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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 11.06.2015

Funktionelle Durchblutungsstörungen

Verfasst von: Ludwig Caspary
Die funktionellen Durchblutungsstörungen betreffen vorwiegend die Gefäße der körperfernen Gliedmaßen, die besonders an der Temperaturregulation beteiligt sind, und werden auch als Akrosyndrome bezeichnet. Die betroffenen Adern sind formal intakt, reagieren aber abnorm mit einer übermäßigen Vasokonstriktion oder Vasodilatation. Die bedeutendsten Krankheitsbilder sind das Raynaud-Phänomen, die Akrozyanose und die Erythromelalgie. Die funktionellen Durchblutungsstörungen treten oft idiopathisch auf, wobei prädisponierende Faktoren bekannt sind. Alle Formen können aber auch Symptome anderweitiger Grundkrankheiten darstellen, deren Abgrenzung eine besondere Aufgabe der Diagnostik ist.

Definition

Die funktionellen Durchblutungsstörungen betreffen vorwiegend die Gefäße der körperfernen Gliedmaßen und werden auch als Akrosyndrome bezeichnet. Die betroffenen Adern sind formal intakt, reagieren aber abnorm mit einer übermäßigen Vasokonstriktion oder Vasodilatation. Die bedeutendsten Krankheitsbilder sind das Raynaud-Phänomen, die Akrozyanose und die Erythromelalgie. Die funktionellen Durchblutungsstörungen treten oft idiopathisch auf, wobei prädisponierende Faktoren bekannt sind. Alle Formen können aber auch Symptome anderweitiger Grundkrankheiten darstellen, deren Abgrenzung eine besondere Aufgabe der Diagnostik ist.

Pathophysiologie

Die Erkrankungen betreffen Gefäße, die besonders an der Temperaturregulation beteiligt sind. So ist die Außentemperatur ein besonderer Faktor der Pathogenese wie der Epidemiologie. Es liegt ein neurovegetativer Steuerungsdefekt vor. Der genaue Mechanismus der Anfallsentstehung beim Raynaud-Phänomen ist unbekannt, er scheint über langsame C-Nervenfasern vermittelt zu werden. Eine Rolle spielen z. B. Endothelin-1, Signaltransduktoren wie die Rho-Kinase, aber auch (weibliche) Sexualhormone und Schilddrüsenhormone. Offenbar lassen sich Raynaud-Anfälle „trainieren“; häufiger Wechsel zwischen warm und kalt führt zu einer Steigerung der Anfallshäufigkeit und Anfallsschwere. Eine latente Vasospastik findet sich auch außerhalb der Anfälle. Die Hände von Patienten sind insgesamt kühler und die Temperaturdifferenz zwischen Fingerkuppen und Handrücken ist ausgeprägter.
Bei der Akrozyanose ist der Blutfluss in oberflächlichen Gefäßen stark verlangsamt, die globale Fingerperfusion hingegen kaum eingeschränkt ist. Die Vasospastik der Hautgefäße kann Folge der Notwendigkeit sein, die Kerntemperatur aufrechtzuerhalten, weshalb sie sich häufiger bei Untergewichtigen findet und zur Symptomatik einer Anorexia nervosa gehört. Dort bleibt sie oft bestehen, auch wenn ein Normgewicht wieder erreicht ist. Die starke, manchmal tiefblaue Verfärbung kommt durch eine strukturelle Erweiterung subkutaner Venenplexus zustande. Wie diese genau entsteht, ist unklar, sie lässt sich aber auch durch Nikotinkonsum induzieren.
Bei der Erythromelalgie führt hingegen das Überschreiten einer Schwellentemperatur zur weitestgehenden Vasodilatation der Hautgefäße überwiegend an den unteren Extremitäten, meist bis hinauf zu den Unterschenkeln. Der genaue Pathomechanismus ist ungeklärt. Nur für die seltene familiäre Form wurde eine Mutation der Alpha-Untereineit im spannnungsabhängigen Natriumkanal nachgewiesen, die selektiv Nerven im Ganglion der hinteren Nervenwurzel und sympathische Ganglionneuronen betrifft. Stellt ein myelodysplastisches Syndrom die Grundkrankheit dar, scheint eine Alteration der Thrombozyten ausschlaggebend. Berücksichtigt werden muss eine mögliche Assoziation auch mit anderen malignen, vor allem hämatologischen Erkrankungen.

