Skip to main content
DGIM Innere Medizin
Info
Publiziert am: 12.02.2015

Minimal Change Nephropathie

Verfasst von: Marcus J. Möller
Die Minimal-Change-Nephropathie ist eine Filterstörung des renalen Glomerulus, die mit einer großen Proteinurie, jedoch ohne lichtmikroskopisch fassbare spezifische glomeruläre Befunde einhergeht. Diagnostisch wegweisend ist der Nachweis verstrichener Fußfortsätze der Podozyten mittels Elektronenmikroskopie. Die Minimal-Change-Nephropathie manifestiert sich klassischerweise als nephrotisches Syndrom mit peripheren Ödemen. Das nephrotische Syndrom wird behandelt, ggf. sollte eine Antikoagulation erfolgen, begleitende supportive Maßnahmen werden empfohlen.

Definition

Die Minimal-Change-Nephropathie (MCN) ist eine Filterstörung des renalen Glomerulus, die mit einer großen Proteinurie, jedoch ohne lichtmikroskopisch fassbare spezifische glomeruläre Befunde einhergeht. Diagnostisch wegweisend ist der Nachweis verstrichener Fußfortsätze der Podozyten mittels Elektronenmikroskopie. Die Minimal-Change-Nephropathie wird eng verwandt mit der primären fokal-segmentalen Glomerulosklerose (FSGS) angesehen, sie führt jedoch im Unterschied zur FSGS nicht zu einer chronischen Niereninsuffizienz.

Pathophysiologie

Die auslösende Ursache für das Verstreichen der Fußfortsätze der Podozyten ist unbekannt. Da eine Minimal-Change-Nephropathie nach Nierentransplantation innerhalb von Stunden rekurrieren kann, ist zumindest in einem Teil der Patienten ein Faktor im Blut der Auslöser der Erkrankung. Weil Infekte eine (Re-)Aktivierung der Erkrankung induzieren können und sämtliche Therapieansätze auf das Immunsystem und insbesondere die B-Zellen wirken, spielen diese möglicherweise eine Rolle in der Pathogenese. In der Minimal-Change-Nephropathie ist das Verstreichen der Fußfortsätze prinzipiell reversibel und kann meist durch Glukokortikoide induziert werden. Für einen geringen Prozentsatz der MCN-/FSGS Fälle konnten genetische Mutationen meist podozytärer Gene identifiziert werden.

Epidemiologie

In zwei- bis zwölfjährigen Kindern ist die Minimal-Change-Nephropathie die häufigste Ursache für ein nephrotisches Syndrom (Verhältnis Jungen zu Mädchen: 2:1). Bei Erwachsenen liegt die Prävalenz in der westlichen Welt bei ca. 1–27 pro Jahr und 100.000 Einwohner (gleiches Geschlechterverhältnis bei Erwachsenen). Im Vergleich zu anderen Glomerulopathien mit nephrotischem Syndrom kommen die membranöse Glomerulonephritis, die Minimal-Change-Nephropathie, die primäre FSGS, die membranoproliferative Glomerulonephritis und restliche Glomerulonephritiden im Verhältnis von ca. 40:20:15: 7:18 vor (Bhimma et al. 1997; Borok et al. 1997; Lewis et al. 1988).
Sekundäre Minimal-Change-Nephropathien können im Zusammenhang mit Medikamenten (z. B. bei chronischer NSAR-Einnahme oder Interferontherapie) oder mit Tumoren auftreten (typischerweise Hodgkin-Lymphome).

Klinik

Die Minimal-Change-Nephropathie manifestiert sich klassischerweise als nephrotisches Syndrom mit peripheren Ödemen innerhalb weniger Tage bis Wochen. Die Gefahr eines Lungenödems ist nur gering und eher Folge einer intensivierten Albuminsubstitution. Eine arterielle Hypertonie liegt in ca. 10–30 % der Patienten vor und verschwindet meist nach Erreichen einer Remission (Nolasco et al. 1986). Eine Mikrohämaturie ist selten. Die Nierenfunktion ist meist normal. Akutes (meist prärenales und reversibles) Nierenversagen kann im Rahmen eines schweren nephrotischen Syndroms auftreten.
Bei nephrotischen Patienten sind die erhöhte Thrombembolieneigung und der Immundefekt durch Verlust der Antikörper für die Prognose bedeutsam.

