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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 23.12.2014

Intestinale Pseudoobstruktion

Verfasst von: Jutta Keller und Peter Layer
Die chronische intestinale Pseudoobstruktion (CIPO) ist die schwerste Form einer intestinalen Motilitätsstörung, die Ileussymptome mit entsprechenden Befunden in der Bildgebung verursacht, ohne dass eine intestinale Obstruktion vorliegt. Sie betrifft vorwiegend den Dünndarm, kann sich aber auch an allen anderen Abschnitten des Magen-Darm-Traktes manifestieren und mit urogenitalen Störungen vergesellschaftet sein. Die Patienten klagen meist über Überblähung, abdominelle Schmerzen, Übelkeit, Verstopfung, Refluxbeschwerden, Völlegefühl und Erbrechen, aber auch über Durchfall und Gewichtsverlust. Die Diagnostik besteht aus einer vollständigen endoskopischen und/oder radiologischen Darstellung des Gastrointestinaltrakts, Laboruntersuchungen und Motilitätsmessungen. Hierbei können u.a. Transitmessungen, manometrische Untersuchungen und zusätzlich Tests zur Erfassung einer bakteriellen Fehlbesiedlung indiziert sein. Therapieziele sind die Aufrechterhaltung eines adäquaten Ernährungsstatus, Verbesserung der intestinalen Propulsion, Linderung abdomineller Symptome sowie Vermeidung bzw. Therapie von Komplikationen.

Definition

Die chronische intestinale Pseudoobstruktion (CIPO) ist die schwerste Form einer intestinalen Motilitätsstörung, die intermittierend oder chronisch (Sub-)Ileussymptome mit entsprechenden Befunden in der Bildgebung verursacht, ohne dass eine intestinale Obstruktion vorliegt. Sie betrifft vorwiegend den Dünndarm, kann sich aber auch an allen anderen Abschnitten des Magen-Darm-Traktes manifestieren und mit urogenitalen Störungen vergesellschaftet sein (Keller et al. 2011).
Die für die Diagnostik erforderlichen Verfahren sind teils aufwändig und nur an wenigen Zentren in Deutschland etabliert. Die therapeutischen Möglichkeiten sind limitiert. Deshalb ist die Einbindung spezialisierter Zentren in die Betreuung der Patienten sinnvoll. Die folgenden Ausführungen zum Krankheitsbild orientieren sich eng an der in 2011 publizierten S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaften für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen und für Neurogastroenterologie und Motilität zu Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie von Motilitätsstörungen des Dünn- und Dickdarms (Keller et al. 2011). Diese ist unter http://www.dgvs.de/fileadmin/user_upload/Leitlinien/Intestinale_Motilitaetsstoerungen/Leitlinie_Intestinale_Motilitaetsstoerungen.pdf zugegriffen am 13.01.2015 abrufbar.

Pathophysiologie

Die Motilität von Dünn- und Dickdarm wird maßgeblich durch folgende Zellsysteme innerhalb der Darmwand reguliert:
  • das enterische Nervensystem (ENS),
  • die glatte Muskulatur und
  • die interstitiellen Cajalzellen (ICC).
Isolierte oder kombinierte Störungen dieser Strukturen können zur CIPO führen. Zusätzlich spielt auch die extrinsische Vernetzung zum zentralen Nervensystem eine wichtige regulative Rolle, und Erkrankungen des autonomen und/oder zentralen Nervensystems können schwere intestinale Motilitätsstörungen im Sinne einer CIPO nach sich ziehen. Diese wären dann als sekundäre Formen einzuordnen. Weitere mögliche Ursachen einer sekundären CIPO sind rheumatologische Systemerkrankungen, Autoimmunerkrankungen, toxische oder endokrine Neuropathien, Strahlenenteritis, eosinophile Gastroenteritis, Angioödem, Paraneoplasien und postoperative oder postinfektiöse Zustände (Connor und Di Lorenzo 2006; Seidl et al. 2008; Stanghellini et al. 2007). Bei den primären Erkrankungen lassen sich in sehr seltenen Fällen bestimmte genetische Veränderungen nachweisen (Keller et al. 2011).

Epidemiologie

Bei der CIPO handelt es sich um eine sehr seltene Erkrankung, zu der keine wirklichen epidemiologischen Daten vorliegen. Es scheint zwei Altersgipfel für den Krankheitsbeginn zu geben, von denen der eine im Kindes- und Jugendalter, der zweite im mittleren bis höheren Erwachsenenalter (40.–60. Lebensjahr) liegt (Mann et al. 1997).

