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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 22.03.2017

Leitsymptom: Schwindel

Verfasst von: Christoph Helmchen
Schwindel ist keine Krankheitsentität, sondern zumeist ein multisensorisches oder sensomotorisches Syndrom unterschiedlicher Ätiologie und Pathogenese. Es resultiert oftmals aus einer fehlerhaften Abstimmung verschiedener Sinnessignale, vor allem sensorischer (vestibulärer, visueller, propriozeptiver) Signale, die normalerweise maßgeblich zur Blickstabilisation, Bewegungswahrnehmung, Raumwahrnehmung, Kopf- und Haltungsregulation und der Gangkontrolle beitragen. Daraus ergibt sich eine trügerische Wahrnehmung einer Eigenbewegung des Körpers oder der Umgebung oder eine Störung der räumlichen Wahrnehmung. Aus internistischer Sicht wird Schwindel als Ausdruck von allgemeiner Schwäche, Benommenheit oder drohender Bewusstseinstrübung verstanden.

Definition

Schwindel ist keine Krankheitsentität, sondern zumeist ein multisensorisches oder sensomotorisches Syndrom unterschiedlicher Ätiologie und Pathogenese. Es resultiert oftmals aus einer fehlerhaften Abstimmung verschiedener Sinnessignale, vor allem sensorischer (vestibulärer, visueller, propriozeptiver) Signale, die normalerweise maßgeblich zur Blickstabilisation, Bewegungswahrnehmung, Raumwahrnehmung, Kopf- und Haltungsregulation und der Gangkontrolle beitragen. Daraus ergibt sich eine trügerische Wahrnehmung einer Eigenbewegung des Körpers oder der Umgebung oder eine Störung der räumlichen Wahrnehmung.
Aus internistischer Sicht wird Schwindel als Ausdruck von allgemeiner Schwäche, Benommenheit oder drohender Bewusstseinstrübung verstanden.

Diagnosekriterien

Schwindel wird durch das Fehlen oder das Vorhandensein von folgenden Symptomen/Faktoren nach folgenden 4 Kriterien zugeordnet:
1.
Qualität: Dreh-(Umwelt dreht sich) oder Schwankschwindel (Unsicherheit beim Stehen)
 
2.
Zeitlicher Verlauf: chronisch vs. episodisch-einmalig/rezidivierend (Dauer und Häufigkeit der Attacken)
 
3.
Auslösesituation (z. B. Medikamenteneinnahme, Kopf-, Lagerungsabhängigkeit, Orthostase, körperliche Belastung) bzw. Verstärkungsfaktoren (z. B. Lokomotion, körperliche Belastung, Dunkelheit)
 
4.
Begleitsymptome: z. B. Ohrensausen, vegetative Symptome (Herzrasen, Schwitzen, Blässe), Sehstörungen (z. B. Schwarz vor Augen, Oszillopsien), Kopfschmerzen, Hirnstammsymptome wie Doppelbilder, Sprechstörung
 

Schwindelsyndrome

In absteigender Häufigkeit finden sich bei ambulanten Patienten in spezialisierten Zentren (Schwindelambulanzen) folgende Ursachen für Schwindel: gutartiger paroxysmaler Lagerungsschwindel, somatoformer Schwindel (einschließlich phobischer Schwankschwindel), zentraler Schwindel (Hirnerkrankung, einschließlich Schlaganfall), periphere einseitige Gleichgewichtsausfälle (Neuritis vestibularis), Morbus Menière, multisensorischer Schwindel, propriozeptiver Schwindel (z. B. bei Polyneuropathie), orthostatischer Schwindel, bilaterale Vestibulopathie, basiläre/vestibuläre Migräne u. a. (Sander et al. 2009).
In der hausärztlichen und internistischen Praxis stehen Kreislaufregulationsstörungen (Hyper-/Hypotonien, Rhythmusstörungen) im Vordergrund, sodass sie sich häufig belastungsabhängig zeigen. Nicht selten sind sie Folge medikamentöser Nebenwirkungen, daher ist der zeitliche Zusammenhang zum Auftreten des Schwindels zu erfragen.