Epidemiologie

Daten zur Inzidenz und Prävalenz der funktionellen Durchblutungsstörungen sind schwer zu ermitteln, da vor allem das Raynaud-Phänomen oft als harmlose Störung erscheint und nur ein geringer Teil der Betroffenen (10–20 %) seinetwegen überhaupt ärztlichen Rat sucht. Frauen haben die Störung etwa viermal so häufig wie Männer (Heidrich 2010). Die Prävalenz ist von der durchschnittlichen klimatischen Umgebungstemperatur abhängig und schwankt zwischen 0,2 % bei jungen griechischen Männern und 20 % unter weiblichen Bewohnern der französischen Seealpen. Neben klimatischen Bedingungen spielen genetische Faktoren und Arbeitsbedingungen eine Rolle (häufiger bei Tätigkeiten in kühler oder feuchter Umgebung). Die Symptomatik setzt in den weitaus meisten Fällen gegen Ende der Pubertät oder im frühen Erwachsenenalter ein, kann sich aber im Kindesalter und auch bei über 80-Jährigen noch erstmals manifestieren.
Die Inzidenz der Akrozyanose ist bisher nicht verlässlich bestimmt worden. Sie scheint ebenfalls deutlich häufiger Frauen zu betreffen und tritt vorwiegend zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr auf. Unter Patienten mit Anorexia nervosa ist sie häufig (bis 40 %).
Die Erythromelalgie hat eine jährliche Inzidenz zwischen 0,25 und 1,3/100.000 Personen. Eine familiäre Form betrifft 15–20 % der Patienten. Die primäre Form tritt oft im jungen Erwachsenenalter auf, eine mit dem myelodysplastischen Syndrom assoziierte Form entsprechend bei Patienten mit einem Gipfel in der sechsten und siebten Dekade (Kurklinsky et al. 2011). Bei anderen symptomatischen Formen richtet sich das Manifestationsalter nach der Grundkrankheit.

Klinik

Die Raynaud-Symptomatik ist durch den anfallsweisen Charakter gekennzeichnet. Attacken sind oft kälteinduziert, dabei reichen Temperaturen unter 10 °C, vor allem in Verbindung mit Feuchtigkeit. Im Frühjahr und im Herbst sind die Anfälle oft ausgeprägter als im Winter bei anhaltender Kälte. Auch Stress kann das Raynaud-Phänomen auslösen. Meist ruft ein massiver arteriolärer Vasospasmus eine vollständige Entfärbung der Haut hervor, wobei einzelne Anteile oder ganze Finger oder Zehen betroffen sein können, teilweise wechselnd. Handrücken und Daumen bleiben meist ausgespart. Ein inkompletter Vasospasmus führt zu einer starken Verlangsamung des Blutstroms und damit zur Zyanose. Weißfärbung und Zyanose können parallel, häufiger aber konsekutiv auftreten. Wenn es abschließend durch eine übermäßige Vasodilatation zu einer Rötung der Haut kommt, wird die Farbenfolge als Tricolore-Phänomen bezeichnet. Die Anfälle dauern meist 10–20 Minuten, können aber auch deutlich länger anhalten. Im Anfall werden die Fingerkuppen oft taub, es können auch Schmerzen entstehen. Die Hand wird mehr oder weniger gebrauchsunfähig. Eine subjektive Graduierung lässt sich anhand des Raynaud-Scores (Tab. 1) vornehmen.
Tab. 1
Raynaud-Score (nach (Goundry et al. 2012))
1. Zahl der Raynaud-Anfälle an diesem Tag?
2. Dauer der Anfälle?
3. Damit verbundener Schmerz, Taubheit, andere Symptome? (Skala von 0–10)
4. Gebrauchsfähigkeit der Hand eingeschränkt? (Skala von 0–10)
Das primäre Raynaud-Phänomen manifestiert sich überwiegend bei Frauen und tritt meist während oder kurz nach Ende der Pubertät erstmalig auf. Es kann sich in der Menopause wieder abschwächen. Das Auftreten zu einem anderen Zeitpunkt oder bei Männern ist deutlich seltener, weshalb vor allem in diesen Fällen nach einer zugrunde liegenden Erkrankung gesucht wird.
Bei der Akrozyanose sind die Hände, teilweise auch Füße, mit wechselnder Intensität dauerhaft livide verfärbt. Dies umfasst auch die Daumen und Teile der Handfläche, gelegentlich bis zum Handgelenk. Bei Kälteexposition kann sich der Blutfluss noch verlangsamen, was die hypoxämische düsterrote bis blauschwarze Farbe hervorruft. Die Hände sind kühl, bei mäßiger Erwärmung tritt oft eine Schweißneigung auf, die die Feinmotorik beeinträchtigen kann. Bei manchen Patienten führt Wärme zu einer Hyperämie mit starker Rötung der Finger und teils schmerzhaften Beschwerden, die unangenehmer als der übliche, kühle und livide Zustand empfunden werden.
Die Erythromelalgie macht sich nur während der Anfälle bemerkbar, im Intervall sind die betroffenen Extremitäten unauffällig. Die zur Namensgebung führende Rötung tritt regelhaft auf, wenn die Temperatur einen bestimmten Schwellenwert (meist 30–33 °C) überschreitet. Dies geschieht oft nachts (unter der warmen Bettdecke). Die Hyperperfusion bewirkt zunehmend eine Schwellung sowie konsekutiv Stauungsbeschwerden mit oft als brennend beschriebenen Schmerzen. Typischerweise suchen die Patienten Kühlung der Beine durch kalte Güsse oder stellen die Füße in Eimer mit kaltem Wasser.

