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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 04.12.2014

Reaktive Arthritiden

Verfasst von: Jens Gert Kuipers und Markus Rihl
Die reaktive Arthritis (ReA) ist eine sterile Gelenkentzündung, die sich nach einer primären extraartikulären bakteriellen Infektion entwickelt. Die primäre Infektion betrifft häufig das urogenitale oder das gastrointestinale und seltener das respiratorische System. Die häufigsten ReA-auslösenden Erreger sind Chlamydia trachomatis, die Enterobakterien und Chlamydophila pneumoniae. Entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung einer ReA von einer bakteriellen Arhritis ist die fehlende Kultivierbarkeit des auslösenden Erregers aus dem Gelenk. Der frühere Begriff „Reiter Syndrom“, der die Trias Urethritis, Konjunktivitis und reaktive Arthritis beschreibt, ist heute nicht mehr gebräuchlich.

Definition

Die reaktive Arthritis (ReA) ist eine sterile Gelenkentzündung, die sich nach einer primären extraartikulären bakteriellen Infektion entwickelt. Die primäre Infektion betrifft häufig das urogenitale oder das gastrointestinale und seltener das respiratorische System.
Die häufigsten ReA-auslösenden Erreger sind Chlamydia trachomatis, die Enterobakterien und Chlamydophila pneumoniae.
Entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung einer ReA von einer bakteriellen Arhritis ist die fehlende Kultivierbarkeit des auslösenden Erregers aus dem Gelenk. Der frühere Begriff „Reiter-Syndrom“, der die Trias Urethritis, Konjunktvitis und reaktive Arthritis beschreibt, ist heute nicht mehr gebräuchlich.

Pathophysiologie

Die Erreger, die als Auslöser der klassischen ReA in Frage kommen, sind häufig obligat intrazelluläre Organismen, die vermutlich in Monozyten hämatogen von der Eintrittspforte in das Gelenk gelangen, und dort entweder als metabolisch aktive, aber nicht replizierende Erreger oder eventuell auch nur als Antigene im Gelenk längere Zeit verbleiben. Intraartikuläre Erregerpersistenz metabolisch aktiver Erreger wurde für Chlamydien sehr gut dokumentiert, für Enterobakterien ist unklar, ob intakte Erreger oder nur Antigene im Gelenk die Entzündung auslösen. (Hogan et al. 2004; Kuipers et al. 2003).

Epidemiologie

Nach einer Infektion mit Chlamydia trachomatis entwickeln ca. 1–3 % der Infizierten eine ReA, nach Infektionen mit Enterobakterien können bis zu 30 % eine Arthritis entwickeln (Gaston et al. 2003).
Die Prävalenz aller ReA wird auf 30–40/100.000 Erwachsene geschätzt, die Inzidenz der Chlamydien- oder Enterobakterien-induzierten Arthritis beträgt ca. 5/100.000 Erwachsene (Kvien et al. 1994; Toivanen et al. 2004).

Klinik

Nach Toivanen (Toivanen et al. 2004) werden verschiedene Formen einer ReA unterschieden; die klassische Form der Erkrankung, auf die in diesem Kapitel eingegangen wird, ist Bestandteil der Gruppe der Spondyloarthritiden. Bei etwa 50 % der Betroffenen lässt sich das vererbbare MHC-Klasse-I-Molekül HLA-B27 nachweisen, Rheumafaktoren oder Antikörper gegen zyklische citrullinierte Peptide sind typischerweise negativ.
Das klinische Bild ist oft heterogen und besteht häufig aus einer asymmetrischen Oligoarthritis (2–4 betroffene Gelenke) mit Betonung der Gelenke der unteren Extremität. Insbesondere werden Arthritiden von Zehengelenke bzw. Daktylitiden (entzündl. Befall einer ganzen Zehe oder eines Fingers) werden beobachtet. Letztlich können alle peripheren Gelenke in Form von Mono-, Oligo- oder Polyarthritiden betroffen sein.
Seltener ist auch das axiale Skelett betroffen. Bei tiefsitzenden Rückenschmerzen vom entzündlichen Typ (spontane Ruheschmerzen mit nächtlicher/frühmorgendlicher Betonung, morgendliches Steifigkeitsgefühl, Besserung durch Bewegung) sollte gezielt mittels MRT nach einer Arthritis der Iliosakralgelenke oder der Wirbelsäule (Sakroiliitis bzw. Spondylitis) gefahndet werden. Die Entwicklung einer nativradiologisch höhergradigen Sakroiliitis wird nur sehr selten beobachtet.
Neben artikulären Manifestationen werden auch extraartikuläre Manifestationen beobachtet: Entzündliche Veränderungen der Enthesen (Fersenschmerzen, Epicondylitiden), der Haut (z. B. Erythema nodosum, Keratoderma blenorrhagicum), der Schleimhäute (z. B. Konjunktivitis, Balanitis), der Augen (Iritis) oder selten Befall der inneren Organe wie z. B. des Herzens (Karditis, Endokarditis), der Leber (Perihepatitis) oder der Gefäße (Aortitis).