Pathophysiologie

Eine Störung der Verarbeitung sensomotorischer (z. B. visuell-motorischer oder vestibulo-okulomotorischer) Prozesse der Gang- und Standkontrolle kann durch Medikamente (z. B. Psychopharmaka, Benzodiazepine) günstig, häufig aber auch ungünstig beeinflusst werden. Ihre längere Anwendung führt daher bei vestibulären Schwindelsyndromen in der Regel zu einer Verzögerung der Kompensation (Rehabilitation). Klinische Symptome einer zentralnervösen (z. B. zerebellären) Erkrankung, aber auch einer medikamentösen Nebenwirkung können Verschwommensehen und Oszillopsien (Scheinbewegungen der Umwelt) sein, da der Blick nicht mehr stabil auf einem Blickziel gehalten werden kann. Entsprechende klinische Zeichen sind dann in Form von Blickrichtungsnystagmus, Sakkadenverlangsamung (Benzodiazepine, Barbiturate) oder einer gestörten Blickfolge zu sehen. Schwindel ist daher eine häufige Nebenwirkung vieler, vor allem zentralnervös wirksamer Substanzen (vgl. Tab. 2). Pathophysiologisch sind neben der direkten zentralnervösen Wirkung auf sensomotorische Prozesse (z. B. des vestibulo-okulären Reflexes) bedeutsam Veränderungen des Blutdrucks (A) und der Herzfrequenz (B):
A.
Blutdruckschwankungen
  • Arterielle Hypotonien
    • Essenziell
    • Symptomatische (sekundäre): endokrine (Hypothyreose), neurogene (Parkinsonsyndrome, Multisystematrophie, Polyneuropathien; asympathikotones Syndrom), kardiovaskuläre (Aortenstenose, Mitralstenose), hypovolämische und medikamentöse (Schlafmittel, Sedativa)
  • Arterielle Hypertonien
    • Essenziell
    • Symptomatische (sekundäre): renale, hämatologische (Polyzythämie), endokrine (Hyperthyreose, Hyperaldosteronismus), neurogene (Denervierung Barorezeptoren), kardiovaskuläre (Aortenstenose, Mitralinsuffizienz) und medikamentöse (s. u.)
 
B.
Rythmogene Ursachen
 

Epidemiologie (Schwindel über die Lebensspanne)

Die Lebenszeitprävalenz für Schwindel liegt bei fast 30 % (Neuhauser 2007), d. h. fast jeder Dritte erleidet im Laufe seines Lebens irgendwann eine Schwindelepisode. Allein die Lebenszeitprävalenz der häufigsten Schwindelform, dem gutartigen paroxysmalen Lagerungsschwindel (2,4 %), ist mehr als doppelt zu hoch als die vom Schlaganfall (0,9 %). Ca. 2 % der Patienten konsultieren einen Arzt bei der ersten Schwindelepisode (Neuhauser et al. 2008).
Orthostatischer Schwindel ist häufig: Die 12-Monats-Prävalenz von orthostatischem Schwindel beträgt ca. 10,9 % (Frauen 13,1 %, Männer 8,2 %), die Lebenszeitprävalenz 12,5 % (Radtke et al. 2011). Orthostatischer Schwindel ist häufig bei jungen Menschen, der Schweregrad nimmt aber mit zunehmendem Alter zu (19 % Synkopen, 17 % mit Stürzen, 5 % mit Verletzungen).
Schwindel tritt mit zunehmendem Alter häufiger auf (mit 70 Jahren klagen 35 % aller Patienten über Schwindel; >88 Jahre: 48 %), und die Ursachen des Schwindels wechseln über die Lebensspanne von monokausalem, oftmals periodisch-rezidivierendem Schwindel zu chronisch-progredientem multifaktoriellen (diabetische Polyneuropathie mit zerebraler Mikroangiopathie) und multisensorischen Schwindel (z. B. Polyneuropathie mit vestibulärer Unterfunktion). Mit dem Alter nehmen der Energieverbrauch und die benötigte Aufmerksamkeit für basale Prozesse der Stand- und Gangkontrolle zu (Resourcenallokation), sodass kombinierte Anforderungen (Mehrfachaufgaben, z. B. Gehen bei kognitiver Distraktion) erheblich schwieriger werden und als Schwindel empfunden werden können (Krampe et al. 2003). Medikamentöse Therapie zur kognitiven Verbesserung der Älteren und Hochbetagten kann daher auch zur Reduktion von Schwindel, Gangunsicherheit und Stürzen führen (Montero-Odasso et al. 2009). Frauen unterscheiden sich nicht von Männern in der selbstbewerteten schwindelbedingten Einschränkung, Angst und depressivem Affekt (Kurre et al. 2012).

