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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 04.12.2014

Morbus Wilson

Verfasst von: Kinan Rifai
Der Morbus Wilson ist definiert als Kupferspeicherkrankheit bei hereditärem Defekt des Kupferstoffwechsels. Als Folge des Gendefektes kommt es zu einer verminderten biliären Kupferausscheidung, so dass der Kupfergehalt in der Leber und im übrigen Körper steigt. Der akute M. Wilson manifestiert sich typischerweise als akutes Leberversagen mit Coombs-negativer Hämolyse (Wilson-Krise). Die chronische Verlaufsform präsentiert sich häufig wie eine chronische Hepatitis, meist in Kombination mit neurologisch-psychiatrischen Symptomen. Aber auch andere Organsysteme können betroffen sein. Die Diagnose kann durch Laboruntersuchungen, insbesondere eine erhöhte Urin-Kupferausscheidung, gesichert werden. Bei der akuten Verlaufsform kommen differenzialdiagnostisch fulminante Virushepatitiden oder toxische Leberversagen in Frage, und eine Lebertransplantation ist zu diskutieren. Zur Therapie des chronischen M. Wilson gehören u. a. eine kupferarme Diät, Chelatoren und Zink.

Definition

Der Morbus Wilson ist definiert als Kupferspeicherkrankheit bei hereditärem Defekt des Kupferstoffwechsels. Er wurde auch als hepatolentikuläre Degeneration bezeichnet.

Pathophysiologie

Beim M. Wilson handelt es sich um einen autosomal-rezessiv vererbten Defekt eines hepatischen ATP-abhängigen Transportproteins für Kupfer. Das betroffene Gen (ATP7B) liegt auf Chromosom 13 (Rosencrantz und Schilsky 2011). Bisher wurden mehr als 500 unterschiedliche Mutationen identifiziert. Als Folge des Defektes kommt es zu einer verminderten biliären Kupferausscheidung, so dass der Kupfergehalt in der Leber und im übrigen Körper steigt. Durch die Kupferablagerungen in diversen Organen sind besonders die Leber, das zentrale Nervensystem, die Augen, die Nieren und die Erythrozyten betroffen, da freies, nicht proteingebundenes Kupfer toxisch wirkt.

Epidemiologie

Die Prävalenz des M. Wilson wird auf 1:30.000 für Homozygotie geschätzt. Der Anteil der Träger liegt bei ca. 0,5–1 %.

Klinik

Die klinische Präsentation des M. Wilson ist sehr variabel. Prinzipiell unterscheidet man das akute und das chronische Auftreten. Bei akutem M. Wilson kann es vor allem bei jüngeren Patienten aus völliger subjektiver Gesundheit zur plötzlichen Dekompensation kommen. Diese manifestiert sich typischerweise als akutes Leberversagen mit Coombs-negativer Hämolyse (Wilson-Krise). Der Zerfall der Hepatozyten verursacht eine Freisetzung des gespeicherten Kupfers in die Zirkulation, wo es zur Hämolyse führt. Da Kupfer aber gleichzeitig auch hepatotoxisch wirkt, entsteht ein Circulus vitiosus, der zur weiteren Leberzellschädigung mit hepatischer Kupferfreisetzung führt. Trotz subjektiver Gesundheit vor Auftreten der Wilson-Krise besteht bei den Patienten häufig schon ein fortgeschrittener Leberschaden und damit eine verminderte Regenerationsfähigkeit der Leber (European Association for the Study of the Liver 2012).
Demgegenüber steht die chronische Verlaufsform, die sich häufig wie eine chronische Hepatitis präsentiert. Entsprechend kann sie in einer Leberzirrhose einschließlich der assoziierten Komplikationen enden. Auch eine Fettleber oder eine cholestatische Lebererkrankung kann durch einen M. Wilson hervorgerufen werden. Bei der chronischen Verlaufsform finden sich auch meist die neurologisch-psychiatrischen Symptome, die vor allem das extrapyramidale System betreffen. Rigor, Tremor und Dysarthrie sind typische Symptome der neurologischen Manifestation. Psychiatrische Störungen äußern sich häufig als Persönlichkeitsstörungen. Diese sind in ihrer individuellen Ausprägung sehr variabel (European Association for the Study of the Liver 2012). Auch andere Organsysteme wie die Nieren (Niereninsuffizienz, tubuläre Azidose), die Augen (Katarakt), das Herz (Herzrhythmusstörungen, Kardiomyopathie), das Skelettsystem und das Pankreas können betroffen sein (Tab. 1).
Tab. 1
Organbeteiligungen bei Morbus Wilson.
Leber
Akutes Leberversagen, chronische Hepatitis, Hepatomegalie, Fettleber, Leberzirrhose
Zentrales Nervensystem
Extrapyramidale Störungen wie Rigor, Tremor, Dysarthrie, Dystonie, Verhaltensveränderungen, Psychosen, Persönlichkeitsstörungen
Augen
Kayser-Fleischer-Kornealring, Sonnenblumenkatarakt
Blut
Hämolyse, Leukopenie, Thrombopenie, hämorrhagische Diathese
Nieren
Niereninsuffizienz, tubuläre Azidose, renale Osteomalazie, Nephrokalzinose, Nephrolithiasis
Herz
Herzrhythmusstörungen, Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz
Pankreas
Pankreasinsuffizienz
Skelettsystem
Osteomalazie, Osteoporose, pathologische Frakturen, Arthritis, Arthrose
Haut
Hyperpigmentierung

