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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 21.04.2015

Morbus Osler (hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie)

Verfasst von: Martin Caselitz und Matthias J. Bahr
Die hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie (HHT) ist eine autosomal dominant vererbte Erkrankung, die sich durch mukokutane und viszerale Angiodysplasien mit hoher Penetranz (>95 %) manifestiert. Nach den ersten Beschreibern wird sie auch als Morbus Osler-Weber-Rendu bezeichnet. Wichtige Manifestationen der HHT sind die Nasenschleimhaut (Epistaxis), die Haut sowie verschiedene innere Organe).

Einleitung

Die hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie (HHT) ist eine autosomal dominant vererbte Erkrankung, die sich durch mukokutane und viszerale Angiodysplasien mit hoher Penetranz (>95 %) manifestiert. Nach den ersten Beschreibern wird sie auch als Morbus Osler-Weber-Rendu bezeichnet. Wichtige Manifestationen der HHT sind die Nasenschleimhaut (Epistaxis), die Haut sowie verschiedene innere Organe (s. u.).
Die HHT wird klinisch nach den „Curacao-Kriterien“ aus dem Jahr 2000 diagnostiziert (Faughnan et al. 2011):
  • spontanes und rezidivierendes Nasenbluten
  • Teleangiektasien der Haut oder Schleimhaut (insbesondere an Lippen, Fingern, Mundhöhle und Nase) von typischerweise 2–5 mm Größe
  • viszerale arteriovenöse Malformationen (Lunge, Leber, ZNS, Gastrointestinaltrakt)
  • positive Familiengeschichte (ein Angehöriger ersten Grades mit HHT-typischer Symptomatik)
Die Diagnose der HHT ist gesichert, wenn mindestens 3 Kriterien vorliegen. Eine mögliche HHT besteht bei 2 positiven Kriterien. Wenn weniger als 2 Kriterien nachgewiesen werden können, ist eine HHT unwahrscheinlich.
Schwerpunkt des Beitrages ist die Leberbeteiligung der HHT.

Pathophysiologie

Genetik

Die autosomal dominant vererbte Erkrankung wird durch Mutationen hervorgerufen, die die Signaltransduktion durch den Transforming-Growth-Factor-β-Rezeptor (TGF-β-R) beeinflussen. Je nach betroffenem Gen werden verschiedene Subtypen unterschieden:
  • HHT1 (ENG kodiert Endoglin, Chromosom 9q33-q34.1)
  • HHT2 (ACVRL1 kodiert Activin-A-Receptor-Type-II-Like-Kinase (ALK-1), Chromosom 12q11-q14)
  • HHT3 (Gen nicht bekannt, Chromosom 5q31.3-q32)
  • HHT4 (Gen nicht bekannt, Chromosom 7p14)
  • juvenile Polypose/HHT (SMAD4, Chromosom 18q21.1)
Die Leberbeteiligung kann grundsätzlich bei jedem Subtyp vorkommen, scheint jedoch gehäuft beim Subtyp HHT2 und bei Frauen vorzukommen. Wenngleich die HHT autosomal dominant vererbt wird, treten deutliche Unterschiede bezüglich der Ausprägung innerhalb betroffener Familien auf.

Gefäßfehlbildungen

Bei der HHT kommt es zu einer anormalen Angiogenese mit multiplen dilatierten Gefäßen. Die Erkrankung beginnt mit einer Dilatation der postkapillären Venolen, denen eine Dilatation der präkapillären Arteriolen folgt. Im Verlauf verschwindet dann das Kapillarbett, so dass arteriovenöse Malformationen entstehen, die eine erhöhte Blutungsneigung aufweisen. Dies wird durch verschiedene Faktoren bedingt, u. a. durch eine insuffiziente Kontraktilität der glatten Muskelzellen, einem Verlust elastischer Fasern und Defekte beim Verbund endothelialer Zellen.

Shunt-Formen an der Leber

Aufgrund der anatomischen Verhältnisse sind in der Leber 3 Shunt-Formen möglich: Arteriovenöse Shunts, arterioportale Shunts und seltener portovenöse Shunts. Die verschiedenen Shunt-Formen erklären die unterschiedlichen klinischen Befunde im Rahmen der hepatischen Manifestation der HHT (s. Abschn. 4).