Diagnostik

Die Diagnose „reaktive Arthritis“ stützt sich nach Ausschluss anderer rheumatischer Erkrankungen auf die klinischen Befunde einer hierzu passenden Arthritis und den Nachweis einer vorausgegangenen oder persistierenden extrartikulären Infektion. Hinweise auf die auslösende extraartikuläre Infektion werden anamnestisch, in der körperlichen Untersuchung und labordiagnostisch (Erregernachweis an der Eintrittspforte, im Gelenk oder durch gezielte serologische Untersuchungen) erhoben. Tab. 1 zeigt typische anamnestische und klinische Befunde an der Eintrittspforte.
Tab. 1
Reaktive Arthritis – Eintrittspforte – Primärinfektion – auslösende Erreger. (Modifiziert nach Rihl und Kuipers 2012)
Eintrittspforte
Primärinfektion
Erreger
Urogenitaltrakt
Urethritis, Zystitis, (Urogenitalinfektion bei Frauen häufig asymptomatisch) Zervizitis, Prostatitis, Epididymitis, Salpingitis, Endometritis (in seltenen Fällen Perihepatitis)
Chlamydia trachomatis, Ureaplasma urealyticum, Mycoplasma hominis, Neisseria gonorrhoeae, Gardnerella vaginalis
Gastrointestinaltrakt
Diarrhö, Gastroenterokolitis
Respirationstrakt
Sinusitis, Pharyngitis, Bronchitis, Tonsillitis, Pneumonie
C. pneumoniae, β-hämolysierende Strepokokken, M. tuberculosis
Haut
Hautinfektion
Staphylokokken, Streptokokken (verursachen beide auch septische Arthritiden), Borrelia burgdorferi (s. Lyme-Borreliose), Bartonella henselae, Brucellen, Leptospiren
Für die laborgestützte Erregerdiagnostik ist eine ausreichende Vortestwahrscheinlichkeit einer möglichen ReA Voraussetzung. Bei Anamnese eines vorausgehenden Infektes und typischer Klinik der Arthritis unterstützt die entsprechende positive Serologie, z. B. gegen C. trachomatis bei vorausgegangenem Harnwegsinfekt die Diagnose „Chlamydia trachomatis-induzierte reaktive Arthritis“. Bei atypischer Klinik der Arthritis und fehlenden anamnestischen Hinweisen auf eine vorausgehende Infektion ist die Erregerserologie gegen Chlamydien oder Enterobakterien zumeist nicht hilfreich. Typische serologische Befunde bei reaktiver Arthritis sind positive IgG- und IgM- bzw. positive IgG- und IgA-Antikörper oder bei vermuteter Lyme-Borreliose auch eine isoliert positive IgG-Serologie.
Der Erregerdirektnachweis an der Eintrittspforte umfasst insbesondere bei jüngeren Menschen mit typischer Klinik einer reaktiven Arthritis die Chlamydia trachomatis-spezifische PCR aus der ersten Portion des Morgenurins. Bei postenteritischer reaktiver Arthritis erfolgt der Erregernachweis aus dem Stuhl während der Durchfallerkrankung. Bei positiver Salmonellenserologie ist auch nach Sistieren der Diarrhö die Stuhlkultur auf Salmonellen sinnvoll.
Der Erregernachweis im Gelenk stützt sich auf hochsensitive Erreger-DNA-amplifizierende Verfahren. Diese sind jedoch häufig nicht standardisiert. Per definitionem ist bei reaktiver Arthritis die Erregerkultur aus den Gelenkmaterialien (Synovia und Synovialis) negativ. Ein Diagnostikalgorithmus ist in Abb. 1 dargestellt.

Differenzialdiagnostik

Insbesondere die Erkrankungen aus dem Formenkreis der peripheren Spondyloarthritiden (SpA) wie z. B. Arthritis psoriatica, Arthritiden bei entzündlichen Darmerkrankungen (enteropathische SpA), aber auch im Rahmen undifferenzierter Spondyloarthritiden (präradiographische SpA) sind zu berücksichtigen, da sie typischerweise Arthritiden mit oligoartikulärem Befall unter Betonung der unteren Extremität und auch typische klinische Befunde wie z. B. eine Daktylitis verursachen können. Darüber hinaus sind wegen der Akuität und des Gelenkbefallmusters auch Kristallarthropathien, septische Arthritiden, die Lyme-Borreliose und seltener mono- oder oligoartikulär beginnende Formen der rheumatoiden Arthritis zu berücksichtigen.

