Definition
Die systemische Sklerose
(SSc) ist eine systemische Autoimmunerkrankung
mit Hyperreagibilität und Obliteration der Gefäße sowie
Fibrose unterschiedlichen Ausmaßes. Die Veränderungen beginnen an den Akren, die Raynaud-Symptomatik, ein Zeichen der Hyperreagibilität der Gefäße, ist häufig das erste Symptom der Erkrankung, die progressiv ist und nahezu alle Organe erfassen kann. Bei nahezu allen Patienten treten spezifische antinukleäre
Antikörper (ANA) auf, deren Differenzierung mit klinischen Manifestationen der Erkrankung einhergeht. Während die früheren Klassifikationskriterien die Fibrose
stark in den Vordergrund stellten und ein Großteil der Patienten die Kriterien nicht erfüllte, umfassen die neueren EULAR/ACR-Kriterien das Erkrankungsbild besser (Tab.
1).
Tab. 1
Die neuen ACR/EULAR-Klassifikationskriterien der systemischen Sklerose. Patienten mit einer Punktsumme von 9 und darüber erfüllen die Klassifikationskriterien
Hautverdickung Finger | „Puffy fingers“ Ganze Finger | 2 4 |
Läsionen der Fingerspitze | Digitale Ulzera „Pitting skars“ | 2 3 |
Teleangiektasien | | 2 |
Pathologische Kapillarmikroskopie | | 2 |
| | 2 |
| | 3 |
SSc-Antikörper (Centromer, Scl70, Polymerase III) | | 3 |
Pathophysiologie
Die Pathogenese der Erkrankung ist in großen Teilen noch unverstanden. Genetische Aspekte stellen sicher eine konstitutionelle Komponente dar. Auch Umweltfaktoren wie Mineralöle oder Steinstäube können prädisponierende Faktoren sein. Jüngere Daten weisen auch auf eine Beteiligung chronischer Infektionen hin wie mit
Helicobacter pylori, wofür Assoziationen zwischen einer Infektion und der klinischen Symptomatik sprechen. Eines der ersten Veränderungen ist die Hyperreagibilität der Gefäße, die sich klinisch in der Raynaud-Symptomatik zeigt. Kürzlich wurden agonistische
Antikörper gegen die Gefäßrezeptoren von Angiotensin und Endothelin bei der systemischen Sklerose identifiziert, die die Hyperreagibilität der Gefäße erklären könnten. Da sich diese Rezeptoren auch auf Fibroblasten, glatten Muskelzellen und sogar auf Immunzellen finden, könnten diese Antikörper verschiedene Aspekte der Erkrankung erklären, was jedoch noch nachgewiesen werden muss. Letztlich finden sich Veränderungen in den Fibroblasten und eine erhöhte Kollagensynthese.
Epidemiologie
Die systemische Sklerose gehört zu den seltenen Erkrankungen. Nach den alten diagnostischen Kriterien wurde eine Häufigkeit zwischen 5 und 200 pro eine Millionen Einwohner angegeben, große epidemiologische Daten nach den neueren ACR/EULAR-Kriterien liegen noch nicht vor. Eine erste Untersuchung zeigte eine
Prävalenz von 300–400 pro eine Millionen Einwohner. Die Inzidenz wird zwischen 5–20 pro eine Millionen Einwohner angegeben. Der Erkrankungsgipfel liegt etwa zwischen dem 35. und 55. Lebensjahr, wobei auch Kinder oder ältere Patienten erstmals erkranken können.
Klinik
Leitsymptom der systemischen Sklerose ist die Vaskulopathie
, die sich als erstes Symptom in einer Raynaud-Symptomatik
widerspiegelt, häufig vor Beginn der Erkrankung. In der Hälfte der Fälle treten im Verlauf der Erkrankung Fingergeschwüre oder auch Hyperkeratosen an den Fingerspitzen auf. Eine pulmonale
arterielle Hypertonie lässt sich bei einer Minderheit nachweisen, kann aber zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung auftreten. Die gastrointestinale Beteiligung ist ebenfalls häufig. Nach dem Hautbefall unterscheidet man vielfach eine limitierte von einer diffusen Form der systemischen Sklerose, wobei die Abgrenzung durch die Verteilung der Hautfibrose oberhalb oder unterhalb der Ellenbogen oder Kniegelenke erfolgt. Der Grad und das Ausmaß der Hautbeteiligung sind jedoch nur bei einem Teil der Patienten wirklich kennzeichnend und die
Antikörper spiegeln die Prognose und das Risiko der Erkrankung besser wider. Viele Patienten mit diffuser systemischer Sklerose weisen zwar das typische Antikörperprofil und die Organbeteiligung auf, die Hautbeteiligung ist jedoch limitiert auf die Akren, sodass die Einteilung nach der kutanen Ausprägung kritisch zu werten ist. Schwere
Fibrosen, auch an der Lunge, sind häufig mit einer diffusen kutanen systemischen Sklerose assoziiert. Die vaskulären Komplikationen können bei beiden Formen auftreten, die renale Krise ist jedoch häufiger bei der diffusen systemischen Sklerose und kommt hier zu Beginn der Erkrankung vor. Die wesentlichen Symptome und ihre Häufigkeiten sind in Tab.