Klinik und Zusatzdiagnostik

Die Diagnose des Schwindelsyndroms lässt sich bei den meisten Patienten anamnestisch und durch die klinische Untersuchung aufgrund klarer Kriterien stellen (Abschn. 2) (Sander et al. 2009). Nur in wenigen Fällen ist zusätzliche apparative Diagnostik erforderlich, die aber hilfreich ist, nicht vestibuläre (z. B. orthostatische Dysregulation, Kipptisch, Langzeit-EKG) von vestibulären Ursachen zu trennen (subjektive visuelle Vertikale, Fundusfotografie, okuläre und zervikale vestibulär evozierte myogene Potenziale, Videookulographie zur Quantifizierung des Kopfdrehtests, akustisch evozierte Potenziale) (Curthoys 2012).

Internistische Schwindelformen

Internistische Ursachen führen in der Regel nicht zu Drehschwindelattacken, sind nicht kopfbewegungsabhängig (Ausnahme: Sick-Sinus-Syndrom), sondern äußern sich in Form von phasisch-rezidivierend auftretenden und z. T. belastungsabhängigen Schwankschwindelepisoden (z. B. kardiale Rythmusstörungen, Hypertonie, orthostatische Dysregulation). Dementsprechend können z. B. Antihypertensiva und Antiarrythmika zu belastungsabhängigem Schwankschwindel führen, so z. B. beim orthostatischen (sympathikotonen) oder kardialen Schwindel, während Psychopharmaka (Antidepressiva) und Benzodiazepine eher zu anhaltendem, belastungsunabhängigem Schwankschwindel führen.
Symptome der orthostatischen Dysregulation: Leeregefühl im Kopf, drohende Ohnmacht („Präsynkope“), Benommenheit, Ohrensausen, Verschwommensehen (bis Schwarz vor den Augen), Kopfschmerzen. Vegetative Symptome bei der sympathikotonen Form: Herzrasen, Übelkeit, Schwitzen, Blässe, kalte Extremitäten.

Diagnostik

Blutdruck, mit Belastungstest (Schellong-Test, der aber schlecht mit den klinischen Symptomen korreliert; Wu et al. 2008), Orthostatische Prüfung (Wechsel vom Liegen in stehende Position):
  • Hypertone Reaktion (Anstieg von Frequenz und Blutdruck)
  • Sympathikotone Reaktion (Frequenzanstieg mit Blutdruckabfall, häufigste Form der orthostatischen Dysregulation; Therapie mit Diydroergotamin)
  • Asympathikotone Reaktion (Blutdruckabfall ohne Frequenzanstieg, z. B. neurogene Hypotonien; Therapie mit: Alpha-Agonist Midorin, Mineralkortikoid: Fludrocortison)
  • Vasovagale Reaktion (Blutdruckabfall und Herzfrequenzabfall)

Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS)

Das POTS (Frauen zu Männer 5:1) beschreibt eine orthostatische Dysregulation mit Störung des autonomen Nervensystems, gekennzeichnet durch ausgeprägtes Herzrasen (akut >130/min, >30/min nach bis zu 30 Minuten nach dem Aufstehen) ohne Blutdruckabfall nach dem Aufstehen, mit begleitender Übelkeit, Kopfdruck, allgemeiner Schwäche und Ängstlichkeit und Bewusstseinstrübung (Benarroch 2012; Garland et al. 2007). Pathophysiologisch führt die unzureichende venöse sympathische Vasokonstriktion in den Beinen zum venösen Pooling und sukzessiver Hypovolämie, sodass es zu einer relativen Minderperfusion des Herzens und vor allem des Gehirns kommen kann. Pathologische Veränderungen im Renin-Angiotensin-Aldosteron-System begünstigen über eine gestörte Salzretention die Hypovolämie (Garland et al. 2007).
Über Baroreflexe kommt es zu einer abnormen (unverhältnismäßigen) Ausschüttung von Noradrenalin, das zu einem starken Herzfrequenzanstieg führt. Grundlage ist ein gestörte Wechselwirkung der Barorezeptoren mit Hirnstammzentren (Nukleus des Tractus solitarius), die zu einer Aktivierung des Sympathikusneurone in der ventrolateralen Medulla oblongata führen (Benarroch 2012). Daher ist das POTS auch bei entzündlichen (Multiple Sklerose) oder degenerativen Hirnstammerkrankungen (Multisystematrophie) anzufinden. Die erhebliche Tachykardie kann zu Angst und Bewusstseinstrübung führen. Therapeutisch ist neben physikalischem Training vermehrte Salzeinnahme und Volumenzufuhr hilfreich, Alkoholabstinenz, kleine Mahlzeiten, Stützstrümpfe, akut auch intravenöse Volumenzufuhr mit NaCl-Lösungen oder Humanalbumin. Optional kann auch eine Pharmakotherapie (Fludrocortison, Alpha-Agonist Midorin, Betablocker, Pyridostigmin, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) versucht werden (Hoeldtke et al. 2007). Es fehlen kontrollierte Studien zur Wirksamkeit dieser Maßnahmen.
Diagnostisch sind Schellong-Test und Kipptischuntersuchungen wegweisend. Differenzialdiagnostisch ist POTS von der hypoadrenergen (Aufstehen: sofort einsetzender Blutdruckabfall, zu geringer Frequenzanstieg) und der neurogenen orthostatischen Hypotension (reflexartig verursachter Blutdruckabfall, Bradykardie, ggf. mit Bewusstseinstrübung → neurokardiogene Synkope) abzugrenzen.
Duplexsonographische Untersuchungen der hirnzuführenden Arterien sind sinnvoll bei belastungsabhängigen (Arm heben, Aufstehen; Subclavian-Steal-Syndrom, beidseitigen Karotisstenosen), kopfbewegungsabhängigen (Vertebralisokklusionssyndrom [selten] oder beidseitigen A.-vertebralis-Stenosen) Schwindelattacken oder in Verbindung mit begleitenden Nacken-/Gesichtsschmerzen (Dissektion?).
Neuro-otologisch gibt es zahlreiche Möglichkeiten, zentrale und periphere vestibuläre Störungen voneinander abzugrenzen (Curthoys 2012). Diese Methoden erfassen vestibuläre Informationsverarbeitung auf elektrophysiologischer oder perzeptiver Grundlage. Entsprechend der multisensorischen Kontrolle der Stand- und Gangsicherheit müssen elektrophysiologisch die verschiedenen Sinne (somatosensorische, vor allem propriozeptive, visuelle, akustische und vestibuläre) überprüft werden. Dazu gehören neurographische Methoden am peripheren Nerv, Quantifizierung des vestibulo-okulären Reflexes mit Videookulographie, evozierte (okuläre und zervikale) vestibuläre Potenziale, posturographische Messungen, aber auch Methoden zur Erfassung von Störungen der Raum- oder Körperwahrnehmung (z. B. subjektive visuelle Vertikale).
Bildgebende Diagnostik ist hilfreich bei: Nerv-Gefäß-Kontakt (Vestibularisparoxysmie), zentralvestibulären Kleinhirn- oder Hirnstammerkrankungen, vestibulären Tumoren, z. T. Morbus Menière. Nicht indiziert für Halswirbelsäulenuntersuchungen.

