Einleitung
Normales Altern geht mit einer Veränderung der kognitiven Leistungsfähigkeit einher. Es ist häufig nicht einfach, altersübliche Veränderungen der kognitiven Leistungen von frühen Demenzstadien zu unterscheiden. Erschwert wird die Abgrenzung durch den oft schleichenden Beginn demenzieller Erkrankungen und durch das bestehende Kontinuum zwischen Normalität und Frühsymptomen einer
Demenz.
Ein hohes Alter ist der bedeutendste Risikofaktor für die Entwicklung einer
Demenz. Je älter eine Bevölkerung im Mittel wird, umso stärker steigt die Gesamtzahl an Demenzkranken.
Das demenzielle Syndrom ist klinisch definiert als erworbene und länger andauernde Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit, die zu einer Beeinträchtigung der Alltagsbewältigung führt und mindestens 6 Monate bestehen muss. Demenzielle Syndrome kommen bei Alzheimer-Krankheit, Gefäßerkrankungen des Gehirns und anderen Zustandsbildern vor, die primär oder sekundär das Gehirn und die Neuronen betreffen. Ausgeschlossen werden müssen nach ICD-10 eine kurzfristige Bewusstseinstörung (
Delir oder Durchgangssyndrom) oder eine depressive Störung.
Die amnestischen Defizite betreffen zunächst die Leistungen des Neugedächtnisses bei Aufnahme, Speichern und Wiedergabe neuer Informationen. Die Gedächtnisstörung ist nur ein Leitsymptom und sie wird begleitet von Denkstörungen. Das Denkvermögen zeigt Defizite in der Verarbeitungsgeschwindigkeit von Informationen, des Ideenflusses und bei der Urteilsbildung.
Die
Internationale Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) (Dilling et al.
2011) fordert neben dem Kardinalkriterium einer Merkfähigkeitsstörung zusätzlich Beeinträchtigungen der räumlichen Fähigkeiten (beispielsweise Störungen der Visuokonstruktion), der Kognition im engeren Sinn (wie beeinträchtige Abstraktion), der planerischen Leistung (Dysexekution), der sprachlichen Verarbeitung (Aphasie) oder des Verhaltens, Affekts und der Persönlichkeit.
Demenzen können sich subklinisch über Jahrzehnte entwickeln.
Pathophysiologie
Die pathologisch-anatomischen Charakteristika der
Alzheimer-Demenz (AD) bestehen in einem Verlust von Nervenzellen und Synapsen. Histologisch findet man eine hohe Dichte von extrazellulären Amyloidablagerungen
(Plaques) sowie intrazellulär gelegene pathologische Neurofibrillen (Alzheimer
1907; Braak und Braak
1995). Diese Veränderungen sind in wesentlich geringerem Ausmaß auch bei den meisten anderen Demenzformen und bei gesunden älteren Menschen anzutreffen. Die Parkinson-Krankheit mit
Demenz (PKD) und die
Lewy-Körperchen-Demenz zeigen pathomorphologische Strukturen, die überwiegend aus dem Protein α-Synuklein bestehen (Mollenhauer et al.
2010). Bei
vaskulären Demenzen spielen mikro- und makroangiopathische Veränderungen der Gefäße eine Rolle (Brun
1994).
Epidemiologie
Die mittlere
Prävalenz für demenzielle Erkrankungen bei den über 65-Jährigen beträgt 7,2 %. Derzeit leiden in Deutschland 6,5–8,7 % der Bevölkerung jenseits des 65. Lebensjahres und 30 % der über 89-Jährigen an einer der verschiedenen Demenzformen (Bickel
2001). Die Anzahl der Neuerkrankungen beträgt im Laufe eines Jahres fast 200.000 (Weyerer, RKI). Bleibt die Inzidenz der Demenzerkrankungen stabil, so wird sich aufgrund des Alterns der Bevölkerung die Anzahl Betroffener in Deutschland bis zum Jahr 2050 etwa verdoppeln (Bickel
2001,
2005). Gleich alte Männer und Frauen zeigen keine Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit. Aufgrund der höheren Lebenserwartung sind jedoch häufiger Frauen betroffen.
