Einleitung
Aufgrund des histopathologischen Erscheinungsbilds wird anhand der Zellgröße seit Langem zwischen nicht kleinzelligen (engl. non-small cell lung cancer, NSCLC) und kleinzelligen Lungenkarzinomen (engl. small cell lung cancer, SCLC) unterschieden. Demzufolge sind die Zellen des SCLC durch ihre geringe Größe charakterisiert und weisen eine hohe Kern-Plasma-Relation auf. Aufgrund der neuroendokrinen Charakteristika wird das kleinzellige Lungenkarzinom heute auch den neuroendokrinen Tumoren zugeordnet. Entsprechend ist immunhistochemisch in der Regel eine positive Reaktion der neuroendokrinen Marker CD56 und
Synaptophysin nachweisbar.
Pathophysiologie
Das kleinzellige Lungenkarzinom (SCLC) zeichnet sich pathologisch und klinisch durch seine hohe Proliferationsrate, sein aggressives Wachstum und eine frühe Metastasierung aus. Die häufigsten hämatogenen Metastasierungsorte sind Leber, Nebennieren, Gehirn und Knochen.
Eine Tumorheterogenität und Kombination mit anderen Histologien wie dem Plattenepithelkarzinom kommen vor. Etwa zwei Drittel der Patienten mit kleinzelligem Lungenkarzinom sind bereits bei Diagnosestellung metastasiert. Das kleinzellige Lungenkarzinom ist sehr eng mit dem
Rauchen assoziiert – 90 % dieser Patienten sind
Raucher. Molekularpathologisch zeichnen sich SCLC durch den Erwerb multipler Mutationen und genetischer Aberrationen aus. Die häufigsten sind hierbei Veränderungen in den
Tumorsuppressorgenen TP53 und
RB. Ansatzpunkte für eine zielgerichtete Therapie mit Inhibitoren wie beispielsweise beim Adenokarzinom der Lunge ergeben sich hieraus allerdings noch nicht (Huber
2017; Wolf et al.
2012; Byers and Rudin
2015).
Epidemiologie
Das kleinzellige Lungenkarzinom macht – je nach Region und soziokulturellen Bedingungen – 13–20 % der Lungenkarzinome aus. Männer erkranken häufiger als Frauen, das mittlere Erkrankungsalter liegt nach dem 60. Lebensjahr. Vermutlich aufgrund der rückläufigen Raucherquote hat insbesondere in den USA die Inzidenz des SCLC deutlich abgenommen. In Deutschland allerdings ist die Anzahl der Neuerkrankungen nur leicht rückläufig.
Klinik
Kleinzellige Lungenkarzinome entstehen häufig zentral, also hilusnah, und können eine ausgeprägte mediastinale Lymphknotenmetastasierung aufweisen. Deshalb führen oft poststenotische
Pneumonien und insbesondere eine obere Einflussstauung zur Erstvorstellung. Eine rasche Diagnostik und Therapie ist dann erforderlich. Weitere klassische Symptome können die thorakalen Leitsymptome Dyspnoe,
Husten und
Hämoptysen oder allgemeine Malignom-assoziierte Symptome wie Gewichtsverlust und Abgeschlagenheit sein. Gelegentlich tritt das kleinzellige Lungenkarzinom auch als solitärer peripherer Rundherd auf, sodass der Patient dann weitgehend symptomfrei sein kann. Auch Patienten mit bereits metastasierter Erkrankung können in Einzelfällen nur durch unspezifische Beschwerden auffallen.
Bereits früh im Verlauf der Erkrankung können auch bei einem kleinen Tumor
paraneoplastische Syndrome auftreten. Zu erwähnen sind insbesondere endokrinologische Syndrome wie das ektope ACTH-Syndrom, das
Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion und die
Hyperkalzämie und von Seiten der Neurologie das Lambert-Eaton- und das Anti-Hu-Syndrom.