Diagnostik

Die Diagnose kann mit Hilfe von Laboruntersuchungen gesichert werden: Typisch sind im Serum ein erhöhter Kupferspiegel bei gleichzeitig erniedrigtem Spiegel seines Transportproteins Coeruloplasmin. Insbesondere bei der akuten Verlaufsform findet sich ein erhöhter Bilirubin-alkalische Phosphatase-Quotient. Es finden sich dann häufig auch Hämolysezeichen (Erhöhung von freiem Hämoglobin, Laktat-Dehydrogenase und unkonjugiertem Bilirubin, Verminderung von Haptoglobin). Entscheidend ist meist der Nachweis einer erhöhten Kupferausscheidung im 24-Stunden-Sammelurin. Sofern dieser nicht eindeutig ist, kann ein D-Penicillamin-Belastungstest sinnvoll sein, auch wenn dieser nicht gut validiert ist. Dabei wird der Kupfergehalt im 24-Stunden-Sammelurin unter Einnahme von D-Penicillamin untersucht (Rosencrantz und Schilsky 2011).
Ein Ultraschall der Leber und Milz kann bei der ersten Einschätzung des Schweregrades der Leberbeteiligung hilfreich sein. Besser kann dies noch mittels einer Leberbiopsie erfolgen. Dabei sollte auch eine quantitative Kupferbestimmung im Gewebe durch Veraschung zur Diagnosestellung durchgeführt werden. Pathognomonisch für den M. Wilson ist der Nachweis eines Kayser-Fleischer-Kornealringes in der Spaltlampenuntersuchung des Auges, wobei dieser insbesondere im Frühstadium fehlen kann. Eine Computertomographie (CT) oder eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Kopfes wird bei neurologischer Symptomatik empfohlen.
In Einzelfällen kann es notwendig sein, eine genetische Mutationsanalyse zu veranlassen. Diese ist aufgrund der Vielzahl an Mutationen und des großen Gens sehr aufwändig. Als Haplotypanalyse findet sie vor allem Anwendung in der Analyse von Geschwistern von Patienten. Generell sollte bei Verwandten ersten Grades von Patienten mit nachgewiesenem M. Wilson ein Screening schon im Kleinkindesalter erfolgen (Rosencrantz und Schilsky 2011).

Differenzialdiagnostik

Für die akute Verlaufsform des M. Wilson sind differenzialdiagnostisch anderweitige Ursachen des akuten Leberversagens wie z. B. fulminante Virushepatitiden oder toxische Leberversagen auszuschließen. Die Kombination aus Leberversagen und Hämolyse sollte immer den Verdacht auf einen M. Wilson begründen.
Für den chronischen M. Wilson sind zunächst differenzialdiagnostisch alle Formen der chronischen Hepatitis, insbesondere die cholestatischen Verlaufsformen, zu berücksichtigen. Die neuropsychatrische Manifestation ist entsprechend differenzialdiagnostisch von anderen psychiatrischen und extrapyramidalen Erkrankungen wie Psychosen, Dystonien oder einem Parkinson-Syndrom abzugrenzen.