Klinik

Die CIPO äußert sich klinisch unspezifisch. Die Patienten klagen am häufigsten über Überblähung, abdominelle Schmerzen, Übelkeit, Verstopfung, Refluxbeschwerden, Völlegefühl und Erbrechen. Durchfall und Gewichtsverlust sind ebenfalls häufig. Während akuter pseudoobstruktiver Episoden kann klinisch nicht zwischen den Folgen der Motilitätsstörung und einer mechanischen Obstruktion unterschieden werden. Deshalb werden die allermeisten Patienten zumindest initial, viele aber auch mehrfach frustran laparotomiert. Dies kann den weiteren Verlauf der Erkrankung durch tatsächliche Bridenbildung erheblich komplizieren und zwingt den Behandelnden in jedem Fall, bei erneuter Ileussymptomatik eine mögliche Bridenbildung zu berücksichtigen.

Diagnostik

Ziele der Diagnostik sind der Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen, insbesondere einer mechanischen Obstruktion, die Identifizierung sekundärer Formen, die Aufdeckung der zugrunde liegenden Pathophysiologie und möglicher Komplikationen (Keller et al. 2011). Hierbei rechtfertigen die Schwere der Symptomatik und deren Relevanz für die Lebensqualität in aller Regel ausführliche und auch invasive diagnostische Maßnahmen.

Bildgebende Untersuchungen

Ziel der Bildgebung ist die vollständige endoskopische und/oder radiologische Darstellung des Gastrointestinaltrakts (z. B. Ösophagogastroduodenoskopie und Ileokoloskopie, jeweils einschließlich Routinehistologie und [MRT-]Sellink) zum Ausschluss sonstiger Pathologien, insbesondere einer organischen Stenose.

Laboruntersuchungen

Routinelaborparameter, die Hinweise auf entzündliche oder tumoröse gastrointestinale Erkrankungen, Malabsorption oder Elektrolytmangel liefern können, sollten ausführlich untersucht werden. Außerdem sollte in Abhängigkeit von der individuellen Symptomatik zusätzlich nach sekundären Formen und seltenen Differenzialdiagnosen gesucht werden durch Bestimmung von TSH, C1-Esterase-Inhibitor, Porphyriediagnostik, Autoantikörperdiagnostik wie bei Verdacht auf Kollagenose sowie Bestimmung von ANNA-1 („anti-neuronal nuclear antibody 1“) bzw. Anti-Hu-Autoantikörpern zur Aufdeckung einer enterischen Ganglionitis.

Motilitätsmessungen

Antroduodenojejunale Manometrie
Mithilfe dieser Untersuchung kann die Störung der Motilitätsmuster belegt, die Pathophysiologie (Myopathie vs. Neuropathie) aufgedeckt und ggf. eine larvierte mechanische Obstruktion abgegrenzt werden. Abbildung 1 zeigt das Ergebnis einer antroduodenojejunalen Manometrie bei einem Gesunden, Abb. 2 bei einem Patienten mit enterischer Neuropathie.
Transittests
Magenentleerungsmessung (Szintigraphie, 13C-Atemtest), Messung des orozökalen (H2-Lactulose-Atemtest) bzw. des Dünndarmtransits (Szintigraphie) und des Kolontransits (röntgendichte Marker, Hinton-Test) dienen vor allem der Quantifizierung von Ausdehnung und Schweregrad der Motilitätsstörung.
Tests zur Erfassung einer bakteriellen Fehlbesiedlung
Die bakterielle Fehlbesiedlung ist eine häufige und das Krankheitsbild oft zusätzlich erschwerende Komplikation der CIPO. Nach ihr sollte aktiv mittels Glukose-H2-Atemtest oder in speziellen Situationen durch die kulturelle Bestimmung der Keimzahl aus Dünndarmaspiraten gesucht werden.
Manometrische Untersuchungen anderer Abschnitte des Gastrointestinaltrakts
Ösophagusmanometrie einerseits und anorektale Manometrie (sowie Kolonmanometrie) andererseits sind nicht immer erforderlich, sollten aber bei Patienten mit Dysphagie bzw. schwerer Obstipation eingesetzt werden.
Histopathologie
Eine aussagekräftige histologische Diagnostik erfordert in aller Regel die Untersuchung von Vollwandbiopsaten (Knowles et al. 2010). Wegen der Komplexität der erforderlichen Diagnostik ist die Zusammenarbeit mit spezialisierten Zentren erforderlich. Vorteil der histopathologischen Untersuchungen ist, dass sie neuromuskuläre Störungen belegen und charakterisieren können. Im Einzelfall ergeben sich hieraus wichtige Informationen für das Therapiekonzept.
Erweiterte Diagnostik
Neurologische, ggf. auch endokrinologische oder urologische Zusatzuntersuchungen sollten in Abhängigkeit von der klinischen Symptomatik zur Aufdeckung sekundärer Formen bzw. zusätzlich beteiligter Organsysteme erwogen werden.

