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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 01.10.2015

Osteoporose

Verfasst von: Heide Siggelkow
Die Osteoporose ist eine chronische Erkrankung. Das klinische Bild der Osteoporose ist geprägt durch Frakturen und Folgekomplikationen. Die Indikation zu einer Diagnostik wird anhand des 10-Jahres-Frakturrisikos gestellt. Die Basisdiagnostik besteht aus Anamnese, klinischem Befund, Basislabor und DXA-Messung. Als weiterführende Diagnostik kann ggf. eine Röntgendiagnostik der Brust- und Lendenwirbelsäule, ein spezielles Labor für sekundäre Osteoporoseabklärung oder auch eine Biopsie/Yamshidi-Punktion erforderlich sein. Ein erhöhtes Frakturrisiko nimmt mit dem Alter weiter zu, sodass die Osteoporosetherapie eine Dauertherapie ist. Die Therapie der Osteoporose reicht, abhängig vom individuellen 10-Jahres-Frakturrisiko, von Maßnahmen zur Verbesserung der Knochengesundheit (bei niedrigem Frakturrisiko), über nicht medikamentöse Maßnahmen und eine medikamentöse Basistherapie (bei mittlerem Frakturrisiko) zur Frakturprophylaxe bis zur spezifischen antiosteoporotischen Therapie (bei hohem Frakturrisiko). Die Medikamente sind in der Lage, das Frakturrisiko im Mittel um ca. 50 %, bei schwerer Osteoporose auch bis zu 80 % zu senken, können aber Frakturen nicht vollständig verhindern.

Definition

Die Osteoporose ist eine systemische Skeletterkrankung, die durch eine unzureichende Knochenfestigkeit charakterisiert ist, die zu einer vermehrten Knochenfragilität führt. Liegen Frakturen vor, spricht man von einer manifesten Osteoporose.
Die Knochenfestigkeit wird entscheidend von der Knochenqualität mitbestimmt, allerdings sind weder Knochenfestigkeit noch Knochenqualität aktuell direkt messbar. Diese Knocheneigenschaften werden mithilfe einer Kombination aus klinischen Risikofaktoren und der Knochendichte indirekt erfasst. Extraossäre Faktoren, wie z. B. Stürze, tragen weiterhin zur vermehrten Knochenbrüchigkeit bei. Die Knochendichte wird mittels Dual-Röntgen-Absorptiometrie („dual X-ray absorptiometry“, DXA) an der Lendenwirbelsäule (repräsentativ für den spongiösen Anteil) und am Femur (repräsentativ für den kortikalen Anteil) gemessen. Der Schweregrad der Osteoporose (angegeben in einem individuellen Frakturrisiko-Score) entsteht aus der Summe der Risikofaktoren und dem sog. T-Score der DXA-Messung. Dieser kombinierte Risiko-Score ist seit 2006 in Deutschland Routine (Pfeilschifter 2009), auch in anderen Ländern werden in den letzten Jahren zunehmend Risiko-Scores verwendet. Leider basiert die internationale Klassifikation der Osteoporose der WHO 1994 noch ausschließlich auf der DXA-Messung, sodass formal ab < −2,5 T-Score (Abweichung vom Mittelwert einer 20- bis 29-jährigen Frau, Lendenwirbelsäule und/oder proximaler Femur gesamt oder Femurhals) eine Osteoporose nach WHO-Definition vorliegen kann, das Frakturrisiko aber so niedrig ist, dass noch keine Therapie erfolgen muss. Dies berücksichtigt aber nicht, dass ein großer Teil der Frakturen bereits bei einem T-Score von -2,0 auftritt. In Deutschland hat man sich deshalb auf die Angabe des Frakturrisiko-Scores geeinigt, welcher als 10-Jahres-Frakturrisiko auch in der aktuellen S3-Leitlinie Osteoporose des Dachverbandes Osteologie (DVO) 2014 angegeben wird. Für die auf einem T-Score beruhende Einstufung der Osteoporose müssen andere Erkrankungen ausgeschlossen sein, die mit einer Verminderung der Knochendichte einhergehen, z. B. eine Osteomalazie. Die Diagnose einer Osteoporose auf der Grundlage eines DXA-T-Scores kann also nicht allein basierend aus dem Knochendichtemesswert, sondern nur im Zusammenhang der vollständigen Diagnostik gestellt werden.

