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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 15.07.2015

Systemische Sklerodermie

Verfasst von: Gabriela Riemekasten
Die systemische Sklerose (SSc) ist eine systemische Autoimmunerkrankung mit Hyperreagibilität und Obliteration der Gefäße sowie Fibrose unterschiedlichen Ausmaßes. Leitsymptom der systemischen Sklerose ist die Vaskulopathie, die sich als erstes Symptom in einer Raynaud-Symptomatik widerspiegelt. Die Therapie ist individuell verschieden und richtet sich nach der Organbeteiligung, nach der Schwere und Aktivität der Erkrankung und nach der Prognose. Die Diagnose einer systemischen Sklerose ist prognoseentscheidend, und sie verkürzt die Lebenserwartung deutlich.

Definition

Die systemische Sklerose (SSc) ist eine systemische Autoimmunerkrankung mit Hyperreagibilität und Obliteration der Gefäße sowie Fibrose unterschiedlichen Ausmaßes. Die Veränderungen beginnen an den Akren, die Raynaud-Symptomatik, ein Zeichen der Hyperreagibilität der Gefäße, ist häufig das erste Symptom der Erkrankung, die progressiv ist und nahezu alle Organe erfassen kann. Bei nahezu allen Patienten treten spezifische antinukleäre Antikörper (ANA) auf, deren Differenzierung mit klinischen Manifestationen der Erkrankung einhergeht. Während die früheren Klassifikationskriterien die Fibrose stark in den Vordergrund stellten und ein Großteil der Patienten die Kriterien nicht erfüllte, umfassen die neueren EULAR/ACR-Kriterien das Erkrankungsbild besser (Tab. 1).
Tab. 1
Die neuen ACR/EULAR-Klassifikationskriterien der systemischen Sklerose. Patienten mit einer Punktsumme von 9 und darüber erfüllen die Klassifikationskriterien
Kriterien
Subkriterien
Wichtung
Hautverdickung Finger
„Puffy fingers“
Ganze Finger
2
4
Läsionen der Fingerspitze
Digitale Ulzera
„Pitting skars“
2
3
Teleangiektasien
 
2
Pathologische Kapillarmikroskopie
 
2
Pulmonale arterielle Hypertonie und/oder interstitielle Lungenerkrankung
 
2
 
3
SSc-Antikörper (Centromer, Scl70, Polymerase III)
 
3

Pathophysiologie

Die Pathogenese der Erkrankung ist in großen Teilen noch unverstanden. Genetische Aspekte stellen sicher eine konstitutionelle Komponente dar. Auch Umweltfaktoren wie Mineralöle oder Steinstäube können prädisponierende Faktoren sein. Jüngere Daten weisen auch auf eine Beteiligung chronischer Infektionen hin wie mit Helicobacter pylori, wofür Assoziationen zwischen einer Infektion und der klinischen Symptomatik sprechen. Eines der ersten Veränderungen ist die Hyperreagibilität der Gefäße, die sich klinisch in der Raynaud-Symptomatik zeigt. Kürzlich wurden agonistische Antikörper gegen die Gefäßrezeptoren von Angiotensin und Endothelin bei der systemischen Sklerose identifiziert, die die Hyperreagibilität der Gefäße erklären könnten. Da sich diese Rezeptoren auch auf Fibroblasten, glatten Muskelzellen und sogar auf Immunzellen finden, könnten diese Antikörper verschiedene Aspekte der Erkrankung erklären, was jedoch noch nachgewiesen werden muss. Letztlich finden sich Veränderungen in den Fibroblasten und eine erhöhte Kollagensynthese.

Epidemiologie

Die systemische Sklerose gehört zu den seltenen Erkrankungen. Nach den alten diagnostischen Kriterien wurde eine Häufigkeit zwischen 5 und 200 pro eine Millionen Einwohner angegeben, große epidemiologische Daten nach den neueren ACR/EULAR-Kriterien liegen noch nicht vor. Eine erste Untersuchung zeigte eine Prävalenz von 300–400 pro eine Millionen Einwohner. Die Inzidenz wird zwischen 5–20 pro eine Millionen Einwohner angegeben. Der Erkrankungsgipfel liegt etwa zwischen dem 35. und 55. Lebensjahr, wobei auch Kinder oder ältere Patienten erstmals erkranken können.

