Skip to main content
DGIM Innere Medizin
Info
Publiziert am: 29.04.2015

Sporadische kolorektale Adenome

Verfasst von: Andrea Tannapfel
Adenome des Kolorektums sind definiert als zweifelsfrei neoplastische, histologisch und molekularpathologisch definierte Vorläuferläsionen, aus denen sich nach unterschiedlichen Zeitabständen Adenokarzinome des Kolorektums entwickeln können. Adenome werden nach WHO in niedriggradige („low grade“) intraepitheliale Neoplasien (LGIEN) und hochgradige (high grade) intraepitheliale Neoplasien (HGIEN) eingeteilt. Neben der klassischen Adenom-Karzinom-Sequenz gibt es den serratierten Karzinogeneseweg, als dessen Vorläuferläsion das sessile serratierte Adenom (SSA) betrachtet wird, sowie einen Mischtyp, dessen Vorläuferläsion das traditionelle serratierte Adenom (TSA) oder das villöse Adenom sein kann.

Definition

Adenome des Kolorektums sind definiert als zweifelsfrei neoplastische, histologisch und molekularpathologisch definierte Vorläuferläsionen, aus denen sich nach unterschiedlichen Zeitabständen (mehrere Monate bis Jahre) Adenokarzinome des Kolorektums entwickeln können. Adenome werden nach WHO in niedriggradige („low grade“) intraepitheliale Neoplasien (LGIEN) und hochgradige („high grade“) intraepitheliale Neoplasien (HGIEN) eingeteilt (Hamilton und Aaltonen 2010).
Wird ein kolorektales Adenom nicht entfernt, proliferieren die Adenomzellen weiter, im Durchschnitt vergrößern Adenome ihr Volumen über zwei Jahre um bis zu 52 %. Die meisten Adenome sind im Rektosigmoid lokalisiert (66–77 %).

Pathologie

Die meisten Adenome zeigen makroskopisch eine polypoide Form und wölben sich in das Darmlumen vor. Sessile oder flache Adenome können jedoch flach innerhalb der Schleimhaut gelegen oder sogar eingesunken sein. Je nach histologischem Wachstumsmuster lassen sich als häufigste Form tubuläre Adenome mit neu als >80 % tubulärem Baumuster (70–80 % aller Adenome und ca. 90 % der Adenome <1 cm) von villösen (>80 % villöse Strukturen) bzw. tubulovillösen (20–80 % villöse Anteile) Adenomen (insgesamt ca. 20 % aller Adenome) unterscheiden (Abb. 1).
Die meisten Adenome sind kleiner als 1 cm, zeigen eine tubuläre Architektur, können jedoch – je nach Größe – auch villös imponieren. Von villösen Adenomen spricht man dann, wenn fingerförmige Ausstülpungen des neoplastischen Epithels auftreten. Tubulovillöse Adenome sind definiert als ein Nebeneinander von tubulären und villösen Strukturen, wobei villöse Anteile definitionsgemäß mehr als 20 % der Gesamtläsion ausmachen müssen. Ist das Adenom größer als 1 cm, zeigt es eine villöse Architektur und eine hochgradige intraepitheliale Neoplasie, wird es als fortgeschrittenes Adenom bezeichnet. Fortgeschrittene Adenome sind, ebenso wie flache, eingesunkene Adenome, häufiger maligne.
Unter dem Begriff einer intraepithelialen Neoplasie ist eine zweifelsfrei neoplastische Epithelproliferation zu verstehen, die mit einem erhöhten Karzinomrisiko einhergeht (präkanzeröse Läsion). Der Begriff der zweifelsfreien Neoplasie steht damit eindeutig regeneratorischen oder metaplastischen Veränderungen gegenüber. Bei Diagnose einer intraepithelialen Neoplasie legt sich der Pathologe fest, dass keine entzündlich-regenerativen oder hyperplastischen Veränderungen vorliegen, sondern hier bereits eine „echte“ Neoplasie – allerdings bisher noch nicht invasiv – vorliegt.
Die einzelnen neoplastischen Zellen des Adenoms zeigen ein unterschiedliches Maß an intraepithelialen Neoplasien. Die WHO schreibt eine zweistufige Graduierung der intraepithelialen Neoplasien vor: niedriggradige („low grade“) und hochgradige („high grade“) intraepitheliale Neoplasien. Am häufigsten weist das klassische Adenom niedriggradige intraepitheliale Neoplasien auf. Adenome mit hochgradigen intraepithelialen Neoplasien zeigen unregelmäßige Kryptenverzweigungen und stärkergradige zytologische Atypien mit vergrößerten, hyperchromatischen oder vesikulären Kernen mit prominenten Nukleoli. Mitosen sind selten.
Die Inzidenz einer hochgradigen intraepithelialen Neoplasie oder eines invasiven Karzinoms im Adenom korreliert mit der Größe der Adenome, zunehmender villöser Architektur (von den villösen/tubulovillösen Adenomen zeigen etwa 20 % eine HGIEN), dem Auftreten von multiplen Adenomen und dem Lebensalter des Patienten.

