraglich (Wong et al.
2006). Dagegen markiert die Neumanifestation eines Schenkelblocks innerhalb der ersten 60 Minuten nach Aufnahme wegen Infarkts eine erhöhte 30-Tage-Mortalität (relatives Risiko 2,23 bis 2,97; Wong et al.
2006). Die Daten verlieren nach der Hospitalphase weitgehend ihre prognostische Verlässlichkeit.
Auch infektionsbedingte AV-Blockierungen sind meist transient und bilden sich unter antibiotischer Behandlung oder mit dem Abklingen der Infektionssymptome zurück. Bakterielle
Endokarditis (vor allem der Aortenklappe) kann abszedieren, das spezifische Reizleitungssystem direkt schädigen und dauerhaft unterbrechen. Die von Protozoen ausgelöste Chagas-Krankheit
führt über diffuse und fokale
Myokarditis zu
Fibrose und Blockierung im Reizleitungssystem (Rassi Jr. et al.
2010). Bei der Lyme-Borreliose
ist in 8–10 % der Verlauf durch eine Myokarditis mit Beteiligung des proximalen AV-Knotens kompliziert, die sich unter antibiotischer Therapie einschließlich Kortikoiden binnen 1–2 Wochen meist zurückbildet.
Eine erhöhte Inzidenz von Reizleitungsstörungen ist im Rahmen entzündlicher Myokardbeteiligung bei
Kollagenosen und anderen Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises beschrieben. Infiltrative Erkrankungen wie
Hämochromatose, Amyloidose oder
Sarkoidose führen zum AV-Block, letztere in bis zu 20 % der Fälle (Fleming
1986). Kaum nachzuweisen sind idiopathische Überleitungsstörungen, die mit bilateralem Schenkelblock infolge zunehmender Fibrosierung des proximalen Reizleitungssystems (Levsche Erkrankung; Lev
1964) oder mit fortschreitender
Fibrose distaler und mittlerer Strukturen bis hin zum totalen AV-Block (Lenègre-Degeneration; Iturralde-Torres et al.
2008) einhergehen.
Bei einer Reihe neuromuskulärer Erkrankungen, namentlich der Emery-Dreifus-Muskeldystrophie und dem Kearns-Sayre-Syndrom, treten Schenkelblockierungen und infranodale AV-Blockierungen auf. Weil es dabei ohne Vorwarnung zum totalen Block ohne Ersatzrhythmus kommen kann (Lazarus et al.
2002), sehen die amerikanischen Leitlinien eine abgestufte Prophylaxe des plötzlichen Herztods durch Schrittmacher vor (Epstein et al.
2013).
Der Großteil erworbener AV-Blockierungen wird chronisch-degenerativen Veränderungen im Reizleitungssystem zugeschrieben, die häufig mit einer kardiovaskulären Grunderkrankung (
arterielle Hypertonie, ischämische Herzerkrankung,
Kardiomyopathie, kalzifizierende Aortenstenose) assoziiert sind. Obwohl bei der Ätiologieabfrage der deutschen
Qualitätssicherung als “unbekannt“ apostrophiert, macht diese Gruppe etwa 80 % der Indikationen zur Schrittmachertherapie wegen AV-Blocks aus und damit jährlich etwa 284 Implantationen pro 1 Million Einwohner der Bundesrepublik.
Klinik
Sicher eindrücklichste Manifestation einer Bradykardie ist die
Synkope. Sie folgt meist einer Pause in der Herztätigkeit, unabhängig davon, auf welcher Ebene des Reizbildungs- und Leitungssystems diese erzeugt wird. Weil dies so ist, zeigen Sturz oder Verletzung nicht eine besondere Gefährdung des Patienten an, sondern lassen nur auf den plötzlichen Eintritt des Ereignisses schließen. Häufig werden Schwindelanfälle als Abortivform der Synkope interpretiert, doch ist der Zusammenhang zwischen solchen Präsynkopen und kompletter Bewusstlosigkeit (Adams-Stokes-Anfall
) unklar (Moya et al.