Pharmakologie des vestibulären Systems

Schwindel kann vor allem durch Medikamente ausgelöst werden, die das vestibuläre System erregen oder hemmen können.
Folgende Neurotransmitter sind in der Vermittlung vestibulärer Signale (vestibulo-okulärer Reflex) beteiligt: Glutamat, Acetylcholin, Gamma-Aminobuttersäure (GABA), Glycin, Noradrenalin, Histamin, Dopamin und 5-Hydroxytryptamin (Serotonin).
Zu den Medikamenten, die vestibuläre Funktionen therapeutisch hemmen können (Antivertiginosa, s. auch Tab. 1), gehören
Tab. 1
Schwindel: medikamentöse Therapie
Schwindelsyndrom
Therapie
Zentral
 
Vegetative Entgleisung
Kurzfristig: Dimenhydrinat (50 mg alle 4–6 h), Diazepam (5–10 mg alle 4–6 h), Scopolamin (Scopoderm)
Reiseschwindel (Kinetosen)
Kurzfristig: Dimenhydrinat (50 mg alle 4–6 h), Diazepam (5–10 mg alle 4–6 h), Scopolamin (Scopoderm), prophylaktisch: Flunarizin 10 mg (Sibelium)
Übelkeit
Als Dopamin und 5HT-Antagonist: Metoclopramid 2 ml = 10 mg (Paspertin; cave: extrapyramidale Nebenwirkung); Phenothiazine (Promethazin, 25 mg alle 8 h, z. B. Atosil), sedierend und antihistaminerg; Ondansetron als 5HT-Antagonist: 4–8 mg (Zofran) nicht sedierend!
Phobischer Schwindel
Serotoninwiederaufnahmehemmer: z. B. Citalopram (10–20 mg/Tag), Sertralin oder Paroxetin (10–20 mg/Tag)
Vestibuläre/basiläre Migräne
Metoprolol (50–200 mg/Tag, z. B. Beloc zok), Topiramat (50–150 mg/Tag), Valproinsäure (600–900 mg/Tag), Flunarizin (10 mg, z. B. Sibelium)
Orthostatische Dysregulation
Physikalische Maßnahmen (Wechselduschen etc.), Antihypertensiva und Dopaminergika reduzieren
Medikamentöse Maßnahmen:
• Sympathikotone Form: Dihydroergotamin
• Asympathikotone Form: Fludrocortison, Alphablocker: Midorin
• Posturales Tachykardiesyndrom: Alphablocker, Betablocker, SSRI
Downbeat-Nystagmus (Kleinhirnsyndrom)
3,4-Diaminopyridin (3 × 10 mg/Tag), 4-Aminopyridin (3 × 5–10 mg/Tag) bzw. als unretardiertes 4-Aminopyridin (Fampyra), Baclofen (bis 3 × 10 mg/Tag), Clonazepam (3 × 0,5 mg/Tag), Gabapentin (3 × 300 mg/Tag)
Fixationspendelnystagmus
Gabapentin 3 × 300–600/Tag (1. Wahl), Memantin (15–60 mg/Tag) allein oder in Kombination mit Clonazepam (3 × 0,5–1,0 mg/Tag)
Okulopalatiner Myoklonus
Gabapentin (3 × 300–600/Tag, 1. Wahl), Memantine (15–60 mg/Tag) allein oder in Kombination mit Clonazepam (3 × 0,5–1,0 mg/Tag)
Upbeat-Nystagmus
4-Aminopyridin (3 × 5–10 mg/Tag), Baclofen (3 × 5–10 mg/Tag)
Seesaw-Nystagmus
Baclofen (3 × 5–10 mg/Tag), Clonazepam (3 × 0,5–2 mg/Tag, 2. Wahl), Gabapentin (3 × 300–600 mg/Tag), Alkohol (1,2 g/kg KG)
Kongenitaler Nystagmus
Memantin (aufsteigend von 10–40 mg/Tag), Gabapentin (aufsteigend von 600–2400 mg/Tag), Prismengläser, Augenmuskeloperation
Opsoklonus, ocular flutter
Steroide, ACTH, Clonazepam (3 × 0,5–2 mg/Tag), Nitrazepam (3 × 5–10 mg/Tag), Propanolol (3 × 40–80 mg/Tag)
Episodische Ataxie
Acetazolamid (250–1000 mg/Tag, Diamox), 4-Aminopyridin (3 × 5–10 mg/Tag) bzw. als unretardiertes 4-Aminopyridin (Fampyra)
Periodisch alternierender Nystagmus
Baclofen (3 × 5–10 mg/Tag), Clonazepam (3 × 0,5–2 mg/Tag; 2. Wahl)
Episodische Ataxie Typ II
Acetazolamid (125–1000 mg/Tag), 4-Aminopyridin (3 × 5 mg/Tag) oder retardiert (1–2 × 10 mg Fampyra)
Peripher
 