Therapie

Allgemeine Therapieziele
Allgemeine Therapieziele sind die Aufrechterhaltung eines adäquaten Ernährungsstatus, Verbesserung der intestinalen Propulsion, Linderung abdomineller Symptome sowie Vermeidung bzw. Therapie von Komplikationen (z. B. bakterielle Fehlbesiedlung). Hierzu dienen die im Folgenden beschriebenen Maßnahmen (Keller et al. 2011). Es ist außerdem wichtig, Laparotomien während pseudoobstruktiver Episoden möglichst zu vermeiden, um die Erkrankung nicht durch zusätzliche Bridenbildung zu komplizieren (s. o.).
Diät
Patienten, die eine orale Nahrungszufuhr tolerieren, sollten mehrere kleine, fett- und ballaststoffarme Mahlzeiten am Tag zu sich nehmen, falls erforderlich auch Trinknährlösungen. Wird dies nicht vertragen, sollte die Möglichkeit einer enteralen Ernährung (nasojejunale Sonde, PEG-J) geprüft werden. Eine dauerhafte (teil-)parenterale Ernährung kommt wegen des deutlich höheren Komplikationsrisikos nur bei Versagen der zuvor genannten Optionen infrage.
Prokinetika
Es gibt nur wenige Medikamente, die die intestinale Propulsion verbessern. Ein Therapieversuch mit Metoclopramid und Domperidon (wirken vorwiegend gastroduodenal) sowie Erythromycin (Motilinagonist, wirkt ebenfalls vorwiegend gastroduodenal) oder Prucaloprid (5-HT4-Rezeptoragonist, Prokinetikum, wirkt auch an Dünn- und Dickdarm) ist sinnvoll. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass fast alle diese Medikamente nur „off label“ eingesetzt werden können, obwohl es keine zugelassenen therapeutischen Alternativen gibt. Cholinergika (Neostigmin, Physostigmin) können bei therapierefraktären Fällen von CIPO eingesetzt werden, sind aber nebenwirkungsreich.
Steroide/Immunsuppressiva
In Einzelfällen – bei zugrunde liegender enterischer Ganglionitis – wurde durch Steroide und/oder Immunsuppressiva eine Verbesserung der Symptomatik und des gastrointestinalen Transits erzielt [22]. Eine enterische Ganglionitis kann allerdings nur anhand chirurgisch zu gewinnender Vollwandpräparate diagnostiziert werden [25]. Bislang besteht keine Einigkeit darüber, ob bei erwachsenen Patienten mit CIPO die Indikation zu einem Steroidtherapieversuch großzügig oder nur bei entsprechendem histologischen Befund gestellt werden sollte (Keller et al. 2011).
Antibiotika
Eine bakterielle Fehlbesiedlung ist sehr häufig Folge einer schweren intestinalen Motilitätsstörung und kann die intestinale Symptomatik wesentlich verschlechtern. Sie kann zudem mit dem Auftreten von Lebererkrankungen oder deren Verschlechterung assoziiert sein, vor allem bei Patienten mit (teil-)parenteraler Ernährung. Deshalb sollte sie therapiert werden (z. B. rotierende Antibiose mit Ciprofloxacin, Metronidazol und Doxycyclin oder Therapie mit dem darmselektiven Antibiotikum Rifaximin [off label]). Wegen des Fortbestehens der Motilitätsstörung kommt es fast immer zu Rezidiven. Bei einzelnen Patienten ist eine dauerhafte antibiotische Therapie erforderlich.
Therapie abdomineller Schmerzen
Sehr viele Patienten mit CIPO leiden unter ausgeprägten abdominellen Schmerzen, die oft schlecht auf Analgetika ansprechen. Dennoch sollten Morphine nur mit großer Zurückhaltung eingesetzt werden, weil sie die Motilitätsstörung und häufig auch die Beschwerden verschlechtern.
Operative Therapie
Entlastungsenterostomien können zur Verbesserung von Schmerzen und sonstiger Symptome führen. Die Resektion betroffener Abschnitte ist demgegenüber fast nie erfolgreich. Abdominelle Eingriffe während pseudoobstruktiver Phasen sollten möglichst vermieden werden, weil sie das klinische Bild durch (die Möglichkeit der) Bridenbildung komplizieren. Aktuell wird in Studien geprüft, ob durch die Implantation eines gastralen Neurostimulators auch die Symptomatik der CIPO verbessert werden kann. Bei Patienten mit schwerem Verlauf und nicht zu tolerierenden Komplikationen der parenteralen Ernährung kommt als Ultima Ratio eine Dünndarmtransplantation infrage.

