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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 19.11.2014

Thrombotische Mikroangiopathien

Verfasst von: Jürgen Floege
Der Terminus thrombotische Mikroangiopathie (TMA) beschreibt ein Syndrom aus einer mikroangiopathischen, hämolytischen Anämie, einer Thrombopenie und variablen Organmanifestationen durch thrombotische Verschlüsse der Mikrozirkulation. Klinische Krankheitsbilder beinhalten das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) mit führender renaler Beteiligung, die thrombotische-thrombozytopenische Purpura (TTP) mit führenden neurologischen/zerebralen Symptomen und das HELLP-Syndrom (hemolysis, elevated liver enzyme, low platelets). Letzteres findet sich in der Schwangerschaft und wird hier nicht näher erörtert. Die eher historisch geprägten Krankheitsbilder HUS und TTP sind im Einzelfall unscharf voneinander zu trennen und werden zunehmend durch eine pathogenetisch orientierte Terminologie ersetzt (z. B. „TMA bei Autoantikörpern gegen ADAMTS13“).

Definition

Der Terminus thrombotische Mikroangiopathie (TMA) beschreibt ein Syndrom aus einer mikroangiopathischen, hämolytischen Anämie, einer Thrombopenie und variablen Organmanifestationen durch thrombotische Verschlüsse der Mikrozirkulation (Radhi and Carpenter 2012; Barbour et al. 2012). Klinische Krankheitsbilder beinhalten das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) mit führender renaler Beteiligung, die thrombotische-thrombozytopenische Purpura (TTP) mit führenden neurologischen/zerebralen Symptomen und das HELLP-Syndrom („hemolysis, elevated liver enzyme, low platelets“). Letzteres findet sich in der Schwangerschaft und wird hier nicht näher erörtert. Die eher historisch geprägten Krankheitsbilder HUS und TTP sind im Einzelfall unscharf voneinander zu trennen und werden zunehmend durch eine pathogenetisch orientierte Terminologie ersetzt (z. B. „TMA bei Autoantikörpern gegen ADAMTS13“).

Pathophysiologie

Der zentrale Pathomechanismus der TMA ist eine Endothelschädigung in der Mikrozirkulation mit Verlust der physiologischen antithrombotischen Eigenschaften des Endothels, Leukozyten- und Thrombozytenadhärenz, Komplementverbrauch, Freisetzung von von Willebrand-Faktor, vermehrtem Scher-Stress und mechanischer Hämolyse mit Bildung von Fragmentozyten bzw. Schistozyten (Abb.  1). Die Organmanifestation hängt u. a. vom auslösenden Agens ab. So findet sich beispielsweise bei einer enterohämorrhagischen E. coli (EHEC)-Infektion mit Freisetzung von Shiga-Toxin vorrangig eine renale Beteiligung (als sog. EHEC-HUS), da der Shiga-Toxin-Rezeptor insbesondere im renalen mikrovaskulären Endothel exprimiert wird. Eine Vielzahl von Auslösern kann neben einer – oft epidemisch auftretenden – EHEC-Infektion zu einer TMA führen (Tab. 1).
Tab. 1
Klassifikation der thrombotischen Mikroangiopathie
TMA-Ursache
Klinisches TMA-Krankheitsbild
Infektiös
Shiga-Toxin (EHEC) assoziierte TMA (HUS)
Neuraminidase-(Pneumokokken) assoziierte TMA
HIV-Infektion assoziierte TMA
Genetisch oder autoimmun
Genetische oder autoimmune ADAMTS13 („a disintegrin and metalloprotease with thrombospondin type 1 domain 13“) Abnormalität
Genetischer oder autoimmuner Komplement-Defekt (Faktor H- oder I-Defizienz u. a.)
Schwangerschaft
TTP-Verlaufsform
Postpartale HUS-Verlaufsform
Systemerkrankungen
Anti-Phospholipid-Syndrom
Maligne Hypertonie
Malignome
Medikamente, Drogen
Chemotherapie-assoziiert: Mitomycin C, Tamoxifen, Bleomycin, Cisplatin, Gemcitabin, Deoxycorfomycin, Methyl-CCNU, Daunorubizin, Cytosin-Arabinosid, Neocarinostatin
Andere: Ticlopidin/Clopidogrel, Chinin, Interferon-α, Calcineurinhemmer, OKT3, orale Kontrazeptiva, Penicillin, Rifampicin, Metronidazol
Transplantation
De novo oder rekurrente TMA

