Pathophysiologie
Der ungestörte Phosphatstoffwechsel ist die Grundlage für zahlreiche lebensnotwendige Stoffwechselprozesse wie den Energiestoffwechsel, die
Glykolyse, die Glukoneogenese, die zelluläre Signalübertragung und besonders auch für den Knochenstoffwechsel. 80 % des Körperphosphors befindet sich im Hartgewebe (Knochen und Zähne), während der Rest sich überwiegend als
Phosphat in der Zirkulation und intrazellulär in organischen Molekülen wie in allen
Enzymen und auch z. B. im Adenosintriphosphat befindet. Der physiologische Phosphatstoffwechsel beruht auf einem ausgeglichenen Verhältnis von diäthetischer Aufnahme und Absorption, Knochenbildung, renaler Ausscheidung und zudem dem Austausch mit intrazellulären Speichern (Takeda et al.
2012).
Die Ursache für die verminderten Serumphosphatspiegel bei normalen Parathormonspiegeln ist häufig eine gesteigerte renale Phosphatausscheidung („Phosphatdiabetes“) durch eine familiäre hypophosphatämische Rachtitis (HR) mit den Formen der X-chromosomal dominanten HR, autosomal dominanten oder autosomal rezessiven HR (Consortium ADHR
2000).
Andere Ursachen für den renalen Phosphatverlust können komplexe Störungen der renal tubulären Funktionen im Rahmen des primären (vererbten) oder durch toxische Einflüsse verursachten (z.B. Zytostatika, Aminoglykoside, Schwermetalle) sekundären
Fanconi-Syndroms (einhergehend mit Aminoacidurie, Glukosurie) sein.
Auch intestinale Phosphatverluste bei chronischer Diarrhoe, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Malassimilations- oder
Kurzdarmsyndromen, Sprue und Mangelernährung auch im Rahmen eines
Alkoholismus oder durch phosphatarme Nahrung bei Frühgeborenen können ebenfalls verminderte Serumphosphatspiegel mit dem Bild einer phosphopenischen
Osteomalazie verursachen.
Die phosphopenischen Formen der Rachitis können eingeteilt werden in FGF23-assoziierte Formen, bei denen eine Regulationsstörung des FGF23 die Ursache des renalen Phosphatverlustes ist, und in Formen, bei denen der Phosphatverlust nicht mit einer gestörten FGF23-Sekretion oder -Funktion gekoppelt ist.
Die häufigste Form der FGF23-assoziierten phosphopenischen Osteomalazieformen ist die X-chromosomal dominante Form, die durch eine Mutation des PHEX-Gens verursacht ist. Ebenso wird bei der
onkogenen Osteomalazie oder dem
McCune-Albright-Syndrom eine vermehrte Sekretion des Peptids FGF23 beobachtet (Liu et al.
2003; Riminucci et al.
2003).
Bei der
onkogenen Osteomalazie erfolgt die vermehrte FGF23-Sekretion durch einen meist eher kleinen gutartigen mesenchymalen Tumor (z. B. Fibrom, Lipom,
Hämangioperizytom, Meningeom) (Shimada et al.
2001; Lorenz-Depiereux et al.
2006), wobei auch maligne Neoplasien eine vermehrte FGF23-Sekretion verursachen können (Leaf et al.
2013).
FGF23 wird nicht nur von mesenchymalen Tumoren, sondern physiologisch auch von
Osteoblasten und Osteozyten bei erhöhten Phosphatserumspiegeln sezerniert und fungiert als Phosphotonin, stimuliert die renale Phosphaturie bzw. hemmt die intestinale Phosphataufnahme durch Hemmung der Expression des natriumabhängigen Phosphatcotransporterproteins im proximalen Tubulusepithel bzw. Darmepithel. FGF23 hemmt die renale 1alpha Hydroxylase mit der Folge einer verminderten 1,25-Calcitriolbildung (Liu et al.
2006) und die Parathormonbildung in den Epithelkörperchen.
FGF23 kann seine Wirkungen in den Zielorganen, z. B. Niere und Nebenschilddrüse, nur dann entfalten, wenn neben dem spezifischen FGF23-Rezeptor auch das Peptid Klotho
vorhanden ist (Kurosu et al.
