Symptomatische Therapie
Antipyretika und Flüssigkeit sind die Basis der symptomatischen Therapie. Abschwellende Nasentropfen reduzieren Sinusitiskomplikationen und bei Kleinkindern die Häufigkeit der Otitis media. Auch milde Antitussiva, z. B. vom Typ des Kodeins, können erwachsenen Patienten verschrieben werden. Wegen der Gefahr der Entwicklung eines Reye-Syndroms dürfen Kinder und Jugendliche keine Acetylsalicylsäure erhalten.
Antivirale Therapie
Eine antivirale Therapie sollte bei Influenza-Patienten mit einem Risiko für einen schweren Verlauf so zügig wie möglich initiiert werden, bei einem bestehenden schweren Verlauf und dringendem Verdacht ggf. auch noch vor Erhalt des virologischen Befundes, um den Therapiebeginn nicht zu verzögern.
Unabhängig vom Impfstatus besteht für die folgenden Patienten die Empfehlung für eine antivirale Therapie (Uyeki et al.
2019; Ewig et al.
2021):
-
Patienten jeden Alters, die aufgrund einer Influenza hospitalisiert werden, unabhängig von der Erkrankungsdauer vor Krankenhausaufnahme
-
In der Influenza-Pandemie bzw. bei hoher saisonaler Aktivität kalkuliert bei hospitalisierten Patienten mit mittelschwerer bis schwerer
Pneumonie zusätzlich zur
antibakteriellen Therapie. Die antivirale Therapie sollte bei negativer PCR wieder beendet werden (
Deeskalation)
-
Ambulante Patienten jeden Alters mit schwerer oder progredienter Influenza, unabhängig von der Dauer der Erkrankung
-
Ambulante Patienten mit einem hohen Risiko für Komplikationen im Rahmen einer Influenza, einschließlich Patienten mit chronischen Erkrankungen (z. B. chronische Herz- und Lungenerkrankungen,
Diabetes mellitus, neurologische und neuromuskuläre Erkrankungen, ausgeprägte
Adipositas BMI > 40) und immunkompromittierte Patienten sowie Bewohner von Alten- und Pflegeheimen
-
Kinder < zwei Jahren und Erwachsene ≥ 65 Jahre
-
Schwangere Frauen und Wöchnerinnen bis zwei Wochen post partum
Für folgende Patientengruppen kann eine antivirale Therapie erwogen werden:
-
Ambulante Patienten mit einem Erkrankungsbeginn ≤ zwei Tage vor Arztvorstellung
-
Symptomatische ambulante Kontaktpersonen von Influenzapatienten, mit einem hohen Risiko für Komplikationen, insbesondere bei schwerer Immunsuppression
-
Symptomatische Mitarbeiter des Gesundheitspersonals mit hohem Risiko für Influenza-Komplikationen, v. a. bei schwerer Immunsuppression (Uyeki et al.
2019)
Oseltamivir
Eine
Metaanalyse aus neun randomisiert-kontrollierten Studien zeigte, dass eine Therapie mit Oseltamivir die Dauer der Symptomatik inkl.
Fieber um einen Tag verkürzt und das Risiko für eine
Pneumonie (RR 0,56, 95 % CI 0,42–0,75; 4,9 % Oseltamivir vs. 8,7 % Plazebo) und Hospitalisation (RR 0,37, 95 % CI 0,17–0,81; 0,6 % Oseltamivir vs. 1,7 % Plazebo) signifikant reduziert (Dobson et al.
2015). Eine weitere Metaanalyse zeigte eine reduzierte Letalität erwachsener Patienten, insbesondere bei einem frühen Einsatz von Oseltamivir innerhalb der ersten zwei Tage ab Symptombeginn bei hospitalisierten Patienten (OR 0,48, 95 % CI 0,41–0,56; p<0,0001). Das Letalitätsrisiko stieg mit jedem Tag Verzögerung des Therapiebeginns bis Tag 5 (Muthuri et al.
2014).
Auch bei kritisch-kranken Patienten mit Influenza-Pneumonie konnte ein verbessertes Überleben durch den frühzeitigen Einsatz von Oseltamivir, verglichen mit einem späteren Therapiebeginn (> zwei Tage), gezeigt werden (OR 0,44; 95 % CI 0,21–0,87) sowie eine Verkürzung des Krankenhausaufenthaltes und der Beatmungsdauer (Rodriguez et al.
2011).
