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DGIM Innere Medizin
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Verfasst von:
Manfred Klare
Publiziert am: 09.07.2015

Ödemkrankheiten

Das Lymphödem ist eine Flüssigkeitsansammlung im Interstitium auf der Grundlage einer primären oder sekundären Störung der Lymphtransportkapazität. Die Erkrankung ist nicht heilbar, sie ist chronisch und progressiv verlaufend. Eine wichtige Rolle in der Therapie spielt die komplexe physikalische Entstauungstherapie. Vor der Durchführung chirurgischer Maßnahmen sollte eine vollständige konservative Therapie von mindestens sechs Monaten Dauer erfolgen. Eine Dauertherapie mit Diuretika wegen des Lymphödems ist nicht indiziert. Die Kompressionstherapie dient zum Erhalt des lymphologischen Therapieerfolges. Das Lipödem ist eine chronische, meist progrediente Erkrankung, die durch eine symmetrische Unterhautfettgewebsvermehrung überwiegend der unteren Extremitäten gekennzeichnet ist. Zusätzlich besteht eine orthostatische Ödemkomponente und eine Hämatomneigung nach Mikrotraumatisierung sowie eine deutliche Druck- und Berührungsempfindlichkeit. Im fortgeschrittenen Stadium kann sich zusätzlich ein lymphostatisches Ödem ausbilden. Eine kausale Therapie gibt es nicht. Therapieziele sind in erster Linie die Minderung des Ödems und die Besserung der Beschwerden. Ödemreduktion gelingt durch die komplexe physikalische Entstauungstherapie.

Lymphödem

Definition

Das Lymphödem ist definiert als Flüssigkeitsansammlung im Interstitium auf der Grundlage einer primären oder sekundären Störung der Lymphtransportkapazität (Abb. 1 und 2). Die Erkrankung ist nicht heilbar, sie ist chronisch und progressiv verlaufend. Die Ursachen des Lymphödems sind in Tab. 1 zusammengefasst.
Tab. 1
Ursachen des Lymphödems
Primär
Sekundär
Agenesie
Aplasie
Hyperplasie
Hypoplasie
Lymphknotenagenesie
Lymphknotenfibrose
Lymphonodektomie
Operationen
Traumata
Infektionen
Venenentnahme für Bypässe
Radiatio
Malignome
Internistische Erkrankungen
Artifiziell

Pathophysiologie

Interstitielle Flüssigkeiten werden über Diffusion und Filtration freigesetzt und über Diffusion und Reabsorption beseitigt. Das Lymphgefäßsystem entfernt dabei Filtrationsüberschüsse, sodass ein Fließgleichgewicht entsteht. Der Transport ist abhängig von vier Faktoren:
  • Blutkapillardruck
  • Gewebedruck
  • Kolloidosmotischer Druck in der Kapillare
  • Kolloidosmotischer Druck in der interstitiellen Flüssigkeit
Insuffizienz des Lymphgefäßsystems (mechanische, dynamische oder kombinierte Insuffizienz) führt zur Ödembildung (Weißleder und Schuchardt 2006).

Klinik

Die Stadieneinteilung des Lymphödems erfolgt nach den Leitlinien der Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen zum Lymphödem (AWMF 058/ 001):
  • Stadium 0: keine Schwellung, pathologisches Lymphszintigramm
  • Stadium I: reversibles Stadium, Ödem von weicher Konsistenz, Hochlagern reduziert Schwellung
  • Stadium II: Ödem mit sekundären Gewebsveränderungen (Fibrosen), Hochlagern ohne Wirkung
  • Stadium III: kompliziertes Stadium, elephantiastische harte Schwellung, häufig lobuläre Form mit typischen Hautveränderungen (Papillomatosis, Lymphbläschen, Lymphfisteln, Dermatoliposklerose etc.)
Zu der Gradeinteilung siehe Tab. 2.
Tab. 2
Ödemgrade
Grad
Volumenvermehrung (%)
Gering
25
Mäßig
50
Stark
100
Massiv
200
Gigantisch
>200