Klinik

Leitsymptom der systemischen Sklerose ist die Vaskulopathie, die sich als erstes Symptom in einer Raynaud-Symptomatik widerspiegelt, häufig vor Beginn der Erkrankung. In der Hälfte der Fälle treten im Verlauf der Erkrankung Fingergeschwüre oder auch Hyperkeratosen an den Fingerspitzen auf. Eine pulmonale arterielle Hypertonie lässt sich bei einer Minderheit nachweisen, kann aber zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung auftreten. Die gastrointestinale Beteiligung ist ebenfalls häufig. Nach dem Hautbefall unterscheidet man vielfach eine limitierte von einer diffusen Form der systemischen Sklerose, wobei die Abgrenzung durch die Verteilung der Hautfibrose oberhalb oder unterhalb der Ellenbogen oder Kniegelenke erfolgt. Der Grad und das Ausmaß der Hautbeteiligung sind jedoch nur bei einem Teil der Patienten wirklich kennzeichnend und die Antikörper spiegeln die Prognose und das Risiko der Erkrankung besser wider. Viele Patienten mit diffuser systemischer Sklerose weisen zwar das typische Antikörperprofil und die Organbeteiligung auf, die Hautbeteiligung ist jedoch limitiert auf die Akren, sodass die Einteilung nach der kutanen Ausprägung kritisch zu werten ist. Schwere Fibrosen, auch an der Lunge, sind häufig mit einer diffusen kutanen systemischen Sklerose assoziiert. Die vaskulären Komplikationen können bei beiden Formen auftreten, die renale Krise ist jedoch häufiger bei der diffusen systemischen Sklerose und kommt hier zu Beginn der Erkrankung vor. Die wesentlichen Symptome und ihre Häufigkeiten sind in Tab. 2 genannt.
Tab. 2
Organmanifestationen bei systemischer Sklerose und ihre Häufigkeit
Organbeteiligung
Klinik
Häufigkeit (%)
Mindestens zweifarbig
90
ANA
 
90–95
Gastrointestinale Beteiligung
Reflux, Sodbrennen, Schluckstörungen, Übelkeit und Erbrechen, Wassermelonenmagen, Verstopfung, Durchfall
80
Fingerfibrose
 
60–70
Digitale Ulzera
Pits, Hyperkeratosen, Nekrosen, Gangräne
40–50
Kontrakturen
Vor allem der Finger
50–60
Arthritis
 
30
Luftnot
Unterschiedlich NYHA I–IV
60–70
Pulmonale arterielle Hypertonie
 
10–15
Lungenfibrose
Unterschiedliche Ausprägung
60–80
Renale Krise
Mit und ohne thrombotische Mikroangiopathie und Hypertonus
2–5
Herzbeteiligung
EKG-Veränderungen, Kardiomyopathie, diastolische Dysfunktion, Reduktion der Ejektionsfraktion
50
Nierenbeteiligung
Proteinurie, selten ANCA-assoziierte Glomerulonephritis
Ca. 15–20
Unterschiedliche Ausprägung
Ca. 20
Muskelbeteiligung
Myositis, Myalgien
Ca. 20
Mangelernährung
Veränderung der Körperzusammensetzung, Gewichtsabnahme
30–50
Depression
Unterschiedliche Grade, meist sekundär
20–40
 
Ca. 30–50
Neurologische Beteiligung
10
Fatique
 
80

Diagnostik

Die meisten Patienten führt eine mit Komplikationen einhergehende Raynaud-Symptomatik zum Arzt. Dieser wird dann weitere Symptome der systemischen Sklerose erfragen.
Bei der körperlichen Untersuchung wird die Hautsklerose mittels modifiziertem Rodnan-Hautscore quantifiziert, außerdem wird nach strukturellen Veränderungen (z. B. Kontrakturen, Mundverkleinerung, verkürztes verdicktes Zungenbändchen, Nekrosen, Arthritis, Sklerophonie, Teleangiektasien, Kalzinosen, Bursitis) gefahndet. Überlappungssyndrome zu anderen Kollagenosen (z. B. primär biliäre Zirrhose, Sjögren-Syndrom, Mischkollagenose) sollen erkannt werden.
Die nächsten Schritte sind die Bestimmung der Autoantikörper, vor allem der antinukleären Antikörper, ihre Differenzierung und die Kapillarmikroskopie. Beide Verfahren, aber insbesondere die Autoantikörperdiagnostik, haben einen hohen prädiktiven Stellenwert für die systemische Sklerose. Die Blut- und Urinuntersuchungen können eine Hypergammmaglobulinämie, Rheumafaktoren, eine Lymphopenie, eine Komplementerniedrigung, eine Anämie, die Erhöhung der Entzündungsparameter, einen Vitamin-D-Mangel, eine Herzbelastung (erhöhtes NT-proBNP) und eine Proteinurie nachweisen.
Bei klinischem Verdacht auf eine systemische Sklerose wird sich eine Lungenfunktion und Echokardiographie anschließen, ggf. kann auch eine organspezifische Diagnostik je nach Beschwerden (z. B. Ösophagusmanometrie, Gastroskopie, hochauflösende Computertomographie bei diffuser systemischer Sklerose, Röntgen-Thorax ggf. bei limitierter systemischer Sklerose z. B. bei Anti-Centromer-Antikörpern, Oberbauchsonographie, Spiroergometrie, 6-Minuten-Gehtest) erfolgen.
Die Klassifikation der Erkrankung erfolgt nach den oben beschriebenen Kriterien. Man kann dann in Abhängigkeit von den Befunden die Erkrankung entweder nach dem Autoantikörperprofil oder nach der Verteilung der Hautfibrose einteilen, wobei die Einteilung nach den Autoantikörpern aussagekräftiger ist.
Vor Einleitung einer immunsuppressiven Therapie empfiehlt sich die Überprüfung des Impfstatus und auch der Hepatitisserologie.

