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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 26.02.2021

Nebennierenkarzinom

Verfasst von: Martin Fassnacht
Das Nebennierenkarzinom ist ein sehr seltener Tumor. Meist führen Symptome eines Hormonexzesses (v.  a. Cushing-Syndrom bzw. Androgenexzess), aber auch abdominelle Beschwerden und Schmerzen zur Diagnosestellung. Die Diagnostik besteht aus Hormonanalysen und Bildgebung. Die Therapie sollte mit einem spezialisierten endokrinen Tumorzentrum abgesprochen werden. In den lokalisierten Tumorstadien I bis III ist die wichtigste therapeutische Maßnahme die chirurgische Resektion. Eine adjuvante Therapie mit Mitotane wird in den meisten Fällen empfohlen. Bei Fernmetastasen wird entweder ebenfalls Mitotane eingesetzt oder dies mit Etoposid, Doxorubicin und Cisplatin kombiniert. Bei einer Therapie mit Mitotane muss regelhaft eine Hydrokortisonsubstitution erfolgen. Die Prognose des Nebennierenkarzinoms ist insgesamt – gerade bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung – schlecht, aber es gibt immer wieder auch sehr günstige Verläufe.

Epidemiologie und Klinik

Im Gegensatz zu den sehr häufigen Nebennierenadenomen, die heute häufig als Inzidentalome entdeckt werden, ist das Nebennierenkarzinom mit einer geschätzten jährlichen Inzidenz von ca. 1–2 pro 1 Mio. Einwohner ein sehr seltener Tumor. Er kann prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten. Das mediane Erkrankungsalter liegt bei ungefähr 45 Jahren, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer (1,5:1). Bei ca. 60 % der Patienten führen Symptome eines Hormonexzesses (v.  a. Cushing-Syndrom bzw. Androgenexzess) zur Diagnosestellung. Bei einem Viertel der Fälle stehen abdominelle Beschwerden und Schmerzen im Vordergrund. In den letzten Jahren fallen die Tumoren allerdings auch zunehmend häufiger im Rahmen anderweitiger Bildgebung ebenfalls als Inzidentalome auf. Im Schnitt sind die Tumoren bei Erstdiagnose bereits ca. 11 cm groß (2,5–40 cm).

Diagnostik

Die Diagnostik besteht aus Hormonanalysen und Bildgebung (Fassnacht et al. 2013, 2018). Es gibt aktuell kein Bildgebungsverfahren das alleine ein Nebennierenkarzinom sicher diagnostizieren kann. Dennoch ist eine gute Diagnostik mittels Computertomografie (inkl. Messung der nativen Hounsfield-Unit und ggf. Kontrastmittel-Washout) oder Kernspintomografie (inkl. „chemical shift“) präoperativ essenziell. Bei hohem Verdacht auf ein Nebennierenkarzinom sollte vor der geplanten Operation bereits ein komplettes Tumorstaging stattfinden, da z. B. beim Nachweis von multiplen Lungenmetastasen die Operation meist nicht mehr Therapie der 1. Wahl ist.
Die Biopsie einer Nebennierenraumforderung ist in den meisten Fällen nicht indiziert bzw. oft sogar kontraindiziert.
Da selbst die klinisch inaktiven Nebennierenkarzinome meist laborchemisch einen Hormonexzess aufweisen, wird initial eine ausführliche endokrine Diagnostik durchgeführt (Tab. 1). Zum einem gelingt dadurch oft der Beweis des adrenokortikalen Ursprungs der Nebennierenraumforderung, aber zum anderen finden sich hierbei oft direkte Hinweise auf die Malignität des Tumors. Zusätzlich ist es essenziell, dass ein ggf. subklinischer autonomer Glukokortikoidexzess diagnostiziert wird, um eine gefährliche postoperative Nebenniereninsuffizienz vorbeugend zu behandeln. Bei jeder unklaren Nebennierenraumforderung ist ein Phäochromozytom mittels Metanephrinen auszuschließen.
Tab. 1
Empfohlene Diagnostik bei Patienten mit Verdacht auf Nebennierenkarzinom laut der europäischen ESE-ENSAT Leitlinien (Fassnacht et al. 2018)
Hormondiagnostik
Glukokortikoidexzess (mindestens 3 der 4 Tests)
- Dexamethasonsuppressionstest (1 mg, 23:00 Uhr → Serumkortisol 8–9 Uhr) oder freies Kortisol im 24-h-Urin
- Basales Plasma-ACTH
 