Diagnostik

Die Basisdiagnostik ist in Tab. 3 und die Spezialdiagnostik in Tab. 4 zusammengefasst.
Tab. 3
Basisdiagnostik. (Modifiziert nach den Leitlinien der Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen zum Lymphödem, AWMF 058/ 001)
Anamnese
Inspektion
Klinischer Untersuchungsbefund
Allgemeine Anamnese
Familienanamnese
Vorerkrankungen
Chirurgische Eingriffe
Onkologische Anamnese
Abgelaufene entzündliche Prozesse
Unfälle
Auslandsaufenthalte
Immobilisation aufgrund orthopädischer oder neurologischer Erkrankungen
Vegetative Anamnese
Medikamentenanamnese
Spezielle Anamnese
Zeitlicher Verlauf der Ödementstehung
Beginn des Ödems
Dauer des reversiblen Stadiums
Auslösendes Ereignis
Besteht Progredienz (langsam oder rapid)?
Seit wann besteht die Progredienz?
Triggerfaktoren: Hitze, Orthostase
Generalisiertes oder peripheres Ödem
Erstlokalisation des peripheren Ödems (distal oder zentral)
Schmerzhafte Schwellung
Hämatomneigung
Häufigkeit von Erysipelinfekten
Traten Lymphorrhö oder Lymphzysten auf?
Lymphologischer Vorbefund
Einseitige oder beidseitige Volumenvermehrung
Symmetrisch oder asymmetrisch
Lokalisation der Schwellung (distal, proximal)
Varikosis
Furchungen
Papillomatosis
Lymphbläschen
Lymphfisteln
Hautveränderungen
Allgemeinsymptome, die auf internistische Erkrankungen hinweisen (Blässe, Dyspnoe etc.)
Gewebekonsistent (weich, fest, prall)
Stemmer‛sches Zeichen (Haut der 2. oder 3. Zehe nicht abhebbar)
Dellbarkeit (tief, flach, nicht dellbar)
Allgemeininternistischer Status
Lymphknotenstatus
Arterieller Gefäßstatus (Pulspalpation und Auskultation)
Venöser Gefäßstatus
Funktionseinschränkungen
Tab. 4
Spezialdiagnostik
Methodik
Informationen/Wertung
Ödem, Haut und Unterhaut
Domäne der Lymphknotendiagnostik
Ggf. Einmündungsstelle des Ductus thoracicus
Lymphabstromszintigraphie
Funktion des Lymphgefäßsystems
Magnetresonanzlymphangiographie
Morphologie der Lymphgefäße
Indirekte Lymphographie
Morphologische Veränderungen
Direkte Lymphographie
Obsolet für die Diagnostik des Lymphödems
Fluoreszenzmikrolymphographie
Morphologische Veränderungen initialer Lymphgefäße
Messmethoden
Für die Volumenmessung stehen mehrere Verfahren zur Verfügung.
  • Maßband (nur Umfänge)
  • Scheibenmessmethode nach Kuhnke (großer Zeitaufwand)
  • Plethysmographie (Verdrängungsmethode: Volumenmessung durch Eintauchen in Wasser)
  • Optoelektronische Verfahren mittels Perometer (teuer)
Die 4-cm-Scheibenmessmethode nach Kuhnke mit Markierungsgerät nach J. Asdonk hat sich in lymphologischen Fachkliniken bewährt (Herpertz 2010). In einer eigenen Untersuchungsreihe mittels Perometer konnte eine gute Reproduzierbarkeit der Messwerte festgestellt werden (Abweichung zwischen 0,5 und 0,9 %) (Klare 2013).