Verlauf

Es gibt Studien zum natürlichen Verlauf einer CIPO, wenn auch wegen der Seltenheit der Erkrankung nur wenige. Eine solche Studie an Erwachsenen zeigt, dass die Symptomatik meist in Form unspezifischer, sich kontinuierlich verschlechternder Beschwerden über mehrere Jahre besteht, bevor es zur ersten pseudoobstruktiven Episode kommt (Stanghellini et al. 2005). Danach dauerte es im Median noch acht Jahre bis zur Diagnosestellung. Diese ermöglichte anfangs oft eine effektivere Behandlung der Symptomatik, sodass die Häufigkeit von (Sub-)Ileusepisoden bei den meisten Patienten zunächst abnahm. Bei sekundären Formen kann durch Therapie der Grundkrankheit manchmal auch eine dauerhafte Verbesserung erzielt werden. Insgesamt war der klinische Verlauf bei den meisten Patienten aber ungünstig. Sie entwickelten erhebliche Einschränkungen in Bezug auf die Nahrungsaufnahme, und etwa ein Drittel benötigte eine dauerhafte (Heim-)parenterale Ernährung. Bei Kindern war in anderen Untersuchungen die Rate der Patienten, die eine enterale oder parenterale Ernährung benötigten, mit mehr als 80 % noch höher (Mousa et al. 2002). Die Letalität der Erkrankung beträgt für Erwachsene ca. 10 %, bei Kindern ist sie im ersten Lebensjahr bei kongenitalen Formen besonders hoch, danach liegt sie bei 10–25 % (Faure et al. 1999; Schwankovsky et al. 2002).
Literatur
Connor FL, Di Lorenzo C (2006) Chronic intestinal pseudo-obstruction: assessment and management. Gastroenterology 130:29–36CrossRef
Faure C, Goulet O, Ategbo S et al (1999) Chronic intestinal pseudoobstruction syndrome: clinical analysis, outcome, and prognosis in 105 children. French-Speaking Group of Pediatric Gastroenterology. Dig Dis Sci 44:953–959CrossRefPubMed
Keller J, Wedel T, Seidl H et al (2011) S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) zu Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie intestinaler Motilitätsstörungen. Z Gastroenterol 49:17
Knowles CH, De Giorgio R, Kapur RP et al (2010) The London Classification of gastrointestinal neuromuscular pathology: report on behalf of the Gastro 2009 International Working Group. Gut 59:882–887CrossRefPubMed
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Mousa H, Hyman PE, Cocjin J et al (2002) Long-term outcome of congenital intestinal pseudoobstruction. Dig Dis Sci 47:2298–2305CrossRefPubMed
Schwankovsky L, Mousa H, Rowhani A et al (2002) Quality of life outcomes in congenital chronic intestinal pseudo-obstruction. Dig Dis Sci 47:1965–1968CrossRefPubMed
Seidl H, Pehl C, Schepp W et al (2008) Chronic intestinal pseudo-obstruction–review and update 2008. Z Gastroenterol 46:704–711CrossRefPubMed
Stanghellini V, Cogliandro RF, De Giorgio R et al (2005) Natural history of chronic idiopathic intestinal pseudo-obstruction in adults: a single center study. Clin Gastroenterol Hepatol 3:449–458CrossRefPubMed
Stanghellini V, Cogliandro RF, de Giorgio R et al (2007) Chronic intestinal pseudo-obstruction: manifestations, natural history and management. Neurogastroenterol Motil 19:440–452CrossRefPubMed