Epidemiologie

Die Prävalenz der HHT wird mit 10–20 pro 100.000 Menschen angegeben, wobei Frauen und Männer gleichermaßen betroffen sind. Teleangiektasien und Epistaxis treten bei der Hälfte der betroffenen Patienten vor dem 20. Lebensjahr auf. Die viszerale Beteiligung manifestiert sich typischerweise erst zwei bis drei Dekaden später.

Häufigkeit der Leberbeteiligung

Die Angaben zur Leberbeteiligung in der Literatur schwanken zwischen 32 und 87 %. Mit den Fortschritten in der bildgebenden Diagnostik steigt auch die Detektionsrate hepatischer Manifestationen. Der Anteil von Patienten, die eine Symptomatik auf dem Boden der hepatischen Beteiligung entwickeln, liegt jedoch nur bei ca. 8 %. Frauen sind von der Leberbeteiligung häufiger betroffen, was auf hormonelle Einflüsse bei der Entstehung von Malformationen hinweist.

Klinik

Allgemeine Symptome

Da die HHT zahlreiche Organe betreffen kann, ist die klinische Symptomatik sehr vielgestaltig. Zu den wichtigsten Symptomen gehört die Anämie durch Blutverlust bei Epistaxis und bei gastrointestinaler Beteiligung. Neurologische Symptome (zerebrale Blutungen, Krampfleiden, Paraplegien etc.) können bei ZNS-Beteiligung auftreten.

Symptome der hepatischen Beteiligung

Die Symptome bei der hepatischen HHT-Manifestation sind ebenfalls variabel und resultieren aus den unterschiedlichen Shunt-Typen.
Bei arteriovenösen Shunts kann es zu einem erheblichen Anstieg des Herzzeitvolumens kommen, das in Einzelfällen 15 l/min übersteigt. Dieses geht im Verlauf mit den Zeichen einer Herzinsuffizienz einher. Zusätzlich kann es zu Steal-Phänomenen mit Symptomen einer Angina abdominalis oder zu ischämischen Gallengangsnekrosen kommen. Die rezidivierenden Ischämien führen bei ausgeprägter Manifestation zu einer knotigen Regeneration der Leber, die in den bildgebenden Verfahren einer Leberzirrhose ähnelt und als Pseudozirrhose beschrieben wird. Diese geht jedoch nicht mit Zeichen eines Leberfunktionsverlustes einher.
Bei arterioportalen Shunts stehen Zeichen der portalen Hypertension und deren Komplikationen (Aszites, Ösophagusvarizen) im Vordergrund.
In seltenen Fällen treten portovenöse Shunts auf, die zur hepatischen Enzephalopathie führen können.

Diagnostik

Körperliche Untersuchung

Im Rahmen der körperlichen Untersuchung können neben der mukokutanen Manifestation der HHT Strömungsgeräusche im rechten Oberbauch auf eine hepatischen Manifestation der HHT hinweisen.

Biochemische Diagnostik

In der Labordiagnostik findet sich typischerweise eine anikterische Cholestase ohne eine Beeinträchtigung der Leberfunktion. Die Labordiagnostik ist jedoch nicht geeignet, eine hepatische HHT-Manifestation nachzuweisen oder auszuschließen.

Histologische Diagnostik

Eine perkutane Leberbiopsie wird wegen der erhöhten Blutungsgefahr bei Verdacht auf eine hepatische HHT-Manifestation nicht empfohlen.

Genetische Diagnostik

Wenngleich die Kenntnis zum genetischen Hintergrund der Erkrankung zunimmt, spielt die genetische Diagnostik in der klinischen Routine keine Rolle. Vielmehr wird die Diagnose klinisch an Hand der Curacao-Kriterien (s. o.) gestellt. Genetische Analysen haben einen Stellenwert in der humangenetischen Beratung und für wissenschaftliche Fragestellungen.