Therapie

Therapieziele

Die Therapieziele nach den Leitlinien der Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen zum Lymphödem sind (AWMF 058/ 001):
  • Verbesserung des Lymphabflusses
  • Erweichung fibrosklerotischer Gewebsveränderungen
  • Reduktion der Bindegewebsvermehrung
  • Verbesserung der Funktionsdefizite der Gliedmaßen, um die Wirksamkeit der Muskel- und Gelenkspumpe zu erhöhen
  • Vermittlung von Selbstbehandlungsmöglichkeiten (Hautpflege, bestimmte Lymphdrainagegriffe, Technik der lymphologischen Kompressionsbandage)
  • Rückführung bzw. Wiedereingliederung der Betroffenen in ihr soziales Umfeld wie Schule, Ausbildung, Studium oder Beruf
  • Vorbeugung von Pflegebedürftigkeit
  • Verbesserung der Lebensqualität

Therapieoptionen

Die Therapieoptionen sind in Tab. 5 zusammengefasst.
Tab. 5
Therapieoptionen bei Ödemkrankheiten
Medikamentöse Therapieoptionen
Physikalische Therapieoptionen
Kardiogenes Ödem
Eiweißmangelödem
Hepatogenes Ödem
Renales Ödem
Medikamentös bedingtes Ödem
Diätetisch bedingtes Ödem
Endokrines Ödem
Pathologisches Schwangerschaftsödem
Lymphödem
Phlebödem
Orthostatisches Ödem
Idiopathisches Ödem
Traumatisches Ödem
Inaktivitätsödem
Ischämisches Ödem (mit Einschränkungen)
Chronisch-entzündliches Ödem
Komplexe/kombinierte physikalische Entstauungstherapie (nach Vodder, Asdonk und Földi) (auch physikalische Ödemtherapie genannt)
Die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE, Synonym: physikalische Ödemtherapie) besteht aus folgenden Komponenten (Herpertz 2010):
  • Manuelle Lymphdrainage
  • Kompressionstherapie mit speziellen komprimierenden Wechselbandagen bzw. medizinischen Kompressionsstrümpfen
  • Entstauende Bewegungsübungen
  • Hautpflege
Die komplexe physikalische Entstauungstherapie ist eine 2-Phasen-Therapie (Tab. 6). Die Phase 1 wird in der Regel stationär oder in Form eines ambulanten Intensivschemas durchgeführt, während die Phase 2 grundsätzlich ambulant durchgeführt werden kann. Phase 1 besteht aus mehrfach täglichen manuellen Lymphdrainagen kombiniert mit einer lymphologischen Kompressionsbandage und einer speziellen lymphentlastenden Entstauungsgymnastik unter der Kompression. Während der Phase 2 werden mehrfach wöchentlich manuelle Lymphdrainagen durchgeführt. Des Weiteren ist das Tragen einer maßangefertigten Kompressionsbestrumpfung in Flachstrickqualität dringend erforderlich. Hinzu kommen Hautpflege und Intervalltraining.
Tab. 6
Komponenten der komplexen physikalischen Entstauungstherapie
Phase 1
Phase 2
Mehrmals täglich manuelle Lymphdrainage
Wöchentlich manuelle Lymphdrainagen befundabhängig
Kompressionsbandage
Tragen der Kompressionsbestrumpfung
Entstauungsgymnastik
Beachten der Regeln für die Ödem- und Erysipelprophylaxe
Patientenschulung
Führen eines Messprotokolls
Dokumentation (Ödemmessung)
Entstauende Bewegungsübungen
Anleitung zur Selbstanwendung bei bestimmten Ödemformen (Gesicht, Genitale, Säuglinge und Kleinkinder)
Selbstanwendung bei bestimmten Ödemformen (Gesicht, Genitale, Säuglinge und Kleinkinder)
Kontraindikationen für eine manuelle Lymphdrainage sind (Herpertz 2010):
  • Dekompensierte Herzinsuffizienz
  • Arterielle Verschlusskrankheit
  • Akute bakterielle und virale Entzündungen
  • Akute Venenthrombose
  • Lokales oder lokoregionales Malignomrezidiv
  • Akutes Ekzem im Ödemgebiet
Bei Hyperthyreose und Karotissinussyndrom sollte die Halsbehandlung unterlassen werden, bei gastrointestinalen Erkrankungen, Schwangerschaft, Aortenanurysma und anderen abdominellen Prozessen ist von einer Bauchtiefdrainage abzuraten.
Chirurgische Behandlung von Lymphödemen
Für die chirurgische Behandlung von Lymphödemen gibt es drei Verfahrensweisen:
  • Rekonstruktiv: Ein unterbrochenes Lymphsystem wird wiederhergestellt.
  • Deviierend: Lymphe wird auf extraanatomischem Weg abgeleitet.
