Physiologische Veränderungen während der Schwangerschaft
In der normal verlaufenden Schwangerschaft nehmen sowohl der systolische als auch der diastolische Blutdruck bis zur 20. Schwangerschaftswoche ab, um danach wieder auf die Ausgangswerte anzusteigen. Bis zur 20. Schwangerschaftswoche kommt es zu einem 50 %igen Anstieg der
glomerulären Filtrationsrate und des renalen Plasmaflusses. Diese Parameter bleiben auf dem erhöhten Niveau bis zum Ende der Schwangerschaft. Somit sollte das Serumkreatinin in der Schwangerschaft absinken, ein Serumkreatinin
von 1 mg/dl am Ende der Schwangerschaft ist im Allgemeinen pathologisch (Chang und Streitman
2012).
In der Schwangerschaft kommt es zu einer Gewichtszunahme von durchschnittlich etwa 12 kg. Das Körperwasser steigt um 6–8 l an, das Extrazellularvolumen nimmt um 4–6 l zu (Khraibi
2002; Odutayo und Hladunewich
2012). Die osmotische Schwelle für
antidiuretisches Hormon (ADH) wird um ca. 10 mosm/l herabgesetzt mit der Folge einer sinkenden Serumosmolalität. Die kumulative Kochsalzretention beträgt durchschnittlich 900 mmol.
Die erste Schwangerschaftshälfte ist durch eine ausgeprägte Angiogenese charakterisiert (Dechend und Luft
2008). Mit der
Plazentation findet zunächst eine Invasion der Dezidua statt, danach folgt ein Umbau der Spiralarterien bis zur 16. Schwangerschaftswoche, sodass diese letztlich von Widerstandsgefäßen zu Kapazitätsgefäßen umgewandelt werden. Initiiert wird die Plazentation wahrscheinlich durch
Hypoxämie der Trophoblasten mit der konsekutiven Freisetzung von einer Serie von Wachstumsfaktoren wie VEGF („vascular endothelial growth factor“), PlGF (Plazentawachstumsfaktor), Endoglin und Endothelinen. In der 2. Schwangerschaftshälfte kommt es dann zur Hemmung einer überschießenden Angiogenese. Vermittelt durch Angiotensin II werden soluble Rezeptoren (sFlt, sEng) für VEGF und PIGF ausgeschüttet, die diese Wachstumsfaktoren neutralisieren (Levine et al.
2004).
Während der gesamten Schwangerschaft dominiert jedoch im physiologischen Zustand eine endothelvermittelte systemische Vasorelaxation.
Wird das Gleichgewicht dieser proangiogenetischen Faktoren und ihrer Gegenspieler gestört, wird in der 2. Schwangerschaftshälfte die Entwicklung einer schwangerschaftsinduzierten
Hypertonie und ihrer Komplikationen begünstigt (s. u.).
Pathophysiologie
Zur Genese einer Gestose gibt es verschiedene Hypothesen, die nachfolgend dargestellt sind:
Familäre Disposition
Plazentare Ischämie
Aktivierung des sympathischen Nervensystems
Gestörte Endothelfunktion
Inhibitoren von endothelabhängigen vasorelaxierenden Faktoren (z. B. ADMA)
Immunologische Prozesse (AT1-Rezeptor-aktivierende
Antikörper)
Zirkulierende Inhibitoren gegen proangiogene Faktoren (z. B. sFlt1 – ein VEGF-Antagonist)
Eine familiäre Disposition für eine Gestose konnte gezeigt werden, wenngleich die zugrunde liegenden genetischen Veränderungen noch unbekannt sind. Eine plazentare Ischämie ist ein entscheidender Faktor für die Entwicklung der Gestose, damit stehen die übrigen aufgelisteten Faktoren in Beziehung. Tierexperimentelle Daten zeigen, dass eine Drosselung der Plazentaperfusion durch einen Clip zur Entwicklung einer Gestose führt (Henzel und Alsip
2001). Untersuchungen an Patientinnen mit einer Präeklampsie belegen zweifelsfrei eine deutliche Störung der Endothelfunktion (Savvidou et al.
2003; Seligman et al.
