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DGIM Innere Medizin
Info
Verfasst von:
Kinan Rifai
Publiziert am: 04.12.2014

Hämochromatose

Die hereditäre Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit) ist eine Gruppe von Erkrankungen mit angeborenem Defekt im Eisenstoffwechsel. Dabei kommt es zu vermehrter Eisenaufnahme aus dem Darm und konsekutiven Eisenablagerungen in verschiedenen Organen. Bisher konnten zugrunde liegende Defekte in den Genen für HFE, Hämojuvelin, Hepcidin, Transferrinrezeptor-2 und Ferroportin identifiziert werden. Je nach betroffenem Organ kann es zu verschiedenen Manifestationen kommen. Dazu gehören u. a. chronische Hepatitis und Leberzirrhose, Kardiomyopathie und Melanodermie. Im Mittelpunkt der Diagnostik der Hämochromatose stehen die Blutuntersuchungen des Eisenstoffwechsels und Ultraschalluntersuchungen von Leber und Herz. Therapeutisch stehen die Reduktion der oralen Eisenaufnahme und die Phlebotomie im Vordergrund.

Definition

Die hereditäre Hämochromatose oder Eisenspeicherkrankheit ist eine Gruppe von Erkrankungen mit angeborenem Defekt im Eisenstoffwechsel. Dabei kommt es zu vermehrter Eisenaufnahme aus dem Darm und konsekutiven Eisenablagerungen in verschiedenen Organen wie Leber, Herz, Pankreas und Haut. Die Erkrankung wird auch als Bronzediabetes bezeichnet.

Pathophysiologie

In Abhängigkeit vom genetischen Defekt wurden bisher vier Typen der hereditären Hämochromatose beschrieben (Tab. 1) (Babbit und Lin 2011). Der als Typ 1 bezeichnete Gendefekt ist der mit Abstand häufigste in Deutschland. Er betrifft das HFE-Gen auf Chromosom 6, ein atypisches HLA-Klasse-1-Protein. Es handelt sich um eine autosomal-rezessive Erkrankung. Über 80 % der klinisch auffälligen Patienten sind homozygot für die C282Y-Mutation. Seltener liegt eine Compound-Heterozygotie mit der H63D-Mutation vor, die mit einer milderen Verlaufsform assoziiert ist. In bis zu 10 % der Fälle wird keine der beiden Mutationen nachgewiesen.
Tab. 1
Formen der hereditären Hämochromatose.
Typ
Gendefekt (Chromosom)
Vererbung
Vorkommen
1
HFE-Gen (Chromosom 6)
Autosomal-rezessiv
Erwachsene
2a
Hämojuvelin (Chromosom 1)
Autosomal-rezessiv
Jugendliche
2b
Hepcidin (Chromosom 19)
Autosomal-rezessiv
Jugendliche
3
Transferrinrezeptor-2 (Chromosom 7)
Autosomal-rezessiv
Italien
4
Ferroportin (Chromosom 3)
Autosomal-dominant
Italien
Der Funktionsverlust des HFE-Proteins führt zu einer gesteigerten intestinalen Eisenresorption. Die Eisenüberladung des Körpers führt dann zu Eisenablagerungen in multiplen Organen, die dann nach Jahrzehnten der Erkrankung zu vielfältigen Organschäden führen können.
Die Typen 2a (Hämojuvelin-Defekt auf Chromosom 1) und 2b (Hepcidin-Defekt auf Chromosom 19) der Hämochromatose betreffen primär pädiatrische Patienten und sind ebenfalls autosomal-rezessiv. Die Typen 3 (Transferrinrezeptor-2-Defekt auf Chromosom 7; autosomal-rezessiv) und 4 (Ferroportin-Defekt auf Chromosom 3; autosomal-dominant) der Hämochromatose kommen insbesondere in Italien vor.

Epidemiologie

Es handelt sich um den häufigsten krankheitsassoziierten Gendefekt in Nordeuropa mit einer Prävalenz der Homozygotie von 1:200–1:500 und der Heterozygotie von 1:10–1:20. Die Penetranz des Gendefekts ist allerdings gering (Gan et al. 2011). Männer sind dabei häufiger und auch früher von der Erkrankung betroffen als Frauen, da diese durch die Menses regelmäßig Blut und damit Eisen verlieren. Erst ab der Menopause ist bei Frauen häufig eine Manifestation oder raschere Progression der Erkrankung zu erkennen. Die Erkrankung kann durch Kofaktoren wie Alkoholkonsum oder Mutationen weiterer am Eisenstoffwechsel beteiligter Gene gefördert werden (Allen et al. 2008).