Pathophysiologie

Die Osteoporose ist nach heutigem Wissen eine multifaktorielle Erkrankung. Die Knochenfestigkeit wird durch Knochengröße, Knochendichte und Mikroarchitektur beeinflusst, man nimmt an, dass über 80 % der Variabilität genetisch bedingt sind. Genetische Untersuchungen sind allerdings als unabhängiger Risikofaktor für Frakturen noch nicht ausreichend evaluiert, eventuell wird in Zukunft ein Profil genetischer Varianten dafür geeignet sein (Nguyen und Eisman 2013).
Für die Diagnose einer primären Osteoporose müssen andere Ursachen einer Knochenmineralgehaltverminderung ausgeschlossen sein, sodass Alter, Geschlecht und Vorfrakturen die Hauptrisikofaktoren sind. Bei der sekundären Osteoporose ist zu einem wesentlichen Teil eine einzelne Ursache für die Knochenproblematik verantwortlich. Die Übergänge von primärer zu sekundärer Osteoporose sind dabei aber fließend und unscharf, und häufig werden die Ursachen für sekundäre Osteoporosen in die Risiko- und auch Therapiekalkulation mit integriert, so z. B. die Glukokortikoidtherapie.

Epidemiologie

Die Prävalenz der Osteoporose anhand der WHO-Definiton liegt bei ca. 15 % bei postmenopausalen Frauen im Alter von 50–60 Jahren und bei 45 % im Alter von 70 Jahren (Ismail et al. 2001). Hochgerechnet aus Daten der Techniker Krankenkasse von 2006–2009 wird die Prävalenz 2009 auf 6,3 Mio. Menschen mit Osteoporose in Deutschland geschätzt (5,2 Mio. Frauen, 1,1 Mio. Männer). Dann wäre jede 4. Frau und jeder 17. Mann >50 Jahre erkrankt. Die jährliche Inzidenz wurde auf 885.000 Neuerkrankungen pro Jahr geschätzt. Die Hälfte der Betroffenen erleidet innerhalb von vier Jahren eine Fraktur (Hadji et al. 2013; Kanis et al. 2013). Die jährliche Inzidenz von Hüftfrakturen ist altersabhängig zwischen 0,045 % bei den 50- bis 59-jährigen Frauen ansteigend bis auf 3,55 % bei den 90-jährigen und älteren Frauen (Icks et al. 2008). Bei den Männern betrug die jährliche Inzidenz von Hüftfrakturen in Deutschland im Jahr 2004 bei den 60- bis 64-jährigen Männern 0,086 % und bei 90-jährigen und älteren Männern 2,00 % (Icks et al. 2008). Die korrespondierenden Lebenszeitwahrscheinlichkeiten für eine „major osteoporotic fracture“ wurden bei einem 50-jährigen Mann auf 20,2 % und bei einer 50-jährigen Frau auf 51,3 % geschätzt (Lippuner et al. 2009).

