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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 21.04.2015

Überbringen schlechter Nachrichten

Verfasst von: Daniel Wiswede und Thomas Münte
Das Aufklärungsgespräch bei einer schwerwiegenden Erkrankung stellt nicht nur für die betroffenen Patienten und deren Angehörige, sondern auch für den gesprächsführenden Arzt eine emotional belastende Situation dar. Während des Aufklärungsgespräches muss der Arzt gleichzeitig den Erfordernissen der Aufklärungspflicht und dem Informationsbedürfnis des Patienten gerecht werden, wobei die Belastbarkeit des Patienten und das durch die emotionale Ausnahmesituation verringerte Aufnahmevermögen des Patienten zu berücksichtigen sind. Gerade wenig erfahrende Ärzte ängstigen sich vor dem Gespräch und empfinden sich teilweise sogar verantwortlich für die emotionalen Reaktionen des Patienten. Dies kann sogar zum Zurückhalten wichtiger Informationen oder zum ungerechtfertigten Schüren von Hoffnungen führen.

Einführung

Das Aufklärungsgespräch bei einer schwerwiegenden Erkrankung stellt nicht nur für die betroffenen Patienten und deren Angehörige, sondern auch für den gesprächsführenden Arzt eine emotional belastende Situation dar. Während des Aufklärungsgespräches muss der Arzt gleichzeitig den Erfordernissen der Aufklärungspflicht und dem Informationsbedürfnis des Patienten gerecht werden, wobei die Belastbarkeit des Patienten und das durch die emotionale Ausnahmesituation verringerte Aufnahmevermögen des Patienten zu berücksichtigen sind. Gerade wenig erfahrende Ärzte ängstigen sich vor dem Gespräch und empfinden sich teilweise sogar verantwortlich für die emotionalen Reaktionen des Patienten. Dies kann sogar zum Zurückhalten wichtiger Informationen oder zum ungerechtfertigten Schüren von Hoffnungen führen (Maguire 1985).
Das Überbringen schwerwiegender Nachrichten ist eine komplexe Kommunikationsaufgabe, die weit mehr als das Fachwissen über den Therapieverlauf erfordert. Es wurden Gesprächsleitlinien entwickelt, um dem Arzt eine schrittweise und praxisnahe Übermittlung zu erleichtern. Dabei ist das von Buckmann und Baile entwickelte SPIKES-Modell herauszustellen (z. B. Baile et al. 2000), das sich in der Praxis als sehr geeignet und leicht erlernbar erwiesen hat. Das Akronym SPIKES steht für die 6 einzelnen Schritte bei der Übermittlung schwerwiegender Nachrichten. Auf diese wird im Folgenden verkürzt eingegangen. Die Ausführungen orientieren sich weitestgehend an der Originalliteratur, sind jedoch um einige Aspekte aus der eigenen Erfahrung ergänzt.

Stufen des SPIKES-Modells

Situation

Der erste Schritt (Setting up; „Situation“) dient der Vorbereitung, zum einen auf die möglichen emotionalen Reaktionen des Patienten, zum anderen auf die eigenen Empfindungen. So kann es hilfreich sein, sich vor Gesprächsbeginn bewusst zu machen, dass man gleich Gefühle der Hilflosigkeit, der Verantwortung für den Patienten und der Frustration erleben wird. Man sollte sich klarmachen, dass es sich in diesem Gespräch um Informationen für den Patienten handelt, die ihm trotz starker emotionaler Reaktion nicht vorenthalten werden dürfen. Zum anderen steht „Setting up“ aber auch für die aktive Gestaltung des Gesprächsumfeldes. Sorgen Sie für ein geschütztes Gesprächsumfeld, in dem das Gespräch in Ruhe und ohne Störungen stattfinden kann. Führen Sie das Gespräch daher nicht im Mehrbettzimmer oder in Räumlichkeiten, in denen Unterbrechungen zu erwarten sind. Schalten Sie ihr Mobiltelefon aus und geben Sie Ihren Pieper für die Zeit des Gespräches an einen Kollegen. Halten Sie Taschentücher für den Patienten bereit und bedenken Sie die Möglichkeit, die Angehörigen des Patienten mit einzubeziehen. Drängen Sie dieses jedoch nicht auf, sondern überlassen Sie die Entscheidung dem Patienten. Ermöglichen Sie eine gesprächsfördernde Sitzposition. Dies erreichen Sie, indem Sie dem Patienten eine „Über-Eck“-Sitzposition anbieten. Ein Tisch zwischen Ihnen und dem Patienten könnte sie beim Auffangen der emotionalen Reaktion behindern. Eigene Unruhe können Sie verringern, indem auch Sie während des Gespräches sitzen. Achten Sie auch auf den Zeitpunkt und die Dauer des Gespräches. Überbringen Sie die Nachricht nicht am Abend und nicht, wenn Sie unter Termindruck stehen.

