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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 21.12.2016

Nebenniereninzidentalom

Verfasst von: Holger S. Willenberg
Fällt ein Nebennierentumor bei einer bildgebenden Diagnostik zufällig auf, wird er als Inzidentalom bezeichnet. Das bedeutet, dass die Bildgebung explizit nicht im Rahmen von Staginguntersuchungen, zur Abklärung von Flankenschmerzen bzw. zum Ausschluss einer Nierenarterienstenose bei arterieller Hypertonie oder ähnlichen Zusammenhängen durchgeführt wurde. Das ist für die Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten und das klinische Management wichtig, weil sich entsprechende Empfehlungen aus Studien ableiten, die mit dieser Definition durchgeführt wurden. Der Begriff Inzidentalom wird demnach nicht verwendet, wenn ein Nebennierenrindenadenom als hormoninaktiv beschrieben werden soll. Diese Bezeichnung wird somit nur am Anfang einer diagnostischen Kette von Untersuchungen verwendet, an deren Ende die klinische Diagnose einer Tumorentität mit einer Aussage zu einem möglichen Hormonexzess steht.

Definition

Fällt ein Nebennierentumor bei einer bildgebenden Diagnostik zufällig auf, wird er als Inzidentalom bezeichnet. Das bedeutet, dass die Bildgebung explizit nicht im Rahmen von Staginguntersuchungen, zur Abklärung von Flankenschmerzen bzw. zum Ausschluss einer Nierenarterienstenose bei arterieller Hypertonie oder ähnlichen Zusammenhängen durchgeführt wurde. Das ist für die Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten und das klinische Management wichtig, weil sich entsprechende Empfehlungen aus Studien ableiten, die mit dieser Definition durchgeführt wurden. Der Begriff Inzidentalom wird demnach nicht verwendet, wenn ein Nebennierenrindenadenom als hormoninaktiv beschrieben werden soll. Diese Bezeichnung wird somit nur am Anfang einer diagnostischen Kette von Untersuchungen verwendet, an deren Ende die klinische Diagnose einer Tumorentität mit einer Aussage zu einem möglichen Hormonexzess steht (Abb. 1).

Pathophysiologie

Hinter einem zufällig entdeckten Nebennierentumor können verschiedene Entitäten stecken. Pathologisch unterscheidet man nebenniereneigenes Gewebe (Nebennierenrinde: Adenom, Karzinom; Nebennierenmark: Phäochromozytom u. a.; andere Zellen: Myelolipom, Ganglioneurom u. v. a. m.) von nebennierenfremdem Gewebe (Metastasen, Lymphome, Einblutungen etc.) sowie spezifische Veränderungen (granulomatöse Erkrankungen, Histiozytose). Der Pathophysiologie liegen unterschiedliche Mechanismen zugrunde, die von sporadischen Krankheiten, über familiäre Erkrankungen, komplexen Tumorsyndromen (z. B. MEN, p53-Mutationen) und von hyperplastischen Veränderungen über benigne Adenome bis hin zu malignen Prozessen reichen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass ca. 50 % der Aldosteron-produzierenden Adenome (APA) durch somatische Mutationen entstehen, die Auswirkungen auf die Depolarisation von Nebennierenrindenzellen und den Kalzium-Signalweg haben, während sich Cortisol-produzierende Adenome entwickeln, wenn der cAMP-Proteinkinase-A-Signalweg überaktiv ist. Auch Veränderungen, die eine vermehrte Aktivität von β-Catenin zur Folge haben, können zur Entstehung von Nebennierenrindentumoren führen.

Epidemiologie/Alter/Gender

Man kann davon ausgehen, dass ca. 2–10 % der Patienten mit einer arteriellen Hypertonie ein Conn-Syndrom haben. Das adrenale Cushing-Syndrom und das Nebennierenrindenkarzinom sind viel seltener, ca. 2 pro 1 Mio. Einwohner. Sektionsstudien zufolge scheint das Phäochromozytom deutlich häufiger zu sein, wobei nur ein Teil der Patienten zu Lebzeiten damit diagnostiziert wird.
Die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Nebennierenrindenadenoms ist durch alle Altersgruppen relativ hoch, auch wenn ein Karzinom bekannt ist. Nur beim kleinzelligen Bronchialkarzinom oder bei Bilateralität ist der Nebennierentumor wahrscheinlicher eine Metastase als ein Nebennierenrindenadenom. Bei bilateralen Nebennierenrindentumoren sind allerdings hereditäre Erkrankungen wie MEN2, AGS (adrenogenitales Syndrom) oder AIMAH (ACTH-unabhängige makronoduläre adrenale Hyperplasie) einzubeziehen.

Klinik

Da das Nebenniereninzidentalom per definitionem zufällig, also ohne klinischen Hinweis, entdeckt wurde, geht man davon aus, dass Symptome oder typische Stigmata für eine Mehrsekretion an Nebennierenhormonen theoretisch nicht vorliegen. Da sich die Probleme bei „Volkskrankheiten“ wie Adipositas, Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie und Osteoporose mit denen bei adrenalen Hormonexzesssyndromen überlappen und nicht immer sofort nach spezifischen klinischen Charakteristika gefahndet wird, können durchaus relevante Symptome bei den betroffenen Patienten vorliegen. Insbesondere ist nach einem Glukokortikoid-, Aldosteronexzess, Hyperandrogenämie bei Frauen oder Östrogenexzess bei Männern sowie den Symptomen eines Phäochromozytoms zu fragen. Auch Risikofaktoren für die Entstehung eines Malignoms und eine Familienanamnese sind zu erheben.