Therapie

Die akute Verlaufsform des M. Wilson weist unbehandelt eine Sterblichkeit von nahezu 100 % auf. Daher ist umgehend eine Lebertransplantation höchster Dringlichkeitsstufe zu diskutieren. Die möglichst frühzeitige Diagnosestellung ist für die Patienten von essenzieller Bedeutung. Aus diesem Grund muss bei allen akuten Leberversagen unklarer Genese ein M. Wilson ausgeschlossen werden (European Association for the Study of the Liver 2012).
Während sich das akute Leberversagen bei M. Wilson konservativ nicht behandeln lässt, bestehen für den chronischen M. Wilson verschiedene Therapieoptionen, die den Progress der Erkrankung häufig aufhalten können. Basis der Therapie ist die kupferarme Diät mit Vermeidung von Innereien, Nüssen, Pilzen, Vollkornprodukten, Kakao, Schokolade und Meeresfrüchten. Medikamentös werden vorzugsweise Chelatoren (D-Penicillamin, Trientine) eingesetzt, die zu einer erhöhten Urin-Kupferausscheidung führen. Insbesondere das D-Penicillamin kann während der Frühphase der Therapie zu allergischen Reaktionen, aber auch einer neurologischen Verschlechterung führen. Daher sollte die Therapie einschleichend begonnen werden. Später können u. a. Knochenmarkdepression, Arthropathie, Autoimmunerkrankungen, Tubulopathie und Neuropathie hinzukommen. Daher ist eine Begleittherapie mit Vitamin B6 (Pyridoxin) obligat. Trientine weist ein günstigeres Nebenwirkungsprofil auf, führt aber gehäuft zu Eisenmangelanämien. Alternativ, aber auch in Kombination, besteht die Möglichkeit zur Therapie mit dem Kupferkompetitor Zink, der die enterale Kupferaufnahme hemmt (Maxwell und Kowdley 2012).
Das Ansprechen auf die konservative Therapie und damit die langfristige Prognose sind individuell unterschiedlich. Bei primär hepatischer Manifestation wird zunächst ein Chelator eingesetzt. Bei nur milden Symptomen kann auch eine reine Zinktherapie diskutiert werden. Bei primär neurologischer Symptomatik werden aufgrund der oben genannten Problematik unter D-Penicillamin eher Trientine oder Zink eingesetzt. Im Verlauf der Therapie kann dann abhängig von einer rückläufigen Urin-Kupferausscheidung die Dosis der Chelatoren etwas reduziert werden.
Eine therapierefraktäre, hepatisch oder neurologisch progrediente Erkrankung stellt eine potenzielle Indikation zur Lebertransplantation dar. Damit wird der zugrunde liegende Gendefekt phänotypisch geheilt und der erhöhte Kupfergehalt im Körper vermindert sich sukzessive (Schoenberger und Ellis 1979). Eine Verbesserung der neurologischen Symptomatik tritt dadurch bei bis zu 80 % der Patienten ein, wobei große individuelle Differenzen bestehen (Schilsky et al. 1994). Das Langzeitüberleben und die Lebensqualität nach Transplantation bei M. Wilson sind sehr gut (Sutcliffe et al. 2003).

Verlauf und Prognose

Wie schon ausführlich beschrieben, ist die unbehandelte Prognose des akuten M. Wilson ohne Lebertransplantation sehr schlecht. Demgegenüber ist insbesondere bei frühzeitiger Diagnosestellung und suffizienter Therapie der chronische M. Wilson meist auch langfristig gut behandelbar. Bei schon bestehenden irreversiblen Organschäden kann zumindest versucht werden, die Progredienz der Erkrankung aufzuhalten.
Literatur
Rosencrantz R, Schilsky M (2011) Wilson disease: pathogenesis and clinical considerations in diagnosis and treatment. Sem Liv Dis 31:245–259CrossRef
European Association for the Study of the Liver (2012) EASL clinical practice guidelines for Wilson’s disease. J Hepatol 56:671–685
Maxwell KL, Kowdley KV (2012) Metals and the liver. Curr Opin Gastroenterol 28:217–222PubMedCrossRef
Schoenberger M, Ellis PP (1979) Disappearance of Kayser-Fleischer rings after liver transplantation. Arch Ophthalmol 97:1914–1915PubMedCrossRef
Schilsky ML, Scheinberg IH, Sternlieb I (1994) Liver transplantation for Wilson’s disease: indications and outcome. Hepatology 19:583–587PubMedCrossRef
Sutcliffe RP, Maguire DD, Muiesan P et al (2003) Liver transplantation for Wilson’s disease: long-term results and quality-of-life assessment. Transplantation 75:1003–1006PubMedCrossRef