Klinik

Das klinische Bild der Osteoporose ist geprägt durch Frakturen und Folgekomplikationen. Osteoporosetypische Frakturen betreffen die Wirbelsäule als Sinterungsfrakturen mit Deckplatteneinbrüchen, keil- oder fischwirbelförmigen Veränderungen. Die häufigsten peripheren Frakturen treten an Unterarm, proximaler Humerus, proximaler Femur, Becken, Tibia, Rippen und Klavikula auf und sind häufig sturzassoziiert. Periphere Frakturen und Wirbelkörperfrakturen sind mit einer erhöhten Mortalität assoziiert.
Eine niedrige Knochendichte ohne Frakturen macht keine Schmerzsymptomatik. Akute Sinterungsfrakturen führen zu starken, über Monate anhaltenden Schmerzen, die die Bewegungsfähigkeit stark beeinträchtigen. Radiologisch lassen sich die Frakturen oft nicht sofort, sondern erst Wochen später nachweisen. Wirbelkörperfrakturen führen zur Größenabnahme, Verkürzung bzw. Aufhebung des Rippen-Becken-Abstandes, Verkleinerung der Brustkorbs und Verlagerung des Schwerpunktes nach vorne bedingt durch die Kyphose. Schmerzen, ein erhöhtes Sturzrisiko, zunehmende Refluxbeschwerden und eine Einschränkung der Lungenfunktion sind direkte Folgen. Oft resultiert eine deutliche Einschränkung der Mobilität mit zunehmender sozialer Isolation. Der Anstieg der Mortalität ist im ersten Jahr nach der Fraktur am höchsten (Ismail et al. 2001; Melton et al. 2013).
Eine frische Wirbelkörperfraktur führt zu einem extrem starken Schmerz in der betroffenen Region. Typischerweise sind das Aufrichten, Dreh- und Tragebewegungen schmerzhaft. Die Betroffenen sind in der Regel im Liegen und nachts ohne relevante Schmerzen, beim Aufstehen und bei zunehmender Belastung nehmen die Schmerzen dann zu. Typischerweise sind Drehbewegungen mit Zug oder Druck stark eingeschränkt (z. B. Staubsaugen). Wichtig bei der Differenzialdiagnose von Rückenschmerzen im Rahmen von Frakturen ist der Ausschluss anderer Ursachen einer Fraktur wie z. B. ein Plasmozytom.

Diagnostik

Indikation zur Basisdiagnostik

Die Besonderheit bei einer Volkskrankheit wie der Osteoporose ist die Frage, wann die Indikation zu einer Diagnostik besteht. Dies wird international sehr unterschiedlich beurteilt. In Deutschland wird seit 2006 die Indikation zur Basisdiagnostik anhand des 10-Jahres-Frakturrisikos gestellt. Anhand epidemiologischer Daten wurde dafür ein Risiko-Score entwickelt, der anhand von Alter, Geschlecht und einer Gruppe von Risikofaktoren definiert wird. Diese Risikofaktoren beziehen sich vor allem auf vorliegende Frakturen, Krankheiten und Medikamente und werden immer wieder anhand der aktuellen Literatur ergänzt bzw. aktualisiert. Anhand des 10-Jahres-Frakturrisikos wird auch die Indikation zur Therapie gestellt (Abb. 1).
Einen Überblick zu den Risikofaktoren, an denen die Indikation zur Basisdiagnostik anhand der Leitlinie 2014 festgestellt wird, gibt die Tab. 1.
Tab. 1
Indikation zur Basisdiagnostik anhand der DVO-Leitlinie 2014 zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und bei Männern ab dem 60. Lebensjahr
 
♀ nach der Menopause
♂ ab dem 60. LJ
♀ ab dem 60. LJ
♂ ab dem 70. LJ
♀ ab dem 70. LJ
♂ab dem 80. LJ
Niedrigtraumatische singuläre Wirbelkörperfraktur 2.–3. Grades2
X
X
X
X
In dieser Altersgruppe ist das Lebensalter als Risikofaktor so dominant, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Fraktur auch ohne zusätzliche klinische Risikofaktoren hoch ist. In dieser Altersgruppe wird deshalb generell eine Basisdiagnostik empfohlen, soweit eine Entscheidung über geplante therapeutische Maßnahmen ansteht.
Niedrigtraumatische singuläre klinisch manifeste Wirbelkörperfraktur 1. Grades mit Deckplattenimpression2
X
X
X
X
Niedrigtraumatische singuläre Wirbelkörperfraktur 1. Grades mit Deckplattenimpression ohne Klinik als Einzelfallentscheidung1, 2
X
X
X
X
Niedrigtraumatische multiple Wirbelkörperfrakturen 1.–3. Grades2
X
X
X
X
Niedrigtraumatische nicht vertebrale Frakturen mit Ausnahme von Finger-, Zehen-, Schädel- u. Knöchelfrakturen
X
X
X
X
Cushing-Syndrom oder subklinischer Hyperkortisolismus4
X
X
X
X
X
X
X
X
Wachstumshormonmangel4
X
X
X
X
Bestehende oder geplante orale Glukokortikoidtherapie mit ≥2,5 mg
Prednisolonäquivalent tgl. für mehr als 3 Monate im Jahr4
X
X
X
X
X
X
X
X
Monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz
X
X
X
X
X
X
X
X
Diabetes mellitus Typ 1
X
X
X
X
Zustand nach Billroth-II-Operation oder Gastrektomie
X
X
X
X
Spondylitis ankylosans als Einzelfallentscheidung1
X
X
  