Diagnostik

Anamnese und klinische Diagnostik

Ein Raynaud-Phänomen ist bereits aus der Anfallsbeschreibung zu diagnostizieren. Um zu erfragen, ob Raynaud-Anfälle auftreten, kann man Patienten Fotos mit den typischen Verfärbungen zeigen, auf denen diese ihre Symptomatik wiedererkennen. Wie stark die Patienten durch ihre Erkrankung im Alltag eingeschränkt sind, können sie anhand des Raynaud-Scores (Tab. 1) verdeutlichen, der auch zur Einschätzung des Erfolges eventueller Therapiemaßnahmen zweckmäßig ist.
Im Übrigen dient die Diagnostik der Abgrenzung eines primären (idiopathischen) von einem sekundären Raynaud-Phänomen, mithin dem Nachweis oder Ausschluss einer zugrunde liegenden Erkrankung. Hierbei ist eine Fülle möglicher Ursachen zu bedenken (Tab. 2). Etliche dieser Erkrankungen führen auch zu organisch fixierten Durchblutungsstörungen. Aus der Fülle der Differenzialdiagnosen geht die Bedeutung der ausführlichen Anamnese hervor, die andererseits zugrunde liegende Faktoren oft aufdecken kann.
Tab. 2
Ursachen eines sekundären Raynaud-Phänomens
- CREST-Syndrom
- Sharp-Syndrom (MCTD)
Medikamente
- Secalealkaloide
 Ergotamine
 Noradrenalin, Dopamin, Serotonin
 Betablocker
 Antidepressiva, Bromcriptin
 Amphetamine, z. B. Methylphenydat (Ritalin)
- Cocain, Designer-Drogen
- Chemotherapeutika (Bleomycin, Cisplatin)
- α-Interferon, Ciclosporin A, Nilotinib (Tasigna)
- Postmenopausale Hormone
Physikalische Faktoren
- Kälte
- Vibration
Gefäßläsionen
- Hypothenar-Hammer-Syndrom
- Traumatische Gefäßschäden (z. B. Retransplantation)
Paraneoplasie
 
Neurogene Störungen
 
 
 