Okulomotorische Hirnnervenparesen
Primengläser, keine Medikamente
Okuläre Neuromyotonie
Phenytoin (2–3 × 100 mg/Tag), Carbamazepin (3 × 200 mg/Tag)
Methylprednisolon (Beginn mit 100 mg und nachfolgender Reduktion um 20 mg alle 3 Tage), initial symptomatisch Antivertiginosa (Dimenhydrinat), Vestibularistraining
Betahistin (3 × 6–48 mg/Tag, z. B. Vasomotal 24 mg)
Carbamazepin ret.(2 × 200–800 mg/Tag) oder Oxcarbazepin (300–900 mg/Tag); 2.Wahl: Lamotrigin (2 × 75–225 mg/Tag), Phenytoin (2 × 150–200 mg/Tag), Gabapentin, chirurgische Intervention (Janetta-Operation)
Musculus-obliquus superior-Myokymie
Carbamazepin ret. (2 × 200–800 mg/Tag), Propranol (10 mg/Tag)
  • Benzodiazepine (Clonazepam 0,25–0,5 mg 2×/Tag, Diazepam 5 mg, Lorazepam 2 × 0,5–1 mg/Tag)
  • Antihistaminerg und anticholinerg wirkende Substanzen (z. B. Dimenhydrinat, 50 mg alle 4–6 h, Vomex)
  • Das am Muskarinrezeptor bindende Parasympatholytikum Scopolamin (0,5 mg Pflaster alle 3 Tage, Scopoderm) (Hain und Yacovino 2005); es reduziert auch die Bewegungsempfindlichkeit (bei Kinetosen)
  • Anti-dopaminerg wirkende Substanzen reduzieren Übelkeit und Brechreiz (Metoclopramid 2 ml = 10 mg Paspertin; cave: extrapyramidale Nebenwirkung)
Wirkungsmechanismus:
  • Benzodiazepine: Bindung u. a. an zerebellären Rezeptoren, potenzieren GABA-Wirkung und unterdrücken vestibuläre Antworten (Hain und Yacovino 2005)
  • Anticholinergika: hemmen vestibuläre Aktivität (Muskarinrezeptor); problematisch: erhebliche Nebenwirkungen (Mundtrockenheit, Akkommodationsstörungen, Sedierung) und beeinflussen zentrale Kompensation nach vestibulären Störungen; transdermale Applikation von Scopolamin (Scopoderm): besser bei Übelkeit
  • Antihistaminika: Wirkung unbekannt, auch anticholinerg wirksam
  • Kalziumkanalblocker (Cinnarizin, z. B. Dusodril; Flunarizin 10 mg, z. B. Sibelium): haben Dopamin-antagonistische Wirkung; auch bei vestibulärer Migräne wirksam
  • Dopaminantagonisten (z. B. Sulpirid, Dogmatil; Metoclopramid, Paspertin): cave: extrapyramidale Nebenwirkung
  • 5-HT-Antagonisten: Antiemetikum Odansetron (Zofran), wenig sedierende Wirkung.
Zu den Schwindel auslösenden Medikamenten (Tab. 2) gehören u. a. Antihypertensiva (Antiadrenergika: verlangsamen die vestibuläre Kompensation), Antidepressiva (z. B. Amitryptilin), Antikonvulsiva (z. B. Carbamazepin), Dopaminergika, Diuretika, Insulin, Nitrate und Antibiotika (vor allem Aminoglykoside, z. B. Gentamycin). Typischerweise kommt es bei einer Gentamycintagesdosis von 1,5–5,6 mg/kg KG (durchschnittlich 3,5 mg/kg KG), auch bei