Therapie mit Aromatasehemmern als Einzelfallentscheidung1, 4
X
   
Therapie mit Aromatasehemmern3, 4
  
X
 
Glukokortikoide hochdosiert inhalativ3, 4
  
X
X
Hormonablative Therapie oder Hypogonadismus beim Mann als Einzelfallentscheidung1, 4
 
X
  
Hormonablative Therapie oder Hypogonadismus beim Mann3, 4
   
X
Therapie mit Glitazonen3, 4
  
X
X
Diabetes mellitus Typ 23
  
X
X
Spondylitis ankylosans3
  
X
X
Proximale Femurfraktur eines Elternteils3
  
X
X
Multiple intrinsische Stürze oder erhöhte Sturzneigung3, 4
  
X
X
Immobilität3, 4
  
X
X
Untergewicht (BMI <20 kg/m2)3, 4
  
X
X
Nikotinkonsum und/oder COPD3, 4
  
X
X
Depression/Antidepressiva3, 4
  
X
X
Hyperthyreose oder subklinische Hyperthyreose, sofern persistierend3, 4
  
X
X
 
  
X
X
Protonenpumpeninhibitoren bei chronischer Einnahme3, 4
  
X
X
  
X
X
LJ Lebensjahr
1Begründungen der Einzelfallentscheidungen sind pro Untersuchung und Patient zu dokumentieren
2Sofern andere Ursachen nicht wahrscheinlicher sind
3Bei Vorliegen mehrerer Risikofaktoren kann individuell auch bei Frauen ab der Menopause und bei Männern ab dem 60. Lebensjahr eine Basisdiagnostik erwogen werden
4Sofern Risiko aktuell bestehend oder vor weniger als 12–24 Monaten beendet

Basisdiagnostik

Die Basisdiagnostik besteht aus Anamnese, klinischem Befund, Basislabor und DXA-Messung. Als weiterführende Diagnostik kann ggf. eine Röntgendiagnostik der Brust- und Lendenwirbelsäule, ein spezielles Labor für sekundäre Osteoporoseabklärung oder auch eine Biopsie/Yamshidi-Punktion erforderlich sein.

Anamnese und klinischer Befund

Die Anamnese soll Einflussfaktoren auf das Skelett, unveränderliche und veränderliche Risikofaktoren und das Sturzrisiko evaluieren. Der klinische Befund dient dazu, Schmerzen zu erfassen, funktionelle Einschränkungen zu erkennen und Hinweise für eine sekundäre Osteoporose zu finden. Die Verwendung von Tests zur Beurteilung von Muskelkraft und Koordination gehört zum Standardprogramm, am häufigsten werden der „Timed-up-and-go“-Test und der „Chair-rising“-Test verwendet.

Biochemische Diagnostik

Mithilfe eines Basislabors lassen sich für sekundäre Ursachen einer Osteoporose oft Hinweise finden (Tab. 2). Für die Beurteilung des Serumkalziumwertes sollte auch der Albuminwert Berücksichtigung finden, da Eiweißbindungsphänomene Hyper- oder Hypokalzämien vortäuschen können. Die Bestimmung des ionisierten Kalziums ist in der klinischen Routine nicht erforderlich.
Tab. 2
Basislabor und Differenzialdiagnose
Parameter
Differenzialdiagnose
BSG/CRP
Entzündliche Systemerkrankung, Malignom
Blutbild (Leukozytenerhöhung, Anämie)
Entzündung, Leukämie, Plasmozytom
Serum-Eiweißelektrophorese
Hinweise für multiples Myelom
Kalzium im Serum erhöht
Hyperparathyreoidismus, Tumorhyperkalzämie
Kalzium im Serum erniedrigt
Kreatinin, GFR erhöht
Phosphat im Serum erniedrigt
Phosphatdiabetes, Osteomalazie, Hyperparathyreoidismus
AP erhöht und Gamma-GT normal
Morbus Paget, osteolytische Metastase, Osteomalazie
TSH
Endogen oder durch Medikation erniedrigt
Testosteron bei Männern fakultativ
25-Hydroxy-Vitamin-D
Osteomalazie