2 genannt.
Tab. 2
Organmanifestationen bei systemischer Sklerose und ihre Häufigkeit
| Mindestens zweifarbig | 90 |
ANA | | 90–95 |
Gastrointestinale Beteiligung | Reflux, Sodbrennen, Schluckstörungen, Übelkeit und Erbrechen, Wassermelonenmagen, Verstopfung, Durchfall | 80 |
Fingerfibrose | | 60–70 |
Digitale Ulzera | Pits, Hyperkeratosen, Nekrosen, Gangräne | 40–50 |
Kontrakturen | Vor allem der Finger | 50–60 |
Arthritis | | 30 |
Luftnot | Unterschiedlich NYHA I–IV | 60–70 |
| | 10–15 |
Lungenfibrose | Unterschiedliche Ausprägung | 60–80 |
Renale Krise | Mit und ohne thrombotische Mikroangiopathie und Hypertonus | 2–5 |
Herzbeteiligung | EKG-Veränderungen, Kardiomyopathie, diastolische Dysfunktion, Reduktion der Ejektionsfraktion | 50 |
Nierenbeteiligung | Proteinurie, selten ANCA-assoziierte Glomerulonephritis | Ca. 15–20 |
| Unterschiedliche Ausprägung | Ca. 20 |
Muskelbeteiligung | Myositis, Myalgien | Ca. 20 |
Mangelernährung | Veränderung der Körperzusammensetzung, Gewichtsabnahme | 30–50 |
Depression | Unterschiedliche Grade, meist sekundär | 20–40 |
| | Ca. 30–50 |
Neurologische Beteiligung | | 10 |
Fatique | | 80 |
Diagnostik
Die meisten Patienten führt eine mit Komplikationen einhergehende Raynaud-Symptomatik zum Arzt. Dieser wird dann weitere Symptome der systemischen Sklerose erfragen.
Bei der körperlichen Untersuchung wird die Hautsklerose mittels modifiziertem Rodnan-Hautscore quantifiziert, außerdem wird nach strukturellen Veränderungen (z. B. Kontrakturen, Mundverkleinerung, verkürztes verdicktes Zungenbändchen, Nekrosen, Arthritis, Sklerophonie, Teleangiektasien,
Kalzinosen, Bursitis) gefahndet. Überlappungssyndrome zu anderen
Kollagenosen (z. B.
primär biliäre Zirrhose,
Sjögren-Syndrom, Mischkollagenose) sollen erkannt werden.
Die nächsten Schritte sind die Bestimmung der
Autoantikörper, vor allem der antinukleären
Antikörper, ihre Differenzierung und die Kapillarmikroskopie. Beide Verfahren, aber insbesondere die Autoantikörperdiagnostik, haben einen hohen prädiktiven Stellenwert für die systemische Sklerose. Die Blut- und Urinuntersuchungen können eine Hypergammmaglobulinämie,
Rheumafaktoren, eine Lymphopenie, eine Komplementerniedrigung, eine
Anämie, die Erhöhung der Entzündungsparameter, einen Vitamin-D-Mangel, eine Herzbelastung (erhöhtes NT-proBNP) und eine Proteinurie nachweisen.
Bei klinischem Verdacht auf eine systemische Sklerose wird sich eine Lungenfunktion und
Echokardiographie anschließen, ggf. kann auch eine organspezifische Diagnostik je nach Beschwerden (z. B. Ösophagusmanometrie,
Gastroskopie, hochauflösende Computertomographie bei diffuser systemischer Sklerose, Röntgen-Thorax ggf. bei limitierter systemischer Sklerose z. B. bei Anti-Centromer-Antikörpern, Oberbauchsonographie,
Spiroergometrie,
6-Minuten-Gehtest) erfolgen.