Sexualsteroid- oder Steroidvorläuferexzess
- DHEA-S
- 17-OH-Progesteron
- Testosteron (nur bei Frauen)
- 17-Beta-Estradiol (nur bei Männern und postmenopausalen Frauen)
 
Mineralokortikoidexzess
- Aldosteron-Renin-Ratio (nur bei Patienten mit arterieller Hypertonie und/oder Hypokaliämie)
 
Ausschluss Phäochromozytom
Freie Metanephrine im Plasma oder fraktionierte Metanephrine im 24-h-Urin
Bildgebung
 
- CT (oder MRT) des Abdomens + CT-Thorax
- FDG-PET (optional)
- Knochenszintigrafie (bei Verdacht auf Skelettmetastasen)
ACTH, adrenokortikotropes Hormon, CT, Computertomografie, DHEA-S, Dehydroepiandrosteronsulfat, FDG-PET, Fluordesoxyglukose-Positronenemissionstomografie, MRT, Magnetresonanztomografie
Die aktuellen Diagnostikempfehlungen der europäischen ESE-ENSAT-Leitlinien zum Nebennierenkarzinom sind in Tab. 1 dargestellt. Diese wurden aktuell auch nochmals durch die ESMO-Leitlinien 2020 bestätigt (Fassnacht et al. 2020).

Therapie

Aufgrund der Seltenheit und Komplexität der Erkrankung wird empfohlen, die Therapie mit einem spezialisierten endokrinen Tumorzentrum abzusprechen. 2018 sind weltweit erstmals interdisziplinäre Leitlinien erschienen, die auf einer systematischen Literaturrecherche basieren (Abb. 1 und 2; Fassnacht et al. 2018). In diesen wird klar empfohlen, dass jeder Patient vor Therapieeinleitung (und idealerweise auch vor jeder Therapieänderung) in einem interdisziplinären Tumorboard eines spezialisierten Zentrum vorgestellt werden sollte.
In den lokalisierten Tumorstadien I bis III ist die wichtigste therapeutische Maßnahme die chirurgische Resektion. Diese ist von einem erfahrenen (!) Nebennierenoperateur durchzuführen, um die relativ häufige Tumorkapselverletzung zu vermeiden und den Tumor komplett inklusive Lymphadenektomie zu entfernen.
Da es auch bei kompletter Resektion in einem hohen Prozentsatz der Fälle zu Rezidiven kommt, wird bei den meisten Patienten eine adjuvante Therapie empfohlen. Hier wird aktuell primär das Adrenostatikum Mitotane eingesetzt (Terzolo et al. 2007). Bei einer R1- oder Rx-Resektion wird zusätzlich eine Bestrahlung erwogen.
Im Falle eines Rezidivs wird wie folgt vorgegangen: Beträgt das erkrankungsfreie Intervall mehr als 12 Monate und kann das Rezidiv komplett entfernt werden, wird die Operation angestrebt. Ist das Intervall zwischen Erstoperation und Rezidiv kürzer, profitieren die Patienten von einer zügigen medikamentösen Therapie.
Sobald Fernmetastasen vorliegen, ist eine vollständige Heilung nur noch im Ausnahmefall zu erzielen und das mediane Überleben liegt zwischen 12 und 18 Monaten, allerdings gibt es hier eine deutliche Heterogenität. Die am besten evaluierte Therapie ist die Kombination aus Mitotane und Etoposid, Doxorubicin, Cisplatin (EDP; Fassnacht et al. 2012). Bei einigen Patienten ist allerdings auch eine Mitotane-Monotherapie als Erstlinientherapie gerechtfertigt. Beim Fortschreiten der Erkrankung sollte unbedingt erneut Kontakt mit einem Expertenzentrum aufgenommen werden. Neben lokalisierter Therapie (Strahlentherapie, Radiofrequenzablation etc.) ist immer auch der Einschluss in eine klinische Studie zu erwägen.
Bei der Therapie mit Mitotane ist zu beachten, dass diese zu zahlreichen Nebenwirkungen (v. a. gastrointestinal) und eigentlich immer zu einer Nebenniereninsuffizienz führt, die meist mit relativ hohen Dosen an Hydrokortison substituiert werden muss (ca. 50 mg/Tag). Generell sind aufgrund einer starken CYP3A4-Induktion multiple Medikamenteninteraktionen zu beachten. Die Therapie selbst wird mittels Blutspiegelkontrolle überwacht, wobei ein Spiegel von 14–20 mg/l angestrebt wird.

