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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 11.02.2015

Glomeruläre Erkrankungen: Pathogenese und klinische Bilder

Verfasst von: Marcus J. Möller
Der Ausdruck Glomerulonephritis bezeichnet eine entzündliche Veränderung des Glomerulus. Die Einteilung und Beschreibung der Glomerulopathien erfolgt deskriptiv. Die meisten Glomerulonephritiden sind autoimmuner Genese und gehen meist mit einem nephritischen Syndrom einher. Im Vordergrund stehen Immunkomplexerkrankungen. Glomerulopathien mit einer isolierten Schrankenstörung des glomerulären Filters präsentieren sich mit einer isolierten Proteinurie bis hin zu einem nephrotischen Syndrom. Das nephritische Syndrom umfasst die Kardinalsymptome (Mikro-)Hämaturie, subnephrotische Proteinurie und Bluthochdruck. Das nephrotische Syndrom ist definiert als große Proteinurie mit Hypalbuminämie, Ausbildung von Ödemen und einer Hypercholesterinämie. Das klinische Syndrom der rapid-progressiven Glomerulonephritis (RPGN) beschreibt einen raschen Nierenfunktionsverlust über Tage bis Wochen bis hin zur terminalen Niereninsuffizienz. Eine chronisch progressive Niereninsuffizienz ist eine häufige Spätform zahlreicher glomerulärer Erkrankungen, bei der es über längere Zeiträume zu einem kontinuierlichen weiteren chronischen Nierenfunktionsverlust kommt.

Definition

Der Ausdruck Glomerulonephritis (GN) bezeichnet ursprünglich eine (vermutete) entzündliche Veränderung des Glomerulus. Bis heute ist jedoch die genaue Pathogenese vieler Glomerulonephritiden noch immer nicht genau aufgeklärt, sodass die Einteilung und Beschreibung der Glomerulopathien noch immer vorwiegend deskriptiv erfolgt. Aus diesem Grund erfolgt in diesem Kapitel nur eine kurze zusammengefasste Übersicht über neuere Erkenntnisse ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Ausführlichere Darstellungen finden sich in den einzelnen Kapiteln.

Pathophysiologie

Glomerulonephritiden

Die meisten Glomerulonephritiden sind autoimmuner Genese und gehen meist mit einem nephritischen Syndrom einher (siehe unten). Im Vordergrund stehen Immunkomplexerkrankungen. In der IgA-Nephropathie wird angenommen, dass sich im Blut fehlglykosyliertes IgA anreichert, gegen das dann ein autoreaktives IgG gebildet wird (ein Anti-IgA-Autoantikörper). Dieser Immunkomplex lagert sich dann vorwiegend im Mesangium ab und induziert die Nephritis (Suzuki et al. 2009; Tomana et al. 1999).
Bei einer Purpura Schönlein-Hennoch lagern sich diese Immunkomplexe auch in anderen Organen (wie z. B. Haut und Synovia) ab und führen dort zu den typischen klinischen Beschwerden. In einer Immunkomplexnephritis oder Post-Streptokokkennephritis werden Immunkomplexe entlang der Innenseite des glomerulären Filters abgelagert (subepithelial). Eine spezifische Anlagerung von Autoantikörpern an Antigene in der glomerulären Basalmembran (GBM) und in den Kapillaren der Lunge (Kollagen Typ IV alpha 3) findet im Goodpasture-Syndrom (Anti-GBM-Nephritis) statt.
In der membranösen Glomerulonephritis bildet sich der Immunkomplex vermutlich erst hinter dem Filter im Bowmanschen Kapselraum, der sich dann auf der Außenseite des Filters (subepithelial) ablagert. In etwa 70 % der Fälle bildet sich der Immunkomplex aus einem Autoantikörper und dem Phospholipase-A2-Rezeptor, der auf Podozyten exprimiert ist (Beck et al. 2009). So kommt es zu einer relativ spezifischen Schädigung der Podozyten und einer isolierten Schrankenstörung des Filters (nephrotisches Syndrom).
In der Lupusnephritis (Klasse I–V) findet sich ein heterogenes Mischbild mit Immunkomplexablagerungen mesangial, subendothelial und subepithelial – am ehesten als Folge der polyklonalen B-Zellaktivierung und diffusen Autoantikörperbildung. In der „dense-deposit disease“ (DDD, früher auch als membranoproliferative Glomerulonephritis Typ II bezeichnet) kommt es zu einer isolierten aberranten Komplementablagerung und -aktivierung in der glomerulären Basalmembran ohne auslösenden Immunkomplex (Smith et al. 2011). Schließlich können auch massive entzündliche Reize im Glomerulus induziert werden ohne jeden Hinweis auf Ablagerungen von Antikörpern, Immunkomplexen oder Komplement (z. B. in der Pauci-Immun-Glomerulonephritis bzw. ANCA-assoziierten Glomerulonephritis).