Patientenvorwissen

Im 2. Schritt des SPIKES-Modells („Assessing the patient’s perception“ bzw. „Patientenvorwissen“) bereiten Sie den Patienten auf das kommende Gespräch vor, indem Sie sein Vorwissen bezüglich seiner Erkrankung und seine Krankheitswahrnehmung erfassen. Das direkte Benennen der Sorgen und Vorstellungen geben sowohl dem Arzt als auch dem Patienten mehr Klarheit für das weitere Gespräch. So können Sie den Informationsbedarf ermitteln und auch unrealistische Erwartungen an die Behandlungsmöglichkeiten erkennen. Hier sind vor allem offene Fragen hilfreich: „Was ist Ihnen bislang bekannt über Ihren Gesundheitszustand?“ oder „Wissen Sie, warum wir die Untersuchung XY durchgeführt haben?“

Informationsbedarf

Finden Sie im 3. Schritt des SPIKES-Modells heraus, wie viel Information der Patient wünscht („Obtaining the patient’s invitation“ bzw „Informationsbedarf“). Die meisten, aber keineswegs alle Patienten wünschen eine vollständige Information über die Erkrankung, da Gefühle der Ungewissheit auf Dauer schwerer zu ertragen sind als ein bekannter schlechter Krankheitsverlauf. Achten Sie hierbei auf das eventuelle Vorhandensein psychologischer Schutzmechanismen. Patienten könnten Anzeichen von Verdrängung oder Krankheitsverleugnung zeigen. Eine mögliche Frage könnte lauten: „Möchten Sie, dass ich Ihnen die Untersuchungsergebnisse genau erläutere? Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich mich auf die unmittelbar behandlungsrelevanten Informationen beschränke?“ Sollte der Patient nur eine behandlungsrelevante Information wünschen, so bieten Sie an, weitere Einzelheiten später, auch gern im Beisein von Angehörigen, zu erläutern.

Kenntnisse vermitteln

Im 4. Schritt geht es um die Vermittlung von erkrankungsrelevantem Wissen. Nun müssen Sie dem Patienten sagen, dass er unter einer schweren Erkrankung leidet („Giving Knowledge and Information to the Patient“ bzw. „Kenntnisse vermitteln“). Teilen Sie Ihrem Patienten vor der Diagnoseeröffnung mit, dass nun eine unangenehme, aber wichtige Information folgen wird. „Unglücklicherweise muss ich Ihnen ein schwerwiegendes Ergebnis mitteilen.“ oder „Leider muss ich Ihnen sagen, dass die Ergebnisse unseren Verdacht auf … bestätigt haben.“ Bei der nun folgenden Informationsvermittlung kommt es nicht darauf an, was Sie gesagt haben, sondern nur darauf, was der Patient verstanden hat. Dosieren Sie die Information daher vorsichtig in kleine Einheiten. Vermeiden Sie Fachausdrücke und passen Sie sich dem Vorwissen des Patienten und seinem Vokabular (Schritt 2) an. „Der Tumor hat sich weiter ausgebreitet“ ist für den Patienten einfacher zu verstehen als „Der Tumor hat metastasiert“; „Wir müssen eine weitere Gewebeprobe entnehmen“ ist unmissverständlicher als „Wir müssen eine weitere Biopsie durchführen.“ Überprüfen Sie regelmäßig durch Blickkontakt, ob der Patient folgen konnte und weitere Informationen aufnehmen kann. Seien Sie ehrlich und vermeiden Sie Schönrederei. Versuchen Sie, Ausdrücke, die mit baldigem Tod assoziiert sind, zu vermeiden (Huber 2009).