Epidemiologie

Die EHEC-assoziierte TMA tritt vorrangig bei Kindern und jüngeren Erwachsenen auf und vorzugsweise in der wärmeren Jahreszeit. Die Inzidenz wird mit 2 Fällen pro 100.000 Einwohnern pro Jahr angegeben, bei allerdings enormer saisonaler Schwankungsbreite. Alle anderen TMA-Formen stellen seltene klinische Krankheitsbilder dar, für die es keine zuverlässigen Prävalenzdaten gibt.

Klinik

Die Klinik wird ganz wesentlich durch die Auslöser der TMA dominiert. Beim sog. „typischen HUS“, d. h. der EHEC-assoziierten TMA geht der Erkrankung in der Regel eine oft blutige Durchfallepisode voraus; die Erkrankung tritt als Epidemie, seltener sporadisch auf. Die meisten nicht diarrhoeassoziierten TMA-Fälle (sog. „atypisches HUS“ bzw. TTP) treten dagegen entsprechend ihrer Pathogenese (s. Tab. 1) sporadisch auf (Norris u. Remuzzi 2009). Alle anderen Manifestationen hängen von den beteiligten Organen ab (nahezu alle Organe können potentiell involviert sein).

Diagnostik und Differenzialdiagnostik

In der Regel finden sich eine unterschiedlich stark ausgeprägte Thrombopenie (gelegentlich mit Purpura, selten mit schweren Blutungen), eine mikroangiopathische Hämolyse (Anämie, Hyperbilirubinämie, Haptoglobinerniedrigung, Retikulozytose, Fragmentozytose, LDH-Erhöhung) und häufig eine Leukozytose. Differenzialdiagnostisch wegweisend sind der negative Coombs-Test (Abgrenzung zu anderen hämolytischen Anämien) und die in der Regel normalen Gerinnungsparameter (Abgrenzung vor allem zur disseminierten intravasalen Gerinnung). Eine zunehmend wichtige Rolle bekommen die Bestimmung der ADAMTS13-Aktivität und ADAMTS13-Autoantikörper sowie Assays zum Nachweis von Defekten im alternativen Komplementweg.

Therapie

Ex juvantibus wird in der Erst- bzw. Notfalltherapie der TMA meist eine Plasmagabe, besser eine Plasmapherese eingesetzt. Hierdurch wird einerseits z. B. ein Mangel an Komplementfaktoren ausgeglichen und/oder Autoantikörper entfernt. Die weitere spezifische Therapie hängt von einer Ursachenklärung ab. Sie reicht vom sofortigen Stopp entsprechender Medikamente (s. Tab. 1) über Immunsuppression (z. B. Kortikosteroide und/oder Rituximabgabe, z. B. beim Nachweis von ADAMTS13-Antikörpern) bis hin zur Gabe von C5-Antikörpern (z. B. Eculizumab) bei „atypischem HUS“. In anderen Fällen, insbesondere bei der malignen Hypertonie, ist in der Regel eine Behandlung der Grundkrankheit, d. h. in diesem Fall eine Blutdrucksenkung, ausreichend. Angesichts der Rarität der Erkrankungen sollte die Therapie nur an spezialisierten Zentren erfolgen.
Literatur
Barbour T et al (2012) Thrombotic microangiopathy and associated renal disorders. Nephrol Dial Transplant 27:2673–2685PubMedCentralPubMedCrossRef
Noris M, Remuzzi G (2009) Atypical hemolytic-uremic syndrome. N Engl J Med 361(17):1676–1687PubMedCrossRef
Radhi M, Carpenter SL (2012) Thrombotic microangiopathies. ISRN Hematol 310596. doi: 10.5402/2012/310596