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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 13.02.2015

Fokal Segmentale Glomerulosklerose (FSGS)

Verfasst von: Marcus J. Möller
Die fokale und segmentale Glomerulosklerose (FSGS) ist eine histologische Diagnose aus der Nierenbiopsie. Sie bezeichnet eine meist langsam fortschreitende Vernarbung (Sklerose) im Glomerulus mit Destruktion und schließlich irreversiblem Verlust der filtrierenden Kapillaren. Die primäre FSGS manifestiert sich ähnlich wie die Minimal-Change-Nephropathie, die Proteinurie kann nephrotisch oder subnephrotisch sein. Die sekundäre FSGS wird meist nebenbefundlich histologisch diagnostiziert. Die klinische Diagnostik besteht aus Anamnese und körperlicher Untersuchung. Wichtige Laborparameter sind Serumkreatinin, Serumeiweiß bzw. Serumalbumin, Serumcholesterin, Elektrolyte. Ein Ultraschall der Nieren ist notwendig, um die Nierengröße und -morphologie zu untersuchen und als Vorbereitung für eine Nierenbiopsie. Bei Erwachsenen muss eine Nierenbiopsie durchgeführt und elektronenmikroskopisch beurteilt werden. Die Klinik und Therapie der primären FSGS ähnelt der Minimal-Change-Nephropathie. Bei der sekundären FSGS mit subnephrotischer Proteinurie steht die Therapie der auslösenden Grunderkrankung im Vordergrund.

Definition

Die fokale und segmentale Glomerulosklerose (FSGS) ist per Definition eine histologische Diagnose aus der Nierenbiopsie (D'Agati et al. 2011). Sie bezeichnet eine meist langsam fortschreitende Vernarbung (Sklerose) im Glomerulus mit Destruktion und schließlich irreversiblem Verlust der filtrierenden Kapillaren. Die FSGS tritt selten primär auf (d. h. ohne ersichtliche spezifische Ursache, also vermutlich meist als Folge einer zugrunde liegenden Minimal-Change-Nephropathie). Weitaus häufiger ist die sekundäre FSGS, als gemeinsame Endstrecke aller sonstigen glomerulären Erkrankungen oder Läsionen, die zu einem chronischen Nierenfunktionsverlust führen können.

Pathophysiologie

Ein sehr breites Spektrum initaler Schädigungen kann eine FSGS auslösen: genetische Mutationen (in Erwachsenen selten), Viren (z. B. HIV meist bei schwarz-afrikanischen Patienten), Medikamente (z. B. Aminoglykoside), ein noch nicht eindeutig identifizierter zirkulierender Permeabilitätsfaktor, maladaptive Reaktionen (z. B. Hyperfiltration bei reduzierter Nierenmasse, Bluthochdruck, Diabetes) und die meisten Glomerulonephritiden. Allen Auslösern gemeinsam scheint eine Schädigung der Podozyten (führt zu Proteinurie) und – im Unterschied zur Minimal-Change-Nephropathie – eine fokale Aktivierung von glomerulären Parietalzellen zu sein (Smeets und Moeller 2012). Im Frühstadium bildet sich eine zelluläre Verbindung zwischen einem Segment des kapillären Konvoluts und der Bowmanschen Kapsel. Der Nachweis solcher Adhäsionen ist diagnostisch und pathophysiologisch für die FSGS bedeutsam, da die Adhäsion als Eintrittspforte für aktivierte Parietalzellen in das betroffene Segment dient. In einem oft selbst perpetuierenden Prozess legen eingewanderte Parietalzellen Matrix ab, was zu einer fortschreitenden fokalen (= nur einige Glomeruli sind betroffen) und segmentalen (= nur einige Segmente des Glomerulus sind betroffen) Glomerulosklerose führt.