Eine multizentrische retrospektive Studie aus den USA wies für Oseltamivir bei Kindern, die aufgrund einer Influenza hospitalisiert werden mussten, eine Verkürzung des Krankenhausaufenthaltes um einen Tag sowie eine reduzierte späte Intensivpflichtigkeit (2,4 % vs. 5,5 %, aOR 0,41; 95 % CI 0,37–0,46) und eine Reduktion des kombinierten Endpunktes aus Tod oder ECMO-Notwendigkeit (0,9 % vs. 1,4 %; aOR 0,63; 95 % CI 0,54–0,73) nach (Walsh et al.
2022).
Eine weitere Studie im ambulanten Bereich untersuchte den kalkulierten Einsatz von Oseltamivir bei Patienten (ab einem Jahr) mit der Diagnose „influenza like illness“, wobei letztlich nur 56 % der Patienten eine laborgesicherte Influenzainfektion hatten. Die Patienten waren durchschnittlich 1,02 Tage (95 % CI 0,74–1,31) früher genesen im Sinne einer Wiederaufnahme aller Aktivitäten mit nur minimalen Beschwerden. Am ausgeprägtesten zeigte sich der Effekt bei Patienten > 65 J. bzw. Patienten mit Komorbiditäten oder schwerer Symptomatik, die bereits länger erkrankt waren (48–72 h). Sie waren unter Oseltamivir durchschnittlich 3,2 Tage früher genesen (95 % CI 1,00–5,50). Deutlich geringer war der Effekt bei Kindern < 12 J. ohne Risikofaktoren und mit mildem kurzem Erkrankungsverlauf. Zusätzlich fanden sich signifikante Unterschiede zugunsten des Einsatzes von Oseltamivir im Hinblick auf den Einsatz von
Antibiotika (13 vs. 9 %, 95 % CI 1,7–6,3) und der Infektionsübertragung an enge Kontakte im Haushalt (45 % vs. 39 %, 95 % CI 2,1–10,0). Aus Sicht der Autoren rechtfertigt diese Studie bei ambulanten Risikopatienten (> 65 J., Komorbiditäten und ausgeprägte Symptomatik) die kalkulierte Therapie mit Oseltamivir (Butler et al.
2020).
Typische Nebenwirkungen sind Übelkeit und Erbrechen, die bei weniger als 10 % der Patienten auftreten (Dobson et al.
2015).
Oseltamivir ist in Form von Kapseln in Dosen von 30, 45 und 75 mg sowie als Pulver zur Herstellung einer Suspension verfügbar. Die Therapie erfolgt für Erwachsene und Kinder ab 13 Jahren bzw. 40 kg mit 2 × 75 mg p.o. täglich über einen Zeitraum von fünf Tagen, bei immunsupprimierten Patienten über zehn Tage. Bei Kindern <40 kg bzw. bis zwölf Jahre wird körpergewichtsadaptiert dosiert.
Bei
Niereninsuffizienz ist eine Dosisanpassung notwendig (Tab.
1).
Tab. 1
Dosierung von Oseltamivir bei Patienten mit Niereninsuffizienz. (Quelle: Tamiflu EPAR Produkt Information)
> 60 ml/min | 75 mg 2 × tgl. |
> 30–60 ml/min | 30 mg (Suspension/Kapseln) 2 × tgl. |
> 10–30 ml/min | 30 mg (Suspension/Kapseln) 1 × tgl. |
≤ 10 ml/min | Nicht empfohlen (keine Daten verfügbar) |
Hämodialyse-Patienten | 30 mg nach jeder HD |
Peritonealdialyse-Patienten | 30 mg (Suspension oder Kapsel) Einzeldosis |
Zanamivir
Zanamivir (Relenza®) wird inhalativ verabreicht und scheint im Direktvergleich mit Oseltamivir bei frühem Therapiebeginn innerhalb von 48 h nach Symptombeginn vergleichbar wirksam zu sein, in dem es bei ambulanten Patienten die Notwendigkeit der Hospitalisation und das Letalitätsrisiko reduziert. Zudem kommt Zanamivir als Therapiealternative bei Oseltamivir-Resistenz durch die
H275Y-Mutation, die eine Kreuzresistenz zu Peramivir bedingt, in Betracht (Su et al.
2022). Das Medikament ist nicht für Kinder < fünf Jahren und Schwangere zugelassen. Die Therapie erfolgt mit zwei Inhalationen à 10 mg täglich über eine Dauer von fünf Tagen. An Nebenwirkungen ist vorrangig die bronchiale Obstruktion zu nennen, die insbesondere bei vorbestehenden
obstruktiven Lungenerkrankungen (
Asthma bronchiale,
COPD) auftreten kann und durch vorherige Inhalation eines kurzwirksamen ß-Sympathomimetikums reduziert werden kann.
