Skip to main content
DGIM Innere Medizin
Info
Publiziert am: 13.12.2019

Hypophyseninsuffizienz

Verfasst von: Birgit Harbeck und Hendrik Lehnert
Im Rahmen einer Hypophyseninsuffizienz kann es zu einem partiellen oder kompletten Ausfall einer oder mehrerer Achsen des Hypophysenvorderlappens und/oder des Hypophysenhinterlappens kommen. Ursächlich sind angeborene oder erworbene Störungen der Hypophyse oder eine Schädigung der übergeordneten Zentren im Hypothalamus. Wichtigste Ursache einer Hypophyseninsuffizienz sind Raumforderungen im Bereich der Sella sowie die Folgen ihrer Behandlung durch operative Eingriffe. Die Klinik der partiellen oder vollständigen Hypophyseninsuffizienz wird durch die Symptome des Ausfalls des jeweiligen Endorgans bestimmt. Neben Anamnese und Klinik kommt der biochemischen Diagnostik entscheidende Bedeutung zu. Ergibt die biochemische Diagnostik den Nachweis einer Hypophyseninsuffizienz, schließt sich eine Bildgebung der Hypophyse und des Hypothalamus zum Ausschluss einer Raumforderung an. Zum Ausschluss einer Beteiligung des Sehnervs ist eine augenärztliche Untersuchung erforderlich. Die Therapie der Hypophyseninsuffizienz besteht aus der Substitution der ausgefallenen Hormone, wobei mit Ausnahme der somatotropen Achse die peripheren Hormone substituiert werden.

Einleitung und Definition

Zwischen Hypothalamus, Hypophyse und peripheren Drüsen besteht ein Regelkreissystem. Dabei gibt der Hypothalamus als übergeordnetes Steuerungsorgan Releasinghormone ab, die die Hypophyse, die aus einem Vorderlappen (HVL) und einem Hinterlappen (HHL) besteht, zur Ausschüttung spezifischer Hormone aus dem Hypophysenvorderlappen veranlassen, die wiederum stimulierend auf die Sekretion von Effektorhormonen aus den peripheren Drüsen wirken. Zu unterscheiden sind dabei die gonadotrope (LH = luteinisierendes Hormon, FSH = follikelstimulierendes Hormon), somatotrope (GH = „growth hormone“, syn. STH), thyreotrope (TSH = Thyroidea-stimulierendes Hormon), kortikotrope (ACTH = adrenokortikotropes Hormon) und mammotrope (Prolaktin) Achse. Im Hypophysenhinterlappen erfolgt die Freisetzung von ADH (antidiuretisches Hormon), das in den Nuclei paraventricularis und supraopticus des Hypothalamus sezerniert und nach axonalem Transport im HHL gespeichert wird. Im Rahmen einer Hypophyseninsuffizienz kann es zu einem partiellen oder kompletten Ausfall einer oder mehrerer Achsen des HVL und/oder des HHL kommen.

Pathophysiologie

Ursächlich sind angeborene oder erworbene Störungen der Hypophyse oder eine Schädigung der übergeordneten Zentren im Hypothalamus.
Bei den angeborenen Störungen finden sich am häufigsten Störungen der Sekretion von GH und Gonadotropinen infolge Ausfalls des hypothalamischen Releasinghormons (z. B. Kallmann-Syndrom) bzw. einer hypophysären Störung. Isolierte Ausfälle der kortikotropen und thyreotropen Achse sind indes sehr selten.
Wichtigste Ursache einer Hypophyseninsuffizienz sind Raumforderungen im Bereich der Sella (ca. 60 % der Fälle), die durch die Kompression normalen Hypophysengewebes zu einer Beeinträchtigung der Sekretion gesunder Hypophysenzellen führen, sowie die Folgen ihrer Behandlung durch operative Eingriffe. Von wesentlicher Bedeutung sind hierbei vor allem hormoninaktive Hypophysenadenome. Eine partielle oder komplette HVL-Insuffizienz kann jedoch auch nach einer Radiatio des Schädels mit einer Latenz von bis zu 10 Jahren auftreten. Raumforderungen mit suprasellärer Ausdehnung können zu einer Beeinträchtigung von Hypophysenstiel und Hypothalamus und damit zu einem Diabetes insipidus führen (z. B. Kraniopharyngeome).
Weitere wichtige nicht tumorbedingte Ursachen sind traumatischer (z. B. Blutungen, Schädel-Hirn-Trauma), entzündlicher (z. B. Meningitis, Enzephalitis), vaskulärer (z. B. Hypophysenapoplex) oder autoimmuner Genese (z. B. lymphozytäre oder medikamenten-assoziierte Hypophysitis). Auch ein Empty-sella-Syndrom kann mit einer Hypophyseninsuffizienz einhergehen.