Epidemiologie

Wahrscheinlich weil die meisten Zivilisationserkrankungen (z. B. Bluthochdruck, Diabetes, Adipositas) auch zu einer sekundären FSGS führen können, ist die Inzidenz aller Formen der FSGS insgesamt zunehmend. In den USA waren im Jahre 2000 2,3 % der Bevölkerung betroffen (0,2 % in 1980) (Kitiyakara et al. 2004). Im Allgemeinen ist eine FSGS häufiger bei männlichen (ca. 2×) und schwarz-afrikanischen Patienten.
Im Vergleich zu anderen Glomerulopathien mit nephrotischem Syndrom kommen die membranöse Glomerulonephritis, die Minimal-Change-Nephropathie, die primäre FSGS, die membranoproliferative Glomerulonephritis und restliche Glomerulonephritiden im Verhältnis von ca. 40:20:15:7:18 vor (Bhimma et al. 1997; Borok et al. 1997; Lewis et al. 1988).

Klinik

Die primäre FSGS manifestiert sich ähnlich wie die Minimal-Change-Nephropathie (Kap. Minimal-Change-Nephropathie), die Proteinurie kann nephrotisch (ca. 70 %) oder subnephrotisch (ca. 30 %) sein.
Die sekundäre FSGS wird meist nebenbefundlich histologisch diagnostiziert. Die klinischen Befunde sind deshalb auch vom breiten Spektrum der möglichen primären Erkrankung abhängig. Die Proteinurie ist meist geringer. Ödeme, Bluthochdruck, pathologischer Urinstatus (nephritisch oder nephrotisch) sind optionale Befunde.

Diagnostik

Die klinische Diagnostik besteht aus Anamnese und körperlicher Untersuchung, insbesondere Körpergewicht im Verlauf, Ödeme, Auskultationsbefund der Lunge, Abdomen sowie Blutdruck/Puls (primäre Ursache der FSGS?, Folgen der Proteinurie?).
Wichtige Laborparameter sind Serumkreatinin, Serumeiweiß bzw. Serumalbumin, Serumcholesterin, Elektrolyte. Neben dem Urinstatus sollte auch die Proteinuriemenge (24-Stunden-Urinsammlung und/oder Protein-Kreatinin-Ratio im Spoturin) und die Kreatininclearance im 24-Stunden-Urin bestimmt werden. Spezialuntersuchungen sind ggf. zur Diagnose bzw. Ausschluss einer auslösenden Grunderkrankung notwendig.
Eine genetische Untersuchung wird nicht empfohlen, da sie keine therapeutischen Konsequenzen hat (Group, KDIGO KGW 2012).
Ein Ultraschall der Nieren ist notwendig, um die Nierengröße und -morphologie zu untersuchen und als Vorbereitung für eine Nierenbiopsie. Dokumentation von Ergüssen bei nephrotischem Syndrom (auch Perikard und Pleura) und Ausschluss primärer Grunderkrankungen.
Bei Erwachsenen muss eine Nierenbiopsie durchgeführt und elektronenmikroskopisch beurteilt werden, um die Diagnose zu stellen. Für eine Abgrenzung gegenüber anderen Glomerulopathien (insbesondere der Minimal-Change-Nephropathie) ist für die Validität der Diagnose eine hohe Anzahl von Glomeruli in der Biopsie bedeutsam (idealerweise >15 Glomeruli, ggf. zwei Stanzzylinder asservieren). Die histologische Unterteilung der FSGS in „tip lesion“, perihiläre Variante, zelluläre Variante, kollabierende Variante und NOS („not otherwise specified“) ist bislang mit Ausnahme der kollabierenden Variante vor allem von akademischem Interesse.

Differenzialdiagnostik

Insbesondere muss die primäre von der sekundären FSGS durch Ausschlussdiagnostik und dem klinischen Erscheinungsbild unterschieden werden.