1994) und eine tonische Aktivierung des sympathischen Nervensystems (Schobel et al.
1996). Während Letztere sich nur außerhalb der klinischen Routine messen lässt, kann Erstere mit Standardultraschallverfahren untersucht werden (Strömungsprofil der uterusversorgenden Arterien in der Duplexsonografie). Nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnis ist eine gestörte
Plazentation in der
Frühschwangerschaft wahrscheinlich entscheidend. Es kommt zu einer unzureichenden Trophoblaseninvasion in die Dezidua mit der Folge eines unzureichenden Remodellings der Spiralarterien. Deren Umwandlung in Kapazitätsgefäße bleibt weitgehend aus (Verlohren et al.
2010). In der 2. Schwangerschaftshälfte resultiert daraufhin eine plazentare Ischämie, die wiederum zu eine verstärkten Ausschüttung von Substanzen führt, die die Endothelfunktion erheblich beeinträchtigen. Zum einen sind dies freie Sauerstoffradikale und
Zytokine wie TNF-alpha und Endothelin (Hagmann et al.
2012). Zum anderen werden Angiotensin-II-Rezeptor-aktivierende
Autoantikörper beobachtet (Dechend et al.
2003; Davison et al.
2004). Schließlich werden von der Plazenta antiangiogenetische Faktoren ausgeschüttet wie „soluble fms-like“-Tyrosinkinase-1 (sFlt-1) und „soluble“-Endoglin (sEng) (Levine et al.
2006). Es werden verstärkt endogene Inhibitoren der NO-Synthase (z. B. ADMA) gebildet (Savvidou et al.
2003). Somit werden vasorelaxierende Substanzen wie NO und Prostazyklin nur vermindert freigesetzt. Die Folge ist eine Hemmung der endogenen angiogenetischen Faktoren wie VEGF und PIGF und eine Verstärkung der uteroplazentaren Ischämie sowie Entwicklung einer systemischen Vasokonstriktion und Endotheldysfunktion. Das Resultat sind
Hypertonie, glomeruläre Schädigung, Proteinurie, Hirnödem, Leberfunktionsstörungen bis hin zur Entwicklung einer
mikroangiopathischen hämolytischen Anämie.
Folgen einer Gestose für die mütterliche und fetale Morbidität und Mortalität
Wie oben bereits dargelegt, stellt die Gestose einen entscheidenden Risikofaktor dar. Ab einem diastolischen Blutdruck von 95 mmHg und mehr steigt die fetale Sterblichkeit steil an, und zwar besonders stark, wenn neben der
Hypertonie eine Proteinurie vorliegt. Ebenso korreliert das Ausmaß der Proteinurie mit der perinatalen Sterblichkeit. In den Industrienationen ist die Hypertonie die Hauptursache maternaler Sterblichkeit bei Schwangeren (mehr als 16 % der Todesursachen).
Eine eingeschränkte Nierenfunktion ist gradabhängig mit intrauteriner Wachstumsretardierung, Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie und perinatalem Tod assoziiert (Jones und Hayslett
1996; Khan et al.
2006; Barker et al.
1989). Besonders bei Frauen mit terminaler
Niereninsuffizienz kann die perinatale Sterblichkeit mehr als 50 % betragen; um Jones zu zitieren: „Children of women with renal disease used to be born dangerously or not at all“ (Jones und Hayslett
1996). Ebenso ist eine Schwangerschaft bei niereninsuffizienten Müttern mit einem erhöhten Risiko einer weiteren Nierenfunktionsverschlechterung verbunden. Zum Beispiel beträgt das Risiko, ein Jahr nach Beendigung der Schwangerschaft eine Niereninsuffizienz im Stadium CKD V zu entwickeln, 35 % bei einem Ausgangskreatinin der Schwangeren von mehr als 2 mg/dl (Imbasciati et al.
2007).
Therapie
Es sollte, wenn möglich, eine Abschirmung gegenüber Alterstress erfolgen, Ruhephasen sind erforderlich. Kochsalzarme Diät wird nicht mehr empfohlen (Duley et al.
2005). Strikte Bettruhe ist ohne gesicherten Effekt (Meher et al.