  • Resezierend: Pathologisch verändertes Gewebe wird in unterschiedlichem Ausmaß entfernt (z. B. Liposuktion).
Vor der Durchführung chirurgischer Maßnahmen sollte eine vollständige konservative Therapie von mindestens sechs Monaten Dauer erfolgen, während derer sich auch passagere Ödeme zurückbilden können (AWMF 058/001).
Additive Therapie: apparative intermittierende Kompression
Dieses Verfahren sollte nur zusätzlich zur komplexen physikalischen Entstauungstherapie, zeitlich begrenzt und unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden (Gefahr der zentralen Ödematisierung, Genitallymphödem) (AWMF 058/001).
Medikamentöse Ödemtherapie
Eine mit der komplexen physikalischen Entstauungstherapie konkurrierende medikamentöse Therapie des Lymphödems ist nicht bekannt. Eine Dauertherapie mit Diuretika wegen des Lymphödems ist nicht indiziert. Sie sollten jedoch bei internistischen Erkrankungen, die zum Einsatz der Diuretika führten, nicht abgesetzt werden.
Kompressionstherapie
Die Kompressionstherapie dient zum Erhalt des lymphologischen Therapieerfolges (Tab. 7 und 8). Durch die Kompression wird eine Erhöhung des Gewebedruckes, eine Steigerung der Lymphangiomotorik und eine Verstärkung der Muskelpumpe erreicht (Weißleder und Schuchardt 2006). In der Entstauungsphase werden lymphologische Kompressionsbandagen angelegt, in der Erhaltungsphase erfolgt die Kompression mit medizinischen Kompressionsstrümpfen.
Tab. 7
Kompressionsversorgung bei Lymphödem in Abhängigkeit des Ödemstadiums
Stadium des Lymphödems
Kompressionsklasse
Material
Stadium I
II
Flachstrick (selten Rundstrick möglich)
Stadium II
III
Flachstrick
Stadium III
IV oder Doppelbestrumpfung
Flachstrick
Tab. 8
Kompressionsversorgung bei Lymphödem in Abhängigkeit der Ödemlokalisation. Quelle (AWMF 058/001)
Lokalisation
Stadium I
Stadium II
Stadium II
Zehen/Fuß
Zehenkappen Klasse I
Socken Klasse I
Zehenkappe Klasse I
Socken Klasse II
Zehenkappe Klasse I
Socken Klasse III
Unterschenkel + Zehen/Fuß
Zehenkappe Klasse I
Kniestrümpfe Klasse II
Zehenkappe Klasse I
Kniestrümpfe Klasse II
Zehenkappe Klasse I
Kniestrümpfe Klasse IV
Gesamtes Bein + Zehen/Fuß
Zehenkappe Klasse I
Leistenstrumpf Klasse II
Zehenkappe Klasse I
Leistenstrumpf Klasse III
Zehenkappe Klasse I
Leistenstrumpf Klasse IV
Rumpfquadrant + gesamtes Bein + Zehen/Fuß
Zehenkappe Klasse I
Stumpfhose mit einem Bein Klasse II
Zehenkappe Klasse I
Strumpfhose mit einem
Bein Klasse III
Leibteil Klasse II
Zehenkappe Klasse I
Strumpfhose mit einem Bein Klasse IV
Leibteil Klasse II
Rumpfquadrant + beide Beine + Zehen/Füße
Zehenkappe Klasse I
Strumpfhose Klasse II
Zehenkappe Klasse I
a) Kniestrümpfe Klasse III
b) Halbe Hose Klasse II
Zehenkappe Klasse I
a) Kniestrümpfe Klasse IV
b) Halbe Hose Klasse
II/Klasse III
Unterarm + Hand
Langer Handschuh Klasse I
Langer Handschuh Klasse II
Langer Handschuh Klasse II oder Klasse III
Gesamter Arm + Hand
Armstrumpf Klasse I
Handschuh Klasse I
Armstrumpf Klasse II
Handschuh Klasse II
Armstrumpf Klasse II oder Klasse III
Handschuh Klasse I
Die Anmessung sollte durch ein lymphologisch kompetentes Sanitätshaus erfolgen. Für Lipödempatienten gilt die in Tab. 8 genannte Empfehlung adäquat, wobei in der Regel mehr Druck als Klasse 2 nicht toleriert wird. In der initialen Phase des Lipödems soll Rundstrickmaterial ausreichend sein (Reich-Schubke und Stücker 2013). Nach eigenen Erfahrungen wirkt sich das Rundstrickmaterial aufgrund der Rollneigung eher ungünstig auf die Ödemkrankheit aus. Wegen fehlender Studien ist die Evidenzlage schlecht (Tab. 9).
Tab. 9
Kontraindikationen für eine Kompressionstherapie. (Modifiziert nach Reich-Schubke und Stücker 2013)
Absolute Kontraindikationen
Relative Kontraindikationen
Dekompensierte Herzinsuffizienz
Septische Phlebitis
Nässende Dermatosen
Schwere Sensibilitätsstörungen
Kompensierte arterielle Verschlusskrankheit
Kompensierte Herzinsuffizienz
Materialunverträglichkeit