Pathogenese

Die von Morson formal pathologisch beschriebene und von Fearon et al. mit charakteristischen molekularen Aberrationen unterlegte Adenom-Karzinom-Sequenz galt seit den späten achtziger Jahren als der entscheidende Pfad der sporadischen Karzinogenese im Kolorektum (Morson 1962; Fearon und Vogelstein 1990). Die primäre Schlüsselmutation betrifft das APC-Gen. Sekundäre genetische Alterationen sind Mutationen von TP53 und KRAS sowie die Entwicklung einer chromosomalen Instabilität (CIN), der Mikrosatellitenstatus (MSS) ist jedoch stabil. Nach aktuellen Erkenntnissen entstehen ca. 60 % der sporadischen Karzinome über die Adenom-Karzinom-Sequenz. Die Vorläuferläsionen dieses Mehrschrittkonzepts sind die tubulären, tubulovillösen und villösen Adenome mit unterschiedlichem Grad einer intraepithelialen Neoplasie.
In den letzten Jahren wurde aufgrund molekulargenetischer Befunde evident, dass neben der Adenom-Karzinom-Sequenz weitere Pfade bestehen, zum einen der serratierte Karzinogeneseweg, als dessen Vorläuferläsion die relativ neue Entität des sessilen serratierten Adenoms (SSA) betrachtet wird, zum anderen ein Mischtyp, der molekulare Charakteristika der beiden anderen Karzinogenesewege vereint und dessen Vorläuferläsionen das traditionelle serratierte Adenom (TSA) oder villöse Adenome sein können. Die primäre Schlüsselmutation für die alternative serratierte Route liegt im BRAF-Gen mit Störung der Apoptose der Kryptenepithelien, gefolgt von einer Seneszenz mit epigenetischen Promotor(CpG)-Methylierungen und konsekutiven Genausfällen (z. B. hMLH1, MGMT, p16) und der Entwicklung einer meist hohen Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) (Tannapfel et al. 2010).
Klinisch ist diese Unterscheidung relevant, da auf dem Boden der alternativen serratierten Route entstandene serratierte Karzinome meist rechtsseitig/proximal lokalisiert sind und eine gute Prognose mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von >70 % zeigen, während der zweite Subtyp überwiegend linksseitig/distal auftritt und eine ungünstige Prognose mit einer 5-Jahres- Überlebensrate von <30 % aufweist.
Da der serratierte Weg der kolorektalen Karzinomentstehung möglicherweise schneller verläuft, sind Kenntnis und Diagnose der Vorläuferläsionen von entscheidender Bedeutung. Die neuen Entitäten (sessile serratierte Adenome und traditionelle serratierte Adenome) sind erst seit 2010 definiert. Sie gelten als Vorläufer der Karzinome, die nach dem serratierten Karzinogeneseweg entstehen. Hyperplastische Polypen gehören formal zu den nicht neoplastischen Läsionen, sind also „unschuldig“. Aufgrund der erst jetzt bekannten Daten und der relativ ähnlichen, aber nicht gleichen Morphologie von hyperplastischen Polypen und sessilen serratierten Adenomen ist aber zu vermuten, dass hier früher SSA als hyperplastiche Polypen fehlklassifiziert wurden. Bei Läsionen, die größer als 0,5 cm sind, liegt die „Unklassifizierungsrate“ bei etwa 30 %.

Sessiles serratiertes Adenom

Sessile serratierte Adenome (SSA) haben typischerweise eine Größe von >5 mm, liegen im rechtsseitigen Kolon und sind flach erhaben, ragen also nicht polypös in das Darmlumen vor. Endoskopisch sind die SSA relativ schwierig zu erkennen und grenzen sich durch eine aufgelagerte Schleimschicht von der Umgebung ab. Aufgrund der Morphologie und der Lokalisation könnten sie eine wesentlich Ursache der Intervallkarzinome darstellen.
Inzwischen ist unbestritten, dass das SSA eine Vorläuferläsion des serratierten Karzinogenesewegs darstellt. Die differenzialdiagnostische Abgrenzung zwischen hyperplastischen Polypen und SSA stützt sich auf ein typisches Gesamtbild mit charakteristischen SSA-Kriterien wie L- und T-förmigen Verzweigungen an der Kryptenbasis, einer Serratierung bis zur Kryptenbasis, dem Vorliegen dilatierter, basal oft eckiger Krypten und gelegentlichem Vorkommen von unter die Lamina muscularis mucosae reichenden „invertierten Krypten“ (Abb. 2).