Therapie

Die Therapieansätze der reaktiven Arthritis umfassen:
  • Die symptomatische Therapie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika, im Einzelfall intraartikuläre oder bei hochakuten und oligo-/polyartikulären Verlaufsformen die systemische Glukokortikoidtherapie.
  • Physikalische und physiotherapeutische Maßnahmen zur Ergänzung der medikamentösen Therapie.
  • Die antibiotische Therapie mit dem Ziel der Heilung durch Elimination des persistierenden Erregers. Hier wurde eine Kombinationstherapie aus Doxycyclin 2-mal 100 mg pro Tag + Rifampin 300 mg pro Tag oder Azithromycin 500 mg pro Tag für 5 Tage gefolgt von Azithromycin 2-mal pro Woche + Rifampin 300 mg pro Tag gegenüber Plazebo bei insgesamt 6-monatiger Einnahme bei C. trachomatis oder C. pneumoniae ausgelöster reaktiver Arthritis als wirksam beschrieben (Carter et al. 2010). Eine in 2012 vorgestellte Metaanalyse unter Berücksichtigung dieser und auch früher vorgelegter Studien kam jedoch zu dem Ergebnis, dass es bislang keine hinreichende Evidenz gibt, dass eine antibiotische Therapie den Verlauf einer reaktiven Arthritis abkürzt oder mildert (Barber et al. 2012). Die antibiotische Therapie zielt vielmehr auf den Infekt an der Eintrittspforte (z. B. antibiotische Therapie einer urogenitalen Chlamydia trachomatis-Infektion inklusive Partnertherapie mit Doxycyclin 200 mg pro Tag für 7 Tage oder einmalig Azithromycin 1 g).
  • Die langwirksame antirheumatisch wirkende, immunmodulierende Therapie (sog. Basistherapie oder DMARD-Therapie) chronischer Verlaufsformen: Einige der Patienten zeigen Verläufe mit einer über 3 Monate anhaltenden entzündlichen Aktivität. In diesem Fall werden in erster Linie Sulfasalazin, in zweiter Linie Methotrexat oder Azathioprin eingesetzt. In Einzelfallberichten haben sich sog. biologische Therapien (hier TNFα-Blocker und ein Interleukin-6-Rezeptor-Antikörper) als wirksam erwiesen, es besteht aber keine Zulassung für diese Therapien.

Verlauf und Prognose

Nach häufig akutem Krankheitsbeginn kommt es bei den meisten Patienten im Verlauf von einigen Wochen zu einer spontanen Remission. So sind etwa Dreiviertel der Patienten nach 1 Jahr beschwerdefrei oder zumindest beschwerdearm. 20–70 % der Patienten haben im weiteren Verlauf wechselnde Arthralgien, in Einzelfällen wurden auch rezidivierende Arthritiden beschrieben (Laasila et al. 2003).
Literatur
Barber et al (2012) A systematic review and meta-analysis of antibiotic treatment for reactive Arthritis. Arthritis Rheum 64(Suppl):75
Carter J et al (2010) Combination antibiotics as a treatment for chronic Chlamydia-induced reactive arthritis: a double-blind, placebo-controlled, prospective trial. Arthritis Rheum 62:1298–1307PubMedCentralPubMedCrossRef
Gaston JSH et al (2003) Arthritis associated with enteric infection. Best Pract Res Clin Rheumatol 17:219–239CrossRef
Haibel H et al (2004) Diagnosis of reactive Arthritis. Z Rheumatol 63:211–215PubMed
Hogan RJ et al (2004) Chlamydial persistence: beyond the biphasicparadigm. Infect Immun 72:1843–1855PubMedCentralPubMedCrossRef
Kuipers JG et al (2003) How does Chlamydia cause arthritis? Rheum Dis Clin North Am 29:613–629PubMedCrossRef
Kvien TK et al (1994) Reactive arthritis: incidence, triggering agents and clinical presentation. J Rheumatol 21:115–122PubMed
Laasila et al (2003) Antibiotic treatment and long term prognosis of reactive arthritis. Ann Rheum Dis 62:655–658PubMedCentralPubMedCrossRef
Rihl M, Kuipers JG (2012) Reaktive Arthritis. In: Peter et al. (Hrsg) Klinische Immunologie Urban & Fischer München, S. 250–255
Toivanen A et al (2004) Reactive arthritis. Best Pract Res Clin Rheumatol 18:689–703PubMedCrossRef