Klinik

Die hepatische Manifestation der Hämochromatose kann zu einer chronischen Hepatitis mit Hepatomegalie und Transaminasenerhöhung führen (European Association For The Study Of The Liver 2010). Im Endstadium der Erkrankung kann sich dann eine Leberzirrhose entwickeln. Diese ist mit einem deutlich erhöhten Risiko zur Entwicklung hepatozellulärer Karzinome (HCC) assoziiert (Fracanzani et al. 2001). Daneben können multiple extrahepatische Manifestationen auftreten (Tab. 2), darunter insbesondere an Herz (Kardiomyopathie), Pankreas (Diabetes mellitus), Gelenken (Arthropathie), Hypophyse (Hypogonadismus) und Haut (Melanodermie). Das Auftreten von Porphyria cutanea tarda scheint bei hereditärer Hämochromatose gehäuft. Auch das Risiko für Mamma- und kolorektale Karzinome ist bei Patienten mit HFE-Genmutation erhöht (Gan et al. 2011).
Tab. 2
Organbeteiligungen bei der Hämochromatose.
Leber
Chronische Hepatitis, Hepatomegalie, Leberzirrhose, hepatozelluläres Karzinom
Herz
Pankreas
Diabetes mellitus
Gelenke
Arthropathie
Hypophyse
Hypogonadismus, Impotenz, Amenorrhö
Haut
Melanodermie, Porphyria cutanea tarda

Diagnostik

Im Mittelpunkt der Diagnostik der Hämochromatose stehen die Blutuntersuchungen des Eisenstoffwechsels: Neben der Bestimmung der Eisen- und Ferritinspiegel im Serum ist dabei die Transferrinsättigung entscheidend. Verdacht auf eine Hämochromatose besteht, wenn der Ferritinspiegel über 200 μg/l bei Frauen und 300 μg/l bei Männern sowie die Transferrinsättigung bei über 45 % bzw. 50 % liegen. Dann sollte eine genetische Diagnostik des HFE-Gens durchgeführt werden (European Association For The Study Of The Liver 2010). Weitere Gendiagnostik ist nur bei sehr ausgewählten Einzelfällen sinnvoll.
In der Organdiagnostik der Leber sollten zunächst die Leberwerte bestimmt werden. Zudem muss eine Ultraschalluntersuchung der Leber erfolgen; einerseits, um eine mögliche Leberzirrhose zu erkennen, andererseits, um die Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms auszuschließen. Hilfreich ist auch eine Leberbiopsie, die der Evaluation des Stadiums der Lebererkrankung dient. Alternativ kann dazu auch eine Elastographie der Leber eingesetzt werden. An der Leberbiopsie kann auch der Lebereisengehalt quantitativ bestimmt werden (sog. Veraschung). Die Bestimmung des Lebereisengehaltes ist auch mittels Magnetresonanztomographie (MRT) möglich (Maxwell und Kowdley 2012).
Extrahepatisch sollte das Herz zunächst mittels Echokardiographie untersucht werden. Ein möglicher Diabetes mellitus sollte ebenfalls ausgeschlossen werden. Eine Bestimmung des Testosteronspiegels ist sinnvoll. Bei Gelenkbeschwerden sollten Röntgenaufnahmen der entsprechenden Gelenke erfolgen.
Bei Patienten mit homozygoter C282Y-Mutation ist ein Familienscreening obligat. Dazu werden bei Verwandten ersten Grades ab dem 18. Lebensjahr die oben genannten Eisenstoffwechselparameter im Blut untersucht sowie der HFE-Gentest durchgeführt.

Differenzialdiagnostik

Eine temporäre Erhöhung des Ferritins als Akut-Phase-Protein findet sich häufig z. B. im Rahmen von Infekten oder Tumorerkrankungen. Chronische Lebererkrankungen wie die alkoholische Leberzirrhose oder auch die Hepatitis C können mit einer sekundären hepatischen Siderose einhergehen. Darüber hinaus kann eine sekundäre Siderose durch chronische Hämolyse bei Erkrankungen der Erythrozyten wie Thalassämie oder durch multiple Bluttransfusionen bei Erkrankungen des Knochenmarks wie chronisch-lymphatischer Leukämie oder myelodysplastischem Syndrom bedingt sein.