Komplikationen des Lymphödems

  • Erysipel (häufig) (Abb. 3 und 4)
  • Lymphbläschen
  • Lymphfisteln
  • Lymphzysten
  • Eiweißfibrosen
  • Papillomatosis
  • Dermatoliposklerose
  • Lymphangiosarkom (sehr selten)

Lipödem

Definition

Das Lipödem ist eine chronische, meist progrediente Erkrankung, die durch eine symmetrische Unterhautfettgewebsvermehrung überwiegend der unteren, zu 30 % der oberen Extremitäten gekennzeichnet ist (AWMF 037/012). Zusätzlich besteht eine orthostatische Ödemkomponente und eine Hämatomneigung nach Mikrotraumatisierung (Allen und Hines 1940; Wienert und Leeman et al. 1991; Herpertz 2010) sowie eine deutliche Druck- und Berührungsempfindlichkeit. Im fortgeschrittenen Stadium kann sich zusätzlich ein lymphostatisches Ödem ausbilden (Lipolymphödem).

Pathogenese und Pathophysiologie

Das Lipödem entwickelt sich grundsätzlich aus einer Lipohypertrophie heraus (Herpertz 2010). Leitsymptom ist die Vermehrung des Unterhautfettgewebes ohne Beteiligung der Hände oder Füße. Ein Bezug zur Kalorienaufnahme besteht nicht, deshalb wird ein autonomes oder endokrines Fettgewebewachstum angenommen (Wollina und Heinig 2012). Möglicherweise spielen weibliche Sexualhormone eine gewichtige Rolle, allerdings ist die Ursache des Lipödems unklar (Schmeller und Meier-Vollrath 2007). Zusätzlich wird von einer genetischen Exposition ausgegangen (Schmeller und Meier-Vollrath 2007). Die erhöhte Kapillarpermeabilität ist für die orthostatische Ödemkomponente verantwortlich, durch erhöhte Kapillarfragilität ist die Hämatomneigung bei Lipödempatienten zu erklären (Schmeller und Meier-Vollrath 2007; Weißleder und Schuchardt 2006; Herpertz 2010).