2005). Es gibt Hinweise, dass Thrombozytenaggregationshemmer, insbesondere Azetylsalizylsäure, das Risiko für das Auftreten einer Gestose verringern (Askie et al.
2007). Daraus resultiert die Empfehlung der britischen Hypertoniegesellschaft, Schwangere mit hohem Präeklampsierisiko prophylaktisch mit ASS zu versorgen (Redman
2011).
Eine medikamentöse antihypertensive Therapie ist indiziert bei Blutdruckwerten von mehr als 170 mmHg systolisch und mehr als 110 mmHg diastolisch, bei vorbestehender
Hypertonie oder Nierenerkrankungen oder
Diabetes verschieben sich diese Grenzen nach unten auf >160/100 mmHg (AWMF
2019). Als Zielblutdruck unter antihypertensiver Therapie sind 140–160 mmHg systolisch und 90–100 mmHg diastolisch anzustreben. Eine antihypertensive Therapie verbessert das mütterliche Risiko, ein Effekt antihypertensiver Therapie auf das fetale Risiko konnte bislang nicht gesichert werden (Magee et al.
2011). Trotz antihypertensiver Therapie verbleibt ein Risiko, eine Gestose zu entwickeln. Bei schwerer Gestose,
HELLP-Syndrom, hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) oder fetaler Schädigung bleibt die Entbindung als effektivste und kausale Therapie.
Angesichts der nicht eindeutigen Studienlage bzgl. einer antihypertensiven Therapie (Abalos et al.
2001) in der Schwangerschaft und des erheblichen besonders fetalen Risikos (Barker et al.
1989) sollte die Indikation zur stationären Behandlung bei Patientinnen mit schwangerschaftsassoziierter
Hypertonie großzügig gestellt werden, wie nachfolgende Auflistung zeigt (AWMF
2019):
Hypertonie >160/100 mmHg
Hypertonie > 140/90 mmHg und Proteinurie (>0,3 g/l)
Proteinurie und rasche Ödementwicklung oder Gewichtszunahme (>2 kg/Woche)
Hinweise für eine fetale Kompromittierung
Pathologisches
CTG und/oder pathologische Doppler-Sonografie
Prodromalsymptome unabhängig vom Schweregrad der Hypertonie/Proteinurie
Hypertonie und/oder Proteinurie und Risikofaktoren
Vorbestehende mütterliche Erkrankungen (z. B.
Diabetes mellitus)
Mehrlingsgravidität
Fetale Wachstumsretardierung
Frühes Gestationsalter (26.–34. Schwangerschaftswoche)
Mangelnde Kooperation der Mutter
Wegen der bei Schwangerschaftshypertonie gestörten uteroplazentaren Perfusion sollte der Blutdruck durch
Antihypertensiva nicht unter 140/90 mmHg gesenkt werden (Abalos et al.
2001).
Verwendete
Antihypertensiva in der Schwangerschaft sind (AWMF
2019):
α-Methyldopa, am besten untersucht und geeignet
Dihydralazin, eingeschränkt geeignet
Urapidil, besonders geeignet für einen hypertensiven Notfall (Wacker et al.
2006)
Nicht geeignet sind
Diuretika. Kontraindiziert sind Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (Cooper et al.
2006).
α-Methyldopa ist das am besten untersuchte Antihypertensivum in der Schwangerschaft. Es wird in der Schwangerschaft gut toleriert und hat keinen negativen Einfluss auf das intrauterine Wachstum und die fetale Entwicklung. Die Tagesdosen liegen zwischen 375 mg und 2000 mg, verteilt auf 3–4 Gaben pro Tag.
Betablocker sind nur eingeschränkt geeignet, da sie zu einer gewissen intrauterinen Wachstumsretardierung führen können. Außerdem sollten sie nicht bis zur Entbindung fortgeführt werden, da sie zu Hypotonie, Bradykardie und
Hypoglykämie des Neugeborenen führen können. Erprobte Vertreter sind Metoprolol,
Atenolol und Acebutolol.