Bildgebende Verfahren

Bei der DXA-Messung handelt es sich um ein planares Verfahren im Gegensatz zu volumenmetrischen Messungen (z. B. Computertomographie, CT). Die DXA („dual X-ray absorptiometry“) basiert auf dem Verhältnis von Knochen zu Fettgewebe, Gewichtsveränderungen führen somit zu Fehlinterpretationen des DXA-Wertes, degenerative Veränderungen der Wirbel oder eine verkalkte Bauchaorta können einen „stabileren“ Knochen vortäuschen. Für die Bewertung insbesondere der Wirbelsäule ist somit immer das Originalmessprotokoll zu kontrollieren, ob die Messung verwertbar ist und ob mindestens zwei Wirbel für den Mittelwert verwendet wurden. Sehr hilfreich ist dafür die seitliche Darstellung der Wirbelsäule, die ebenfalls in der Lage ist, Wirbelkörperfrakturen zu identifizieren und bei neueren Geräten in höherer Qualität gut möglich ist.
Die Hauptziele bei der Knochendichtemessung sind die Bestimmung des Frakturrisikos und die Diagnose einer Osteoporose. Messungen werden üblicherweise am proximalen Femur, Femur gesamt und an der Lendenwirbelsäule durchgeführt, möglich ist aber auch eine Unterarmmessung. Die Verwendung des T-Scores für die Berechnung des Frakturrisikos nach Leitlinien ist nur für die DXA-Messung möglich, T-Score-Werte sind für andere Verfahren (quantitative Computertomographie [QCT] oder sonographische Verfahren) nicht zulässig. QCT-Messungen an der Wirbelsäule sind aus den geschilderten Gründen häufig deutlich niedriger als die entsprechenden DXA-Werte.
Es gibt derzeit keine einheitliche radiologische Definition einer Wirbelkörperfraktur. Üblicherweise werden Veränderungen der Höhe von Vorder-, Mittel-, oder Hinterkante von mehr als 20 % im Verlauf bei einem absoluten Höhenverlust von 4 mm als inzidente (neu aufgetretene) Fraktur bezeichnet. Vorbestehende (sog.prävalente) Frakturen sind nicht immer eindeutig von projektionsbedingten und degenerativ veränderten Wirbelveränderungen oder einem Morbus Scheuermann abzugrenzen. Bei einer Höhenminderung der Vorderkante spricht man von einem Keilwirbel. Ist die Wirbelkörpermitte höhengemindert, handelt es sich um eine Grund- oder Deckplattenfraktur, bei einem Plattwirbel sind alle Höhen vermindert. Bei der semiquantitativen Einteilung nach Genant erfolgt die Definition von Wirbelkörperfrakturen wie in Tab. 3 dargestellt.
Tab. 3
Beurteilung von Wirbelkörperfrakturen
Wirbelkörperfraktur
Höhenminderung gegenüber den übrigen Wirbeln
Graduierung
Grad 0
<20 %
Keine Fraktur
Grad 1
20–25 %
Milde Fraktur
Grad 2
25–40 %
Mäßige Fraktur
Grad 3
>40 %
Schwere Fraktur
Das aktuelle diagnostische Vorgehen wird alle drei Jahre an die publizierten Daten im Rahmen der Leitlinienüberarbeitung angepasst. Auf die Langfassung, Kurzfassung und Kitteltaschenversion der jeweils gültigen Leitlinie (aktuell 2014) kann über die Homepage des Dachverbandes Osteologie (DVO e.V.) zugegriffen werden (Abschn. Internetadressen).