normalen Serumspiegeln, und einer mittleren Behandlungsdauer von 17 Tagen mit einer intravenösen Behandlung zu einer zunehmenden Gangunsicherheit mit Schwankschwindel (kein Drehschwindel!), gefolgt von heftiger Gangataxie und Oszillopsien bei Kopfbewegungen (Störungen des vestibulo-okulären Reflexes) und während des Gehens. Typischerweise tritt häufig kein Nystagmus auf, da die selektive Vestibulotoxizität beidseits einsetzt. Bei ruhiger Kopfposition verschwindet der Schwindel. Ursache ist eine irreversible Toxizität eines (Ahmed et al. 2011) oder beider Gleichgewichtsorgane (Ahmed et al. 2012), die typischerweise das Gehör intakt lässt. Auch Einzeldosen können zur bilateralen Vestibulopathie führen. Sie lässt sich leicht mit dem Kopfimpulstest (Halmagyi-Curthoys-Test) (Halmagyi und Curthoys 1988) und dem Matrazentest erkennen (Petersen et al. 2013).
Tab. 2
Schwindel als Nebenwirkung einer medikamentösen Therapie
Stoffklasse
Beispiel (Handelsnamen)
Analgetika (zentral wirksame)
Opiate (z. B. Morphin, Tilidin, MSD)
Antibiotika
Gentamycin (Refobacin), Tetracyclin (Supramycin)
Biperiden (Akineton), Trihexyphenidyl (Artane)
Antidepressiva (Trizyklika)
Clomipramin, Amitryptilin (Anafranil, Saroten), Imipramin (Tofranil)
Antiemetika
Dimenhydrinat (z. B. Vomex)
Carbamazepin (Tegretal), Phenytoin (Phenhydan)
Antihypertensiva (zentral wirksame)
Clonidin (Catapressan)
Antihypertensiva (ACE-Hemmer)
Enalapril (Xanef), Lopirin, Captopril (Tensobon)
Antihypertensiva (Betarezeptorenblocker)
Metoprolol (Beloc), Lopressor, Sotalol (Sotalex)
Antihypertensiva (Kalziumantagonisten)
Nifedipin (Adalat), Dilzem, Verapamil (Isoptin)
Chloroquin (Resochin), Mefloquin (Lariam), Hydroxychloroquin (Orphanet)
Antispastika
Lioresal (Baclofen)
Phenobarbital (Luminal)
Lorazepam (Tavor), Midazolam (Dormicum), Nitrazepam (Mogadan)
Diuretika (Schleifendiuretika)
Furosemid (Lasix)
Dopaminergika
Madopar, Nacom
Gyrasehemmer
Ofloxacin (Tarivid), Ciprofloxacin (Ciprobay)
H2-Blocker
Ranitidin (Sostril), Zantic, Cimetidin (Tagamet)
Muskelrelaxantien
Tetrazepam (Musaril), Lioresal (Baclofen)
Sulpirid (Dogmatil), Atosil, Neurocil
Ibuprofen (Dolormin), Diclofenac (Voltaren)
„Rheologika“
Pentoxifyllin (Trental)
Progynon, Presomen
Sympathomimetika
Noradrenalin (Arterenol), Adrenalin (Suprarenin)
Thyreostatika
Carbimazol (Thyreostat), Thiamazol (Favistan)
Nicht medikamentöse Substanzen, die zu Schwindel führen:
  • Alkohol (verzögert vestibuläre Kompensation)
  • Nikotin (Pereira et al. 2001)
  • Zentral wirksame Drogen (Heroin, Ecstasy, LSD, Kokain, Cannabis)

