Die Ärztliche Begutachtung
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Verfasst von:
Constanze Steiner und Christian Eisenhawer
Publiziert am: 04.01.2023

BK 43 – Obstruktive Atemwegserkrankungen

Grundsätzlich kann man allergische (BK 4301) von irritativ-toxischen (BK4302) Ursachen der obstruktiven Atemwegserkrankungen abgrenzen, entsprechend gestaltet sich die Ursachenanalyse.
Chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Arbeitsstoffe kommen an zahlreichen Arbeitsplätzen vor und können nach inhalativer Aufnahme in Abhängigkeit von Konzentration und Einwirkungszeit obstruktive Atemwegserkrankungen (Asthma bronchiale, Reactive Airways Dysfunktion Syndrome (RADS), chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) verursachen.

Diagnostik

Die Diagnostik der obstruktiven Atemwegserkrankungen lässt sich in Krankheitsnachweis und Ursachenanalyse unterteilen:

Krankheitsnachweis

  • Allgemeine Anamnese
  • Körperlicher Befund
  • Lungenfunktionsprüfung
  • Unspezifische Provokation, die spezifische Provokation dient sowohl dem Krankheitsnachweis, als auch der Ursachenanalyse
  • Ggf. Röntgen-Thorax oder Computertomographie des Thorax bei Frage nach Lungenemphysem oder zur Abklärung von Differenzialdiagnosen.
  • Ggf. Echokardiographie, Elektrokardiogramm, Rechtsherzkatheter (Der Rechtsherzkatheter ist nicht mitwirkungspflichtig) (Cor pulmonale? Hinweis auf pulmonale Hypertonie?)

Ursachenanalyse

  • Allergieanamnese (Vorbestehendes Asthma? außerberufliche Noxen? Außerberufliche Allergien? Nahrungsmittelunverträglichkeiten? Rauchgewohnheiten? Arbeitsplatzbezug? Urlaubspause? Anamnestisch Kontakt zu beruflichen irritativen/toxischen Atemwegsnoxen?)
  • Hauttest (Ubiquitäre Allergene, Berufsallergene (immer seltener kommerziell verfügbar))
  • Ggf. Gesamt IgE und spezifisches IgE (Bestätigung/Ergänzung der Hauttestung)
  • Spezifische nasale Provokation (Kausalzusammenhang bei rhinitischer Symptomatik)
  • Spezifische bronchiale Provokation mit Allergenextrakt bzw. arbeitsplatzbezogen (Kausalzusammenhang bei Asthma) unter strenger Beachtung der Kontraindikationen bzw. der Absetzfristen der Atemwegs-wirksamen Medikation
  • Ggf. Arbeitsplatzexposition mit Peakflow-Überwachung oder spirometrischer Überwachung (Kausalzusammenhang Erkrankung – Arbeitsplatz), ggf. können auch nicht-invasive Verfahren, wie FeNO Bestimmung und ggf. auch Sputumzytologie zum Nachweis einer eosinophilen Entzündung zum Einsatz kommen.
  • Zelluläre Tests haben in der Routineuntersuchung keinen Stellenwert, sie sind speziellen Fragestellungen vorbehalten. Tests auf spezifisches IgG haben in der Asthmadiagnostik ebenfalls keinen vorrangigen Stellenwert. Spezifisches IgG wird in der Allergiediagnostik bei V.a. Exogen Allergische Alveolitis (EAA) bestimmt, da es sich bei der EAA um eine kombinierte Reaktion vom Typ III (immunkomplexvermittelt mit IgG) und Typ IV (zellvermittelt) handelt und hier in einem Teil der Fälle spezifisches IgG nachgewiesen werden kann.