Differenzialdiagnostik

Erweiterte Labordiagnostik

Bei Veränderungen im Basislabor ist eine gezielte weitere Diagnostik zur Frage einer sekundären Osteoporose erforderlich. Es hat sich allerdings gezeigt, dass in manchen Fällen das Basislabor für die initiale Diagnostik nicht ausreichend ist. Somit sollten bei allen Fällen, bei denen die Anamnese und der klinische Befund nicht zur Knochendichte oder den vorliegenden Frakturen passen eine intensive weitere Labordiagnostik durchgeführt werden, damit ggf. auch eine spezifische Therapie der Erkrankung erfolgen kann.
Häufige sekundäre Osteoporoseformen, die nicht mit dem Basislabor identifizierbar sind, und mögliche Laborparameter sind:
  • Sekundärer Hyperparathyreoidismus (PTH, Beta-Carotin)
  • Primäre Hyperkalziurie (Kalzium/Kreatinin-Quotient im Morgenurin oder 24-Stunden-Urin)
  • Plasmozytom mit normaler Eiweißelektrophorese (Immunelektrophorese und Immunfixation)
  • Endogener Hyperkortisolismus (Urinkortisol, ggf. Dexamethasonhemmtest, Speichelkortisol)

Knochenumbauparameter

Ergänzend können Knochenstoffwechselparameter, die in Serum bzw. Urin gemessen werden, hilfreich sein. Ein hoher Knochenumbau korreliert bei der Osteoporose als unabhängiger Risikofaktor zum Frakturrisiko und kann somit in besonderen Fällen für die Therapieentscheidung eine Rolle spielen. Durch antiresorptive Osteoporosemedikamente wird der Knochenumbau gehemmt, was in die Therapiekontrolle mit einbezogen werden kann. Dabei ist es wichtig, die Präanalytik (z. B. nüchtern, morgens, 2. Morgenurin) genau zu beachten, damit Messungen im Verlauf überhaupt Sinn machen. Werden diese Bedingungen genau beachtet, können die Messungen für die Beurteilung der fortgesetzten Wirkung der Medikamente sehr hilfreich sein, z. B. auch bei Therapiepausen, zur Frage einer Resorption oraler Medikamente oder der Adhärenz bzw. Compliance der Betroffenen.

Indikation zur Knochenbiopsie

Bei unplausiblen Befunden oder Verläufen in der Osteoporosediagnostik ist die Indikation für eine Knochenbiopsie/Yamshidi-Punktion gegeben. Sie dient damit zur Abklärung seltener sekundärer Formen einer Osteoporose wie z. B. einer Mastozytose oder einem asekretorischem Plasmozytom. Einige Pathologien in Deutschland sind auf die Analyse von Knochenbiopsien bei Osteoporose spezialisiert.