2006), das den Komplex aus FGF23 und dem FGF23-Rezeptor an der Zellmembran stabilisiert.
FGF23 wird vermehrt gebildet durch hohe intestinale Phosphataufnahme, 1,25-Dihydroxycholecalciferol und
Parathormon (Quarles
2008).
Bei Patienten mit kompensierter oder terminaler
Niereninsuffizienz sind die erhöhten FGF23-Serumspiegel mit einer erhöhten kardovaskulären Mortalität assoziiert (Kalantar-Zadeh et al.
2006; Gutierrez et al.
2008).
Klinik
Der anorganische Anteil des Knochens besteht aus Kalzium und
Phosphat. Deshalb kann sowohl ein Kalzium- wie auch ein Phosphatmangel eine Störung der Mineralisation des wachsenden Skelettsystems mit den typischen skelettalen Deformierungen verursachen.
In Abhängigkeit vom Lebensalter bei Manifestation des Phosphatmangels, der Dauer und des Grades des Phosphatmangels sind die typischen radiologischen und klinischen Symptome der
Osteomalazie erkennbar. Bei Kindern verwaschene Epiphyenfugen, Glockenthorax, Kartenherzbecken, O-Beinigkeit mit Watschelgang durch muskuläre Schwäche, Entwicklungsverzögerung, verspäteter Zahndurchbruch sowie allgemeine Gedeihstörungen. Auffällig ist häufig auch ein relativ langer Oberkörper bei insgesamt bestehendem
Kleinwuchs und großem Schädel.
Bei Erwachsenen treten diskrete Verbiegungen der langen Röhrenknochen der unteren Extremitäten, Valgusstellung der unteren Extremitäten, Knochendichteveränderungen, schmerzhafte Looser-Zonen am Femur und Becken sowie eine Gangstörung („Watschelgang“) auf. Im Erwachsenenalter benötigen die skelettalen Verformungen in Folge der Mineralisationsstörung des Knochengewebes eine längere Zeit, bevor sie zum Auftreten der typischen Umbauherde im Sinne von Looser-Umbauzonen (z. B an den großen Röhrenknochen oder an Sitz- und Schambein des Beckens) führen, die erst spät zu Frakturen prädisponieren.
Die phosphopenische
Osteomalazie kann in jedem Lebensalter mit Knochenschmerzen,
Gelenkschmerzen,
Arthrose, Stressfrakturen und Knochenbrüchen einhergehen. Kennzeichnend für einen Phosphatmangel sind proximal betonte myopathische Beschwerden (Ravid und Robson
1976) und das vermehrte Auftreten endodontaler Veränderungen (Berndt et al.
1996; Beck-Nielsen et al.
2010).
Histologisch zeigt das Knochengewebe wie bei jeder
Osteomalazie vor allem stark verbreiterte Osteoidsäume mit zahlreichen
Osteoblasten und quantitativ reduziert verkalktes Knochengewebe.
Diagnostik
Neben den klinischen Beschwerden und Auffälligkeiten (s. o.) basiert die Diagnostik auf röntgenologischen und laborchemischen Charakteristika.
Bei allen osteomalazischen Knochenstoffwechselstörungen können im Kindesalter verwaschene Epiphysenfugen und später kallös überbaute Looser-Zonen beobachtet werden; im Erwachsenenalter zeichnen sich die trabekulären Strukturen aller Knochen nur verwaschen ab.
Charakteristisch sind folgende laborchemischen Merkmale: reduzierte renal tubuläre Reabsorption des
Phosphats und verminderte oder niedrig-normale Phosphatserumspiegel.
Die charakteristisch erhöhte knochenspezifische alkalische Phosphatase im
Serum (und somit erhöhte Gesamtserumphosphatase) bestätigt die Diagnose einer
Osteomalazie und dient auch gleichzeitig als Kontrollparameter für die Therapie der phosphopenischen Osteomalazie.
Wegweisend sind auch der Nachweis von Nierenfunktionsstörungen wie Glukosurie und Aminoacidurie, die dann auf ein
Fanconi-Syndrom deuten.
