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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 25.11.2014

Erbliche und kongenitale Nierenerkrankungen: Andere zystische Nierenerkrankungen

Verfasst von: Martin Pohl
Neben der ADPKD und angeborenen Fehlbildungen führt eine Vielzahl seltener hereditärer Erkrankungen zur Entstehung von Nierenzysten, die entweder obligater Teil des Krankheitsbildes sind oder sich nur bei einem Teil der Patienten manifestieren. Patienten, bei denen eine dieser Erkrankungen diagnostiziert wird, müssen lebenslang durch nephrologisch ausgebildete Ärzte betreut werden.

Autosomal rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD)

Definition

Die ARPKD ist eine autosomal rezessiv vererbte Erkrankung, die durch Sammelrohrerweiterungen in der Niere, Gallengangsdysplasien und eine periportale Leberfibrose gekennzeichnet ist.

Pathophysiologie

Das Krankheitsbild der ARPKD wird durch Mutationen im PKHD1-Gen verursacht. PKHD1 kodiert für den Fibrozystin/Polyductin-Komplex, von dem angenommen wird, dass er die Funktion der primären Monozilie der renalen und biliären Epithelien beeinflusst. Durch die Ziliendysfunktion scheint die Ausdifferenzierung der Tubulus- und Gallengangsepithelzellen gestört zu werden, so dass die für die ARPKD typischen Gallengangs- und Tubulusdysplasien entstehen.

Epidemiologie

Die Inzidenz der ARPKD wird mit 1:20.000 aller Lebendgeburten angegeben und die Erkrankung kommt am häufigsten unter Kaukasiern vor.

Klinik

Die ARPKD entwickelt sich intrauterin und wird aufgrund der typischen Morphologie mit beidseits vergrößerten und hyperechogenen Nieren in den meisten Fällen pränatal oder perinatal diagnostiziert. Gleichzeitig finden sich Gallengangsdysplasien und eine kongenitale Leberfibrose, die aber häufig zunächst klinisch asymptomatisch bleiben. 30–50 % der Neonaten versterben postnatal aufgrund einer Lungenhypoplasie, die durch ein lange bestehendes Oligohydramnion verursacht wurde. Die überlebenden Patienten entwickeln eine progrediente Niereninsuffizienz und Leberfibrose sowie in den meisten Fällen eine ausgeprägte arterielle Hypertonie. In seltenen Einzelfällen liegt eine fast ausschließlich renale oder hepatische Verlaufsform vor. Typische Komplikationen sind schwierig zu beherrschende bakterielle Pyelonephritiden und Cholangitiden sowie eine Leukozytopenie, Thrombozytopenie und Anämie als Folge des Hypersplenismus bei zunehmender portaler Hypertension. Eine kausale Behandlungsmöglichkeit ist nicht bekannt. Langfristig ist mit der Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie zu rechnen, wobei der klinische Verlauf variabel ist. Eine Lebertransplantation kann indiziert sein, falls die Folgen der portalen Hypertension oder auftretende Cholangitiden nicht beherrschbar sind. Die hepatozelluläre Leberfunktion ist in der Regel nicht beeinträchtigt.

Juvenile Nephronophthise – medulläre zystische Nierenerkrankung

Definition

Die juvenile Nephronophthise (NPHP) und die medulläre zystische Nierenerkrankung (MCKD) sind hereditäre Erkrankungen, die durch einen gestörten Aufbau der tubulären Basalmembran, tubuläre Atrophie mit Zystenbildung und interstitielle zelluläre Infiltration mit Fibrosierung gekennzeichnet sind. Die NPHP ist autosomal rezessiv und manifestiert sich im Kindes- und Jugendalter, während die seltenere MCKD autosomal dominant und eine Erkrankung des Erwachsenenalters ist.