Gutachtliche Bewertung des Kausalzusammenhangs und MdE

Die Annahme eines kausalen Zusammenhanges zwischen Erkrankung und Berufstätigkeit liegt nahe, wenn die ursächliche Exposition auf den Arbeitsplatz beschränkt ist (wie z. B. Kontakt mit Labortieren bei Laboranten) oder der außerberufliche Allergenkontakt größenordnungsmäßig weit unter der Exposition am Arbeitsplatz (wie z. B. Mehlkontakt bei Bäckern) oder Kontakt zu Schweißrauch am Arbeitsplatz liegt.In anderen Fällen kann nur durch sehr sorgfältige Abwägung der Entstehung und des Verlaufes der Atemwegserkrankung sowie in manchen Fällen durch Karenz- und Reexpositionstests am Arbeitsplatz der Wahrscheinlichkeitsnachweis eines Zusammenhanges erbracht werden.
Am 07.05.2020 wurde vom Deutschen Bundestag eine Novellierung des Berufskrankheitenrechts zum 01.01.2021 beschlossen. Diese Änderung sieht den Wegfall des Zwangs zur Unterlassung aller Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können als Kriterium für die Anerkennung einer Berufskrankheiten vor. Dies betrifft auch die BK-Nrn. 4301, 4302 und 1315.
Das bedeutet, dass eine Berufskrankheit anerkannt und entschädigt werden kann, obwohl der/die Versicherte weiter in dem Beruf tätig ist und damit weiter gegenüber dem schädigenden Einfluss exponiert ist. Auch unter Ausschöpfung optimaler individual-präventiver Maßnahmen ist zu vermuten, dass sich die Berufskrankheit durch eine fortgesetzte Exposition im Verlauf weiter verschlechtert. In der Literatur gibt es Hinweise darauf, dass sich das Asthma bronchiale auch bei fortgesetzter reduzierter Exposition (low-exposure-jobs) gegenüber dem auslösenden Agens im Gegensatz zur vollständigen Expositionskarenz weiter verschlechtert. (Vandenplas et al. 2019)
Hier werden in Zukunft Maßnahmen zur Individualprävention noch stärker gefragt sein.
Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung hat in einer Expertengruppe Begutachtungsempfehlungen zu den BK 4301, BK 4302 und BK 1315 erarbeitet, die diagnostische Standards sowie Hilfen zur Kausalitätsbeurteilung und zur Arbeitsanamnese enthalten und die Gleichbehandlung aller Versicherten sicherstellen sollen. Dieses s.g. „Reichenhaller Merkblatt“ vom November 2012, ist unter https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/1946 einzusehen Die MdE-Tabelle ist als Tab. 1 hier abgedruckt. Sie enthält aktuelle Anhaltspunkte, die vor allem zwischen 10 und 30 % Spielräume zulassen, aber bei einer Abweichung davon eine besondere Begründungssorgfalt erfordern.
Tab. 1
MdE bei obstruktiven Atemwegserkrankungen (BK 4301/4302/1315). (DGUV 2012)
MdE %
Anamnese
Klinik
Lungenfunktion (Spirometrie, Bodyplethysmografie, DL,CO)
10
Geringe Beschwerden, unter Therapie keine Beschwerden
Normalbefund
Grenzbereich
20
Keine völlige Beschwerdefreiheit unter Therapie Dyspnoe bei hoher Belastung Asthmaanfälle/Symptome › 2 x pro Woche, nicht täglich
Giemen, Pfeifen, Brummen, verlängertes Exspirium
Geringgradige Veränderungen überwiegen
30
40
Mittelgradige Veränderungen überwiegen
50
Dyspnoe bei mittlerer Belastung, tägliche Atembeschwerden
Pulmonale Hypertonie ohne klinisch feststellbare Rechts-herzinsuffizienzzeichen
60
70
Dyspnoe bei geringer Belastung, tägliche Asthmaanfälle, regelmäßig nächtliche Atemnotzustände, häufige Exazerbationen (≥2x/J)
Pulmonale Hypertonie mit klinisch feststellbaren, reversiblen Rechtsherzinsuffizienzzeichen
Hochgradige Veränderungen überwiegen
80
90
Gehstrecke ohne Pause ‹ 100 m oder ‹ 8 Stufen
Pulmonale Hypertonie mit irreversiblen Rechtsherzinsuffizienzzeichen trotz optimierter Therapie
100
Ruhedyspnoe, täglich schwere oder bedrohliche Anfälle
Forcierte Atemmanöver nicht möglich
*vorrangig bei COPD/Emphysem zu erwarten, in Grenzfällen ist der standardisierte Pa,O2 zu verwenden
§Sollwerte nach Wasserman, 2005; Wasserman, Hansen et al., 2005
**Hohe Belastung: 80 % des Sollwertes nach Reiterer (1975) werden erreicht
Belastung mit Blutgasbestimmung/Spiroergometrie
Therapie, indiziert nach aktuellen Leitlinien
MdE %
Asthma