 
Chemikalien
- Vinylchlorid
- Lösemittel
 
Medikamente, die ein Raynaud-Phänomen hervorrufen oder verschlimmern können, leiten sich meist von den Secalealkaloiden ab; zu diesen gehören neben Betablockern und Ergotaminen auch trizyklische Antidepressiva, Bromcriptin und Amphetamine wie das bei Kindern und Jugendlichen zunehmend eingesetzte Methylphenydat (Ritalin). Unter den anderen Pharmaka finden sich zuletzt wieder häufiger postmenopausale Hormone (Tab. 2). Bestimmte Zytostatika und Interferon können zu Raynaud-Anfällen, aber auch organischen Perfusionsstörungen führen (vgl. Kap. Durchblutungsstörungen der oberen Extremität).
Die Berufsanamnese zielt auf die Exposition mit vibrierenden handgeführten Geräten, die ein Vibrationssyndrom auslösen könnten, hierunter sind wegen ihrer Verbreitung in Autowerkstätten und auf Baustellen zunehmend Pressluftbohrer und Pressluftschrauber. Auch Chemikalien können eine Vasospastik der Fingerarterien ohne organische Gefäßveränderungen auslösen, beispielsweise Lösemittel (vor allem Toluol).
Ein Raynaud-Phänomen kann im Rahmen von Schilddrüsenerkrankungen auftreten und auch bestehen bleiben, wenn diese gut behandelt sind. Es kann durch Nervenirritation beispielsweise bei Erkrankungen der Halswirbelsäule hervorgerufen werden (meist mit Sensibilitätsstörungen im Vordergrund, oft auch oberhalb der Finger). Ursache kann, besonders an den Füßen, auch eine länger zurückliegende Erfrierung sein. Bei einer Verschlechterung der Herzkreislauffunktion, die zum Raynaud-Phänomen führt (z. B. Vorhofflimmern), sind die Hände meist auch im Intervall kühler.
Die klinische Untersuchung umfasst neben der Beurteilung von Farbe und Temperatur der Finger die Palpation der Pulse an den Handgelenken und die Faustschlussprobe. Der Untersucher komprimiert Arteria radialis und ulnaris, der Proband erzeugt durch kräftiges Ballen der Faust eine Blutleere. Nach Freigabe einer der Arterien sollen sich die Finger rasch (unter 5 Sekunden) und homogen wieder füllen; eine Inhomogenität der Füllung deutet auf eine organisch fixierte Perfusionsstörung (Video).
Die Diagnose der Akrozyanose stellt sich durch die klinische Untersuchung. Stets sollte der Body-Mass-Index bestimmt werden. Die langsame Hautperfusion bei der Akrozyanose ist Grundlage für das Irisblendenphänomen; auf externen Druck blasst die Haut ab und füllt sich dann langsam von außen zirkulär wieder auf.
Die Erythromelalgie ist aus der Anfallsbeschreibung zu diagnostizieren. Die einschießende Rötung lässt sich klinisch durch Erwärmung über die Triggerschwelle reproduzieren. Hinweise auf eine mögliche maligne Grundkrankheit müssen abgefragt werden.

Biochemische Diagnostik

Sie zielt vor allem auf den Nachweis einer rheumatischen Erkrankung als Ursache des Raynaud-Phänomens und umfasst deshalb Blutbild, Entzündungsparameter, ggf. Rheumafaktor und vor allem die antinukleären Antikörper (ANA), bei deren Erhöhung auch die extrahierbaren Antikörper (ENA) überprüft werden sollen, der Nachweis von Scl-70 macht eine zugrunde liegende Sklerodermie wahrscheinlich. Kälteagglutinine sind selten Ursache eines Raynaud-Phänomens und in der Regel mit Hepatitis C assoziiert, ihre routinemäßige Bestimmung ist nicht indiziert.
Hingegen sollte besonders bei ungewöhnlichen klinischen Verläufen und neu aufgetretenen anderweitigen Symptomen nach einer zugrunde liegenden malignen Erkrankung gesucht werden. Dies trifft auch für die Akrozyanose vor (Abb. 1), besonders aber für die Erythromelalgie (häufige Assoziation mit Leukämien).

Genetische Diagnostik

Hier sind keine wegweisenden Tests bekannt.

Lokalisationsdiagnostik und bildgebende Verfahren

Eine regelrechte proximale Perfusion wird durch die dopplersonographische Verschlussdruckmessung an den Handarterien bestätigt.
Die akrale Pulswellenschreibung kann anhand einer Verbreiterung und Dikrotieabschwächung eine latente Vasospastik nachweisen. Inhomogene Pulswellen deuten auf eine organische Perfusionsstörung. Durch Applikation von Nitroglycerin lässt sich eine funktionelle Vasospastik aufheben, im Idealfall stellen sich die Pulswellen zwei bis drei Minuten nach Zerbeißen einer Nitrokapsel homogen und physiologisch dar. Durch Abkühlung der Hände im Kältebad können die akralen Pulswellen andererseits völlig zusammenbrechen. Der Kältetest spielt vor allem für die Einstufung eines Vibrationsschadens im berufsgenossenschaftlichen Gutachterwesen eine Rolle.
Die Thermographie kann neben der kälteinduzierten Vasospastik auch aufzeichnen, wie lange es dauert, bis die ursprüngliche Fingertemperatur sich wieder etabliert hat.
Mit der Farbduplexsonographie lassen sich vermutete Perfusionsdefekte im Bereich der Hand- und Fingerarterien lokalisieren. Außerdem gewinnt man aus der Weite der Digitalarterien und der Form der aus ihnen ableitbaren Dopplerspektren einen Eindruck vom Ausmaß der Vasospastik.
Die Angiographie wird nur bei vermuteter organischer Perfusionsstörung durchgeführt. Die Kapillarmikroskopie hat ihre größte Bedeutung für die Abgrenzung der Sklerodermie als Ursache eines sekundären Raynaud-Phänomens (Avouac et al. 2011) (vgl. Kap. Durchblutungsstörungen der oberen Extremität, Kap. Systemische Sklerodermie).
Patienten mit Akrozyanose haben meist dilatierte Nagelfalzkapillaren (15–25 μm), in denen langsame Strömungsgeschwindigkeiten bis zu kompletten Stasen vorherrschen (Abb. 2). Dies kontrastiert oft zu den akralen Pulswellen, die nur eine mäßige Vasospastik erkennen lassen.
Die Funktionsuntersuchungen bei Patienten mit Erythromelalgie sind im Intervall normal. Im wärmeinduzierten Anfall lässt sich die klinisch zu beobachtende Hyperämie auch anhand der Dopplerspektren mit erhöhtem Flussvolumen und gesteigerter diastolischer Strömung nachweisen.