Pathophysiologie

Mutationen in vielen verschiedenen Genen sind als ursächlich für die Entwicklung einer NPHP bekannt, wobei die Mehrzahl der NPHP-Erkrankungen bisher genetisch nicht aufgeklärt werden konnte. Alle bisher bekannten von Mutationen bei der NPHP betroffenen Proteine lokalisieren u. a. an der Basis der primären Zilien der Tubulusepithelzellen, so dass von einer Ziliendysfunktion als gemeinsame Ursache aller Formen der Nephronophthise ausgegangen wird. Weitere gewebespezifische Expressionsmuster der verschiedenen Proteine gelten als Erklärung für verschiedene zusätzliche Krankheitsmanifestationen bei Patienten mit NPHP, die in unterschiedlicher Ausprägung bei den verschiedenen mutierten Genen vorkommen können. Bei der deutlich selteneren MCKD sind zwei unterschiedliche genetische Ursachen bekannt, wobei die MCKD1 von Mutationen im MUC1-Gen verursacht wird und die MCKD2 auf Mutationen im Uromodulin zurückzuführen ist.

Klinik

Bei Patienten mit NPHP manifestiert sich die Nierenerkrankung typischerweise zunächst mit einer Polyurie und Polydipsie aufgrund des renalen Konzentrationsdefekts. Typisch sind weiterhin eine ausgeprägte und früh einsetzende Anämie sowie eine Wachstumsretardierung. In der Regel treten bei der isolierten Nephronophthise bis zur fortgeschrittenen Niereninsuffizienz keine weiteren Symptome auf. Komplikationen sind bei der isolierten Nephronophthise selten und Nierenzysten nicht notwendigerweise vorhanden, so dass die Diagnose häufig erst spät gestellt wird. Die terminale Niereninsuffizienz tritt bei der NPHP1 typischerweise zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr ein. Die infantile Nephronophthise (NPHP2) verläuft klinisch unterschiedlich, da sie innerhalb der ersten 5 Lebensjahre zur terminalen Niereninsuffizienz führt, im Unterschied zu den anderen Arten der Nephronophthise eher große Nieren mit kortikalen Zysten aufweist und einen arteriellen Hypertonus verursacht. Bei 10–15 % der Patienten mit NPHP finden sich extrarenale Manifestationen, wovon die kongenitale Lebersche Amaurose oder tapetoretinale Degeneration die häufigsten sind (Senor-Løken-Syndrom). Je nach verursachendem Gen ist die Nephronophthise Teil von Syndromen mit anderen betroffenen Organen (z. B. Joubert-Syndrom, Sensenbrenner-Syndrom, RHYNS-Syndrom, Okulomotorische Apraxie Cogan). NPHP6- und AHI1-Mutationen führen beispielsweise zu einem Joubert-Syndrom mit variabler renaler Beteiligung, während eine NPHP1-Mutation überwiegend eine Nephronophthise mit nur sehr seltener zerebraler Beteiligung im Sinne eines Joubert-Syndroms verursacht. Im Rahmen von Syndromen mit früh auftretenden Symptomen kann die Diagnose schon in den ersten Lebensjahren vor Auftreten der renalen Manifestation gestellt werden.
Die autosomal dominante MCKD, die im Erwachsenenalter auftritt, ist klinisch durch eine Hyperurikämie, z. T. mit typischer Gichtsymptomatik, und medulläre Nierenzysten charakterisiert, die jedoch nicht immer nachweisbar sein müssen. Bei der MCKD1 und MCKD2 ist die klinische Variabilität ausgeprägt. Das Eintreten der terminalen Niereninsuffizienz ist bei der MCKD1 zwischen dem 5. und 76. Lebensjahr und bei der MCKD2 zwischen dem 16. und 60. Lebensjahr beschrieben. Eine Rekurrenz dieser genetischen Erkrankungen nach Nierentransplantation ist nicht zu erwarten.

Tuberöse Sklerose

Definition

Die Tuberöse Sklerose (TSC) ist eine autosomal dominante Erkrankung, die durch multiple Hamartome in verschiedenen Organen, v. a. den Nieren, dem ZNS, der Haut, dem Herz und der Lunge gekennzeichnet ist.