Verlauf und Prognose

Das Nebennierenkarzinom gilt immer noch als prognostisch ungünstig. Dennoch zeigen die aktuellen Daten des deutschen Nebennierenkarzinomregisters, dass das Überleben der Patienten in den letzten 10–15 Jahren besser als in den meisten publizierten Serien ist. Für die Gesamtkohorte von inzwischen über 1200 Patienten liegt die 5-Jahres-Überlebensrate bei knapp 50 %, und auch nach 10 Jahren sind noch ca. 40 % der Patienten am Leben.
Literatur
Fassnacht M, Terzolo M, Allolio B, Baudin E, Haak H, Berruti A, Welin S, Schade-Brittinger C, Lacroix A, Jarzab B, Sorbye H, Torpy DJ, Stepan V, Schteingart DE, Arlt W, Kroiss M, Leboulleux S, Sperone P, Sundin A, Hermsen I, Hahner S, Willenberg HS, Tabarin A, Quinkler M, de la Fouchardiere C, Schlumberger M, Mantero F, Weismann D, Beuschlein F, Gelderblom H, Wilmink H, Sender M, Edgerly M, Kenn W, Fojo T, Muller HH, Skogseid B (2012) Combination chemotherapy in advanced adrenocortical carcinoma. N Engl J Med 366:2189–2197CrossRef
Fassnacht M, Kroiss M, Allolio B (2013) Update in adrenocortical carcinoma. J Clin Endocrinol Metab 98(12):4551–4564CrossRef
Fassnacht M, Dekkers O, Else T, Baudin E, Berruti A, de Krijger RR, Haak HR, Mihai R, Assie G, Terzolo M (2018) European Society of Endocrinology Clinical Practice Guidelines on the management of adrenocortical carcinoma in adults, in collaboration with the European Network for the Study of Adrenal Tumors. Eur J Endocrinol 179(4):G1–G46CrossRef
Fassnacht M, Assie G, Baudin E, Eisenhofer G, de la Fouchardiere C, Haak HR, de Krijger R, Porpiglia F, Terzolo M, Berruti A (2020) Adrenocortical carcinomas and malignant phaeochromocytomas: ESMO-EURACAN Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 31(11):1476–1490
Terzolo M, Angeli A, Fassnacht M, Daffara F, Tauchmanova L, Conton PA, Rossetto R, Buci L, Sperone P, Grossrubatscher E, Reimondo G, Bollito E, Papotti M, Saeger W, Hahner S, Koschker AC, Arvat E, Ambrosi B, Loli P, Lombardi G, Mannelli M, Bruzzi P, Mantero F, Allolio B, Dogliotti L, Berruti A (2007) Adjuvant mitotane treatment for adrenocortical carcinoma. N Engl J Med 356:2372–2380CrossRef