Diagnostik

Klinische Untersuchung
Anamnese (Infekt als Auslöser in zwei Drittel der Fälle); körperliche Untersuchung: insbesondere Körpergewicht im Verlauf, Ödeme, Auskultationsbefund der Lunge (Erguss/Ödem), Lymphknotenstatus, Abdomen (Aszites, Peritonitis), Blutdruck/Puls.
Laborchemische Untersuchungen
Es zeigt sich meist der klassische Befund eines nephrotischen Syndroms mit Hypoproteinämie, Hyperlipidämie, großer Proteinurie und erhaltener Nierenfunktion. Wichtige Laborparameter: Serumkreatinin, Serumeiweiß bzw. Serumalbumin (unter 20–25 g/l prophylaktische Vollantikoagulation notwendig), Serumcholesterin (nephrotisches Syndrom), Elektrolyte (häufig Hyponatriämie bei Überwässerung).
Neben dem Urinstatus (fast immer nephrotischer Befund) sollte auch die Proteinuriemenge (24-Stunden-Urinsammlung und/oder Protein-Kreatinin-Ratio im Spoturin) und die Kreatininclearance im 24-Stunden-Urin bestimmt werden.
Eine genetische Untersuchung wird nicht empfohlen, da sie keine therapeutischen Konsequenzen hat (KDIGO KGW Group 2012).
Bildgebung
Ein Ultraschall der Nieren ist notwendig, um die Nierengröße und -morphologie zu untersuchen und als Vorbereitung für eine Nierenbiopsie. Ggf. Doppleruntersuchung bei Verdacht auf thrombotische Komplikationen. Dokumentation von Ergüssen bei nephrotischem Syndrom (auch Perikard und Pleura) und Ausschluss maligner Neoplasien (z. B. Lymphome).
Bei Erwachsenen muss eine Nierenbiopsie durchgeführt und elektronenmikroskopisch beurteilt werden, um die Diagnose zu stellen. Für eine Abgrenzung gegenüber anderen Glomerulopathien (insbesondere der FSGS) ist für die Validität der Diagnose eine hohe Anzahl von Glomeruli in der Biopsie bedeutsam (idealerweise >15 Glomeruli, ggf. zwei Stanzzylinder asservieren).

Therapie (bei Erwachsenen)

Zum einen wird das nephrotische Syndrom behandelt (Kap. Glomeruläre Erkrankungen: Pathogenese und klinische Bilder). Ggf. sollte eine Antikoagulation erfolgen (bei einem Serumalbumin unter 25–20 g/l Kap. Glomeruläre Erkrankungen: Pathogenese und klinische Bilder). Im Übrigen sind immer die begleitenden supportiven Maßnahmen zu empfehlen (Kap. Fokal segmentale Glomerulosklerose, Abschnitt Therapie der sekundären FSGS). Ein Therapiealgorithmus ist in Abb. 1 gezeigt. Bei Erstmanifestation wird zunächst mit 1 mg/kg KG/Tag Prednisolon p.o. für 4–16 Wochen therapiert (KDIGO KGW Group 2012). Eine Remission ist erreicht, sobald die Proteinurie im Dipstick nicht mehr nachweisbar ist. Eine Woche nach Erreichen der Remission wird die Steroiddosis halbiert und nach weiteren vier bis sechs Wochen dann über weitere vier bis sechs Wochen ausgeschlichen. Die gesamte Therapiedauer ist nicht durch Studien belegt und hängt vor allem vom Ansprechen des Patienten ab (Empfehlungen liegen zwischen 3–6 Monaten (KDIGO KGW Group 2012)). Eine Remission wird oft erst nach mehreren Wochen erreicht, und ca. 25 % der Patienten erreichen innerhalb der ersten vier Monate keine Remission (Nakayama et al. 2002).
Ca. 30–50 % der erwachsenen Patienten haben mindestens einen Rückfall der Minimal-Change-Nephropathie (Mason und Hoyer 2010). Mit einer erneuten Therapie sollte abgewartet werden, bis an mehr als fünf konsekutiven Tagen eine mindestens eine zweifach positive Proteinurie im U-Stix und Zeichen der Überwässerung auftreten.
Bei mehr als zwei Rückfällen innerhalb von sechs Monaten (sog. „frequent relapser“) oder bei Steroidresistenz ist eine einmalige zwölfwöchige Therapie mit oralem Cyclophosphamid (2–2,5 mg/kg KG/Tag p.o. morgens als Einzeldosis) zu erwägen. Ein Gonadenschutz bzw. Asservierung von Sperma sollte durchgeführt werden. Eine permanente Remission ist in 75 % und 66 % nach jeweils zwei oder fünf Jahren zu erwarten (Haas et al. 1997). Für Patienten mit einem Rückfall nach Cyclophosphamidtherapie oder Kontraindikationen gegen Cyclophosphamid ist eine Monotherapie mit Cyclosporin A (3–5 mg/kg KG/Tag; Talspiegel 50–125 ng/ml) oder Tacrolimus (0,05–0,1 mg/kg KG/Tag; Talspiegel 2–8 μg/l) für mindestens 12–24 Monate zu empfehlen. Rückfälle kommen oft bei Dosisreduktion vor, und eine Therapie über mehr als ein Jahr kann zu Nephrotoxizität und Verlust der glomerulären Filtrationsrate führen (Melocoton et al. 1991). Da eine Spontanremission in ca. 50–75 % der Patienten zu erwarten ist (Haas et al. 1997), kann deshalb eine Calcineurininhibitortherapie auch nur für kurz- oder mittelfristige Zeiträume angesetzt werden. Mycophenolatmofetil (2× 1–1,5 g/Tag), Rituximab (2× 1 g i.v. im Abstand von 14 Tagen) und Plasmapherese (1–2× pro Woche) sind als Drittlinientherapie in unkontrollierten Studien ebenfalls potenziell wirksam.
Definitionen
  • Komplette Remission: weniger als 0,3 g/Tag Proteinurie oder weniger als 300 mg/g Kreatinin UND normales Serumkreatinin UND Serumalbumin >3,5 g/dl
  • Partielle Remission: Abfall der Proteinurie auf 0,3–3,5 g/Tag UND stabiles Serumkreatinin (d. h. <25 % Änderung); ODER >50 % Abfall der Proteinurie vom Ausgangswert UND stabiles Serumkreatinin (d. h. <25 % Änderung)
  • Rückfall: über 3,5 g/Tag Proteinurie nachdem eine komplette Remission erreicht worden ist
  • Frequent relapse“ (Patienten mit häufigen Rückfällen): in Erwachsenen nicht definiert
  • Steroidabhängigkeit: Zwei Rückfälle während oder bis zwei Wochen nach einer Steroidtherapie
  • Steroidresistenz: persistierende Proteinurie trotz hochdosierter Prednisolontherapie (1 mg/kg KG/Tag) für >4 Monate