Normaler Sauerstoffpartialdruck bei hoher Belastung** falls Spiroergometrie durchgeführt: Insuffizienzkriterien# bei hoher Belastung (bei einer VO2 von 80–65 % des VO2-Solls§)
Keine oder gelegentlich kurzwirksame Bronchodilatatoren u./o. Antihistaminika
Keine oder bei Bedarf kurzwirksame Bronchodilatatoren
10
Inhalative Kortikoide in niedriger Dosis
Langwirksame β2-Agonisten (LABA) und/oder Tiotropium (LAMA)
20
Täglich inhalative Kortikoide in mittlerer Dosis oder in niedriger Dosis in Kombination mit LABA, gelegentlich SCS
Langwirksame Bronchodilatatoren (Kombination von LABA und LAMA)
30
Verminderter* Sauerstoffpartialdruck bei hoher oder mittlerer Belastung falls Spiroergometrie durchgeführt: Insuffizienzkriterien# bei mittlerer Belastung (bei einer VO2 von ‹65–50 % des VO2-Solls§)
40
Inhalative Kortikoide in hoher Dosis und langwirksame Bronchodilatatoren, gelegentlich systemische Korticosteroide
Kombination von LABA und LAMA mit inhalativen Corticosteroiden/Roflumilast
50
60
Verminderter* Sauerstoffpartialdruck bei leichter Belastung*** falls Spiroergometrie durchgeführt: Insuffizienzkriterien# bei leichter Belastung (bei einer VO2 von ‹50 % des VO2-Solls§)
Zusätzlich regelmäßig systemische Korticosteroide (SCS)/weitere zusätzliche Medikation notwendig
70
80
Belastungsuntersuchung wegen Schwere der Erkrankung nicht möglich
Durchgehende Sauerstoff-Therapie
90
Trotz maximaler Therapie nicht beherrschbare(s) Asthma/COPD
100
#Abweichung von Normwerten, v. a. von VO2 max, VO2,AT, P(A-a),O2, VE und ventilatorische Reserve, Fluss-Volumen-Kurve, Atemäquivalente
***leichtere Belastung: ‹ 40 % des Sollwertes nach Reiterer 1975 werden erreicht
Die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bei obstruktiven Atemwegserkrankungen sollte unter Berücksichtigung der Schwere der Erkrankung erfolgen.
Berücksichtigt werden hier die in der Anamnese vorgebrachten Beschwerden, die klinische Untersuchung der Lunge und Zeichen für eine pulmonale Hypertonie, die Lungenfunktion, die Blutgase in Ruhe und unter Belastung und die erforderliche Therapie. Die Diagnostik und Beurteilung der Folgen einer BK 4301 erfordert stets eine internistisch-pneumologische Differenzialdiagnose. Zu berücksichtigen sind vor allem andere Ursachen der Dyspnoe sowie Begleit- und Folgeerkrankungen der Atemwegserkrankung.
Zu berücksichtigen sind:
  • Andere Krankheiten im Bereich der Atemwege, wie Einengung durch Tumore oder Fremdkörper; Kompression der Atemwege durch umliegende Stukturen (Struma der Schilddrüse, vergrößerte Lymphknoten); Larynxdysfunktion (vocal cord dysfunction/VCD); Krankheiten der Atemwege im Rahmen von bronchopneumonischen Infektionen
  • Krankheiten von Lungenparenchym oder Lungengefäßen, wie Emphysem, Pneumonien, Lungenfibrosen, Lungenembolie, pulmonalarterielle Hypertonie, Mukoviszidose;
  • Krankheiten des Herzens, wie Linksherzinsuffizienz mit Lungenstauung bzw. Lungenödem (insbesondere ein beginnendes Lungenödem kann auskultatorisch wie Giemen klingen) bei verschiedenen kardialen Grunderkrankungen
  • Störungen der Atemregulation, insbesondere das Hyperventilationssyndrom. Hier muss auch an eine psychosomatische Ursache gedacht werden.
Die Abgrenzung eines Asthma bronchiale von einer COPD ist nicht immer eindeutig möglich, da es häufig Überlappungen der Krankheitbilder gibt (COPD; Chronische obstruktive Bronchitis, s. oben).
Erschwerend können noch Folgen bzw. Begleiterkrankungen einer chronischen Atemwegserkrankung, wie Emphysem und Cor pulmonale, hinzukommen.
Die Feststellung des Schweregrades der BK-Folgezustände ist wichtig, denn hieraus ergeben sich berufskrankheitenrechtliche (Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit) und ggf. auch therapeutische Konsequenzen.
Erweiterte Lungenfunktionsdiagnostik, Röntgenaufnahme bzw. Computertomographie des Thorax, Echokardiographie und Bestimmung des BNP (Brain Natriuretic Peptide, B-Type Natriuretic Peptide) können die entsprechenden Verdachtsdiagnosen erhärten, die sichere Diagnose einer pulmonalarteriellen Hypertonie ist durch eine (nicht duldungspflichtige) Rechtsherzkatheteruntersuchung möglich.