Die Klassifikation der Erkrankung erfolgt nach den oben beschriebenen Kriterien. Man kann dann in Abhängigkeit von den Befunden die Erkrankung entweder nach dem Autoantikörperprofil oder nach der Verteilung der Hautfibrose
einteilen, wobei die Einteilung nach den
Autoantikörpern aussagekräftiger ist.
Vor Einleitung einer immunsuppressiven Therapie empfiehlt sich die Überprüfung des Impfstatus und auch der Hepatitisserologie.
Differentialdiagnostik
Die systemische Sklerose sollte von anderen fibrotischen Syndromen abgegrenzt werden, zu denen beispielsweise das Skleromyxödem, das Sklerödem Buschke, die
eosinophile Fasziitis, die
Graft-versus-Host-Erkrankung, die Morphea, die lineare oder
zirkumskripte Sklerodermie oder sehr seltene Syndrome gehören. Die Raynaud-Symptomatik oder Zeichen einer Vaskulopathie treten bei diesen Patienten in der Regel nicht auf. Patienten mit Mischkollagenose
(MCTD) oder viele Überlappungssyndrome zu den anderen
Kollagenosen werden häufiger die neuen Kriterien erfüllen und können somit der systemischen Sklerose zugeordnet werden, was auch die erhöhte
Prävalenz mit erklärt. Patienten mit MCTD zeigen aber mitunter eine stärkere inflammatorische Komponente und auch ein besseres Ansprechen auf
Immunsuppressiva.
Therapie
Die Therapie ist individuell verschieden und richtet sich nach der Organbeteiligung, nach der Schwere und Aktivität der Erkrankung und nach der Prognose.
Physikalische Therapien
Es gibt eine wachsende Evidenz für physikalische Therapiemaßnahmen bei der systemischen Sklerose, wobei multimodale Therapie mit Behandlung des Sklerödems, Krankengymnastik und manuelle Therapien die höchsten Evidenzen haben. Wärmeanwendungen wie heiße Rolle, Atemtherapie, Unterwassermassagen können die
Lebensqualität und Funktion verbessern. Ausdauerbelastungen und Bewegung sind generell sehr wichtige Elemente für die Funktion, Lebensqualität und auch Prognose. Eine Ergotherapie sollte jedem Patienten angeboten werden, insbesondere bei Kontrakturen oder Störungen der Feinmotorik. Wichtiger ist aber die Selbstbehandlung durch den Patienten. Beispielsweise kann die tägliche Extension der Finger über jeweils mehrere Sekunden die Handfunktion verbessern.
Medikamentöse Therapien und Besonderheiten
Bezüglich der medikamentösen Therapie gibt es nur sehr wenige plazebokontrollierte Studien und auch nur wenige Therapien, die für die Erkrankung explizit zugelassen sind. Nicht alle Patienten benötigen
Immunsuppressiva. Darunter kann man Azathioprin zählen, auch
Ciclosporin A oder Cyclophosphamid, die bei schweren Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden können. Auch Ananasextrakte, deren Wirksamkeit definitiv nicht bewiesen ist, sind explizit zugelassen. Was zugelassen wurde, richtete sich eher nach der Zeit der Zulassung und nach dem, was die Firmen vorgeschlagen hatten, als nach der Evidenz. Viele Medikamente, die in Deutschland problematisch sind (Mycophenolat-Mofetil, Sildenafil), werden in anderen Ländern standardmäßig eingesetzt. Für Azathioprin und Ciclosporin-A liegen beispielsweise weit weniger Daten vor als für Mycophenolat-Mofetil und ihre Abkömmlinge. Die Tab.
3 gibt einen Überblick über die therapeutischen Maßnahmen.