Therapie

Zunächst sollte die orale Eisenaufnahme reduziert werden (kein Alkohol, Vermeidung z. B. von Fleisch, Vollkorngetreide, getrocknetem Gemüse, Blattgemüse, Sojabohnen, Trockenobst, Beeren, Nüsse, Hefe). Therapeutisch steht aber die Phlebotomie (therapeutischer Aderlass) im Vordergrund. Damit kann bei rechtzeitigem Therapiebeginn der Progress zur Leberzirrhose in der Regel gestoppt werden. Auch die extrahepatischen Manifestationen können in Abhängigkeit von der Manifestationsart und vom Stadium der Eisenentspeicherung profitieren. Der Zielwert für Ferritin sollte unter dieser Therapie bei ca. 50 μg/l liegen. Auch eine Erythrozytapherese ist möglich, aber deutlich aufwändiger als die Aderlasstherapie (European Association For The Study Of The Liver 2010).
Bei gleichzeitig bestehender Anämie stehen als therapeutische Alternativen zum Aderlass Chelatbildner wie Deferoxamin (Desferal®) oder Deferasirox (Exjade®) zur Verfügung. Diese können jedoch z. T. erhebliche Nebenwirkungen wie beispielsweise Niereninsuffizienz hervorrufen.
Die Indikation zur Lebertransplantation wird bei der Hämochromatose entsprechend den Standardkriterien für die Leberzirrhose gestellt. Dabei ist eine genaue Evaluation der extrahepatischen Manifestationen wichtig, da insbesondere die kardiale Beteiligung Ursache von Komplikationen sein kann (Westra et al. 1993). Bei rund einem Viertel der Patienten findet sich zum Zeitpunkt der Transplantation ein primäres Leberkarzinom, wobei der Tumor häufig erst durch die Transplantation entdeckt wird (inzidentielles HCC) (Kowdley et al. 1995). Die Resultate der Lebertransplantation bei Patienten mit Hämochromatose sind aufgrund kardialer Komplikationen, erhöhter postoperativer Infektionsraten und Rezidiven primärer Lebertumoren schlechter als bei anderen Patientengruppen (Brandhagen 2001; Tung et al. 1999).

Verlauf und Prognose

Insgesamt ist durch die niedrige Penetranz der Hämochromatose das tatsächliche Risiko relativ gering, relevante Folgen der Erkrankung zu entwickeln, insbesondere für Frauen. Eine frühzeitige und effektive Aderlasstherapie kann bei Erkrankten die Erkrankung aufhalten. Neben dem Risiko der Leberzirrhose, der Kardiomyopathie und des Diabetes mellitus sticht insbesondere das deutlich erhöhte Risiko für die Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms heraus. Aus diesem Grund ist bei Patienten mit Leberbeteiligung bei Hämochromatose eine entsprechende regelmäßige Vorsorge (mit Sonographie der Leber sowie ggf. AFP-Bestimmung im Serum) notwendig.
Literatur
Babbit JL, Lin HY (2011) The molecular pathogenesis of hereditary hemochromatosis. Sem Liv Dis 31:280–292CrossRef
Gan EK, Powell LW, Olynyk JK (2011) Natural history and management of HFE-Hemochromatosis. Sem Liv Dis 31:293–301CrossRef
Allen KJ, Gurrin LC, Constantine CC et al (2008) Iron-overloadrelated disease in HFE hereditary hemochromatosis. N Engl J Med 358:221–230PubMedCrossRef
European Association For The Study Of The Liver (2010) EASL clinical practice guidelines for HFE hemochromatosis. J Hepatol 53:3–22CrossRef
Fracanzani AL, Conte D, Fraquelli M et al (2001) Increased cancer risk in a cohort of 230 patients with hereditary hemochromatosis in comparison to matched control patients with non-iron-related chronic liver disease. Hepatology 33:647–651PubMedCrossRef
Maxwell KL, Kowdley KV (2012) Metals and the liver. Curr Opin Gastroenterol 28:217–222PubMedCrossRef
Westra WH, Hruban RH, Baughman KL et al (1993) Progressive hemochromatotic cardiomyopathy despite reversal of iron deposition after liver transplantation. Am J Clin Pathol 99:39–44PubMed
Kowdley KV, Hassanein T, Kaur S et al (1995) Primary liver cancer and survival in patients undergoing liver transplantation for hemochromatosis. Liver Transpl Surg 1:237–241PubMedCrossRef
Brandhagen DJ (2001) Liver transplantation for hereditary hemochromatosis. Liver Transpl 7:663–672PubMedCrossRef
Tung BY, Farrell FJ, McCashland TM et al (1999) Long-term follow-up after liver transplantation in patients with hepatic iron overload. Liver Transpl Surg 5:369–374PubMedCrossRef