Nephrotische Glomerulopathien

Glomerulopathien mit einer isolierten Schrankenstörung des glomerulären Filters präsentieren sich mit einer isolierten Proteinurie bis hin zu einem nephrotischen Syndrom. Meist sind die Podozyten pathologisch verändert und reagieren uniform mit einem Verstreichen der Fußfortsätze.
Bis heute ist es noch umstritten, wie der glomeruläre Filter mit ca. 0,5 m2 Filteroberfläche und ca. 500 nm Dicke täglich 180 l eiweißfreien Primärharn aus dem Blut abfiltriert, ohne jemals zu verstopfen. Von allen publizierten Erklärungsversuchen ist aktuell das elektrokinetische Modell das vielversprechendste. Es postuliert, dass durch die Filtration ein elektrisches Feld über dem Filter generiert wird, das die Plasmaproteine in dem Blut zurückhält (per Elektrophorese) (Moeller und Tenten 2013). Die Theorie kann unter anderem die Pathogense der orthostatischen Proteinurie erklären, die üblicherweise in jungen Patienten mit niedrigem Blutdruck auftritt. In diesen Patienten kommt es im Stehen zu einem Abfall des Blutdrucks und des renalen Plasmaflusses (Robinson et al. 1963). Als Folge filtriert die Niere unterhalb des autoregulierten Bereichs, und deshalb ist das Spannungsfeld über dem Filter nicht mehr ausreichend stark, sodass geringe Mengen Plasmaproteine durch den Filter gelangen (typischerweise <1 g/Tag). Die Theorie erklärt auch, weshalb es zu einer großen Proteinurie bei einem Verstreichen der Fußfortsätze von Podozyten kommt (Minimal-Change-Nephropathie, membranöse Glomerulonephritis). Da der Filter elektrisch leitend ist, muss überall gleichmäßig filtriert werden, um ein gleichmäßiges elektrisches Feld über dem Filter aufzubauen. Sind größere Areale von der Filtration ausgeschlossen (durch verstrichene Fußfortsätze), kommt es zu einer großen Proteinurie an diesen Stellen (Hausmann et al. 2010).

Pathogenese des Nierenfunktionsverlusts durch Parietalzellaktivierung

Unterschiedliche (meist entzündliche) Reize können das klinische Syndrom einer rapid-progressiven Glomerulonephritis (RPGN) auslösen. Hierbei kommt es zu einer massiven Proliferation von aktivierten glomerulären parietalen Epithelzellen (PEC) und (in geringerem Ausmaß) auch von aktivierten Podozyten. Diese proliferierenden Zellen bilden im Bowmanschen Kapselraum zelluläre Halbmonde (extrakapilläre Proliferationen) aus (Smeets und Moeller 2012). Wenn diese Zellen den tubulären Pol überwuchern und den Urinabfluss blockieren, geht das gesamte Nephron zugrunde (Le Hir und Besse-Eschmann 2003). Dieser Mechanismus erklärt den raschen und oft irreversiblen Nierenfunktionslust in diesem klinischen Syndrom.
Die fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS) ist die gemeinsame Endstrecke der glomerulären Vernarbung aller primären Glomerulopathien, die zu einem chronischen Nierenfunktionsverlust führen können. Am ehesten als Folge einer Schädigung der Podozyten und durch noch unbekannte zusätzliche Schlüsselreize kommt es auch hier zu einer Aktivierung von PEC. Aktivierte PEC wandern dann über Adhäsionen auf einzelne Segmente des Kapillarkonvoluts ein und legen extrazelluläre Matrix ab (Smeets und Moeller 2012). Insgesamt führt dies zu einer langsam progredienten Zerstörung der Mikroanatomie des betroffenen Glomerulus und zum Verlust des gesamten Nephrons.

Klinische Syndrome

Die beschriebenen Syndrome können zum Teil überlappen und sind primär deskriptiv. Dennoch sind sie für eine Einteilung der zugrunde liegenden Erkrankungen im klinischen Alltag nützlich.

Nephritisches Syndrom

Das nephritische Syndrom umfasst die Kardinalsymptome (Mikro-)Hämaturie (mit Nachweis dysmorpher Erythrozyten, sog. Akanthozyten), subnephrotische Proteinurie (meist <3 g/Tag) und Bluthochdruck. Zusätzlich kann eine Nierenfunktionsverschlechterung bis zur Anurie vorliegen. Das nephritische Syndrom deutet meist auf einen entzündlichen endokapillären Prozess im Glomerulus hin.

Nephrotisches Syndrom

Das nephrotische Syndrom ist definiert als große Proteinurie (>3,5 g/Tag) mit Hypalbuminämie (<3,5 g/dl), Ausbildung von Ödemen und einer Hypercholesterinämie. Hypoproteinämische Episoden können zu charakteristischen weißen Linien der Fingernägel führen. Hauptkomplikationen des Proteinverlusts sind die Ödembildung, Störungen des Gerinnungssystems und der Immunabwehr.
Der Mechanismus der Ödembildung ist wahrscheinlich ein Kombination aus einer Volumenüberladung („overfill“) und intravasalen Hypovolämie („underfill“) (Abb. 1) (Humphreys 1994; Svenningsen et al. 2009).

