Definition
Unter dem Begriff Typ-3-Diabetes
sind alle sekundären Formen des Diabetes mellitus
zusammengefasst. Hierbei handelt es sich um spezifische Diabetesformen, die sich als Folge anderer Systemerkrankungen manifestieren. Dazu zählen monogenetische Diabetesformen mit genetisch bedingten Störungen der Insulinsekretion oder Insulinwirkung, z. B.
neonataler Diabetes und die MODY-Diabetesformen (
MODY: „maturity onset diabetes of the young“), Diabetes bei Pankreaserkrankungen (pankreopriver Diabetes), bei endokrinen Erkrankungen (z. B. bei
Cushing-Syndrom oder Akromegalie), medikamenteninduzierter Diabetes
(inklusive Posttransplantationsdiabetes
), Diabetes bei Infektionen, anderen spezifischen Organerkrankungen oder Speicherkrankheiten (z. B.
Hämochromatose).
Tab.
1 gibt eine Übersicht über die unterschiedlichen Formen des Typ-3-Diabetes (American Diabetes Association
2020; Nauck et al.
2018;
http://flexikon.doccheck.com/de/Diabetes_mellitus_Typ_3).
Tab. 1Grunderkrankungen und Zustände, die zu einem Typ-3-Diabetes führen können
Genetische Defekte | MODY-Diabetes ( MODY: „maturity onset diabetes of the young“) Mitochondrialer Diabetes Genetisch bedingte Insulinresistenzsyndrome Andere genetisch bedingte Diabetesformen |
Erkrankungen des exokrinen Pankreas (pankreopriver Diabetes) | Pankreasresektionen Fibrokalzinöse Pankreasveränderungen |
Endokrinologische Erkrankungen | Akromegalie GH-Mangel Somatostatinom |
Hepatogener Diabetes | |
Medikamentenbedingter Diabetes | Glukosteroidtherapie Therapie mit Thiaziden Therapie mit Interferon-alpha |
Pathophysiologie
Die Pathophysiologie der unterschiedlichen Formen des Typ-3-Diabetes wird durch die jeweiligen Ursachen dieser sekundären Diabetesformen erklärt. In Tab.
1 sind die pathophysiologischen Charakteristika der einzelnen Formen subsummiert.
Monogenetische Diabetesformen
Unter dem Begriff MODY-Diabetes
werden monogenetisch autosomal vererbbare Diabetesformen subsummiert. Zur Pathophysiologie der unterschiedlichen Formen des MODY-Diabetes gibt das entsprechende Kapitel detaillierte Auskunft (Kap.
MODY).
Mitochondriale Diabetesformen werden maternal über die mitochondriale DNA, die ausschließlich maternal vererbt wird, von Generation zu Generation weitergegeben. Ein mitochondrialer Diabetes führt zu einem gestörten Energiehaushalt der Betazelle und konsekutiv zu einer Störung der Insulinsekretion. Diese Störungen sind oft mit weiteren Defekten, z. B. mit neurologischen Defekten in Form von Taubheit als MIDD
(„maternally inherited diabetes and deafness“) oder mit Myopathie und Laktatazidoserisiko als
MELAS-Syndrom (MELAS: Myopathie, Enzephalopathie, Laktazidose, „stroke-like episodes“) beschrieben. Mitochondrialer Diabetes wird bereits im frühen Kindheitsalter manifest (Gat-Yablonski et al.
2006).
Seltene weitere monogene Diabetesformen
Insulinresistenzsyndrome
sind sehr seltene genetisch bedingte Diabetesformen vorwiegend mit Mutationen im Insulinrezeptorgen. Das seltene
Wolfram-Syndrom, auch DIDMOAD-Syndrom
(DIDMOAD: „diabetes insipidus, diabetes mellitus, optic atrophy and deafness“), ist eine weitere monogene autosomal rezessiv vererbte Diabetesform und führt zu einer progressiven Optikusatrophie bereits im Jugendalter.
Diabetes bei Pankreaserkrankungen (pankreopriver Diabetes)
Der pankreoprive Diabetes
entwickelt sich bei
chronischer Pankreatitis, exokriner Pankreasinsuffizienz, Z. n. Pankreasresektionsverfahren oder
zystischer Fibrose. Bei dieser Diabetesform stehen ähnlich wie beim Typ-1-Diabetes pathophysiologisch die verminderte Betazellfunktion und der Insulinmangel im Vordergrund. Die Stoffwechsellage kann wie beim Typ-1-Diabetes ketoazidotisch entgleisen. Da beim pankreopriven Diabetes die Inselzellmasse insgesamt vermindert ist, fehlen auch die Glukagon-bildenden Alphazellen, sodass bei
Hypoglykämie die endogene hormonelle Gegenregulation vermindert und die Stoffwechsellage instabil ist.