Emotionale Reaktion und Empathie

Die schlechten Nachrichten werden beim Patienten zu starken emotionalen Reaktionen führen. Der Umgang des Arztes mit diesen Emotionen ist daher wohl der schwierigste Teil des Gespräches. Nun gilt es, die Emotionen des Patienten auszuhalten und aufzufangen („addressing the patient’s Emotions with empathic responses“, „Emotionale Reaktion und Empathie“). Ihr Patient kann sehr unterschiedlich reagieren. Er könnte weinen, die Nachricht nicht glauben und verleugnen, sogar ärgerlich werden. Viele Patienten schweigen nach dem Bekanntwerden der Nachricht einfach nur. Oftmals versucht der unerfahrene Arzt, das unangenehme Schweigen zu beenden, indem er selbst redet und beispielsweise Therapieangebote oder Beschwichtigungen zum Besten gibt. Missdeuten Sie die Stille nicht als Aufforderung zum Reden, sondern sehen sie die Stille als eine passende Reaktion des Patienten und ertragen Sie diese. Signalisieren Sie anschließend, dass Sie die emotionalen Äußerungen Ihres Patienten wahrnehmen. „Ich weiß, dass dies eine sehr schlimme Nachricht für Sie ist. Ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas Angenehmeres mitteilen.“ Zeigen Sie Ihrem Patienten, dass seine emotionale Reaktion nach dieser Nachricht verständlich ist und nicht unterdrückt werden muss. Dies kann durch eine bestätigende Aussage erfolgen: „Die meisten Menschen würden in dieser Situation so reagieren wie Sie.“ Vermeiden Sie Äußerungen wie „Ich weiß genau, wie sie sich jetzt fühlen“, da dies ganz sicher nicht der Fall ist und der Patient sich unverstanden fühlen wird. Der weitere Gesprächsverlauf wird deutlich erleichtert, wenn die emotionale Reaktion des Patienten aufgeklärt wird. Stellen Sie explorierende Fragen, wie „Was geht in Ihnen jetzt vor?“ oder „Sie sagten, dass Sie sich vor allem um Ihre Familie sorgen. Erzählen Sie mir davon.“ Beim Auffangen der emotionalen Reaktion kann es durchaus angebracht sein, dem Patienten näherzukommen und ihn an Hand oder Schulter zu berühren. Achten Sie dabei auf die Zeichen des Patienten, ob er dieses wünscht. Bieten Sie Taschentücher an, falls diese benötigt werden, und geben Sie dem Patienten genügend Zeit. Sie sollten erst mit dem nächsten Schritt beginnen, wenn der Patient sich wieder gefangen hat und emotional stabiler wirkt.

Strategie und Zusammenfassung

Im letzten Schritt befähigen Sie den Patienten, die nächsten Schritte klar zu sehen, indem Sie das weitere Vorgehen besprechen („Strategy and summary“, „Strategie und Zusammenfassung“). Patienten mit einer klaren Vorstellung über die nun folgenden Behandlungsoptionen fühlen sich weniger ängstlich und unsicher. Fragen Sie den Patienten, ob er für die Besprechung des weiteren Vorgehens bereit ist. Erfragen Sie die Vorstellungen des Patienten hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten. Aus Schritt 2 wissen Sie bereits, welches Vorwissen der Patient über seine Erkrankung hat. „Sie wissen ja bereits, dass bei einer Krebserkrankung unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten offen stehen.“ Zeigen Sie nun die Behandlungsoptionen auf. Sie sollten auf keinen Fall eine Vermutung bezüglich der Prognose geben (Huber 2009). Die meisten schweren Erkrankungen sind derartig komplex und variabel im Verlauf, dass die Information über die durchschnittliche Überlebenszeit wenig über die individuelle Prognose verrät. Falls es keine kurative Behandlung mehr gibt, machen Sie deutlich, dass die palliative Behandlung beispielsweise die Angst vor Schmerzen nehmen kann. Fassen Sie zum Ende des Gespräches die wichtigsten Ergebnisse kurz zusammen. Da sich der Patient in einer emotionalen Ausnahmesituation befindet, kann eine kurze schriftliche Mitteilung hilfreich sein. Vereinbaren Sie einen zeitnahen festen Termin, in dem das weitere Vorgehen genauer erörtert und bei Wunsch des Patienten auch in Anwesenheit der Angehörigen erörtert werden kann.
Weitere deutschsprachige Hinweise zum SPIKES-Modell finden sich bei Weber et al. (2005). Hinweise für die Kommunikation in der Palliativmedizin jenseits des SPIKES-Modells sind in Kappauf (2004) zu finden, Übungen und Beispiele bietet ein Buch von Schrimpf u. Bahnemann (2012).
Literatur
Baile WF, Buckman R, Lenzi R, Glober G, Beale EA, Kudelka AP (2000) SPIKES-A six-step protocol for delivering bad news: application to the patient with cancer. Oncologist 5(4):302–311CrossRefPubMed
Huber P (2009) Krebsdiagnosen menschlich vermitteln – Passende Worte mit SPIKES. Via medici 09(2):32–34CrossRef
Kappauf HW (2004) Kommunikation in der Onkologie. Hautarzt 55:709–714CrossRefPubMed
Maguire P (1985) Barriers to psychological care of the dying. BMJ Br Med J 291(6510):1711–1713CrossRef
Schrimpf, U., Bahnemann, M. (2012). Deutsch für Ärztinnen und Ärzte : Kommunikationstraining für Klinik und Praxis, 2. aktualisierte Aufl. Berlin [u. a.]: Springer
Weber M, Müller M, Ewald H (2005) Kommunikation in der Palliativmedizin – Dimensionen existenzieller Begegnung. Onkologe 11(4):384–391CrossRef