2009). So wichtig die Unterscheidung deshalb ist, so schwer ist oft der Ablauf des Ereignisses vom Patienten selbst oder seinen Angehörigen zu erfahren. Für einen vollständigen Kontrollverlust sprechen neben der Verletzung ein unwillkürlicher Stuhl- oder Urinabgang, die ähnlich einer Krampfsymptomatik nicht pathognomonisch für ein Anfallsleiden sind. Sicherstes (aber nicht sensitives) Unterscheidungsmerkmal ist der Zungenbiss, der praktisch nur beim epileptischen Anfall vorkommt. Die strukturierte Anamnese wird durch validierte Fragebögen und Scoresysteme erleichtert (Sheldon
2013).
Schwindel, wie er bei markanter Bradykardie entsteht, ist ein Allerweltsymptom (Post und Dickerson
2010). Besonders im Alter ist er alltäglich, kann viele Ursachen haben, unterschiedlich ausgeprägt sein und quält oft unvermindert weiter, wenn ohne klare Korrelation zwischen Symptomatik und Bradykardienachweis eine Stimulationsbehandlung initiiert wird. Lageabhängigkeit, Dreh- oder Schwankschwindel sprechen gegen die bradykarde Genese, Kopfleere oder Schwarzwerden vor den Augen sind eher typisch.
Die vielzitierte bradykarde
Herzinsuffizienz ist im pathophysiologischen Abschnitt schon relativiert. Eine akute Dekompensation mit Lungenstau ist selten die Folge, eher imponieren Leistungsminderung, Belastungsdyspnoe und schleichende Ödemansammlung. Beim drittgradigen AV-Block mit ventrikulärem Ersatzrhythmus um 30/min mag die frequenzabhängige Minderleistung des Herzens unmittelbar einsichtig sein, eine Sinusbradykardie um 50/min begründet sie weniger, besonders, wenn schon geringe körperliche Bewegung mit einem Frequenzanstieg beantwortet wird. Bei Müdigkeit, Antriebsarmut und fehlendem Lebensmut bedarf es der Abgrenzung zur (Alters-)Depression.
Mangelnde Belastbarkeit wegen unzureichenden Frequenzanstiegs kommt mit und ohne kardiale Funktionsstörung vor. Der Beitrag der Chronotropie zur individuellen Pathophysiologie wird selten vom Patienten selbst vermutet, meist bedarf es einer Funktionsdiagnostik nach speziellem Protokoll und klaren Kriterien der chronotropen Inkompetenz.
Statt Ursache kann Bradykardie präfinales Symptom einer Erkrankung darstellen und geht dann häufig mit
Hypoxämie, Hypotonie und zuweilen pulsloser elektrischer Aktivität einher (Neumar et al.
2010; Gang et al.
2010). Nicht umsonst ist im Reanimationsfall die (zu) langsame Herztätigkeit prognostisch ungünstiger als eine Tachyarrhythmie, wobei das Quotenverhältnis der Überlebenswahrscheinlichkeit bis zur Entlassung 0,13 [0,05–0,3] (OR; 95 %-Konfidenzintervall) für alle initialen Rhythmen außer Kammerflimmern und
ventrikulärer Tachykardie beträgt (Skrifvars et al.
2006). Außerhalb der Intensivstation gehen In-Hospital-Arrests 3,8-mal häufiger tödlich aus, wenn während mindestens zwei der letzten zehn Minuten vor dem Ereignis eine Bradykardie <60/min dokumentiert wurde (Bhalala et al.
2012). Prognostische Scores sind in der Notfallentscheidung nur begrenzt hilfreich (Ebell et al.