Therapie

Akut-Therapie

Ziel in der Akuttherapie ist es, die aus Blutdruckschwankungen resultierende oder aus der Wechselwirkung widersprüchlicher sensorischer Informationen (z. B. bei der Reisekrankheit) entstehende vegetative Stimulation zu dämpfen (Antivertiginosa). Sie unterdrücken auch z. T. die Aktivität im vestibulären System. Dazu gehören:
  • Dimenhydrinat (z. B. Vomex)
  • Scopolamin (Scopoderm TTS)
  • Diazepam (Valium), Lorazepam (Tavor)
Vor allem die anticholinerg wirkenden Substanzen dürfen nur kurzfristig (wenige Tage) eingesetzt werden, da sie bei längerer Einnahme die zentrale Kompensation behindern bzw. rückläufig machen.
Mögliche unerwünschte Wirkungen: sedierende Wirkung (Müdigkeit), Mundtrockenheit, Verschwommensehen, Harnverhalt.

Prophylaktische Therapie

Eine Übersicht zur medikamentösen, vor allem prophylaktischen Therapie von zu anhaltendem Schwindel führenden Störungen zentraler okulomotorischer Funktionen und peripher-vestibulärer Erkrankungen findet sich in Tab. 1 (Strupp et al. 2011; Thurtell und Leigh 2012).
Die nicht medikamentöse Behandlung (Krankengymnastik, Prismen, Verhaltenstherapie) ist bei den meisten Schwindelsyndromen ebenso wichtig wie die medikamentöse. Das Gehirn ist in der Lage, einseitig Ausfälle eines Sinnesorgans auszugleichen, indem es das nicht geschädigte Sinnesorgan als Bezugsgröße nimmt. Dadurch verringert sich das Missverhältnis der verschiedenen Sinneseindrücke untereinander. Dies ist die Grundlage der krankengymnastischen Behandlung vestibulärer Schwindelformen. Diese Kompensationsmechanismen sind bei beidseitigen z. B. vestibulären Ausfällen deutlich geringer ausgeprägt.
Benzodiazepine können kurzfristig wegen ihrer sedierenden Wirkung zur Symptomlinderung bei Schwindel eingesetzt werden, mittelfristig verzögern sie aber die zentralen Kompensationsmöglichkeiten und bergen ein Abhängigkeitsrisiko. Keine oder nur geringe Evidenz für die Wirksamkeit gibt es für die am meisten eingesetzten Präparate bei Schwindel: Sulpirid (Dogmatil) als niederpotentes Neuroleptikum, Ginkgo, niedermolekulare Dextrane, Hydroxyethylstärke, Piracetam, Pentoxifyllin oder andere durchblutungsfördernde Homöopathika. Betahistin ist derzeit nur beim Morbus Menière indiziert.
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