Epidemiologie

Die Prävalenz der Hypophyseninsuffizienz liegt bei 45/100.000 Einwohner, während die jährliche Inzidenz auf ca. 4/100.000 Einwohner geschätzt wird. Eine Geschlechterpräferenz besteht nicht. Die Erkrankung nimmt mit dem Alter zu.

Klinik

Die Klinik der partiellen oder vollständigen Hypophyseninsuffizienz wird durch die Symptome des Ausfalls des jeweiligen Endorgans bestimmt (Tab. 1). Zu Beginn ist sie häufig unspezifisch und zeigt einen schleichenden Verlauf. Dabei kommt es bei Hypophysentumoren charakteristischerweise infolge der unterschiedlichen Sensitivität der Zellen des HVL zunächst zu einer Beeinträchtigung der somatotropen und gonadotropen Partialfunktionen, während die thyreotrope und kortikotrope Achse oftmals weniger oder später in Mitleidenschaft gezogen werden. Zu den Frühsymptomen zählen daher bei Frauen Zyklusstörungen und Amenorrhö sowie Libido- und Potenzverlust beim Mann. Das Vorliegen eines Diabetes insipidus bei ADH-Mangel mit Polyurie und Polydipsie weist auf eine primär hypothalamische Erkrankung hin und kommt bei intrasellären Hypophysenadenomen in der Regel nicht vor.
Tab. 1
Klinik der Hypophyseninsuffizienz
Achsenausfall
Symptom
Somatotrope Achse
Kleinwuchs, stammbetonte Adipositas, Arteriosklerose, Fettstoffwechselstörungen, reduzierte körperliche Leistungsfähigkeit
Gonadotrope Achse
Hypogonadotroper Hypogonadismus
Frauen: Menstruationsstörungen, Infertilität, Atrophie der Mammae
Männer: herabgesetzte Libido und Potenz, Infertilität, weiche Testes
Thyreotrope Achse
Sekundäre/tertiäre Hypothyreose
Kälteintoleranz, Obstipation, Gewichtszunahme, Myxödem, trockene Haut, Bradykardie
Kortikotrope Achse
Sekundäre/tertiäre Nebennierenrindeninsuffizienz
Schwäche, Müdigkeit, Blässe, Gewichtsverlust, Übelkeit, Erbrechen, Hypoglykämie
Diabetes insipidus
Polyurie, Nykturie, Polydipsie
Neben den hormonellen Ausfällen kann es als Spätsymptom bei großen Raumforderungen zu Kopfschmerzen und Sehstörungen mit Gesichtsfeldausfällen infolge Kompression des Sehnervs kommen.

Diagnostik

Neben Anamnese und Klinik kommt der biochemischen Diagnostik entscheidende Bedeutung zu.

Biochemische Diagnostik

Die zeitgleiche Messung der peripheren und hypophysären Hormone zeigt bei Vorliegen einer Hypophyseninsuffizienz eine Erniedrigung der peripheren Hormone bei inadäquat niedrigen hypophysären Hormonen. Die pulsatile Ausschüttung von STH und ACTH erschwert jedoch die basale Diagnostik, sodass zur Überprüfung der somatotropen und kortikotropen Achse in der Regel ein Funktionstest erforderlich ist. Ausgenommen sind morgendliche Serumkortisolwerte <3 μg/dl, hier kann von einer Insuffizienz der kortikotropen Achse ausgegangen werden. Als Stimulationstest für die somatotrope Achse sind der Insulin-Hypoglykämietest, der Glukagontest und der GHRH-Arginintest geeignet.
Für die Überprüfung der kortikotropen Achse kommt als Goldstandard weiterhin der Insulin-Hypoglykämietest in Betracht, daneben insbesondere der CRH-Test oder Glukagontest sowie der ACTH-Kurztest und Metopirontest. Der ACTH-Kurztest kann im Fall einer erst kurz bestehenden sekundären Nebennierenrindeninsuffizienz (<3 Monate) zu falsch normalen Ergebnissen führen. Für die genaue Testdurchführung Kap. „Nebenniereninsuffizienz“.
Für den Nachweis einer Insuffizienz der gonadotropen und thyreotropen Achse ist kein Stimulationstest erforderlich. Zum Nachweis eines Diabetes insipidus ist bei entsprechendem Verdacht die Durchführung eines Durstversuchs mit Bestimmung der Serum- und Urinosmolalität erforderlich (Kap. „Diabetes insipidus“). Hilfreich kann auch bereits die Bestimmung von Copeptin sein, welches in äquimolarer Konzentration zu ADH gebildet wird und im Blut über mehrere Tage ungekühlt stabil ist.