1997) und verlieren zudem – auch aus ethischen Gründen – gegenüber Alter, Gebrechlichkeit, metastasierenden oder malignen hämatologischen Erkrankungen an Bedeutung (Ebell und Afonso
2011).
Therapie
Sind bradykarde Rhythmusstörungen
gesichert oder Hinweise auf eine drohende AV-Blockierung zusammengetragen, muss unterschieden werden, ob die Behandlung aus symptomatischer oder präventiver Intention erfolgen soll. Diese Differenzierung ist wichtig, weil für das
Sinusknotensyndrom eine Prognoseverbesserung durch Stimulation nicht belegt ist (Shaw et al.
1980), sodass die Schrittmacherindikation allein durch die Symptomatik bei Bradykardie begründet wird und nach Leitlinie der Zusammenhang zwischen beiden dokumentiert oder zumindest wahrscheinlich sein muss (Brignole et al.
2013). Umgekehrt ist der alternierende Schenkelblock im
EKG eine prophylaktische Klasse-I-Indikation, auch wenn er bisher gänzlich asymptomatisch geblieben ist (Brignole et al.
2013).
Eine chronische Pharmakotherapie bradykarder Rhythmusstörungen existiert nicht, kurzdauernde (oder vermutlich reversible) Bradykardien können jedoch und sollten auch medikamentös angegangen werden, weil temporäre transvenöse Stimulation mit einem hohen Komplikationsrisiko belastet ist (Betts
2003; López Ayerbe et al.
2004; Brignole et al.
2013). Vagolytische Substanzen wirken gut auf den Sinusknoten und sind oft bei proximaler (nodaler) AV-Leitungsstörung erfolgreich. Typische Anwendungsgebiete sind vagale Reaktionen auf
Schmerz und intestinale Dehnung im Rahmen endoskopischer Diagnostik oder eine Bradykardie bei
Myokardinfarkt, die bei Lokalisation an der Hinterwand den Sinus- und AV-Knoten betreffen kann. Sympathikomimetika sollten erst bei unwirksamer Vagolyse zum Einsatz kommen, sind aber auch einzig erfolgversprechendes Wirkprinzip, das bei infrahisärer Blockierung
den ventrikulären Ersatzrhythmus zu beschleunigen vermag. In der akuten Infarktsituation ist zu berücksichtigen, dass
Katecholamine durch Proarrhythmie und Steigerung des myokardialen Sauerstoffbedarfs ungünstig wirken. Beim Infarkt markieren infrahisäre Blockierungen zudem meist große Nekrosen (im Vorderwandbereich), die durch plötzliche Unterbrechung der AV-Leitung und Frequenzabfall die Hämodynamik einbrechen lassen, die hospitale Überlebensprognose dramatisch verschlechtern (Hindman et al. 1978; Wong et al.
2006) und die prophylaktische oder therapeutische Anlage eines transvenösen Stimulationskatheters
rechtfertigen (Hindman et al. 1978).
Unter Einbezug dieser Betrachtungen nennen die ESC-Leitlinien aus 2013 nur noch wenige Indikationen zur
temporären Stimulation (Brignole et al.
2013):
Aus der Praxis zu ergänzen sind vielleicht:
Außerhalb extremer Notlagen wird von transkutaner Rhythmusunterstützung
abgeraten (Brignole et al.
2013). Das transvenöse Bridging
bis zur Implantation eines permanenten Systems sollte nach Möglichkeit vermieden oder zumindest abgekürzt werden, weil Wartezeiten mit Infektion und plötzlichem Arrest belastet sind (Risgaard et al.
2012). Kapazitätsprobleme deuten auf Organisationsversagen.
Die feinziselierte Abstufung bei den Indikationen zur permanenten Stimulation, die sich in der Synopsis vormaliger Leitlinien nachlesen lässt (Rybak et al.
2008), hat mit den jüngsten ESC-Empfehlungen (Brignole et al.