Klinik
Um die Diagnose einer
Alzheimer-Demenz (AD) zu stellen, wird in der ICD-10 neben dem Fehlen von Hinweisen auf eine andere Krankheitsursache die Erfüllung weiterer Kriterien verlangt. Dazu zählen neben einem demenziellen Bild auch ein schleichendes Einsetzen der Symptomatik und eine kontinuierliche Verschlechterung bei fehlenden klinischen Hinweisen auf eine zentralnervöse oder eine systemische Erkrankung (Deuschl et al.
2009). Ausgeprägte neurologische Herdsymptome fehlen zu Beginn der Erkrankung, können jedoch im späteren Verlauf auftreten. Der manifesten Alzheimer-Demenz geht jahrelang ein Stadium der
leichten kognitiven
Beeinträchtigung (LKB, „mild cognitive impairment“, MCI) voraus. Bei LKB beklagen die Betroffenen eine Gedächtnisstörung. Kognitive Einschränkungen sind hierbei neuropsychologisch objektivierbar, die Alltagsfunktionen sind jedoch nicht eingeschränkt und eine
Demenz nach den ICD10-Kriterien fehlt (Petersen
2004). Aufgrund der Konversionsgefahr (ca. 10 %) in eine Demenz sind engmaschige Kontrolluntersuchungen im weiteren Verlauf anzuraten eine etablierte Therapie der LKB existiert jedoch nicht (Eschweiler et al.
2010; Deuschl et al.
2009).
Bei der AD findet man zu Beginn der Erkrankung eine Störung des Neugedächtnisses. In fortgeschrittenen Stadien ist auch das Altgedächtnis erloschen.
Sprachstörungen, Unruhe,
Aggression und Affektlabilität treten auf (Eschweiler et al.
2010).
Die Symptomatik der
Lewy-
Körperchen-
Demenz beginnt per definitionem mit kognitiven und/oder weiteren psychiatrischen Symptomen und geht innerhalb eines Jahres mit den typischen Symptomen eines Parkinson-Syndroms einher. Bei der
Parkinson-
Krankheit mit Demenz dagegen treten kognitive Defizite und/oder eine
Demenz erst dann auf, wenn bereits mindestens ein Jahr lang das motorische Vollbild einer Parkinson-Krankheit besteht (Mollenhauer et al.
2010). Etwa 80 % der an Morbus-Parkinson-Erkrankten entwickeln im Verlaufe der Erkrankung eine Demenz (Dubois und Pillon
1997).
Eine fluktuierende Kognition
, insbesondere im Bereich der Aufmerksamkeit und Wachheit, ist ein charakteristisches Kennzeichen der
Lewy-Körperchen-Demenz. Etwa zwei Drittel der Patienten berichten über visuelle
Halluzinationen. Störungen im Bereich des autonomen Nervensystems (
Schwindel mit orthostatischer Dysregulation, synkopale Ereignisse, Urininkontinenz) sind bei Lewy-Körperchen-Demenz wesentlich häufiger als bei
Alzheimer-Demenz.
Ausgeprägte Störungen der exekutiven Funktionen, der visuell-konstruktiven Leistungen und der Aufmerksamkeit sind typisch für die
Parkinson-Demenz (Timmermann et al.
2010).
Besonders charakteristisch für
frontotemporale Demenzen (
FTD) sind
Störungen des Sozialverhaltens, Persönlichkeitsveränderungen und Verhaltensauffälligkeiten, die allmählich auftreten. Die FTD wird in drei klinisch definierte Prägnanztypen unterteilt, die vor allem im Frühstadium unterscheidbar sind. Sie gehen im Verlauf, zum Teil auch schon von Beginn an, ineinander über:
In der zerebralen Bildgebung zeigt sich typischerweise Rindenatrophien der Frontal-, geringer auch der Temporallappen.