Pathophysiologie

Die TSC wird durch Mutationen im TSC1- oder TSC2-Gen verursacht. Da TSC2 direkt neben dem PKD1-Gen liegt, kann eine Deletion von Anteilen beider Gene als „Contigeous Gene Syndrome“ zu einem Phänotyp einer TSC mit Zystennieren führen. Die beiden Genprodukte des TSC1- und TSC2-Gens, Tuberin und Hamartin interagieren miteinander, hemmen als Komplex mTOR („mammalian target of rapamycin“) und wirken damit antiproliferativ. Betroffene Patienten tragen eine heterozygote Mutation und bei Auftreten einer zweiten somatischen Mutation in einzelnen Zellen bilden sich durch den Verlust der antiproliferativen Wirkung bzw. der Aktivierung von mTOR Hamartome oder auch proliferierende Zysten.

Epidemiologie

Die Häufigkeit der TSC liegt bei 1:6000. Sie tritt in der überwiegenden Zahl der Fälle sporadisch auf und ist klinisch variabel ausgeprägt. TSC1-Mutationen verlaufen klinisch milder. Es wird angenommen, dass somatische Zweitmutationen bei TSC2 häufiger vorkommen und sich daher rascher Hamartome bilden.

Klinik

Die Hamartome treten in einer Vielzahl von Organen auf und führen mit der Zeit zu einem typischen Krankheitsbild. Am auffälligsten sind die fazialen Angiofibrome und Nagelfibrome. Eine frühe Diagnose kann mit der Wood-Lampe gestellt werden, die zur Erkennung hypomelanotischer Flecken führt. Direkt nach Geburt können kardiale Rhabdomyome nachweisbar sein, die jedoch im Verlauf regredient sind. Hinzu kommen kortikale Tubera, subependymale Knötchen, häufig die Entwicklung eines Krampfleidens bereits im ersten Lebensjahr, eine unterschiedlich ausgeprägte mentale Retardierung und bei manchen Patienten die spätere Entwicklung von Riesenzellastrozytomen. Bei den meisten Patienten findet sich im Verlauf eine Nierenbeteiligung in Form typischer und mit dem Alter an Größe und Zahl zunehmender renaler Angiomyolipome. Ungefähr die Hälfte der Patienten entwickeln auch Nierenzysten. Langfristig ist die Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz möglich. Im Vergleich zu Patienten mit ADPKD finden sich bei der TSC weniger Zysten in der Niere und Leberzysten fehlen. Im Erwachsenenalter entwickelt sich bei manchen Frauen mit TSC eine therapeutisch schlecht beeinflussbare pulmonale Lymphangioleiomyomatose.

Therapie

Angiomyolipome können zu plötzlichen, lebensbedrohlichen und chirurgisch schwierig zu beherrschenden Blutungen führen. Das Risiko der Entwicklung eines Nierenzellkarzinoms im Verlauf des Lebens beträgt 2–3 %. Die Unterscheidung von Angiomyolipomen und malignen Nierentumoren ist mit radiologischen Methoden häufig nicht sicher möglich, so dass sich bei rasch wachsenden Tumoren die Frage nach einer histologischen Untersuchung stellt. Bei großen, die Organgrenzen überschreitenden Angiomyolipomen scheint das Risiko bedrohlicher Blutungen ebenfalls erhöht zu sein. Die Indikation für einen nephronsparenden chirurgischen Eingriff oder eine selektive Embolisation aufgrund der Möglichkeit einer malignen Entartung oder zur Reduktion des Blutungsrisikos ist eine individuelle Abwägung unter Einbezug der Tumoranzahl, -lokalisation und -morphologie, für die keine generellen Empfehlungen gegeben werden können.
Möglicherweise fördern Östrogene das Wachstum der Angiomyolipome, da sie bei Frauen häufiger auftreten und in der Schwangerschaft das Wachstum und das Blutungsrisiko zunehmen. Eine Gabe von Östrogenen sollte daher sorgfältig abgewogen werden.
Eine Therapie mit mTOR-Inhibitoren greift direkt in die gestörte intrazelluläre Signalkaskade ein, da die bei der TSC verstärkte mTOR-Aktivierung gehemmt wird. In einzelnen Studien konnte gezeigt werden, dass die Gabe des mTOR-Inhibitors Everolimus sowohl die Größe der Riesenzellastrozytome als auch der renalen Angiomyolipome reduzieren kann. Seit 2012 ist Everolimus als Behandlungsalternative zu einem chirurgischen Eingriff bei Riesenzellastrozytomen oder Angiomyolipomen zugelassen. Bei Verdacht auf ein Nierenzellkarzinom sollte eine histologische Abklärung angestrebt und Nierenzellkarzinome soweit möglich organerhaltend und nephronsparend chirurgisch reseziert werden.
Wenn eine terminale Niereninsuffizienz auftritt, ist sowohl die Dialyse als auch eine Nierentransplantation mit gutem Erfolg durchführbar. Aufgrund des Blutungs- und Karzinomrisikos kann bei eingetretener Dialysepflicht eine elektive beidseitige Nephrektomie sinnvoll sein.