Diagnostik
Die Diagnostik sollte beim kleinzelligen Lungenkarzinom möglichst rasch erfolgen. Die Verdachtsdiagnose ergibt sich in der Regel aus einer Kombination aus dem klinischen Erscheinungsbild und dem bildgebenden Nachweis einer Raumforderung. Neben dem Allgemeinzustand, der Anamnese und der körperlichen Untersuchung ist eine
Bronchoskopie zwingend erforderlich. Ziel der Bronchoskopie, ggf. in Kombination mit dem endobronchialen Ultraschall, ist die Beurteilung der lokalen sowie lymphonodulären Ausdehnung sowie eine bioptische bzw. zytologische Probengewinnung zur histologischen Sicherung der Verdachtsdiagnose. Im Rahmen der Bronchoskopie können interventionelle Maßnahmen wie eine endobronchiale Tumorabtragung und Stentimplantation bei Stenosierung der Bronchien oder eine Blutstillung bei
Hämoptysen durchgeführt werden.
Die Beurteilung des Ausmaßes der Erkrankung erfolgt mittels Computertomographie oder PET-CT von Thorax und Abdomen sowie einer zerebralen und ggf. skelettalen Bildgebung. Für die Frage einer radiopharmazeutischen Behandlung kann im Einzelfall die Beurteilung der Octreotidrezeptoraktivität im DOTATE-PET hilfreich sein.
Die
Tumormarker ProGRP (
pro-gastrin-releasing peptide) und NSE (Neuronen-spezifische Enolase) sind sensitiv, relativ spezifisch für das kleinzellige Lungenkarzinom und insbesondere für die Verlaufsbeurteilung hilfreich.
Differenzialdiagnostik
Häufig findet sich in den Biopsien nekrotisches Material, oder es liegen Quetschartefakte vor, die die histologische Diagnostik erschweren. Dann kann insbesondere die Unterscheidung zu intrathorakalen
Lymphomen schwierig sein. Immunhistochemische Untersuchungen können zur Differenzialdiagnose hilfreich sein.
Therapie
Die Therapie des SCLC ist stadienabhängig. Da in der Regel eine systemische Erkrankung vorliegt, beinhaltet die
initiale Therapie praktisch immer eine systemische Polychemotherapie. Der zusätzliche Einsatz von
Strahlentherapie und Chirurgie richtet sich nach dem jeweiligen Stadium (Goeckenjan et al.
2011; Früh et al.
2013; Jett et al.
2013).
Chirurgie
Falls ein kleinzelliges Lungenkarzinom bei der operativen Diagnostik eines peripheren Rundherdes im Stadium I diagnostiziert wird, erfolgt eine anatomische Resektion mit anschließender (adjuvanter) Chemotherapie. In chirurgischen Serien zeigte sich im Stadium I und II nach Operation mit anatomischer Resektion und adjuvanter Polychemotherapie ein verlängertes Überleben. Ansonsten ist der Stellenwert der Chirurgie beim kleinzelligen Lungenkarzinom limitiert.
Strahlentherapie
Das kleinzellige Lungenkarzinom ist strahlensensitiv. Im inoperablen Stadium ohne Fernmetastasen wird deshalb möglichst eine hyperfraktionierte Radiotherapie (zweimal täglich bis 45 Gy) mit einer simultanen Chemotherapie (Cisplatin und Etoposid) durchgeführt (Turrisi et al.
1999). Bei Ansprechen auf die Chemotherapie wird eine prophylaktische Ganzhirnbestrahlung empfohlen (Slotman et al.
2007; Auperin et al.
1999). Bei komplettem extrathorakalen Ansprechen wird auch eine zusätzliche thorakale Bestrahlung von Primärtumor und Mediastinum empfohlen. Die
Strahlentherapie kommt darüber hinaus zur lokalen Palliation von symptomatischen Metastasen zum Einsatz.
Chemotherapie
Das kleinzellige Lungenkarzinom spricht initial gut auf eine platinhaltige Polychemotherapie an. Standardmäßig werden in der Erstlinie 4–6 Zyklen durchgeführt. Eine Monochemotherapie sollte wegen der Resistenzentwicklung und der geringeren Wirksamkeit in der Erstlinie vermieden werden. Eine Dosisintensivierung der Chemotherapie ist aber insgesamt nicht von Vorteil. Ebenso ist eine Erhaltungstherapie nicht etabliert. Immunologische Konzepte werden derzeit in Studien geprüft.