Tab. 3
Medikamentöse Therapien zur Behandlung der systemischen Sklerose. Die mit Sternchen gekennzeichneten Medikamente, für die es Hinweise auf die Wirksamkeit gibt, sind „off label“
| Leicht | Kalziumantogonisten, ggf. Pentoxiphyllin, ATRB |
Schwer | Iloprostinfusionen, Sildenafil* |
Hautfibrose | Leicht bis mittel | MTX, Ciclosporin A |
Schwer | Cyclophosphamid, MMF, ASCT |
Arthritis | Leicht | Ggf. Quensyl, MTX |
Mittel | MTX, Ciclosporin A, Arava* |
Schwer | Kombinationen von Immunsuppressiva, Rituximab*, Tozilizumab* |
Myositis | Leicht bis mittelschwer | MTX, Ciclosporin A, Arava*, Azathioprin |
| Schwer | Cyclophosphamid, Rituximab*, ASCT |
Renale Krise | | ACE-Hemmer, ATRB, Prostazykline, Endothelin-1-Rezeptorblocker*, Blutdruckmedikamente wie Alphablocker, Kalziumantagonisten, ggf. Plasmaaustausch insbesondere bei thrombotischer Mikroangiopathie |
Proteinurie | | ACE-Hemmer, ATRB |
Digitale Ulzera | | Iloprost, Bosentan, ggf. Kombination, Sildenafil*, Atorvastatin* |
Interstitielle Lungenerkrankung | Leicht | Azathioprin |
Mittel bis schwer | Cyclophosphamid, Ciclosporin A, MMF*, MMF plus Ciclosporin A*, Rituximab*, ASCT |
PAH | | Endothelinrezeptorblocker, PDE-V-Hemmer, Prostazyklinie |
Gastrointestinale Beteiligung | | Prokinetika, H2-Blocker, Protonenpumpenhemmer, zyklische Antibiotikagaben bei Malabsorption bzw. bakterieller Überwucherung |
Herzbeteiligung | | Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer, Angiotensinblocker, Diuretika, ggf. Spironolakton, Azathioprin, MTX, Cyclophosphamid, MMF* |
Prednisolon sollte in Dosen über 10 mg gemieden werden, vor allem bei Patienten mit diffuser Hautbeteiligung, Kontrakturen und insgesamt progressivem Verlauf. Diese Erkenntnis hat zum deutlichen Rückgang von renalen Krisen geführt. Es gibt auch keine Indikation von hohen Prednisolon-Dosen für die interstitielle Lungenerkrankung.
Verlauf und Prognose
Die Diagnose einer systemischen Sklerose ist prognoseentscheidend, und sie verkürzt die Lebenserwartung deutlich, in einer Studie aus Hongkong bei Frauen um 34 Jahre, bei Männer um 16 Jahre. Die Ärzte unterschätzen die Schwere der Erkrankung häufig und auch die Morbidität der Patienten. Die Organbeteiligung ist prognostisch entscheidend, die
Fibrose der Haut kann sich im Verlauf bessern, während die Vaskulopathie, die Lungenfibrose und auch die Einschränkungen im muskuloskelettalen System progressiv sind. Prädiktoren für den Tod sind eine Proteinurie, ein hoher Hautscore, eine signifikante Lungenfibrose, eine pulmonale
arterielle Hypertonie, die renale Krise, hohe
Antikörpertiter gegen Angiotensin- und Endothelinrezeptoren und auch die Mangelernährung. Die Arbeitsfähigkeit ist insbesondere bei der diffusen systemischen Sklerose oft nicht mehr vorhanden, ca. 50 % sind fünf Jahre nach Diagnosestellung berentet.
Die systemische Sklerose weist als Autoimmunerkrankung eine hohe Zahl von Komorbiditäten auf, auf die geachtet werden sollte. Im Einzelnen sind dies:
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Ein leicht höheres Risiko für Schwangerschaftsgestosen und für intrauterine Wachstumsretardierungen der Kinder, Schwangerschaften werden aber durch den hohen Östrogengehalt, der sich positiv auf die Gefäße auswirkt, oft gut toleriert
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Ein etwa doppelt erhöhtes Krebsrisiko, bis zu vierfach erhöht für
Lungenkarzinome
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Ein hoher Leidensdruck durch Depression (20–30 %) und Energielosigkeit
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Eine gehäufte Mangelernährung in 50 % der Fälle, wobei
Adipositas diese nicht ausschließt, oft geringe Energie- und Eiweißaufnahme.
Besonderheiten
Die systemische Sklerose ist selten und schwer. Mittlerweile haben sich Netzwerke gebildet, um die Erkrankung besser zu erforschen. Jeder Patient wird in Registern erfasst (siehe Internetseiten). Therapiestudien werden inzwischen häufiger durchgeführt, um neue Optionen zu erschließen. Es ist sinnvoll, die Patienten an Zentren anzubinden, häufig genügen eine einmal jährliche Vorstellung und eine Abstimmung für die Therapieentscheidung. Selbsthilfegruppen können wertvolle Tipps geben und unterstützend tätig sein.