Von Hippel-Lindau-Erkrankung

Definition

Die von Hippel-Lindau-Erkrankung (VHL) ist eine dominant vererbte Erkrankung mit einem erhöhten Risiko der Tumorentwicklung an Augen, Nieren, Kleinhirn, Spinalmark, Nebennieren, Pankreas und Nebenhoden. Zusätzlich treten Pankreas- und Nierenzysten auf.

Pathophysiologie

Die VHL entsteht durch eine Keimbahnmutation des VHL-Tumor-Suppressor-Gens, die in 80 % der Fälle vererbt und in 20 % der Fälle neu entstanden ist. Das VHL-Protein kontrolliert die Aktivität eines Transkriptionsfaktors HIF-α, der das Wachstum, die Überlebensfähigkeit und die maligne Entartung verschiedener Zellarten fördert. Je nach Art der Mutation ist das Risiko für die Entwicklung eines Phäochromozytoms unterschiedlich. Patienten mit Deletionen oder Abbruch des Leserasters haben ein geringeres Risiko als Patienten mit Missense-Mutationen, so dass eine Genotyp-Phänotyp-Korrelation besteht.

Epidemiologie

Die Inzidenz der VHL-Erkrankung beträgt 1:36.000 Neugeborene. Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen und die Krankheit findet sich bei allen ethnischen Gruppen.

Klinik

Typische Manifestationen der VHL-Erkrankung sind retinale Hämangioblastome, zerebelläre Hämangioblastome, Phäochromozytome und Nierenzellkarzinome. Viele Patienten, bei denen die Diagnose aufgrund eines familiären Indexfalles gestellt wurde, manifestieren nur eine Tumorart. Bei Anlageträgern sind regelmäßige jährliche Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren indiziert.
Nierenzellkarzinome treten bei den VHL-Patienten im Mittel in der 4. Lebensdekade auf, sind oft beidseitig und bei Männern und Frauen gleich häufig. Sie können durch Hämaturie oder Schmerzen symptomatisch werden, werden bei VHL-Patienten jedoch häufig durch Screening-Untersuchungen entdeckt, sind in der Regel niedrig maligne und werden ab einer Größe von mehreren Zentimetern nephronsparend reseziert. 50 % der Todesfälle bei VHL-Patienten werden von metastasierten Nierenzellkarzinome verursacht. Häufig entwickeln VHL-Patienten auch Nierenzysten, die von Tubulusepithelzellen mit einer zusätzlichen somatischen Mutation ausgehen. Eine Niereninsuffizienz ist jedoch sehr selten.
Literatur
Guay-Woodford L (2010) Other cystic diseases. In: Floege J, Johnson RJ, Feehally J (Hrsg) Comprehensive clinical nephrology. Saunders, St. Louis, S 543–559
Bergmann K, Zerres K (2008) Polycystic Kidney disease: ADPKD and ARPKD. In: Geary DF, Schäfer F (Hrsg) Comprehensive nephrology. Mosby, Philadelphia, S 155–178
Omran H, Ermisch-Omran B (2008) Nephronophthisis and medullary cystic kidney disease. In: Geary DF, Schäfer F (Hrsg) Comprehensive nephrology. Mosby, Philadelphia, S 143–153