Klinik

Folgende Symptome können auftreten:
  • Symmetrische Verteilung von Unterhautfettpolster
  • Druck- und Berührungsschmerzen
  • Hämatomneigung
  • Dellbares Ödem
  • Disproportion zwischen Oberkörper und Unterkörper
  • Hände und Füße in der Regel nicht betroffen
Die Stadien des Lipödems sind:
  • Stadium I: Hautoberfläche glatt, feinknotige Gewebekontur
  • Stadium II: Hautoberfläche uneben (Orangenhaut), Gewebestruktur grobknotig, walnuss- bis faustgroß
  • Stadium III: groblappige, deformierende Fettgewebsvermehrung, Wulstungen am medialen Oberschenkel und im Kniebereich
Die Manifestationstypen der Lipohypertrophie bzw. des Lipödems sind in Tab. 10 zusammengefasst.
Tab. 10
Manifestationstypen der Lipohypertrophie bzw. des Lipödems
Untere Extremität
Obere Extremität
Beckentyp
Becken-Knie-Typ (so genannte Reithose)
Becken-Waden-Typ
Ganzbeintyp (Abb. 5)
Wadentyp (selten)
Oberarmtyp
Ganzarmtyp
Unterarmtyp

Diagnostik

Die Diagnose kann klinisch gestellt werden (Abschn. 1.3). Eine apparative Diagnostik ist nicht notwendig (Schmeller und Meier-Vollrath 2007; Wollina und Heinig 2012). Typisch sind die Fettverteilung, die Hämatomneigung und die Schmerzhaftigkeit sowie die Druck- und Berührungsempfindlichkeit.
Die Differenzialdiagnostik ist in Tab. 11 zusammengefasst.
Tab. 11
Differenzialdiagnostik nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (AWMF 037/012)
Klinische Merkmale
Lipohypertrophie
Fettvermehrung
+++
+++
+++
Disproportion
+++
+++
+
Ödem
+++
Druckschmerz
+++
Hämatomneigung
+++
+

Therapie

Eine kausale Therapie gibt es nicht. Therapieziele sind in erster Linie die Minderung des Ödems und die Besserung der Beschwerden. Ödemreduktion gelingt durch die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE), wie sie auch bei Lymphödem angewendet wird. Die Symptome können durch KPE wesentlich gebessert werden (Herpertz 2010). Eigene Untersuchungen unterstützen diese Erfahrung.
Die apparative Expressionstherapie (intermittierende pneumatische Kompression) ist eine weitere Therapieoption (Wienert et al. 2005). Es existiert jedoch keine wissenschaftliche Studie zur Anwendung der Expressionstherapie bei Lipödem, ebenso gibt es keine Daten hinsichtlich der Beeinflussung des Fettgewebes durch die komplexe physikalische Entstauungstherapie (Wollina und Heinig 2012). Diäten sind hinsichtlich der Lipohypertrophie ohne Nutzen, allerdings sollte stets eine Gewichtsreduktion angestrebt werden. Eine medikamentöse Therapie des Lipödems ist nicht bekannt. Das krankhaft vermehrte Fettgewebe kann durch Liposuktion erfolgreich behandelt werden (Schmeller und Meier-Vollrath 2007; Wollina und Heinig 2012; AWMF 037/012; Herpertz 2010) Nur die Liposuktion kann an der Pathologie des Fettgewebes ansetzen (Wollina und Heinig 2012) und Komplikationen des Lipödems verhindern. Eine dauerhafte Reduktion des krankhaften Fettgewebes sowie Schmerzlinderung und Verbesserung der Lebensqualität sind wichtige Therapieergebnisse liposuktiver Maßnahmen (Schmeller und Meier-Vollrath 2007; Wollina und Heinig 2012).

Weitere Ödemformen

Kombinationsödeme

Folgende Kombinationsödeme können auftreten:
  • Lipolymphödem (Abb. 6)
  • Primäres Lymphödem mit Lipödem
  • Lip-Phlebödem
  • Lip-Phleb-Lymphödem
  • Phlebolymphödem
Phlebolymphödem
Das Phlebolymphödem ist definiert als Ödemkrankheit der Beine infolge einer chronisch-venösen Insuffizienz mit Schädigung der Lymphgefäße und sekundärer lymphatischer Abflussstörung (Kap. Chronische venöse Insuffizienz) (Altenkämper 2013).
Therapie
Therapieziel ist, die fortschreitende Schädigung des Lymphgefäßsystems zu verhindern. Die Kompressionstherapie ist eine Basismaßnahme. In eigenen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die komplexe physikalische Entstauungstherapie bei postthrombotischem Syndrom zu einer signifikanten Volumenreduktion, Schmerzlinderung und verbesserten Lebensqualität führt (Klare 2009). Die KPE ist damit ein hocheffektives Verfahren bei Phlebolymphödem.