Ebenfalls nur eingeschränkt geeignet ist der direkte Vasodilatator Dihydralazin
, da die Substanz zur Reflextachykardie führt. Daher sollte Dihydralazin nur in Kombination mit α-Methyldopa oder einem
Betablocker eingesetzt werden. Obwohl negative Effekte für den Feten nicht beschrieben sind, sollte die Substanz nicht im 1. Trimenon eingesetzt werden.
Kalziumantagonisten sind im Tiermodell möglicherweise teratogen und sollten daher im 1. Trimenon nicht eingesetzt werden. Negative Effekte auf den menschlichen Embryo oder Feten sind allerdings bislang nicht beschrieben. Kalziumantagonisten sind sehr gut wirksam, sowohl Dihydropyridin-Kalziumantagonisten wie Nifedipin als auch Verapamil. Leider liegen noch zu wenige Langzeitdaten zum Einsatz dieser Substanzen in der Schwangerschaft vor. Bei gleichzeitiger Therapie mit
Magnesium, z. B. bei
Eklampsie, ist zu beachten, dass Magnesium die hypotensive Wirkung von Kalziumantagonisten potenziert.
Diuretika sind ungeeignet, da sie das bei Präeklampsie ohnehin verminderte Plasmavolumen noch weiter reduzieren und somit die uteroplazentare Perfusion vermindern. Allerdings können Thiaziddiuretika fortgeführt werden, wenn die Patientinnen bereits vor der Schwangerschaft damit behandelt wurden. In jedem Falle kontraindiziert sind Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems.
ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptorblocker
(ARB) sind teratogen und verursachen Schädelkalottendefekte. Darüber hinaus bewirken sie ein Oligohydramnion mit intrauteriner Wachstumsretardierung und erhöhter fetaler und
perinataler Mortalität. Sie können beim Neugeborenen ein
akutes Nierenversagen auslösen. Bei
Kinderwunsch sind diese Substanzen vor einer geplanten Schwangerschaft abzusetzen und z. B. durch α-Methyldopa zu ersetzen.
Ein
hypertensiver Notfall in der Schwangerschaft liegt dann vor, wenn stark erhöhte Blutdruckwerte mit Folgeerscheinungen, wie z. B. hypertensiver Enzephalopathie (
Sehstörungen,
Schwindel,
Kopfschmerzen, Krampfanfall,
Bewusstseinsstörungen, neurologische Ausfallserscheinungen) oder Lungenödem einhergehen. Eine asymptomatische Blutdruckerhöhung ist kein
hypertensiver Notfall, unabhängig vom Ausmaß des Blutdruckanstiegs, und erfordert keine akute Blutdrucksenkung. Geeignet zur Therapie des hypertensiven Notfalles in der Schwangerschaft sind z. B. Urapidil i.v. und Nifedipin sublingual. Bei Krampfbereitschaft oder bereits aufgetretenen Konvulsionen sollte zusätzlich Magnesiumsulfat oder Diazepam i.v. verabreicht werden. Dies ist auch die Therapie der manifesten
Eklampsie. Die Magnesiumdosis kann dabei bis 70 g pro Tag erreichen mit Magnesiumserumspiegeln im Allgemeinen zwischen 2,5–5 mval/l.
Bei Patientinnen mit vorbestehender
Hypertonie sind bei
Kinderwunsch Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems abzusetzen und ggf. durch andere
Antihypertensiva (vorzugsweise α-Methyldopa) zu ersetzen. Alle anderen Antihypertensiva können wahrscheinlich – sofern bei eingeschränkter Datenlage beurteilbar – durch die Schwangerschaft hindurch fortgeführt werden (Redman
2011).
Therapie kurz zusammengefasst für die Praxis
Blutdrucksenkung medikamentös bei Werten >160–169/100–109 mmHg:
Hypertensive Gefahrensituation oder Notfall:
Urapidil i. v. oder retardiertes Nifedipin p.o unter Monitoring
Risikoschwangerschaft, Prävention erneuter Präeklampsie:
ASS 100 mg/Tag ab 12.–16. bis 36. Schwangerschaftswoche
Eine Entbindung heilt in der Regel die Erkrankungen Gestationshypertone, (Prä)Eklampsie und
HELLP-Syndrom.