2013) eine andere Systematik erhalten: Gefordert wird eine symptomatische Bradykardie, welche die Dokumentation einer Symptom-Rhythmus-Korrelation voraussetzt und Abweichungen davon nur unter strengen Kriterien und mit schwächerer Empfehlungsklasse zulässt. Folgerichtig wird zwischen persistierender und intermittierender Bradykardie unterschieden, weil letztere mit ihrer Inkonstanz das Korrelieren von Symptomatik und EKG-Befund erschwert. Allerdings relativiert sich diese Einteilung beim zweit- oder drittgradigen AV-Block wieder, der unabhängig von Symptomen eine Klasse-I-Indikation zur Schrittmacherbehandlung
zugesprochen bekommt. Dass dabei die Symptom-Rhythmus-Korrelation
weniger bedeutsam eingeschätzt wird, gilt im engeren Sinn nur für intrinsische (im Gegensatz zu autonom ausgelösten) AV-Leitungsstörungen und nimmt damit die Systematik der ehemaligen deutschen Leitlinien (Lemke et al.
2005) wieder auf, die beim AV-Block zwischen symptomatischer und prognostischer Stimulationsindikation unterscheiden und elektrokardiographische Hilfestellung zu ihrer Differenzierung bieten (Abschn.
5.2). Gleiches gilt für die Bradykardie bei
Vorhofflimmern, die von den ESC-Leitlinien als Überleitungsproblem im AV-Knoten begriffen wird und deshalb keine eigene Indikationsgruppe bildet. Letztlich gehören seltene Krankheitsbilder wie Laminopathien, myotone Dystrophien oder Mitochondrienerkrankungen hierher, für die keine großen Verlaufsstatistiken existieren, sodass die prognostische Schrittmacherindikation
im Einzelfall zu entscheiden ist (Epstein et al.
2013; Brignole et al.
2013).
Wenn beim
Sinusknotensyndrom der Zusammenhang zwischen Symptom und Rhythmus unklar ist, drängt die Entscheidung zur Stimulationstherapie nicht, weil die günstige Überlebensprognose eine sorgfältige Beobachtung des Patienten oder gar ein Langzeitmonitoring erlaubt. Dieselbe Regel ist auf neurokardiogene Bilder anwendbar, die nur ausnahmsweise und bei hoher Symptomlast den Schrittmacher als Therapieansatz rechtfertigen, nach ILR-Dokumentation einer ursächlichen Asystolie jedoch gut auf Stimulation ansprechen (Brignole et al.
2012). Wegen des wiederholt niedrig gefundenen Risikos eines solchen Vorgehens fordern die Leitlinien auch bei Schenkelblockierungen die gestufte Diagnostik aus EPU und Monitoring mittels ILR. Letztlich gilt auch die chronotrope Inkompetenz als symptomatische Indikation, sofern sie nach Belastungstest oder protokolliertem Langzeit-EKG wesentlich zu Leistungsminderung oder
Herzinsuffizienz beiträgt.
Symptomatische Episoden ohne Korrelat im Langzeitmonitoring widerlegen ihre rhythmologische Genese. Umgekehrt ist alltägliche Erfahrung, dass im Holter-EKG eine Bradykardie dokumentiert wird, ohne dass der Patient ein klinisches Ereignis zu berichten weiß. Dazu gehören nächtliche Sinusbradykardien oder -pausen, AV-Blockierungen zweiten Grades mit unterschiedlichem Untersetzungsverhältnis, ein drittgradiger AV-Block mit schmalen QRS-Komplexen oder
Vorhofflimmern mit Ausdehnung der irregulären RR-Intervalle über etliche Sekunden. Die genannten Konstellationen begründen noch keine Stimulationsindikation.
Die übliche Praxis, einen ätiologischen Zusammenhang zwischen Synkopenanamnese und unabhängig davon dokumentierten EKG-Pausen über drei Sekunden zu vermuten, wird in den ESC-Leitlinien als willkürlich gebrandmarkt und mit Daten dreier Studien (Menozzi et al.