Traditionelles serratiertes Adenom

Traditionelle serratierte Adenome (TSA) sind im Gegensatz zu den SSA polypoid in das Darmlumen vorspringende Läsionen. Sie verbinden die sägezahnartige Architektur hyperplastischer Polypen mit der intraepithelialen Neoplasie der klassischen Adenome. Sie machen etwa 1 % aller kolorektalen Adenome aus und sind überwiegend im linksseitigen Kolon und im Rektum lokalisiert. TSA zeichnen sich molekular durch eine hohe Frequenz von KRAS-Mutationen aus.
Unter dem Begriff gemischter Polyp wird eine heterogene Gruppe von Läsionen subsummiert, die sowohl Anteile von serratierten Adenomen, hyperplastischen Polypen als auch klassischen tubulären, tubulovillösen oder villösen Adenomen enthalten kann (Abb. 3).

Klassisches Adenom

Klassische tubuläre Adenome besitzen Drüsenformationen, die röhrenförmig (tubulär) imponieren. Diese Kanälchen sind voneinander durch Bindegewebe der Lamina propria getrennt. Das villöse Adenom zeigt fingerförmige Zotten, die an der äußeren Spitze des Adenoms abgehen. Um entweder von einem tubulären oder einem villösen Adenom sprechen zu können, müssen mindestens 75–80 % des Adenoms entweder ausschließlich tubulär oder villös aufgebaut sein. Das tubulovillöse Adenom zeigt ein gemischtes, aus tubulären und villösen Anteilen bestehendes Wachstumsmuster. Villöse Anteile müssen mehr als 20 % ausmachen.

Klinische Konsequenz: Therapie und Vorsorge

Nach der aktuellen S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) (Schmiegel et al. 2009) sollen Polypen unter der Angabe der Lokalisation mit der Zange (Durchmesser <5 mm; Vermeidung von Koagulationsartefakten, die die histologische Beurteilung beeinträchtigen) oder mit der Schlinge bzw. durch eine Mukosaresektion (Durchmesser >5 m) komplett entfernt und getrennt zur histologischen Untersuchung eingesandt werden.
Nach Abtragung flacher oder sessiler Adenome in Piecemeal-Technik ist insbesondere bei größeren Adenomen die Rezidivrate deutlich erhöht (9–28 %). Die Sondergruppe von Patienten mit Zustand nach Abtragung flacher oder sessiler Adenome in Piecemeal-Technik sollte wegen der erhöhten Lokalrezidivrate bzw. wegen der erhöhten Rate an metachronen Läsionen in kürzeren Abständen (2–6 Monate) eine Kontrollkoloskopie erhalten, dann nach drei und anschließend nach fünf Jahren, im Individualfall ggf. früher.
Im Falle größerer (≥1 cm) und insbesondere rechtsseitiger sessiler serratierter Adenome (früher als hyperplastische Polypen klassifiziert) scheint ein potenziell beschleunigtes Progressionsrisiko zum Karzinom (über den serratierten Karinogeneseweg) zu bestehen, sodass in diesen Fällen eine komplette Entfernung und ein kürzeres Kontrollintervall empfohlen wird (nach derzeitigem Wissenstand nach drei Jahren).
Auch nach Abtragung von TSA, die vorwiegend im linken Kolon auftreten, ist aufgrund eines erhöhten Progressionsrisikos eine dem SSA analoge Nachsorge indiziert.
Bei inkompletter Abtragung bzw. Abtragung in Piecemeal-Technik (Ränder histologisch nicht sicher beurteilbar) muss eine kurzfristige Kontrolle der Biopsiestelle erfolgen. Auch hier sollte ein Zeitintervall von zwei bis maximal sechs Monaten angestrebt werden.
Literatur
Fearon ER, Vogelstein B (1990) A genetic model for colorectal tumorigenesis. Cell 61:759–767CrossRefPubMed
Hamilton SR, Aaltonen LA. Hrsg. (2010) World Health Organization classification of tumours. Pathology and genetics of tumours of the digestive system. IARC Press, Lyon
Morson BC (1962) Precancerous lesions of the colon and rectum. Classification and controversial issues. JAMA 179:316–321CrossRefPubMed
Schmiegel W, Pox C, Arnold D et al (2009) Colorectal carcinoma: the management of polyps, (neo)adjuvant therapy, and the treatment of metastases. Dtsch Arztebl Int 106:843–848PubMedCentralPubMed
Tannapfel A, Neid M, Aust D, Baretton G (2010) The origins of colorectal carcinoma: specific nomenclature for different pathways and precursor lesions. Dtsch Arztebl Int 107:760–766PubMedCentralPubMed