Symptomatische Therapie des nephrotischen Syndroms

Therapie der Ödeme
Mit nach Wirkung dosierten Schleifendiuretika werden die Ödeme ausgeschwemmt (Blutdruck und Nierenfunktion engmaschig überwachen). Bei großer Proteinurie ist die Wirkung der Diuretika meist reduziert, sodass mitunter hohe Dosen über Perfusor i.v. appliziert werden müssen. Zusätzlich können auch Thiaziddiuretika gegeben werden. Ziel ist ein Gewichtsverlust von 1–3 kg/Tag. Eine Salzrestriktion (reduziert ggf. das Durstgefühl) unterstützt das Erreichen einer negativen Flüssigkeitsbilanz. Da im Verlauf das Ausmaß der Proteinurie meist schwankt, muss die notwendige Diuretikadosis stets angepasst werden. Statine senken insbesondere beim nephrotischen Syndrom möglicherweise das stark erhöhte kardiovaskuläre Risiko.
Prophylaktische Antikoagulation
Da auch insbesondere kleinmolekulare Proteine des Gerinnungssystems renal ausgeschieden werden und auch die Plättchenaggregation erhöht ist, kommt es bei schweren Verläufen zu einer Hyperkoagulabilität. Immobilisation, ein komplizierender Infekt oder eine Hämokonzentration unter diuretischer Therapie können thrombembolische Ereignisse begünstigen (Prävalenz ohne Therapie ca. 10 %). Der Serumalbuminspiegel kann als bester Surrogatparameter für das thrombemolische Risiko herangezogen werden. Fällt das Serumalbumin auf unter 25–20 g/l oder ist die Proteinurie >10 g/Tag, besteht ein erhöhtes thrombemolisches Risiko, und eine prophylaktische Vollantikoagulation ist indiziert, wenn keine Kontraindikationen vorliegen. Bei erhaltener Nierenfunktion ist das mit niedermolekularen Heparinen oder Marcumar möglich, ansonsten mit unfraktioniertem Heparin oder Marcumar (Cave: eventuell stärkere Wirkung von Marcumar bei Hypoproteinämie). Eine Immobilisation ist zu vermeiden. Der Nutzen einer Antikoagulation sollte gegen das Risiko einer Blutung abgewogen werden. Ein erhöhtes Blutungsrisiko ist anzunehmen bei (in absteigender Bedeutung): Vorliegen einer Anämie (<12–13 g/dl bei w/m), eine glomeruläre Filtrationsrate <30 ml/min, ein Lebensalter >75 Jahren, eine Blutung in der Vorgeschichte oder Vorliegen einer Hypertonie (Fang et al. 2011).
Immundefekt
Durch den Verlust von Immunglobulinen besteht ein erhöhtes Risiko insbesondere für schwere bakterielle Infekte (z. B. Pneumonie, Endokarditis). Bei Auftreten klinischer Infektzeichen (z. B. Fieber, Krankheitsgefühl) sollte rasch eine Diagnostik und frühzeitige Therapie eingeleitet werden.
Für eine Beschreibung asymptomatischer isolierter Urinbefunde (Mikroalbuminurie, subnephrotische Proteinurie und Hämaturie) Kap. Nephrologische Diagnostik: Urinanalyse.

Rapid-progressiven Glomerulonephritis

Das klinische Syndrom der rapid-progressiven Glomerulonephritis (RPGN) beschreibt einen raschen Nierenfunktionsverlust über Tage bis Wochen bis hin zur terminalen Niereninsuffizienz. Es ist ein nephrologischer Notfall, der eine sofortige Diagnostik und ggf. Therapie (z. B. eine empirische Steroidgabe) erfordert.

Chronisch progressive Niereninsuffizienz

Eine chronisch progressive Niereninsuffizienz ist eine häufige Spätform zahlreicher glomerulärer Erkrankungen, bei der es über längere Zeiträume (Monate bis Jahre) zu einem kontinuierlichen weiteren chronischen Nierenfunktionsverlust kommt, ohne dass Zeichen einer Aktivität der primären Grunderkrankung noch vorliegen müssen. Begleitet wird das Syndrom von den typischen Zeichen einer Niereninsuffizienz, insbesondere einer arteriellen Hypertonie und einer morphologischen Schrumpfung und Verdichtung der Nieren im Ultraschall. In diesem Stadium steht eine supportive Therapie (insbesondere eine gute Blutdruckeinstellung) und die Behandlung der Komplikationen der chronischen Niereninsuffizienz (z. B. Hyperurikämie, Hyperkaliämie, metabolische Azidose) im Vordergrund.
Literatur
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