Differenzialdiagnostik

Das Raynaud-Phänomen ist aufgrund seiner Anfallscharakteristik leicht von akuten permanenten Perfusionsstörungen abgrenzbar (vgl. Kap. Durchblutungsstörungen der oberen Extremität). Die Akrozyanose kann klinisch wie eine schwere Perfusionsstörung erscheinen, wogegen ihr oft jahrelanges Bestehen ebenso sprechen wie die praktisch normalen Befunde bei den technischen Untersuchungen (mit Ausnahme der Kapillarmikroskopie). Hautrötung und Schmerzen der Erythromelalgie ähneln den Symptomen einer peripheren Polyneuropathie. Die Unterscheidung ist aufgrund der typischen Temperaturschwelle leicht zu treffen.

Therapie

Raynaud-Phänomen

Wenn Anamnese, klinische Untersuchung, Labordiagnostik und apparative Verfahren keine Grundkrankheit erkennen ließen, kann man von einem primären Raynaud-Phänomen mit günstiger Prognose ausgehen; bei jungen Frauen mit geringen Symptomen ohne sonstige Krankheitszeichen wird man sich meist schon aufgrund der Klinik für diese Einstufung entscheiden. Sie sollte überprüft werden, wenn sich die Beschwerden verstärken oder anderweitige Symptome (vor allem einer Sklerodermie) hinzutreten.
Meist reicht es aus, die betroffenen Patient(inn)en über die Harmlosigkeit ihrer Erkrankung aufzuklären. Allerdings muss man den Heranwachsenden von kälteexponierten Berufen abraten. Wichtig ist in jedem Falle eine konsequente Kälteprophylaxe, was das Tragen von Handschuhen bereits bei weniger kalten Außentemperaturen umfasst. Hierbei sind Fäustlinge vorzuziehen, in denen sich die Finger gegenseitig wärmen. Empfehlenswert sind beheizbare Handschuhe, vor allem mit Elementen für die Finger; der Einsatz ist freilich durch eine kurze Laufzeit der Batterien eingeschränkt.
Sport bessert im Allgemeinen die Raynaud-Symptomatik nicht, da er die Sympathikusaktivität verstärkt. Hilfreich kann der Einsatz spezieller Trainingsverfahren sein, die besonders die Finger beanspruchen. Beim Griptrainer schließt man die Faust gegen Widerstand und fordert speziell die Durchblutung der Fingermuskulatur, außerdem unterbleibt die Aktivierung des Sympathikus.
Für das autogene Training oder Biofeedbackmethoden ist eine Steigerung der Fingerdurchblutung vor allem beim primären Raynaud-Phänomen beschrieben, in Vergleichsstudien war ihr Effekt aber gering. Auch Akupunktur kann hilfreich sein. Es ist von einem hohen Plazeboeffekt auszugehen.
Auch Medikamente, beispielsweise Ginkgopräparate, haben einen hohen Plazeboeffekt. Eine darüber hinausgehende Effektivität zur Reduktion der Anfallshäufigkeit und -dauer des Raynaud-Phänomens ist für die Kalziumantagonisten belegt (Ennis et al. 2014). Allerdings sprechen nur etwa die Hälfte der Behandelten gut an, ein größerer Teil verlässt die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen (Kopfschmerzen, Tachykardien, Blutdruckabfälle, periphere Ödeme).
Andere Medikamente (Prostaglandine, PDE-Hemmer, Botulinus) können in schweren Fällen versucht werden, sind aber generell den sekundären Formen vorbehalten, insbesondere der Sklerodermie.
Ist ein Medikament andererseits als (Mit-)Auslöser des Raynaud-Phänomens identifiziert worden, wird man es nicht immer ersetzen können. Dies gilt namentlich für Betablocker. Präparate mit hoher β1-Selektivität und peripherer NO-Freisetzung wie Nebivolol haben theoretische Vorzüge, die bisher aber nicht anhand klinischer Studien nachgewiesen sind.