1993; Brignole et al.
2007; Brignole et al.
2012) gekontert, nach denen erst eine Asystoliedauer von mehr als sechs Sekunden Symptome erwarten lässt. Während dieses Kriterium die Klasse-IIa-Indikation zur Schrittmachertherapie begründet, soll in der klinischen Praxis die Korrelationsvermutung schon für Pausen ab drei Sekunden zulässig sein und für eine Klasse-IIb-Empfehlung zur Stimulationsbehandlung ausreichen, sofern dies nicht trainierte junge Menschen, Patienten mit bradykardisierender Medikation oder den Fall betrifft, dass der EKG-Befund während Schlafphasen dokumentiert und/oder andere Symptomursachen noch nicht ausgeschlossen sind.
Welches System bei welcher elektrophysiologischen Störung die beste Wahl darstellt, ist mit den ESC-Leitlinien aus 2013 leichter zu entscheiden als mit dem komplexen Pfad früherer Empfehlungen (Rybak et al.
2008; Fröhlig et al.
2013). Seit der DANPACE-Studie gibt es keine gute Begründung für einen reinen Vorhofschrittmacher
mehr (Nielsen et al.
2011), und wegen unzureichender Datenlage und der Gefahr des Schrittmachersyndroms ist das Konzept des reinen Ventrikelschrittmachers
mit niedriger Interventionsfrequenz (Anfallsverhinderer) verlassen. Jenseits permanenten
Vorhofflimmerns ist System der ersten Wahl die Zweikammerkonfiguration. Abhängig vom ventrikulären Stimulationsbedarf ist dann nur noch zu entscheiden, ob eine Strategie zur Minimierung artefizieller Ventrikelerregung eingeschlagen und ein System mit AV-Management gewählt wird oder ob wegen eingeschränkter Myokardfunktion biventrikuläre statt klassischer DDD-Stimulation indiziert ist.
Verlauf und Prognose
Während sich beim
Sinusknotensyndrom die Überlebensprognose ohne und mit Schrittmacherbehandlung nicht unterscheidet, gibt es für den AV-Block keine vergleichbaren Daten. Die Beobachtung, dass nach Schrittmacherversorgung die Patienten mit intraventrikulärer Leitungsstörung die höchste Mortalität aufweisen (Zehender et al.
1992) und dass chronische Stimulation den natürlichen Verlauf infrahisärer Leitungsstörungen zwar symptomatisch, nicht aber das Überleben verändert (Scheinman et al.
1982), lässt auf die prognostische Bedeutung der kardialen Grundkrankheit und des funktionellen Schadens am Herzen schließen. Dies bestätigen die Daten früh nach
Myokardinfarkt (Hindman et al. 1978).
Die
Schrittmacherimplantation birgt vor allem das Risiko von Sondenkomplikationen und Infektionen. Erstere machen innerhalb drei Monaten postoperativ 3,6 % aus (Kirkfeldt et al.
2011), letztere sind nach Erstimplantation seltener (1,82/1000 Schrittmacherfunktionsjahren) als nach Wiederholungseingriffen (5,32/1000 Schrittmacherjahren; Johansen et al.
2011), bedeuten in den meisten Fällen aber die komplette Explantation des Systems. Chronische (rechtsventrikuläre) Stimulation bedeutet zudem das Risiko, durch Provokation inter- und intraventrikulärer Asynchronien eine
Herzinsuffizienz zu erzeugen oder zu verschlimmern (O'Keefe Jr. et al.
2005; Zhang et al.
2008). Ob diesem Problem zu begegnen ist, indem man die kumulative Stimulationsrate auf das gebotene
Minimum reduziert (Olshansky et al.
2007) oder Asynchronien mittels biventrikulärer Technik zu vermeiden sucht (Curtis et al.
2013), ist nicht endgültig belegt.