Bei kritisch kranken Patienten konnte für intravenös verabreichtes Zanamivir (Dectova®) in der Dosis von 2 × 600 mg i.v. ein vergleichbarer Effekt zu Oseltamivir gezeigt werden. In der intravenösen Formulierung ist das Medikament für Erwachsene und Kinder > sechs Monate zugelassen und wird bei Kindern gewichtsabhängig dosiert. Die Therapiedauer beträgt 5–10 Tage (Slain
2021).
Baloxavir marboxil
Das Virostatikum Baloxavir marboxil hemmt die cap-abhängige Endonuklease und somit die frühe Phase der intrazellulären Virusreplikation (
Transkription der Influenza-RNA). Es wird einmalig oral als Suspension oder Kapsel verabreicht und körpergewichtsadaptiert dosiert:
20–80 kg: 40 mg
≥80 kg: 80 mg
In Deutschland ist das Medikament für Patienten ab 12 Jahren mit unkomplizierter Influenza zugelassen. Es sollte ebenfalls innerhalb von 48 h nach Symptombeginn verabreicht werden und reduziert die Viruslast in den oberen Atemwegen sehr rasch: mediane Ausscheidungsdauer ein Tag gegenüber drei Tagen bei Oseltamivir, bei Immunsupprimierten zwei Tage gegenüber vier Tagen bei Oseltamivir (Hayden et al.
2018; Ison et al.
2020). Der klinische Benefit ist ähnlich zu fünf Tagen Therapie mit Oseltamivir und die Substanz ist effektiver als Oseltamivir gegenüber Influenza B. Allerdings scheint Baloxavir zügig Resistenzen zu induzieren (Hayden et al.
2018; Uyeki et al.
2022).
Das Medikament darf nicht mit Produkten eingenommen werden, die polyvalente Kationen enthalten (
Laxantien, Antazida, eisen-, zink-, calcium- oder magnesiumhaltige Medikamente oder Nahrungsmittel).
Ergänzende Therapien
Da es bei Influenza oft zu bakteriellen Superinfektionen kommt, sollten stationär behandelte Patienten mit Influenza-Nachweis und einem Infiltrat in der thorakalen Bildgebung eine Erregerdiagnostik (
Bakterien, ggf. Schimmelpilze) erhalten und kalkuliert antibakteriell behandelt werden. Das Erregerspektrum umfasst die üblichen
Erreger der ambulant erworbenen Pneumonie mit erhöhtem Vorkommen von
Staphylococcus aureus (Ewig et al.
2021).
Systemische Steroide sollten
nicht in der Therapie der Influenza, Influenza-Pneumonie oder Influenza-assoziierten ARDS eingesetzt werden, da sie die Virusreplikation verlängern können und sich in Studien eine erhöhte Mortalität (OR 1,53, 95 % CI 1,16–2,01) und ein erhöhtes Risiko für
nosokomiale Infektionen zeigte (OR 3,15, 95 % CI 1,54–6,54) (Uyeki et al.
2019; Zhou et al.
2020; Uyeki et al.
2022).
Prophylaxe der Influenza-Infektion mit antiviralen Medikamenten
Alle zur Therapie der Influenza verfügbaren Medikamente können auch zur Prophylaxe eingesetzt werden. Da bei einer breiten Anwendung der Substanzen jedoch mit einer zunehmenden Resistenz gerechnet werden muss, sollte der Einsatz auf bestimmte Patientengruppen begrenzt werden. Ferner ersetzt die antivirale Prophylaxe nicht die Schutzimpfung.
Patientengruppen, für die eine antivirale Chemoprophylaxe (Präexpositionsprophylaxe) in der Grippesaison ohne Exposition oder Ausbruchssituation in Frage kommt:
-
Erwachsene und Kinder ≥ 3 Monate für die Dauer der Influenza-Saison, die ein sehr hohes/höchstes Risiko für Komplikationen im Rahmen einer Influenza haben und bei denen eine Impfung kontraindiziert, nicht verfügbar oder mit vermutlich niedriger Effektivität assoziiert ist (z. B. Patienten mit schwerer Immunsuppression, Patienten in den ersten 6–12 Monaten nach Stammzelltransplantation, Lungentransplantationspatienten)
-
Kurzzeitige antivirale Prophylaxe in Verbindung mit einer inaktivierten Influenza-Impfung bei ungeimpften Erwachsenen und Kindern ≥ drei Monate mit hohem Risiko für Komplikationen und bei denen ein unzureichender Impfeffekt zu erwarten ist bei erhöhter Influenza-Aktivität
-
Kurzzeitige antivirale Prophylaxe bei ungeimpften Erwachsenen inkl. Gesundheitspersonal und Kindern ≥ drei Monate mit engem Kontakt zu Personen mit hohem Risiko für Influenza-Komplikationen in Zeiten mit erhöhter Influenza-Aktivität, wenn die Impfung kontraindiziert oder nicht verfügbar ist und die Hochrisikopersonen selbst keine antivirale Prophylaxe einnehmen können
Alternativ kann eine frühe empirische antivirale Therapie bei Auftreten von Symptomen mit dem Patienten vereinbart werden.
