Einleitung
Im klinischen Kontext ist das Fehlen oder Vorhandensein von Antibiotikaresistenzen essenziell für die Auswahl des geeigneten Antibiotikums und die Wahrscheinlichkeit des therapeutischen Ansprechens. Das Wissen über intrinsische, primär erregerspezifische Resistenzmechanismen und potenziell übertragbare Faktoren der Antibiotikaresistenz ist von zunehmender Bedeutung in der Auswahl empirischer Therapien und der Isolierung betroffener Patienten.
Der Begriff der Multiresistenz gegen
Antibiotika wird hierbei uneinheitlich verwendet. Die Kommission für
Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim
Robert Koch-Institut hat deshalb die sog. MRGN-Klassifizierung der Antibiotikaresistenz bei gramnegativen
Bakterien eingeführt (
MRGN, multiresistente gramnegative Erreger), die sich an der Resistenz gegen klinische relevante Leitantibiotika orientiert. Auf die genetische Klassifizierung der Resistenzmechanismen wurde verzichtet und vielmehr das phänotypische Resistenzmuster anhand des
Antibiogramms als Grundlage verwendet. Die MRGN-Klassifikation von
multiresistenten Erregern sollte durch das mikrobiologische Labor im Antibiogramm angegeben werden, da hieraus krankenhaushygienische Maßnahmen wie Patientenisolierung (Kontaktisolierung, Einzelisolierung) oder die Anwendung besonderer Desinfektionsalgorithmen resultieren können. Von Bedeutung im Erwachsenenbereich sind hier insbesondere Erreger, die mit 3MRGN oder 4MRGN klassifiziert werden und entsprechend Resistenzen gegen drei oder vier Antibiotikagruppen aufweisen (s. Tab.
1). Bei Vorhandensein einer Carbapenemase (Nachweis des Resistenzmechanismus im Labor ist nötig) ist aufgrund der
in vitro getesteten Unwirksamkeit dieser Reservesubstanzen mit sehr breitem Wirkspektrum stets die Kategorie 4MRGN im mikrobiologischen Befund angegeben, selbst wenn anderen Kategorien als sensibel oder intermediär getestet wurden.
Tab. 1
Klassifikation multiresistenter gramnegativer Erreger (MRGN). (Modifiziert nach KRINKO
2019)
Acylureidopenicilline | Piperacillin* *Wenn Piperacillin nicht getestet (oder Piperacillin/Tazobactam „S“): Ableitung des Ergebnisses aus Cefotaxim/Ceftazidim | R | R | Nur eine der vier Gruppen S/I | R |
Cephalosporine der 3./4. Generation | Cefotaxim oder (und*) Ceftazidim *Besonderheit Ps. aeruginosa: stets „und“ | R | R | R |
Carbapeneme | Imipenem oder (und*) Meropenem *Besonderheit Ps. aeruginosa: stets „und“ | S/I | R | R |
Fluorchinolone | Ciprofloxacin | R | R | R |
| | | stets bei Nachweis einer Carbapenemase | | stets bei Nachweis einer Carbapenemase |
Die aktualisierte MRGN-Klassifikation berücksichtigt bereits die Neubewertung von „I“ („intermediär“) im
Antibiogramm (KRINKO
2019).
Hintergrund ist die seitens der mikrobiologischen Fachgruppe EUCAST (European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing) eingeführte Neubewertung von „I“ als „sensibel bei erhöhter Exposition“ (EUCAST
2019), um bei bestimmten Keim-Antibiotikum-Konstellationen auf die Notwendigkeit hoher Antiinfektivakonzentrationen am Wirkort hinzuweisen. Keineswegs sollte „I“ mit „resistent“ gleichgesetzt werden. Der Terminus „erhöhte Exposition“ bedeutet in der Regel eine erhöhte Dosis der jeweiligen Substanz, kann sich jedoch auch auf ein angepasstes Dosisintervall oder die Infusionszeit (ggf. verlängert, insbes. bei kritisch Kranken) beziehen und beinhaltet ebenso pharmakokinetische Aspekte wie Verteilung und Ausscheidung. „Intermediär“ im
Antibiogramm kann somit klinisch als „sensibel bei entsprechender Dosierungsempfehlung“ interpretiert werden.
Angaben zur adäquaten Dosierung sollte das zuständige ABS-Team unter Berufung auf EUCAST und aktuelle Literatur zur Verfügung stellen.