Bildgebung

Ergibt die biochemische Diagnostik den Nachweis einer partiellen oder kompletten Hypophyseninsuffizienz, schließt sich eine Bildgebung der Hypophyse und des Hypothalamus zum Ausschluss einer Raumforderung an. Wichtigste Untersuchung stellt dabei eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Sella (nativ und mit Kontrastmittel) dar, erfasst werden können Läsionen bis 2 mm Größe.

Augenärztliche Diagnostik

Bei Verdacht auf das Vorliegen einer Hypophysenerkrankung ist zusätzlich eine augenärztliche Untersuchung zum Ausschluss einer Beteiligung des Sehnervs erforderlich. Im Mittelpunkt steht hierbei eine Gesichtsfeldperimetrie bzw. computerassistierte Perimetrie.

Differenzialdiagnostik

Periphere Insuffizienz
Differenzialdiagnostisch muss insbesondere eine periphere Insuffizienz der endokrinen Endorgane berücksichtigt werden. Hierbei sind die Hypophysenhormone jedoch aufgrund des fehlenden negativen Feedbacks im Regelkreis deutlich erhöht.
Isolierte Erniedrigung der Gonadotropine
Eine Erniedrigung der Gonadotropine und der Geschlechtshormone sind ein häufiger Befund bei Anorexia nervosa. Die richtige Diagnose ergibt sich hier bereits meist in der Zusammenschau von Anamnese und Klinik.
Isolierte Erniedrigung des (TSH)
Ein vermindertes TSH findet sich häufig in der Akutphase einer schweren Erkrankung infolge einer verminderten Sekretion von Thyreotropin-Releasinghormon (TRH). In der Folge ergibt sich bei Abfall von freiem Trijodthyronin (fT3) und freiem Tetrajodthyronin (fT4) die Konstellation wie bei einer sekundären Hypothyreose (Euthyroid-sick-Syndrom). Klinisch sind die Patienten jedoch euthyreot.
Mangel an Bindungsproteinen
Bei einem Mangel an Thyroxin-bindendem Globulin (TBG), Kortikosteroid-bindendem Globulin (CBG) oder Sexualhormon-bindendem Globulin (SHBG) liegen erniedrigte periphere Hormonspiegel vor, die hypophysären Hormone liegen jedoch im Normbereich.