Diagnostik

Aufgrund seiner Definition beschreibt der Begriff Inzidentalom einen radiologischen Befund, nicht aber eine Entität. Ziel des diagnostischen Prozesses ist es deshalb, eine Artdiagnose zu stellen, die auch Auskunft über klinische Charakteristika sowie die Prognose gibt, z. B. 3,5 × 2,9 cm großes, inzidentiell entdecktes Nebennierenrindenadenom mit mildem Hyperkortisolismus.

Hormonelle Diagnostik

Bei jedem Patienten mit einem Nebenniereninzidentalom soll proaktiv nach einem Phäochromozytom, nach einem Cushing-Syndrom und bei Vorhandensein einer arteriellen Hypertonie oder einer Hypokaliämie nach einem Conn-Syndrom gefahndet werden. Die Untersuchungen schließen deshalb die Bestimmung der Metanephrine im Plasma oder 24-h-Urin, die Analyse des Cortisols im Dexamethason-Hemmtest und – bei arterieller Hypertonie – die Ermittlung des Aldosteron-Renin-Quotienten zusammen mit Kalium im ungestauten Blut mit ein. Für alle diese Tests ist der Einfluss unterschiedlicher Medikamente und die korrekte Präanalytik unbedingt zu berücksichtigen, um die Interpretation der Ergebnisse zu ermöglichen (Kap. Phäochromozytom und Paragangliom und Arterielle Hypertonie – Diagnostik und Risikostratifizierung).

Radiologische Diagnostik

In der Regel ist nach dem Auffallen eines Inzidentaloms noch einmal eine spezifische Bildgebung der Nebennieren anzuschließen. Hintergrund hierfür ist, dass sich das fetthaltige Nebennierenrindenadenomgewebe für spezielle radiologische Analysetools eignet, z. B. die Bestimmung der Hounsefield-Einheiten in der nativen Computertomografie (≤10 HE für Adenome) bzw. Fett-supprimierende MRT-Sequenzen. Finden sich hier grenzwertige Befunde, kann in einer sofort angeschlossenen Untersuchung die Kontrastmittelauswaschdynamik ermittelt werden, die für Adenome typische Charakteristika aufweist. Damit zielt die spezielle Darstellung der Nebennieren darauf ab, den Tumor als Nebennierenrindenadenom oder Myelolipom zu charakterisieren. Gelingt dies nicht, müssen neben dem Phäochromozytom, dem Nebennierenrindenkarzinom oder Nebennierenmetastasen auch andere Differenzialdiagnosen berücksichtigt werden. Zunehmend werden auch FDG-PET-CT-Untersuchungen zur Diagnostik eingesetzt, die das Malignom bestätigen, nicht aber ausschließen können und deshalb erst als Folgeverfahren eingesetzt werden sollen.
Je größer der Nebennierentumor ist, desto wahrscheinlicher verbirgt sich dahinter ein Malignom, wobei als Grenze für Nebennierenrindentumore 4 (bis 6) cm anzunehmen sind. Bei Patienten mit MEN1-Erkrankungen wurden auch kleinere Nebennierenrindenkarzinome beschrieben. Im Zweifelsfall ist eine Kontrolluntersuchung nach ca. 3–6 Monaten durchzuführen, wobei eine Größenzunahme 20 % des längsten Diameters (mind. 5 mm) bzw. eine Formänderung als signifikant zu werten ist.
Eine Punktion zur Histologiegewinnung sollte nach Möglichkeit vermieden werden, weil neben diagnostischen Problemen bei Nebennierenrindenläsionen und klinischen Problemen bei Phäochromozytomen auch Stichkanalmetastasen beim Nebennierenkarzinom auftreten und den klinischen Verlauf in diesen Fällen maßgeblich verkomplizieren können.

Therapie

Eine operative Intervention ist dann sinnvoll, wenn sich das Nebennierenrindenadenom nicht bestätigen lässt, der Tumor einen Größenprogress zeigt oder die Größe initial bereits > 4 (bis 6) cm beträgt. Auch beim Vorliegen eines Hormonexzesses sollte eine Operation angestrebt werden. Bei grenzwertigen Befunden sind in höherem Maß klinische Begleitumstände wie Komorbiditäten oder das Alter des Patienten sowie die Möglichkeiten einer medikamentösen Therapie wie beim primären Aldosteronismus in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen.
Das Operieren singulärer Metastasen ist von der Grunderkrankung abhängig und kann ebenfalls sinnvoll sein. Bei kontralateralen Metastasen eines im Vorfeld operierten Nierenzellkarzinoms muss die Möglichkeit einer postoperativen Nebennierenrindeninsuffizienz bedacht werden, weil ipsilaterale Adrenalektomien im Rahmen von Tumornephrektomien vorkommen.
Da die retroperitoneoskopische Adrenalektomie eine geringe Komplikationsrate zeigt, ist sie auch als Alternative zur Histologiegewinnung denkbar.

Verlauf und Prognose

Liegt ein Nebennierenrindentumor vor, für den sich keine Mehrsekretion adrenaler Hormone demonstrieren lässt, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich ein Hormonexzess in der Zukunft nicht entwickelt. Auch werden relevante Größenzunahmen mutmaßlicher Nebennierenrindenadenome kaum berichtet. Deshalb lässt sich bei klinisch inapperenten Fällen in der Regel keine klinische Verbesserung typischer Komorbiditäten durch eine Adrenalektomie erzielen.
Bei unauffälligen Befunden besteht noch Uneinigkeit über die notwendigen Intervalle für eine Kontrolldiagnostik. Auf einen Hormonexzess soll in den ersten 4 Jahren alle 12 Monate untersucht werden. Ist eine Größenzunahme nach einem Jahr ausgeschlossen und die benigne Natur der adrenalen Läsion nach radiologischen Kriterien demonstriert worden, muss anschließend keine spezifische Bildgebung mehr erfolgen.
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