Im Folgenden wird der Begriff der Multiresistenz (MDR, „multi drug resistance“) gegenüber
Antibiotika breiter ausgelegt und orientiert sich neben der KRINKO-Einteilung auch an den genetischen Resistenzfaktoren der jeweiligen
Bakterien sowie an pharmakokinetischen Aspekten und der minimalen Hemmstoffkonzentration (MHK) einzelner Substanzen.
Bedeutsame gramnegative Erreger mit oftmals erworbener, teils jedoch auch intrinsischer breiter Resistenz im klinischen Alltag sind insbesondere
Klebsiella pneumoniae (
K. pneumoniae),
Escherichia coli (
E. coli),
Enterobacter spp.,
Serratia spp.,
Proteus spp.,
Providencia spp.,
Morganella spp. sowie
Pseudomonas aeruginosa (
Ps. aeruginosa) und
Acinetobacter baumannii-Komplex (
A. baumannii). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt diese
Bakterien in ihrer Liste zu priorisierender Erreger in der höchsten Stufe („critical“) in Bezug auf die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Antiinfektiva (WHO
2017).
Stenotrophomonas maltophilia (S. maltophilia) zeichnet sich durch eine intrinsische Resistenz gegen die meisten verfügbaren Antiinfektiva aus.
Von besonderer Bedeutung sind hier die unterschiedlichen Resistenzmechanismen, bzw. deren
Enzyme, die als Zielstruktur den Betalactam-Ring der
Antibiotika besitzen (Betalaktamasen). Die Einteilung der Betalaktamasen kann nach unterschiedlichen Klassifikationen erfolgen, wobei die Ambler-Klassifikation (A-D) die gängigste Variante ist (s. Tab.
2).
Tab. 2
Vereinfachte Ambler Klassifikation der Betalaktamasen
A | ESBL (z. B. CTX-M, SHV, TEM) KPC (K. pneumoniae Carbapenemase) Bisher seltene Carbapenemasen (z. B. GES) |
B | Metallobetalaktamasen (z. B. IMP, VIM, NDM) |
C | AmpC |
D | OXA |
Ein wesentlicher Resistenzmechanismus, der bei klinischen Isolaten von insbesondere E. coli und K. pneumoniae aber auch Proteus spp. und weiteren Enterobacterales nachgewiesen wird, ist ESBL („extended spectrum betalactamases“ hauptsächlich Klasse A).
AmpC-Betalaktamasen (Klasse C) kommen oftmals bei
Enterobacter spp.,
Citrobacter spp. und
Serratia spp. vor, liegen hier jedoch nicht selten reprimiert vor. Im
Antibiogramm zeigen sich bei diesen Erregern die Cephalosporine der 2. und 3. Generation (Cefuroxim, bzw. Cefotaxim, Ceftriaxon und Ceftazidim) als sensibel ausgetestet, obwohl mit einer raschen Resistenzentwicklung bei Verwendung dieser Substanzen durch De-Reprimierung („Anschalten“) der Resistenzgene gerechnet werden muss. Dies sollte im Antibiogramm durch das mikrobiologische Labor entsprechend angemerkt werden.
Carbapenemasen sind in der Lage, die breit wirksamen Carbapenem-Antibiotika unwirksam werden zu lassen. Neben den Metallobetalaktamasen (Klasse B wie IMP-, VIM- oder NDM-Carbapenemasen) kommen KPC-Betalaktamasen (wiederum Klasse A) aber auch die schwer zu detektierenden OXA-Betalaktamasen (Klasse D) vor. Nicht immer sind jedoch dezidierte
Enzyme an einer Resistenz gegen Carbapeneme oder andere Betalaktam-Antibiotika beteiligt. Insbesondere bei
Ps. aeruginosa führen andere Mechanismen wie Impermeabilität der bakteriellen Zellwand, bzw. ein Verlust von Porinen („porin loss“) oder sog. Effluxpumpen zu einer Resistenz gegenüber dieser und anderer Antibiotikafamilien.
Während MDR- und insbesondere panresistente gramnegative Erreger in Deutschland bislang selten sind, können bereits in Mittelmeerstaaten hohe Raten an multiresistenten
Bakterien verzeichnet werden. Reisen in Hochprävalenzländer in Europa, aber auch Südostasien und insbesondere dortige Aufenthalte in stationären oder ambulanten Krankenanstalten stellen einen bedeutsamen Risikofaktor für eine transiente Besiedelung oder Infektion mit einem dieser Erreger dar und sollte in die empirische Therapieüberlegung mit einbezogen werden.