Differentialdiagnostik

Die systemische Sklerose sollte von anderen fibrotischen Syndromen abgegrenzt werden, zu denen beispielsweise das Skleromyxödem, das Sklerödem Buschke, die eosinophile Fasziitis, die Graft-versus-Host-Erkrankung, die Morphea, die lineare oder zirkumskripte Sklerodermie oder sehr seltene Syndrome gehören. Die Raynaud-Symptomatik oder Zeichen einer Vaskulopathie treten bei diesen Patienten in der Regel nicht auf. Patienten mit Mischkollagenose (MCTD) oder viele Überlappungssyndrome zu den anderen Kollagenosen werden häufiger die neuen Kriterien erfüllen und können somit der systemischen Sklerose zugeordnet werden, was auch die erhöhte Prävalenz mit erklärt. Patienten mit MCTD zeigen aber mitunter eine stärkere inflammatorische Komponente und auch ein besseres Ansprechen auf Immunsuppressiva.

Therapie

Die Therapie ist individuell verschieden und richtet sich nach der Organbeteiligung, nach der Schwere und Aktivität der Erkrankung und nach der Prognose.

Physikalische Therapien

Es gibt eine wachsende Evidenz für physikalische Therapiemaßnahmen bei der systemischen Sklerose, wobei multimodale Therapie mit Behandlung des Sklerödems, Krankengymnastik und manuelle Therapien die höchsten Evidenzen haben. Wärmeanwendungen wie heiße Rolle, Atemtherapie, Unterwassermassagen können die Lebensqualität und Funktion verbessern. Ausdauerbelastungen und Bewegung sind generell sehr wichtige Elemente für die Funktion, Lebensqualität und auch Prognose. Eine Ergotherapie sollte jedem Patienten angeboten werden, insbesondere bei Kontrakturen oder Störungen der Feinmotorik. Wichtiger ist aber die Selbstbehandlung durch den Patienten. Beispielsweise kann die tägliche Extension der Finger über jeweils mehrere Sekunden die Handfunktion verbessern.

Medikamentöse Therapien und Besonderheiten

Bezüglich der medikamentösen Therapie gibt es nur sehr wenige plazebokontrollierte Studien und auch nur wenige Therapien, die für die Erkrankung explizit zugelassen sind. Nicht alle Patienten benötigen Immunsuppressiva. Darunter kann man Azathioprin zählen, auch Ciclosporin A oder Cyclophosphamid, die bei schweren Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden können. Auch Ananasextrakte, deren Wirksamkeit definitiv nicht bewiesen ist, sind explizit zugelassen. Was zugelassen wurde, richtete sich eher nach der Zeit der Zulassung und nach dem, was die Firmen vorgeschlagen hatten, als nach der Evidenz. Viele Medikamente, die in Deutschland problematisch sind (Mycophenolat-Mofetil, Sildenafil), werden in anderen Ländern standardmäßig eingesetzt. Für Azathioprin und Ciclosporin-A liegen beispielsweise weit weniger Daten vor als für Mycophenolat-Mofetil und ihre Abkömmlinge. Die Tab. 3 gibt einen Überblick über die therapeutischen Maßnahmen.
Tab. 3
Medikamentöse Therapien zur Behandlung der systemischen Sklerose. Die mit Sternchen gekennzeichneten Medikamente, für die es Hinweise auf die Wirksamkeit gibt, sind „off label“
Manifestation
Schweregrad/Symptom
Therapie
Leicht
Kalziumantogonisten, ggf. Pentoxiphyllin, ATRB
Schwer
Iloprostinfusionen, Sildenafil*
Hautfibrose
Leicht bis mittel
MTX, Ciclosporin A
Schwer
Cyclophosphamid, MMF, ASCT
Arthritis
Leicht
Ggf. Quensyl, MTX
Mittel
MTX, Ciclosporin A, Arava*
Schwer
Kombinationen von Immunsuppressiva, Rituximab*, Tozilizumab*
Myositis
Leicht bis mittelschwer
MTX, Ciclosporin A, Arava*, Azathioprin
 