Therapie

Die Indikation zu einem spezifischen Therapievorgehen wird bei einem 10-Jahres-Frakturrisiko von >30 % gestellt. Dieses Risiko wird anhand von Alter, Geschlecht, niedrigstem T-Score der DXA-Messwerte, gemessen an drei Messorten in Kombination mit den Frakturrisikofaktoren mithilfe einer Tabelle geschätzt. Die Therapieempfehlungen zur Indikation und spezifischen Therapie werden nach der aktuellen Literatur alle drei bis fünf Jahre überarbeitet. Hier wird auf die aktuelle Fassung 2014 der Leitlinien Osteoporose des Dachverbandes deutschsprachiger osteologischer Gesellschaften verwiesen (Abschn. Internetadressen).
Indikationen für eine medikamentöse Osteoporosetherapie sind:
  • Niedrigtraumatische Wirbelkörperfraktur 2. oder 3. Grades singulär oder 1. bis 3. Grades multipel, wenn andere Ursachen nicht wahrscheinlicher sind, bei einem DXA-T-Score < -2,0 an der Lendenwirbelsäule (LWS) oder dem Schenkelhals oder dem Gesamtfemur, individuell auch bei einem T-Score > -2,0.
  • Niedrigtraumatische proximale Femurfraktur bei einem DXA-T-Score < -2,0 an der LWS oder dem Schenkelhals oder dem Gesamtfemur, individuell auch bei einem T-Score > -2,0. Bei typischen osteoporotischen radiologischen und/oder klinischen Aspekten von Wirbelkörperfrakturen bzw. proximalen Femurfrakturen kann in Abhängigkeit von der klinischen Gesamtsituation auf eine Knochendichtemessung verzichtet werden.
  • Bestehende oder geplante Therapie mit oralen Glukokortikoiden ≥7,5 mg Prednisolonäquivalent täglich für >3 Monate, wenn T-Score < -1,5 an der LWS oder dem Schenkelhals oder dem Gesamtfemur (individuell auch bei T-Score > -1,5) oder niedrigtraumatische Wirbelkörperfrakturen oder multiple periphere Frakturen. Ein endogenes Cushing-Syndrom ist äquivalent zu bewerten.
Anhand des Indikationsschemas (Abb. 2) wird anhand von Alter, Geschlecht und T-score das jeweilige Therapiekästchen aufgesucht. Je nach zusätzlichen Risikofaktoren kann die Therapiegrenze angehoben werden, bei Verwendung von einem zusätzlichen Risikofaktor um +0,5 bis +1 T-score, bei zwei oder mehr Risikofaktoren um +1, +1,5 oder +2,0 T-score (Tab. 4). Die Therapiegrenze sollte maximal auf -2,0 T-score angehoben werden, da keine Evidenz für eine Frakturreduktion durch eine spezifische antiosteoporotische Medikation oberhalb eines T-scores von -2,0 vorliegt. Die Risikofaktoren sind unterschiedlich gewichtet. Mit +1,0 werden Glukokortikoide oral ≥ 2,5 mg und < 7,5 mg Prednisolonäquivalent tgl. (außer bei rheumatoider Arthritis +0,5), Diabetes mellitus Typ 1 und ≥ 3 niedrigtraumatische Frakturen in den letzten 10 Jahren im Einzelfall (mit Ausnahme von Finger-, Zehen-, Schädel- und Knöchelfrakturen) bewertet.
Tab. 4
Anhebung der Therapiegrenze in Abb. 2 um +0,51,2
- Singuläre Wirbelkörperfraktur 1. Grades
- Nichtvertebrale Frakturen >50. LJ mit Ausnahme von Finger-, Zehen-, Schädel- und Knöchelfrakturen3
- Proximale Femurfraktur bei Vater oder Mutter
- Multiple intrinsische Stürze3
- Immobilität3
- Rauchen, COPD und/ oder hohe Dosen inhalativer Glukokortikoide3
- Chronische Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren3
- Depression/Antidepressiva3
- Rheumatoide Arthritis
- Spondylitis ankylosans
- Hormonablative Therapie oder Hypogonadismus beim Mann3
- Aromatasehemmer3
- Wachstumshormonmangel3
- Hyperthyreose oder subklinische Hyperthyreose, sofern persistent3
- Subklinischer Hyperkortisolismus3
- Glitazone3
- hsCRP-Erhöhung3
- Knochenumbaumarker im 4. Quartil als Einzelfallentscheidung3
- Optional „Trabecular Bone Score“: Anhebung der Therapiegrenze um +0,5 pro 1,75 SD Z-Score
1Pro Risikofaktor; es sollten in der Regel nicht mehr als zwei Risikofaktoren additiv bei einer modifizierten Risikoabschätzung berücksichtigt werden
2Die Anhebung der Therapiegrenze in Abb. 2 sollte für alle genannten Risiken alleine oder in Kombination nur bis zu einem maximalen T-Score von -2,0 erfolgen
3Sofern Risiko aktuell bestehend oder vor weniger als 12–24 Monaten beendet
Die Therapie der Osteoporose reicht, abhängig vom individuellen 10-Jahres-Frakturrisiko, von Maßnahmen zur Verbesserung der Knochengesundheit (bei niedrigem Frakturrisiko), über nicht medikamentöse Maßnahmen und eine medikamentöse Basistherapie (bei mittlerem Frakturrisiko) zur Frakturprophylaxe bis zur spezifischen antiosteoporotischen Therapie (bei hohem Frakturrisiko). Die alleinige Gabe von z. B. Bisphosphonaten ohne die Beachtung der Basismaßnahmen und Basismedikation wird der Komplexität des erhöhten Frakturrisikos nicht gerecht (Tab. 5).
Tab. 5
Basismaßnahmen zur Osteoporose und Frakturprophylaxe
Veränderbare Risikofaktoren minimieren
- Rauchen einstellen
- BMI >20 kg/m2
- L-Thyroxin nicht überdosieren (TSH >0,3 mU/l)
- Überprüfung von Medikamenten (bezüglich Knochenqualität und Sturzeinfluss)
Basissituation optimieren
- Kalziumaufnahme >800 mg und <1400 mg/Tag einstellen
- Koordination und Muskelkraft verbessern