Orthostatisches Ödem

  • Entsteht durch lang andauernde Steh- oder Sitzbelastung während eines Arbeitstages
  • Verkäuferinnenödem
  • Morgens und am Wochenende verschwunden
  • Ursache erhöhte Gefäßpermeabilität
  • Therapie: Kompressionsbestrumpfung

Idiopathisches Ödem

  • Betroffen sind nur Frauen
  • Tritt immer symmetrisch auf
  • Tritt meist um die Menopause auf
  • Patientinnen klagen über Spannungsgefühl
  • Ödem kaum sichtbar
  • Typisch ist: Spannungssymptomatik morgens obere Körperhälfte, abends untere Körperhälfte
  • Therapie: Kombination aus manueller Lymphdrainage und Kompressionsbehandlung

Weitere Ödeme

  • Vasovegetative Ödeme (z. B. bei Morbus Sudeck)
  • Inaktivitätsödeme (z. B. bei Rollstuhlfahrern)
  • Ischämisches Ödem (bei arteriellen Durchblutungsstörungen)
  • Chronisch-entzündliche Ödeme
  • Pathologisches Schwangerschaftsödem
  • Allergische Ödeme
  • Ödeme durch endokrinologische Erkrankungen
  • Ödeme durch Gefäßveränderungen
  • Höhenödeme
  • Kombinierte Ödeme
  • Artifizielle Ödeme
Literatur
Allen EV, Hines EA (1940) Lipedema of the legs. Proc Mayo Clin 15:184–187
Altenkämper H. (2013) Das Phlebolymphödem, vasomed 25(5):270–275
Herpertz U (2010) Ödeme und Lymphdrainage. 4. Aufl. Schattauer-Verlag, Stuttgart
Klare M (2009) The efficacy of manual lymph-drainage combined with compression bandaging and therapeutic exercises in patients with postthrombotic syndrome. XXII. Congress of the International Society on Thrombosis and Hemostasis, Boston
Klare M (2010) Die Effektivität der KPE bei primärem und sekundärem Beinlymphödem. Orthopädietechnik 12/2010, 892–895
Klare KM (2013) Wie verlässlich ist die Perometermessung bei Ödemkrankheiten? Vortrag auf der Dreiländertagung Angiologie, Graz/Österreich,17.09.2013
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie: Lipödem. AWMF-Register 037/012; gültig bis 2014
Leitlinien der Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen „Diagnostik und Therapie des Lymphödems“ AWMF-Register 058/001 (gültig bis 2014)
Meier-Vollrath I und Schmeller W (2010) Moderne Therapie des Lipödems. Orthopädietechnik 12/2010; 896–902
Meier-Vollrath.I, Schneider W und Schmeller W (2005) Lipödem: Verbesserte Lebensqualität durch Therapiekombination. Deutsches Ärzteblatt, 102(15), 15. April 2005
Reich-Schubke S und Stücker M (2013) (Hrsg) Moderne Kompressionstherapie, Viavital-Verlag, Köln, 22. Oktober 2013
Schmeller W, Meier-Vollrath I (2007) Das Lipödem: neue Möglichkeiten der Therapie. Schweiz Med Forum 7:150–155
Schmeller W et al. (2006) Liposuktion beim Lipödem: Keine Gefahr für die Lymphgefäße. Vasomed (18):4/2006
Weißleder H, Schuchardt Ch (2006) (Hrsg) Erkrankungen des Lymphgefäßsystems, Viavital-Verlag, Essen
Wienert V et al (2005) Leitlinie: Intermittierende pneumatische Kompression (IPK oder AIK). Phlebologie 34:176–80
Wienert V, Leeman S (1991) Das Lipödem. Hautarzt 42:484–486PubMed
Wollina U und Heinig B (2012) Das Lipödem, Ärzteblatt Sachsen, 11/2012