Therapie (bei Erwachsenen)

Primäre fokal-segmentale Glomerulosklerose
Die Klinik und Therapie der primären FSGS ähnelt der Minimal-Change-Nephropathie (Therapiealgorithmus Tab. 1). Die Therapieempfehlungen sind zum Teil etwas verschärft, da die FSGS zu irreversiblem Nierenfunktionsverlust führt und oft weniger gut auf eine immunsuppressive Therapie anspricht.
Tab. 1
Therapeutische Optionen der primären FSGS. Im Falle einer sekundären FSGS wird die Therapie auf die Behandlung der auslösenden Primärerkrankungen gelegt. (Modifiziert nach Appel et al. 2010 (Appel und D'Agati 2010))
Subnephrotische Proteinurie ohne Symptome
Supportive Therapie:
1.Optimale Blutdruckeinstellung (<125/75 mmHg)
2. RAAS-Inhibition
3. Statintherapie
4.Eiweißreduzierte Kost
Wenig Proteinurie impliziert die glomeruläre Vernarbung als Ursache und die Abwesenheit einer aktiven Minimal-Change-Nephropathie
Nephrotisches Syndrom, klare klinische Symptome, hohes Risiko für Komplikationen des nephrotischen Syndroms
Supportive Therapie wie oben und Predniso(lo)n 1 mg/kg KG/Tag für bis zu 16 Wochen, wie bei Minimal-Change-Nephropathie
Ähnelt der Standardtherapie der Minimal-Change-Nephropathie
Alternative Therapien oder im Falle einer Steroidresistenz
Supportive Therapie wie oben und
1. Cyclosporin p.o. 3–6 mg/kg KG/Tag + 0,15 mg/kg KG/Tag Prednisolon oder
2. Cyclophosphamid p.o. 2 mg/kg KG/Tag oder
3. MMF p.o. 2–3 g/Tag + hochdosiertes Steroid
Ähnelt der Drittlinientherapie der refraktären Minimal-Change-Nephropathie
KG Körpergewicht, MMF Mycophenolatmofetil, RAAS Renin-Angiotensin-Aldosteron-System
Sekundäre fokal-segmentale Glomerulosklerose mit subnephrotischer Proteinurie
Bei der sekundären FSGS mit subnephrotischer Proteinurie steht die Therapie der auslösenden Grunderkrankung im Vordergrund. Um die Progression der Niereninsuffizienz zu verlangsamen, ist eine optimale supportive Therapie anzustreben:
1.
Optimale Blutdruckeinstellung (möglichst <125/75 mmHg),
 
2.
Salz- und eiweißreduzierte Kost (mindert das extrazelluläre Volumen, den Blutdruck und damit die glomeruläre Filtrationsrate),
 
3.
Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems,
 
4.
Gabe eines Statins,
 
5.
Body-Mass-Index <25 und regelmäßige körperliche Aktivität.
 
Immunsuppressive Therapie der primären fokal-segmentalen Glomerulosklerose
Die immunsuppressive Therapie der primären FSGS mit dem klinischen Erscheinungsbild einer Minimal-Change-Nephropathie (nephrotisches Syndrom) ist, auch im Falle eines Rückfalls, etwas intensiver, aber dennoch grundsätzlich ähnlich der Therapie bei Minimal-Change-Nephropathie (Tab. 1). Im Gegensatz zur Minimal-Change-Nephropathie wird bei der steroidresistenten primären FSGS zuerst mit Calcineurininhibitoren (+ Steroid!) und erst sekundär mit Endoxan therapiert (Group, KDIGO KGW 2012). Eine Therapie mit Cyclosporin A (3–5 mg/Kg/Tag, initiale Talspiegel 125–175 ng/ml) oder Tacrolimus (0,05–0,1 mg/KG/Tag, initiale Talspiegel 5–10 ng/ml) sollte initial höhere Wirkspiegel anstreben und mit 0,15 mg/KG/Tag Prednisolon für 4–6 Monate kombiniert werden (dann über 4–8 Wochen ausschleichen) (Group, KDIGO KGW 2012). Nach Erreichen einer Remission sollten die Calcineurininhibitoren mit niedrigeren Wirkspiegeln für mindestens ein Jahr fortgeführt und dann ggf. langsam ausgeschlichen werden.
Kollabierende Variante der fokal-segmentalen Glomerulosklerose
Die kollabierende Variante der FSGS ist ein seltener Sonderfall und meist Folge einer akuten Toxizität (z. B. Pamidronattherapie, Therapie durch Absetzen des Medikaments) oder einer HIV-Infektion bei meist schwarz-afrikanischen Patienten (Behandlung durch antivirale Therapie).
Nephrotisches Syndrom
Ein nephrotisches Syndrom wird wie im Kap. „Glomeruläre Erkrankungen: Pathogenese und klinische Bilder“ beschrieben therapiert.
Künftige therapeutische Optionen
Künftige therapeutische Optionen ergeben sich zudem möglicherweise durch eine pharmakologische Hemmung der Parietalzellen, um die Progression der Nierenfunktion spezifisch zu hemmen (erste klinische Studien).