Akrozyanose

Ähnlich wie beim Raynaud-Phänomen gilt das Prinzip der Kälteprophylaxe. Eine zu starke Erwärmung der Finger wird von den Patienten wegen einer Verstärkung der Schweißneigung oft nicht gewünscht. Eine medikamentöse Therapie ist nicht etabliert. Wichtig ist bei der Anorexie als Ursache eine begleitende psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung mit Ziel einer nachhaltigen Rückkehr zu einem normalen Körpergewicht (Kap. Essstörung). Nikotinkarenz wird empfohlen.

Erythromelalgie

Auch hier stehen vorwiegend physikalische Maßnahmen zur Verfügung, die von den Betroffenen meist spontan angewendet werden (Davis and Rooke 2006). Einzelne Erfolge mit Betablockern sind beschrieben. Bei älteren Patienten mit myelodysplastischen Erkrankungen kann ASS hilfreich sein.

Verlauf und Prognose

Das primäre Raynaud-Phänomen verläuft meist in konstanter Ausprägung und kann nach der Menopause verschwinden. Ebenso sind die sekundären Formen günstig, bei denen man die Noxe entziehen kann (Medikamente, Vibration) oder in denen ein früherer Gefäßschaden ursächlich war. Mit zunehmender Herzinsuffizienz oder bei anhaltender Kälteexposition kann sich die Symptomatik verstärken. Schwere Verläufe werden vor allem bei den sekundären Formen beobachtet, die auch zu organischen Perfusionsstörungen führen (vgl. Kap. Durchblutungsstörungen der oberen Extremitäten).
Für die Akrozyanose sind langjährige Verläufe beschrieben, bei denen sich die Patienten mit der Störung arrangieren konnten, oberhalb der dritten Lebensdekade kommt es oft zu einer Besserung. Bei Anorexia nervosa ist die Prognose weniger günstig.
Bei jüngeren Patienten mit Erythromelalgie kam es in einer Fallserie der Mayoklinik in acht Jahren bei 33 % der Patienten zu einer Verschlechterung, bei 30 % zu einer Besserung und bei 10 % zum Verschwinden der Symptomatik (Davis and Rooke 2006). Die Lebenserwartung ist reduziert. Dies mag an der hohen Korrelation mit Tumorerkrankungen liegen; auch bei den anderen tumorassoziierten sekundären funktionellen Gefäßkrankheiten folgt die Symptomatik der Entwicklung bzw. dem Behandlungsverlauf des Tumors.
Literatur
Avouac J, Fransen J, Walker UA, EUSTAR Group et al (2011) Preliminary criteria for the very early diagnosis of systemic sclerosis: results of a Delphi Consensus Study from EULAR Scleroderma Trials and Research Group. Ann Rheum Dis 70:476–481CrossRefPubMed
Davis MD, Rooke T (2006) Erythromelalgia. Curr Treat Options Cardiovasc Med 8:153–165CrossRefPubMed
Ennis H, Anderson ME, Wilkinson J, Herrick AL (2014) Calcium channel blockers for primary Raynaud’s phenomenon. Cochrane Database Syst Rev 1:CD002069PubMed
Goundry B, Bell L, Langtree M, Moorthy A (2012) Diagnosis and management of Raynaud's phenomenon. BMJ 344:e289CrossRefPubMed
Heidrich H (2010) Functional vascular diseases: Raynaud's syndrome, acrocyanosis and erythromelalgia. Vasa 39:33–41CrossRefPubMed
Kurklinsky AK, Miller VM, Rooke TW (2011) Acrocyanosis: the flying dutchman. Vasc Med 16:288–301, Erratum in: Vasc Med. 2011;16:409PubMedCentralCrossRefPubMed
Internet-Adressen
Deutsche Gesellschaft für Angiologie: http://​www.​dga-gefaessmedizin.​de
Erythromelalgie-Selbsthilfegruppe über http://​www.​erythromelalgie.​net
Für das primäre Raynaud-Phänomen gibt es keine Selbsthilfegruppen. Betroffene können aber nützliche Informationen erhalten bei:
Scleroderma Liga e.V. http://​www.​scleroliga.​de