Zu den Diagnosekriterien einer
vaskulären Demenz, die sich hauptsächlich auf den klinischen, anamnestischen oder radiologischen Nachweis einer zerebrovaskulären Erkrankung, einschließlich zerebrovaskulärer
Hypertonie, beziehen, zählt ein plausibler zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Verlauf der zerebrovaskulären Erkrankung und der Entwicklung des demenziellen Syndroms (Deuschl et al.
2009; Knecht et al.
2004). Die Diagnose sollte nicht gestellt werden, wenn im CT oder MRT ischämische Läsionen nicht nachgewiesen werden können. Das Profil der kognitiven Störungen entspricht häufig einem dysexekutiven Syndrom, bei dem eher Störungen des Planens und Ausführens als Störungen des Gedächtnisses im Vordergrund stehen.
Die Trias von Gangataxie, demenziellem Syndrom und Harninkontinenz sind die klassischen klinischen Zeichen eines Normaldruckhydrozephalus, allerdings müssen nicht alle dieser Symptome gleichzeitig vorhanden sein. Im Vordergrund steht eine psychomotorische Verlangsamung und ein breitbasiger, unsicherer, „haftender“ Gang.
Bildgebende Verfahren
Die bildgebende Untersuchung des Gehirns im Rahmen der Diagnostik von Demenzerkrankungen sollte einmal im Krankheitsverlauf erfolgen (Deuschl et al.
2009). Hiermit können sowohl behandelbare Ursachen einer
Demenz erkannt werden als auch eine ätiologische Differenzierung primärer Demenzerkrankungen erfolgen. Eine Computertomographie des Kopfes (cCT) ist meist ausreichend, jedoch bietet die Magnetrsonanztomographie eine Untersuchung ohne Belastung durch Röntgenstrahlen und sollte entsprechend den Leitlinien der DGN bei jüngeren Patienten bevorzugt werden (Eschweiler et al.
2010). Funktionelle Messungen des Glukosemetabolismus (PET) und der zerebralen Perfusion (SPECT) mit nuklearmedizinischen Verfahren können in der Differenzialdiagnostik angewandt werden. Ein regelhafter Einsatz dieser Verfahren in der diagnostischen Routine wird nicht empfohlen (Deuschl et al.
2009).
Labor- und Liquordiagnostik
Beide Verfahren dienen dazu, Erkrankungen als kausal therapierbare und potenziell reversible Ursachen einer
Demenz zu identifizieren.
Im Rahmen der Basisdiagnostik werden folgende Laboruntersuchungen empfohlen: Blutbild,
Elektrolyte (Na, K, Ca), Nüchternblutzucker, TSH, Blutsenkung oder CRP, GOT, γ-GT,
Kreatinin,
Harnstoff, Vitamin B
12. Im Rahmen der Erstdiagnostik einer
Demenz sollte die
Liquordiagnostik zum Ausschluss einer entzündlichen Gehirnerkrankung durchgeführt werden (Deuschl et al.
2009).
Der wichtigste genetische Faktor für die Alzheimer-Krankheit mit spätem Beginn ist das Apo-E-Epsilon-4-Allel, das ungefähr die Hälfte der Demenzkranken trägt (Finckh
2006). Die Apo-E-Epsilon-4-Genlast wird aber in der klinischen Praxis nicht bestimmt, da diese Genotypisierung (derzeit) keine therapeutischen Konsequenzen hat (Deuschl et al.
2009). Die vor dem 60. Lebensjahr beginnende familiäre Alzheimer-
Demenz (FAD), die durch verschiedene Einzelgenmutationen bedingt ist, macht 0,5 % aller
Alzheimer-Demenzen aus (Finckh
2006). Humangenetische Untersuchungen gehören ebenfalls nicht zur diagnostischen Routine.