Schwer
Cyclophosphamid, Rituximab*, ASCT
Renale Krise
 
ACE-Hemmer, ATRB, Prostazykline, Endothelin-1-Rezeptorblocker*, Blutdruckmedikamente wie Alphablocker, Kalziumantagonisten, ggf. Plasmaaustausch insbesondere bei thrombotischer Mikroangiopathie
Proteinurie
 
ACE-Hemmer, ATRB
Digitale Ulzera
 
Iloprost, Bosentan, ggf. Kombination, Sildenafil*, Atorvastatin*
Interstitielle Lungenerkrankung
Leicht
Azathioprin
Mittel bis schwer
Cyclophosphamid, Ciclosporin A, MMF*, MMF plus Ciclosporin A*, Rituximab*, ASCT
PAH
 
Endothelinrezeptorblocker, PDE-V-Hemmer, Prostazyklinie
Gastrointestinale Beteiligung
 
Prokinetika, H2-Blocker, Protonenpumpenhemmer, zyklische Antibiotikagaben bei Malabsorption bzw. bakterieller Überwucherung
Herzbeteiligung
 
Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer, Angiotensinblocker, Diuretika, ggf. Spironolakton, Azathioprin, MTX, Cyclophosphamid, MMF*
ASCT autologe Stammzelltransplantation, ATRB Angiotensinrezeptorblocker, MMF Mycophenolat-Mofetil, MTX Methotrexat
Prednisolon sollte in Dosen über 10 mg gemieden werden, vor allem bei Patienten mit diffuser Hautbeteiligung, Kontrakturen und insgesamt progressivem Verlauf. Diese Erkenntnis hat zum deutlichen Rückgang von renalen Krisen geführt. Es gibt auch keine Indikation von hohen Prednisolon-Dosen für die interstitielle Lungenerkrankung.

Verlauf und Prognose

Die Diagnose einer systemischen Sklerose ist prognoseentscheidend, und sie verkürzt die Lebenserwartung deutlich, in einer Studie aus Hongkong bei Frauen um 34 Jahre, bei Männer um 16 Jahre. Die Ärzte unterschätzen die Schwere der Erkrankung häufig und auch die Morbidität der Patienten. Die Organbeteiligung ist prognostisch entscheidend, die Fibrose der Haut kann sich im Verlauf bessern, während die Vaskulopathie, die Lungenfibrose und auch die Einschränkungen im muskuloskelettalen System progressiv sind. Prädiktoren für den Tod sind eine Proteinurie, ein hoher Hautscore, eine signifikante Lungenfibrose, eine pulmonale arterielle Hypertonie, die renale Krise, hohe Antikörpertiter gegen Angiotensin- und Endothelinrezeptoren und auch die Mangelernährung. Die Arbeitsfähigkeit ist insbesondere bei der diffusen systemischen Sklerose oft nicht mehr vorhanden, ca. 50 % sind fünf Jahre nach Diagnosestellung berentet.
Die systemische Sklerose weist als Autoimmunerkrankung eine hohe Zahl von Komorbiditäten auf, auf die geachtet werden sollte. Im Einzelnen sind dies:
  • Ein bis zu zehnfach erhöhtes Risiko einer Arteriosklerose
  • Ein leicht höheres Risiko für Schwangerschaftsgestosen und für intrauterine Wachstumsretardierungen der Kinder, Schwangerschaften werden aber durch den hohen Östrogengehalt, der sich positiv auf die Gefäße auswirkt, oft gut toleriert
  • Ein etwa doppelt erhöhtes Krebsrisiko, bis zu vierfach erhöht für Lungenkarzinome
  • Ein etwa dreifach erhöhtes Osteoporoserisiko (Inzidenz so häufig wie bei rheumatoider Arthritis)
  • Ein hoher Leidensdruck durch Depression (20–30 %) und Energielosigkeit
  • Eine gehäufte Mangelernährung in 50 % der Fälle, wobei Adipositas diese nicht ausschließt, oft geringe Energie- und Eiweißaufnahme.

Besonderheiten

Die systemische Sklerose ist selten und schwer. Mittlerweile haben sich Netzwerke gebildet, um die Erkrankung besser zu erforschen. Jeder Patient wird in Registern erfasst (siehe Internetseiten). Therapiestudien werden inzwischen häufiger durchgeführt, um neue Optionen zu erschließen. Es ist sinnvoll, die Patienten an Zentren anzubinden, häufig genügen eine einmal jährliche Vorstellung und eine Abstimmung für die Therapieentscheidung. Selbsthilfegruppen können wertvolle Tipps geben und unterstützend tätig sein.
Literatur
Internetadressen