Sonographie

Alle Patienten mit HHT sollten in Hinblick auf eine Leberbeteiligung untersucht werden. Als sensitive Screening-Methode bietet sich die farbkodierte Doppler-Sonographie an, deren Diagnosekriterien gut definiert und etabliert sind (Tab. 1).
Tab. 1
Sonographische Zeichen der Leberbeteiligung bei HHT. (Modifiziert nach Caselitz et al. 2003)
Major-Kriterien
Art. hepatica >7 mm Innendurchmesser
Intrahepatische arterielle Hypervaskularisation
Minor-Kriterien
Vmax der A. hepatica propria >110 cm/s
RI der A. hepatica propria <0,6
Vmax der Pfortader >25 cm/s
Geschlängelter Verlauf der extrahepatischen A. hepatica
Fakultative Befunde
Dilatierte Pfortader >13 mm
Dilatierte Lebervenen >11 mm
Hepatomegalie >15 cm in Medioklavikularlinie
Knotige Leberoberfläche
Daneben finden sich weitere Befunde, darunter Hämangiome und fokal noduläre Hyperplasien (FNH). Auch die Folgen einer ausgeprägten hepatischen Beteiligung können nachweisbar sein (Rechtsherzbelastung, Zeichen der portalen Hypertension).

Radiologische Verfahren

Die Angiographie gilt als Goldstandard der Diagnostik der hepatischen HHT-Manifestation, wegen der Alternativen ist dieses invasive Verfahren in der Regel aber entbehrlich. Die hepatische HHT-Manifestation kann auch mittels Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) dargestellt werden. Neben erweiterten und geschlängelten Gefäßen fällt in der CT bei arterioportalen Malformationen eine frühe und verlängerte Kontrastierung der portalen Gefäße auf. Demgegenüber kommt es bei arteriovenösen Shunts zu einer frühen Kontrastierung der Lebervenen. Die portovenösen Shunts sind in der CT nur schwer darstellbar. Eine neue Technik ist die Perfusionscomputertomographie. Die getrennte Messung von arteriovenöser und portalvenöser Perfusion kann z. B. bei der Beurteilung von Steal-Phänomenen durch die Malformationen von Interesse sein. Auch die bereits erwähnten fokalen Veränderungen in der Leber können differenziert dargestellt werden.

Differenzialdiagnostik

Sofern die HHT anhand der Curacao-Kriterien gesichert ist, ergeben sich nur wenige Differenzialdiagnosen zur hepatischen Manifestation. In der sonographischen Diagnostik können jedoch andere Erkrankungen ähnliche Befunde aufweisen.
  • Leberzirrhose als Differenzialdiagnose eines knotigen Leberumbaus (B-Bildsonographie)
  • Dilatierte intrahepatische Gallenwege (z. B. bei Caroli-Syndrom) als Differenzialdiagnose zu intrahepatisch hypertrophierten Ästen der A. hepatica. (B-Bildsonographie)
  • Fokale Läsionen in der Leber, insbesondere FNH mit auffälliger arterieller Vaskularisation (Farb-Doppler-Sonographie)

Therapie

Allgemeines

Nur etwa 8 % der Patienten mit hepatischer HHT-Beteiligung benötigen eine Therapie. Dafür besteht eine Indikation, wenn die hepatischen Gefäßmalformationen klinisch symptomatisch werden.

Medikamentöse Therapie

Die Herzinsuffizienz auf dem Boden arteriovenöser oder arterioportaler hepatischer Shunts kann mit Betablockern behandelt werden, um das erhöhte Herzzeitvolumen bei den Patienten zu reduzieren. Um die Therapie zu steuern, ist es erforderlich, bei symptomatischen Patienten eine Bestimmung des Herzzeitvolumens, z. B. mittels Echokardiographie, vor dem Therapiebeginn durchzuführen. Weitere konservative Therapieansätze sind die Behandlung der Anämie, Salzrestriktion und eine diuretische Therapie.