Diabetes bei endokrinen Erkrankungen
Hyperkortisolismus – Cushing-Syndrom
Unabhängig von der Ursache eines
Hyperkortisolismus entwickeln die meisten Patienten eine pathologische Glukosetoleranz oder einen Diabetes mellitus, der phänotypisch einem Typ-2-Diabetes ähnlich ist, da Kortison und
Glukokortikoide kontrainsulinär wirken und die Glukoseaufnahme in periphere Gewebe hemmen. Des Weiteren tragen Steroide zu einer gesteigerten Glukoneogenese in der Leber bei.
Störungen der Wachstumshormonsekretion – Akromegalie und Wachstumshormonmangel
Eine gestörte Glukosetoleranz und Diabetes mellitus treten bei circa der Hälfte der Patienten mit Akromegalie und Wachstumshormonexzess
auf. Das
Wachstumshormon hat in hohen Konzentrationen Insulin-antagonische Wirkungen, steigert die Glukoneogenese und Glykogenolyse in der Leber, hemmt die periphere Glukoseverwertung und induziert die Lipolyse.
Ein Wachstumshormonmangel führt zu einer erhöhten Körperfettmasse, besonders mit einer Zunahme des viszeralen Fettes, mit Insulinresistenz, Glukosetoleranz- und Fettstoffwechselstörung.
Weitere endokrinologische Erkrankungen mit einem Risiko für einen sekundären Diabetes
Bei
Hyperthyreose tritt häufig eine Störung des Kohlenhydratstoffwechsels auf. Als Ursachen werden eine Verschlechterung der Insulinempfindlichkeit bei Hyperthyreose sowie eine gesteigerte hepatische Glukoneogenese angenommen. Ein schon vor einer Hyperthyreose bestehender Diabetes kann sich bezüglich der Stoffwechsellage unter einer manifesten Schilddrüsenüberfunktion verschlechtern.
Ein männlicher
Hypogonadismus ist ebenfalls mit einer erhöhten Diabetesprävalenz assoziiert. Bei den hypogonaden Männern besteht oft ein
metabolisches Syndrom mit Insulinresistenz. Die durch den Testosteronmangel bedingte Muskelatrophie wird als Mitauslöser der Insulinresistenz gesehen.
Diabetes bei Lebererkrankungen (hepatogener Diabetes)
Bei
Leberzirrhose kann ein Typ-3-Diabetes entstehen, für den eine ausgeprägte Insulinresistenz charakteristisch ist. Zwei Ursachen erklären vor allem die Insulinresistenz bei Leberzirrhose:
1.Aus dem Dünndarm aufgenommene
Glukose wird nicht in ausreichendem Maß in der Leber in
Glykogen als Speicherform umgewandelt. Die Glukose steigt dadurch postprandial schnell an.
Epidemiologie
Genaue Zahlen zur Epidemiologie des Typ-3-Diabetes liegen nicht vor. Diesen Typ manifestieren geschätzt ca. 5 % der Diabetesfälle; er ist somit eine relativ seltene Erkrankung. Durch die zunehmend häufiger eingesetzte und bessere genetische Diagnostik werden mehr Diabetesfälle, die früher als Typ-2-Diabetes oder andere Diabetesformen klassifiziert worden wären, als monogenetische Diabetesformen identifiziert. Auch andere sekundäre Diabetesformen (z. B. Posttransplantationsdiabetes, medikamenteninduzierter Diabetes) nehmen zu.
Klinik
Die Klinik manifestiert sich, wie bei den anderen Diabetesformen auch, über die Hyperglykämie. Zudem besteht eine spezifische Symptomatik aufgrund der den Diabetes auslösenden Erkrankung. Die dominant vererbten monogenetischen Diabetesformen treten familiär gehäuft (und bei den Familien in jeder Generation) auf. Bei pankreoprivem Diabetes ist der Diabetes vor allem durch eine Insulinsekretionsstörung charakterisiert, sodass dieser Diabetes ähnliche klinische Zeichen aufweist wie ein Typ-1-Diabetes. Aufgrund der bei pankreoprivem Diabetes zusätzlich reduzierten Alphazellmasse ist jedoch die Gegenregulation durch die Stimulation der Glukagonsekretion bei
Hypoglykämie gestört, sodass der pankreoprive Diabetes oft eine instabilere Stoffwechsellage als der Typ-1-Diabetes aufweist. Bei den anderen durch spezifische Organerkrankungen oder durch Medikamente induzierten Diabetesformen ist der Diabetes oft dem Typ-2-Diabetes ähnlicher. Dies gilt vor allem für den steroidinduzierten Diabetes.