Chemotherapeutisch kamen ursprünglich verschiedene Kombinationen, unter anderem Kombinationen aus Adriamycin, Cyclophosphamid und Vincristin sowie aus Ifosfamid und Etoposid, zum Einsatz. Das jetzt üblicherweise angewandte Regimen ist die Kombinationstherapie aus Cisplatin
(60–80 mg/m
2 Körperoberfläche [KOF]) und Etoposid
(250–360 mg/m
2 KOF, verteilt auf 3–5 Tage) in einem 3-Wochen-Zyklus. Bei Kontraindikationen oder schlechtem Allgemeinzustand wird Cisplatin durch Carboplatin (
AUC 5) ersetzt.
Rezidivtherapie
Das kleinzellige Lungenkarzinom rezidiviert fast immer. Die Wahl der systemischen Therapie hängt dabei vor allem vom Ansprechen auf die Erstlinientherapie, dem Intervall zum Rezidiv und dem Allgemeinzustand ab. Insgesamt ist die Rezidivtherapie wegen einer Resistenzentwicklung auf die Chemotherapeutika deutlich weniger wirksam als die Erstlinientherapie. Dies trifft vor allem für die primär refraktären oder früh rezidivierenden Tumoren (innerhalb von 3 Monaten) zu. Die einzige in Deutschland zugelassene Rezidivtherapie ist Topotecan. Dieses kann oral oder intravenös eingesetzt werden. Intravenös empfiehlt sich eine Anfangsdosis von 1,25 mg/m2 KOF mit Anpassung der Dosis in Abhängigkeit von der Hämatotoxizität. Falls das Rezidiv erst nach 6 Monaten auftritt, kann auch die primäre Therapie, meist eine erneute platinhaltige Polychemotherapie zur Rezidivtherapie erwogen werden. Bei erneuten Rezidiven oder fehlendem Ansprechen werden im Einzelfall als Monotherapie Irinotecan, Amrubicin, Bendamustin und Paclitaxel eingesetzt.
Die
Strahlentherapie kommt auch hier als lokale Methode zur Palliation am Ort der Not zum Einsatz. Falls eine prophylaktische Ganzhirnbestrahlung durchgeführt wurde und Hirnmetastasten auftreten, wird man versuchen, eine stereotaktische Bestrahlung der Hirnmetastasen durchzuführen. Für die lokalen thorakalen Komplikationen haben interventionelle pneumologische Methoden einen hohen Stellenwert.
Verlauf und Prognose
Die Prognose des SCLC ist insgesamt sehr schlecht. Ohne Therapie beträgt das mediane Überleben nach Diagnosestellung – abhängig vom Stadium – 2–4 Monate. Trotz initial gutem Ansprechen auf die Chemotherapie kommt es fast immer zum Rezidiv, häufig sehr rasch nach dem initialen Ansprechen. Die mediane Überlebenszeit beim fortgeschrittenen SCLC beträgt mit Chemotherapie 7–10 Monate, das 1-Jahres-Überleben liegt bei 20–40 %. In den frühen Stadien beträgt nach Therapie mit Chemotherapie und
Strahlentherapie das mediane Überleben zwischen 16 und 24 Monaten. Das 5-Jahres-Überleben liegt dann bei 14 %.
Besondere Aspekte
Das kleinzellige Lungenkarzinom kann in Kombination mit nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen auftreten. Dies sollte bei nicht adäquatem Ansprechen durch erneute Biopsien überprüft werden. Zumindest beim späten Rezidiv (nach einem Jahr) muss das Vorliegen eines nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms histologisch ausgeschlossen werden. Die obere Einflussstauung ist eine sehr ernste Situation und stellt neben einer akuten Chemotherapie ggf. eine Indikation zur prothetischen Schienung der Vena cava superior und einer Notfallbestrahlung dar.