Patientengruppen, für die eine Postexpositionsprophylaxe in Frage kommt:
-
Asymptomatische Erwachsene und Kinder ≥ drei Monate mit sehr hohem Risiko für Komplikationen (z. B. schwer immunsupprimierte Patienten) und für die eine Influenza-Impfung kontraindiziert oder nicht verfügbar ist oder bei denen eine niedrige Impfeffektivität zu erwarten ist nach engem Kontakt (Haushalt) zu Influenza
-
Bei Ausbrüchen in Einrichtungen sollte eine antivirale Chemoprophylaxe so zügig wie möglich bei allen negativ getesteten Patienten/Bewohnern mit Kontakt zum Indexpatienten erfolgen unabhängig vom Impfstatus
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Bei Ausbrüchen in Einrichtungen kann eine antivirale Chemoprophylaxe, ggf. in Kombination mit der Influenza-Impfung, bei ungeimpftem Personal eingesetzt werden, ggf. auch unabhängig vom Impfstatus (Uyeki et al.
2019)
Parallel sollten Kontaktpatienten auf Influenza getestet und bei Erkrankungsnachweis auf die therapeutische Dosis umgestellt werden.
In Ausbruchssituationen in Einrichtungen sollte die Dauer der Postexpositionsprophylaxe für mindestens 14 Tage erfolgen und für mindestens sieben weitere Tage nach Auftreten von Symptomen beim letzten identifizierten Influenzafall fortgesetzt werden (Uyeki et al.
2019). Die prophylaktischen Dosen der antiviralen Substanzen sind im Folgenden dargestellt (Tab.
2):
Tab. 2
Dosierung von antiviralen Medikamenten zur Chemoprophylaxe (Post- bzw. Präexposition)
Oseltamivir | | Direkter Kontakt: zehn Tage Ausbruch/Grippewelle: Bis zu sechs Wochen |
Zanamivir (Relenza®) | 1 × tgl. 10 mg (2 Inhalationen) | Direkter Kontakt: zehn Tage Ausbruch/Grippewelle: bis 28 Tage |
Baloxavir marboxil | 20–80 kg 40 mg ≥ 80 kg 80 mg | Direkter Kontakt: einmalig |
Prävention der Influenza-Infektion durch Schutzimpfung
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die jährliche Impfung im Herbst mit einem inaktivierten quadrivalenten Impfstoff mit der aktuell von der WHO empfohlenen Antigenkombination als Indikationsimpfung für Patienten ≥ sechs Monate mit schwerwiegenden Grunderkrankungen, Schwangere ab dem zweiten Trimenon, Bewohner von Pflegeeinrichtungen und medizinisches Personal sowie Personen, die im Haushalt mit Risikopersonen leben und diese durch eine Infektion gefährden können (Ständige Impfkommission
2023).
Für Personen ≥ 60 Jahre empfiehlt die STIKO die jährliche Impfung im Herbst mit einem inaktivierten quadrivalenten Hochdosis-Impfstoff als Standardimpfung (Ständige Impfkommission
2023). Die Hochdosisimpfstoffe zeigten in Studien eine bis zu 30 % bessere Effektivität zur Verhinderung von Infektionen, verglichen mit der quadrivalenten Standarddosis (Dunkle et al.
2017).
Kinder und Jugendliche im Alter von 2–17 Jahren können mit einem nasalen applizierbaren attenuierten Lebendimpfstoff (LAIV) geimpft werden.
Die Influenza-Impfung schützt nicht nur vor Influenza-Infektionen, sondern zeigte in einer multizentrischen randomisiert-kontrollierten Studie auch, dass sie bei Patienten unmittelbar nach
Myokardinfarkt und erfolgter Koronarangiografie in den folgenden zwölf Monaten zu einer Reduktion der Gesamtmortalität und kardiovaskulären Mortalität führt (Khan et al.
2020). Eine explorative
Metaanalyse ähnlicher Studien konnte eine Reduktion der kardiovaskulären Mortalität um knapp 50 % innerhalb eines Jahres nach Influenza-Impfung darstellen (Frobert et al.
2021).