Interventionelle Therapie

Intrahepatische Shunts können mittels arterieller Embolisation behandelt werden. Mit dieser Methode gelingt es, das Herzzeitvolumen langfristig zu senken und die Symptomatik zu bessern. Risiken dieser Methode bestehen in einer ischämischen Cholangitis bzw. Cholezystitis sowie das Auftreten hepatischer Nekrosen. Wegen dieser Komplikationen wird die Embolisation nicht generell empfohlen, sondern ist allenfalls symptomatischen Patienten, die nicht für eine Lebertransplantation in Frage kommen, an spezialisierten Zentren vorbehalten.

Lebertransplantation

Die Lebertransplantation ist durch den Austausch des erkrankten Organs eine kurative Behandlung, die für symptomatische Patienten trotz maximaler konservativer Therapie eine Option darstellt. Die 5-Jahres-Überlebensraten liegen in kleinen Kollektiven bei bis zu 92 % (Lerut et al. 2006).

Ausblick

Bislang gibt es keine etablierte Therapie der symptomatischen hepatischen HHT-Manifestation. In einer aktuellen vorläufigen Studie mit 20 Patienten wird die Abnahme des Herzzeitvolumens und der Episoden mit Epistaxis nach der Gabe des Angiogenesehemmers Bevacizumab bei Patienten mit symptomatischer Leberbeteiligung beschrieben. Der Effekt hielt auch nach 6 Monaten an (Dupuis-Girod et al. 2012). Es bleibt abzuwarten, welchen Stellenwert diese Therapieoption in Zukunft hat.

Verlauf und Prognose

Da nur ein kleiner Teil der Patienten mit Leberbeteiligung im Rahmen der HHT symptomatisch wird, ist der Verlauf der Erkrankung bei den meisten Patienten durch die weiteren HHT-Manifestationen bestimmt.
Bei Patienten, die wegen der hepatischen Manifestation der HHT interventionell oder operativ behandelt wurden, liegen wenige Untersuchungen zum langfristigen Verlauf vor. In einer Nachbeobachtung an 20 Patienten wurde festgestellt, dass die Wirksamkeit der Embolisation bis zu 17 Jahre anhält. Die Langzeitergebnisse nach Lebertransplantation von 12 Patienten zeigen eine 5 Jahres-Überlebensrate von über 92 %.
Literatur
Caselitz M, Bahr MJ, Bleck JS, Chavan A, Manns MP, Wagner S, Gebel M (2003) Sonographic criteria for the diagnosis of hepatic involvement in hereditary hemorrhagic telangiectasia (HHT). Hepatology 37:1139–1146PubMedCrossRef
Dupuis-Girod S, Ginon I, Saurin JC, Marion D, Guillot E, Decullier E, Roux A, Carette MF, Gilbert-Dussardier B, Hatron PY, Lacombe P, Lorcerie B, Rivière S, Corre R, Giraud S, Bailly S, Paintaud G, Ternant D, Valette PJ, Plauchu H, Faure F (2012) Bevacizumab in patients with hereditary hemorrhagic telangiectasia and severe hepatic vascular malformations and high cardiac output. JAMA 307:948–955PubMedCrossRef
Faughnan ME, Palda VA, Garcia-Tsao G, Geisthoff UW, McDonald J, Proctor DD, Spears J, Brown DH, Buscarini E, Chesnutt MS, Cottin V, Ganguly A, Gossage JR, Guttmacher AE, Hyland RH, Kennedy SJ, Korzenik J, Mager JJ, Ozanne AP, Piccirillo JF, Picus D, Plauchu H, Porteous MEM, Pyeritz RE, Ross DA, Sabba C, Swanson K, Terry P, Wallace MC, Westermann CJJ, White RI, Young LH, Zarrabeitia R (2011) International guidelines for the diagnosis and management of hereditary haemorrhagic telangiectasia. J Med Genet 48:73–87PubMedCrossRef
Lerut J, Orlando G, Adam R, Sabbà C, Pfitzmann R, Klempnauer J, Belghiti J, Pirenne J, Thevenot T, Hillert C, Brown CM, Gonze D, Karam V, Boillot O, ELTA (2006) Liver transplantation for hereditary hemorrhagic telangiectasia: report of the European liver transplant registry. Ann Surg 244:854–862PubMedCentralPubMedCrossRef