Verlauf und Prognose

Negative Prognosefaktoren für eine Progression der Niereninsuffizienz sind zum Zeitpunkt der Biopsie (Chitalia et al. 1999): nephrotische Proteinurie, Kreatininerhöhung, schwarz-afrikanische Abstammung und histologisch Nachweis der kollabierenten Variante sowie eine bereits vorliegende interstitielle Fibrose (als Zeichen eines bereits stattgehabten Nephronuntergangs). Das Nichterreichen einer Remission ist das aussagekräftigste negative prognostische Zeichen (Korbet et al. 1994).

Besondere Aspekte

Nach einer Nierentransplantation kommt es im Falle einer primären FSGS (mit vermutlich zirkulierendem Permeabilitätsfaktor) in bis zu 50 % der Fälle zu einer Rekurrenz der Erkrankung. Dies kann zum Teil innerhalb weniger Stunden nach Transplantation geschehen. Für die übrigen Formen der FSGS liegt das Rekurrenzrisiko deutlich niedriger (ca. 10 %) und ist von zahlreichen Faktoren abhängig.
Literatur
Appel GB, D'Agati VD (2010) Primary and secondary (non-genetic) causes of focal and segemental glomerulosclerosis. In: Floege J, Johnson RJ, Feehally J (Hrsg) Comprehensive clinical nephrology. 4. Aufl. Elsevier, St. Louis, S 228–240CrossRef
Bhimma R, Coovadia HM, Adhikari M (1997) Nephrotic syndrome in South African children: changing perspectives over 20 years. Pediatr Nephrol 11:429–434CrossRefPubMed
Borok MZ, Nathoo KJ, Gabriel R, Porter KA (1997) Clinicopathological features of Zimbabwean patients with sustained proteinuria. Cent Afr J Med 43:152–158PubMed
Chitalia VC, Wells JE, Robson RA, Searle M, Lynn KL (1999) Predicting renal survival in primary focal glomerulosclerosis from the time of presentation. Kidney Int 56:2236–2242CrossRefPubMed
D'Agati VD, Kaskel FJ, Falk RJ (2011) Focal segmental glomerulosclerosis. N Engl J Med 365:2398–2411CrossRefPubMed
Group, KDIGO KGW (2012) KDIGO clinical practice guideline for glomerulonephritis. Kidney Int Suppl 2:139–274CrossRef
Kitiyakara C, Eggers P, Kopp JB (2004) Twenty-one-year trend in ESRD due to focal segmental glomerulosclerosis in the United States. Am J Kidney Dis 44:815–825CrossRefPubMed
Korbet SM, Schwartz MM, Lewis EJ (1994) Primary focal segmental glomerulosclerosis: clinical course and response to therapy. Am J Kidney Dis 23:773–783CrossRefPubMed
Lewis MA, Baildom EM, Davies N, Houston IB, Postlethwaite RJ (1988) Steroid-sensitive minimal change nephrotic syndrome. Long-term follow-up. Contrib Nephrol 67:226–228PubMed
Smeets B, Moeller MJ (2012) Parietal epithelial cells and podocytes in glomerular diseases. Semin Nephrol 32:357–367CrossRefPubMed