Verlauf und Prognose

Je später sich eine Minimal-Change-Nephropathie erstmals in Kindern manifestiert, desto kürzer ist der zu erwartende Krankheitsverlauf und desto seltener ist mit einem Rückfall zu rechnen (Trompeter et al. 1985). Mit der Pubertät kommt es meist zu einer dauerhaften Remission, und nur 5 % der Kinder haben noch als Erwachsene einen Rückfall.
Je länger der letzte Krankheitsschub zurückliegt, desto unwahrscheinlicher ist ein Rückfall. Ein Rückfall nach über zehn Jahren ist unwahrscheinlich, aber möglich.
Literatur
Bhimma R, Coovadia HM, Adhikari M (1997) Nephrotic syndrome in South African children: changing perspectives over 20 years. Pediatr Nephrol 11:429–434CrossRefPubMed
Borok MZ, Nathoo KJ, Gabriel R, Porter KA (1997) Clinicopathological features of Zimbabwean patients with sustained proteinuria. Cent Afr J Med 43:152–158PubMed
Fang MC, Go AS, Chang Y, Borowsky LH, Pomernacki NK, Udaltsova N, Singer DE (2011) A new risk scheme to predict warfarin-associated hemorrhage: the ATRIA (Anticoagulation and Risk Factors in Atrial Fibrillation) study. J Am Coll Cardiol 58:395–401PubMedCentralCrossRefPubMed
Floege J, Johnson RJ, Feehally J (2011) Comprehensive Clinical Nephrology, 4th Edition. Elsevier, Amsterdam
Haas M, Meehan SM, Karrison TG, Spargo BH (1997) Changing etiologies of unexplained adult nephrotic syndrome: a comparison of renal biopsy findings from 1976–1979 and 1995–1997. Am J Kidney Dis 30:621–631CrossRefPubMed
KDIGO KGW Group (2012) KDIGO clinical practice guideline for glomerulonephritis. Kidney Int Suppl 2:139–274CrossRef
Lewis MA, Baildom EM, Davies N, Houston IB, Postlethwaite RJ (1988) Steroid-sensitive minimal change nephrotic syndrome. Long-term follow-up. Contrib Nephrol 67:226–228CrossRefPubMed
Mason PD, Hoyer PF (2010) Minimal change nephrotic syndrome. In: Floege J, Johnson RJ, Feehally J (Hrsg) Comprehensive clinical nephrology. 4. Aufl. Elsevier, St. Louis, S 218–227CrossRef
Melocoton TL, Kamil ES, Cohen AH, Fine RN (1991) Long-term cyclosporine A treatment of steroid-resistant and steroid-dependent nephrotic syndrome. Am J Kidney Dis 18:583–588CrossRefPubMed
Nakayama M, Katafuchi R, Yanase T, Ikeda K, Tanaka H, Fujimi S (2002) Steroid responsiveness and frequency of relapse in adult-onset minimal change nephrotic syndrome. Am J Kidney Dis 39:503–512CrossRefPubMed
Nolasco F, Cameron JS, Heywood EF, Hicks J, Ogg C, Williams DG (1986) Adult-onset minimal change nephrotic syndrome: a long-term follow-up. Kidney Int 29:1215–1223CrossRefPubMed
Trompeter RS, Lloyd BW, Hicks J, White RH, Cameron JS (1985) Long-term outcome for children with minimal-change nephrotic syndrome. Lancet 1:368–370CrossRefPubMed