Diagnostik
Für die Überprüfung der Glykämielage und zur Diabetesdiagnose anhand glykämischer Parameter (Plasmaglukose, HbA1c) gelten die gleichen Kriterien wie zur Diagnose des Typ-1- oder Typ-2-Diabetes.
Die Anamnese und die organspezifischen Funktionsuntersuchungen bei chronischen, zu einem Typ-3-Diabetes führenden Erkrankungen (Pankreaserkrankungen, endokrinologische Erkrankungen, Lebererkrankungen) oder medikamentösen Therapien (z. B. lang andauernde Steroidtherapie) sind essenziell für die Abgrenzung zu anderen Diabetesformen und geben Auskunft über u. U. behandlungsbedürftige Grunderkrankungen.
Differenzialdiagnostik
Bei nicht eindeutig als Typ 1 oder Typ 2 klassifizierbarem Diabetes mit familiär gehäuftem Auftreten sollte ggf. eine genetische Diagnostik erfolgen, um eine genetische Diabetesform zu erkennen. Die Abgrenzung gegenüber einem Typ-1-Diabetes kann beim Typ-3-Diabetes generell auch über die Bestimmung der Typ-1-diabetestypischen
Antikörper erfolgen. Bei Pankreaserkrankungen müssen Untersuchungen der exokrinen Pankreasfunktion und ggf. auch bildgebende Untersuchungen des Pankreas durchgeführt werden. Gleiches gilt für endokrinologische Erkrankungen und Lebererkrankungen (Sosenko et al.
2013).
Therapie
Grundsätzlich wird der Diabetes Typ 3 wie ein Typ-1- oder ein Typ-2-Diabetes behandelt. Wenn die Insulinsekretionsstörung im Vordergrund steht, ist meist eine Insulintherapie indiziert. Eine Therapie mit oralen Antidiabetika ist vor allem bei pankreoprivem Diabetes und hepatogenem Diabetes nicht günstig oder kontraindiziert (s. u.). Die Therapie bei MODY-Diabetes ist im entsprechenden Kapitel beschrieben (Kap.
MODY).
Prinzipiell ist die Therapie der dem Diabetes zugrunde liegenden Organerkrankung genauso wichtig wie die Diabetesbehandlung. Bei optimaler Behandlung (oder Heilung) der den Diabetes auslösenden Krankheit (z. B. Akromegalie, Beendigung einer Steroidtherapie) kann es sogar zu einer Remission des Diabetes kommen. Beim Typ-3-Diabetes ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit der betroffenen Fachgebiete besonders wichtig (American Diabetes Association
2019; Nauck et al.
2018;
http://flexikon.doccheck.com/de/Diabetes_mellitus_Typ_3).
Besonderheiten beim pankreopriven Diabetes
Die exokrine Pankreasinsuffizienz führt bei Pankreaserkrankungen zu einer Maldigestion, sodass die Resorption von Nahrungsbausteinen gestört sein kann. Aus diesen Gründen ist bei pankreoprivem Diabetes die Stoffwechsellage oft instabil. Die Behandlung dieser Diabetesform erfolgt optimalerweise in Form einer intensivierten Insulintherapie zusammen mit einer notwendigerweise ausreichenden Supplementation an Verdauungsenzymen. Insulinsekretagoga, vor allem Sulfonylharnstoffe, sind meist aufgrund der geringen Betazellmasse nicht ausreichend wirksam Moran et al. (
2010).
Besonderheiten bei hepatogenem Diabetes
Viele orale Antidiabetika sind bei
Leberzirrhose kontraindiziert oder nur mit Einschränkung verwendbar, sodass optimalerweise eine Insulintherapie erfolgen sollte.
Verlauf und Prognose
Der Verlauf und die Prognose richten sich nach der Ursache des Typ-3-Diabetes. Die monogenetischen Diabetesformen sind nicht heilbar, bei den sekundären Diabetesformen kann sich das Ausmaß der Stoffwechselstörung bei einer Besserung der Grunderkrankung ebenfalls günstig entwickeln. Bei einer kurzen Dauer des Typ-3-Diabetes und Heilung der Grunderkrankung kann es auch zu einer Diabetes-Remission kommen. Im Übrigen gelten für den Verlauf und die Prognose des Diabetes als solchem die gleichen Aussagen zu Verlauf und Prognose wie bei Typ-1-Diabetes (Kap. Typ-1-Diabetes), v. a. pankreopriver Diabetes, bzw. Typ-2-Diabetes (Kap. Typ-2-Diabetes), v. a. hepatogener Diabetes, Diabetes bei endokrinen Erkrankungen (American Diabetes Association
2020; Kerner und Brückel
2014;
http://flexikon.doccheck.com/de/Diabetes_mellitus_Typ_3).