Therapie

Die Therapie der Hypophyseninsuffizienz besteht aus der Substitution der ausgefallenen Hormone, wobei mit Ausnahme der somatotropen Achse die peripheren Hormone substituiert werden. Einen Überblick über die Therapie gibt Tab. 2.
Tab. 2
Therapie der Hypophyseninsuffizienz
Achsenausfall
Therapie bei Erwachsenen
Somatotrope Achse
Bei Erwachsenen keine generelle Therapieindikation
Gabe von rekombinantem Wachstumshormon s.c. am Abend
Startdosis: 0,2 mg
Kontrollparameter: alters- und geschlechtsbezogener IGF-1-Wert
Gonadotrope Achse
Frauen: Östrogen-Gestagen-Präparat nach frauenärztlicher Maßgabe bis zum Menopausenalter
Männer: Testosteronpräparate
- i.m.: Testosteronenantat 250 mg alle 3–4 Wochen, Testosteronundecanoat 1000 mg alle 3 Monate
- transdermal: 25–50 mg/Tag
- axillär: 60 mg/d bis max. 120 mg/d
- Kontrollparameter: Testosteron, SHBG, Blutbild, PSA
Thyreotrope Achse
Levothyroxin 1,5 μg/kg KG/Tag nüchtern 30 min vor dem Frühstück
Kontrollparameter: fT4 im oberen Drittel des Normbereichs
Corticotrope Achse
Hydrocortison 10–25 mg/d in 2 oder 3 Einzeldosen, ggf. Retardpräparate (Plenadren®) 20 mg 1-0-0
Dosisanpassung in Stresssituationen (z. B. Fieber, gastrointestinale Infekte, Operationen, starke psychische Belastung, länger andauernder Sport)
ADH
Desmopressinpräparate
- Tablette: 0,1 oder 0,2 mg
- Nasenspray: 1–2 Hübe/Tag
Ziele: Trinkmenge 2–3 l, keine Polyurie, Natrium im Serum normal
fT4 freies Tetrajodthyronin, IGF „insulin-like growth factor“, PSA prostataspezifisches Antigen, SHBG Sexualhormon-bindendes Globulin
Wichtig ist, vor Beginn einer evtl. Levothyroxinsubstitution eine Nebennierenrindeninsuffizienz auszuschließen oder aber adäquat zu substituieren, da die Gabe von Schilddrüsenhormonen bei einer bislang unentdeckten Nebennierenrindeninsuffizienz zu einer Addison-Krise führen kann. Patienten mit einem Ausfall der kortikotropen und/oder thyreotropen Achse benötigen einen Notfallausweis und müssen bei bestehender Nebennierenrindeninsuffizienz über die Notwendigkeit aufgeklärt werden, ihre Glukokortikoiddosis in Stresssituationen um das Zwei-bis Fünffache zu erhöhen. Neben einer Patientenschulung ist die Ausgabe einer Notfallmedikation (z. B. Zäpfchen, Glukokortikoidspritze) erforderlich (Fleseriu et al. 2016).
Bei der Schilddrüsenhormonsubstitution kann die Steuerung der Levothyroxindosis aufgrund der bestehenden hypothalamisch-hypophysären Störung nicht anhand des TSH-Wertes erfolgen, sondern richtet sich nach den fT4-Spiegeln, die im oberen Normbereich liegen sollten.

Verlauf und Prognose

Unter adäquater Substitutionstherapie können Betroffene ein weitgehend normales Leben führen, die Lebenserwartung ist allerdings infolge einer erhöhten kardiovaskulären Morbidität und Mortalität eingeschränkt. Die Genese hierbei ist noch unklar, neben Wachstumshormonmangel wird auch eine inadäquate Substitution anderer hypophysärer Hormonachsen (z. B. kortikotrope Achse) diskutiert (Rahvar et al. 2017; Erfurth und Hagmar 2005; Krzyzanowska et al. 2005; Bülow et al. 1997).

Besondere Aspekte

Bei einer Schwangerschaft ist eine Dosisanpassung der Substitutionstherapie mit Glukokortikoiden und Levothyroxin erforderlich.
Literatur
Bülow B, Hagmar L, Mikoczy Z, Nordström CH, Erfurth EM (1997) Increased cerebrovascular mortality in patients with hypopituitarism. Clin Endocrinol 46:75–81CrossRef
Erfurth EM, Hagmar L (2005) Cerebrovascular disease in patients with pituitary tumors. Trends Endocrinol Metab 16:334–342CrossRef
Fleseriu M, Hashim IA, Karavitaki N, Melmed S, Murad MH, Salvatori R, Samuels MH (2016) Hormonal replacement in Hypopituitarism in adults: an endocrine society clinical practice guideline. J Clin Endocrinol Metab 101:3888–3921CrossRef
Krzyzanowska K, Schnack C, Mittermayer F, Kopp HP, Hofer M, Kann T, Schernthaner G (2005) High prevalence of abnormal circadian blood pressure regulation and impaired glucose tolerance in adults with hypopituitarism. Exp Clin Endocrinol Diabetes 113:430–434CrossRef
Rahvar AH, Haas CS, Danneberg S, Harbeck B (2017) Increased cardiovascular risk in patients with adrenal insufficiency: a short review. Biomed Res Int 2017:3691913CrossRef