Spezifische Medikation

Bei der Verordnung spezifischer antiosteoporotischer Medikation sind die Zulassung des jeweiligen Medikamentes, die Nebenwirkungen und die Kontraindikationen unter Berücksichtigung der Fachinformation zu beachten (Tab. 6).
Tab. 6
Medikamentöse Therapiemöglichkeiten der Osteoporose
Wirkstoff
Handelsname
Dosis
Applikation
Zulassung
Alendronat
Alendronat + 5600 I.E. Vitamin D
Fosamax, verschiedene Generika
Fosavance
10 mg tgl., 70 mg/Woche
p.o.
F/M (tgl.)
Risedronat, Kombinationen mit Vitamin D und Kalzium
Actonel, Acara, verschiedene Generika
35 mg/Woche
p.o.
F/M
Ibandronat
Bonviva, verschiedene Generika
3 mg/alle 3 Monate
150 mg/Monat
i.v.
oral
F
F
Zoledronat
Aclasta
5 mg/Jahr
i.v.
F/M, GC
Raloxifen
Evista , Optruma, verschiedene Generika
60 mg tgl.
p.o.
F
Strontiumranelat 1
Protelos
2 g tgl.
p.o.
F/M
Bazedoxifen2
Conbriza
20 mg tgl.
p.o.
F
Teriparatid
Forsteo
20 μg tgl.
s.c.
F/M/GC, nur für 2 Jahre
PTH 1–84 2
Preotact
100 μg tgl.
s.c.
F
Denosumab
Prolia
60 mg/6 Monate
s.c.
F/M
F Frauen, GC Glukokortikoid-induzierte Osteoporose, i.v. intravenöse, M Männer, p.o. per os, s.c. subkutan
1Beschränkt auf die Behandlung von Patienten mit hohem Frakturrisiko, die für eine Behandlung mit anderen für die Osteoporosetherapie zugelassenen Arzneimitteln nicht möglich ist, beispielsweise aufgrund von Kontraindikationen oder Unverträglichkeit
2Aktuell in Deutschland nicht verfügbar
Auch für Östrogene konnte eine gute Frakturreduktion in großen prospektiven Studien nachgewiesen werden. Die Therapie bei postmenopausalen Frauen sollte aufgrund der aktuellen Studienlage jedoch nur im Rahmen der Substitution bei gynäkologischen Beschwerden durchgeführt werden.

Verlauf und Prognose

Prinzipiell ist die Osteoporose eine chronische Erkrankung. Ein erhöhtes Frakturrisiko nimmt mit dem Alter weiter zu, sodass die Osteoporosetherapie eine Dauertherapie ist. Die Medikamente sind in der Lage, das Frakturrisiko im Mittel um ca. 50 %, bei schwerer Osteoporose auch bis zu 80 % zu senken, können aber Frakturen nicht vollständig verhindern. Insbesondere bei bestehenden Frakturen sind die Folgen der Erkrankung im Vordergrund der Beschwerdesymptomatik mit deutlich eingeschränkter Lebensqualität und erhöhter Mortalität. Grundsätzlich sollte die Basistherapie so lange erfolgen, wie ein hohes Frakturrisiko besteht. Ein Vorteil einer Therapiepause ist weder in Bezug auf Wirkung oder Nebenwirkungen der Therapie bisher erwiesen.
Bei veränderbaren Risiken, wie z. B. einer Glukokortikoidtherapie oder einer Aromatasehemmertherapie, macht jedoch eine Risikoevaluation Sinn und kann auch das Aussetzen oder die Beendigung der Therapie bedingen. Prinzipiell ist das erhöhte Frakturrisiko nach Glukokortikoiden noch ein weiteres Jahr erhöht, sodass ggf. die spezifische antiosteoporotische Medikation bis zwölf Monate nach Ende der Glukokortikoidtherapie fortgesetzt werden sollte.
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Internetadressen
Aktuelle Leitlinie Osteoporose des Dachverbandes Osteologie e.V. http://​www.​dv-osteologie.​org/​