Bei dem Verdacht auf eine
onkogene Osteomalazie ist eine Tumorsuche anzustrengen, wobei es sich häufig um kleine mesenchymale Tumore handelt. Unter den bildgebenden Verfahren ist hier zunächst an szintigraphische Techniken wie die Octreotid-Szintigraphie, DOTATOC-PET-CT oder DOPA-PET-CT zu denken, bevor dann, eventuell noch ergänzt durch konventionelle bildgebende Verfahren (MRT, CT, ggf.
Sonographie), ggf. eine operative Entfernung des Tumors angestrebt werden kann.
Therapie
Die Behandlung des Phosphatdiabetes im Rahmen der familiären hypophosphatämischen Rachitis erfolgt oral mit Phosphatsalzen (Kinder ca. 40–80 mg/kg KG tgl.; Erwachsene 1–3 g tgl.) in Kombination mit Calcitriol (Kinder: 15–60 ng/kg KG tgl.; Erwachsene: 0,25–0,5 μg tgl.). Dabei wird das Phosphatsalz in 4–5 Dosen und das Calcitriol in 2 Dosen über den Tag verteilt gegeben, um möglichst ausgeglichene Phosphatspiegel zu erreichen und einen sekundären Hyperparathyreoidismus zu vermeiden.
Bei dem
Fanconi-Syndrom mit den typischen Nierenfunktionsschäden ist die Phosphatsalzsubstitution vorsichtiger zu dosieren, um eine
Nephrokalzinose nicht zu befördern. Bei jeder Form des Phosphatdiabetes mit Hyperkalziurie ist i.d.R. die alleinige Therapie mit
Phosphat ausreichend; eine Hyperkalziurie kann durch eine Hydrochlorothiazidbehandlung (Kinder: 1–2 mg/kg KG tgl.; Erwachsene: 25 mg/Tag) reduziert werden.
Neben der angestrebten Normalisierung der knochenspezifischen alkalischen Phosphataseserumspiegel werden 1- bis 2-mal jährlich der Parathormonspiegel
und die Nierenfunktion (Kalzium- und Phosphatausscheidung) sowie die Nierenmorphologie (sonographisch) kontrolliert, um eine
Nephrokalzinose nicht zu übersehen. Die Kalziumausscheidung in einem 24-h-Urin sollte nicht über 6 mg/kg KG und Tag liegen.
Auch die
onkogene Osteomalazie und der Phosphatmangel im Rahmen des
McCune-Albright-Syndroms wird mit Phosphatsalzen behandelt, wobei die angestrebte ursächliche Therapie bei der onkogenen Osteomalazie in der operativen Entfernung des Tumors liegt, der für die vermehrte FGF23-Sekretion verantwortlich ist. Möglicherweise können FGF23-Rezeptorinhibitoren in Zukunft die pharmakologische Kontrolle einer onkogenen Osteomalazie erleichtern (Wöhrle et al.
2013).
Bei einem alimentären Phosphatmangel z. B. durch Langzeitmuttermilchernährung sollte nur eine gesteigerte Phosphatzufuhr mit der Nahrung erfolgen.
In Einzelfällen sind auch orthopädisch-chirurgische Korrekturosteotomien erforderlich, um gleichmäßige Gelenkbeanspruchungen sicherzustellen und weitere Deformierungen von Skelettarealen zu vermeiden.
Verlauf und Prognose
Bei frühzeitiger Diagnose und Therapiebeginn sind die rachitischen Knochenveränderungen und auch der Minderwuchs vermeidbar. Die Kombinationsbehandlung i.d.R. mit Phosphatsalzen und Kalzitriol sollte bis zum Abschluss des Wachstums und der Skelettausreifung fortgesetzt werden, wodurch sich Beinfehlstellungen und das Längenwachstum normalisieren. Bei Kindern wird ein knochenspezifischer alkalische Phosphatasespiegel im
Serum im oberen Normbereich oder allenfalls leicht erhöht angestrebt.
Im Erwachsenenalter klingen unter der Kombinationsbehandlung die diffusen Knochenschmerzen mit der Normalisierung der knochenspezifischen alkalische Phosphatasespiegel ab, das Gangbild normalisiert sich und ggf. vorhandene Knochendeformierungen (Genua vara oder valga, Beckenskelett) sind nicht mehr progredient.