BK 4301 – Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie),

die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (BK 4301)
Das allergische Berufsasthma gehört zu den häufigeren Berufserkrankungen. Die Zahl der Verdachtsfälle und der Anerkennungen hat jedoch nach 1998 deutlich abgenommen, eine Folge der deutlichen Verbesserungen der Primärprävention. Von den 2020 insgesamt angezeigten 106.491 Verdachtsfällen betrafen 1176 allergische Atemwegserkrankungen, die Zahl der anerkannten Berufserkrankungen (BK 4301) betrug 220 von insgesamt 37.181 Fällen. Von 2005 bis 2018 waren die Zahlen der Verdachtsfälle und anerkannten Fälle einer BK 4301 relativ konstant. Das berufliche Umfeld ist eine häufige Ursache für das Auftreten eines Asthmas im Erwachsenenalter (Nationale VersorgungsLeitlinie Asthma 2020; Toren und Blanc 2009). Es gibt nationale und internationale Empfehlungen zur Diagnostik der Erkrankung, die die Qualität von Konsensuspapieren haben (Buhl 2006; DGUV, Reichenhaller Empfehlungen 2012; Tarlo et al. 2008; Tarlo und Malo 2009). Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich auf diese Empfehlungen.
Eine Verdachtsdiagnose und damit die BK-Anzeige wegen des Verdachts auf eine Erkrankung nach Nr. 4301 ist immer dann begründet, wenn Arbeitsplatz- (besser Arbeitsstoff-)bezogen charakteristische Symptome – insbesondere anfallsweise Dyspnoe bzw. Atembeklemmung, Husten, Niessalven, Fließschnupfen, Au-genbrennen – oder eine Kombination dieser Symptome auftreten.
Die Schwierigkeiten einer korrekten Diagnosestellung sind nicht unbeträchtlich. Sie beruhen vor allem auf folgenden Sachverhalten:
  • Allergische bzw. asthmatische Erkrankungen sind in der Allgemeinbevölkerung häufig, daher stößt eine Abgrenzung beruflicher und außerberuflicher kausaler Faktoren oft auf Schwierigkeiten.
  • Zusätzliche unspezifische Faktoren spielen in Pathogenese und Verlauf allergischer Erkrankungen oft eine entscheidende Rolle, vor allem bezüglich des Hyperreagibilitätsgrades der Atemwege, sind aber kaum quantifizierbar; daher ist die tatsächliche Bedeutung nachweisbarer allergischer Pathomechanismen nicht immer sicher abgrenzbar.
  • Zuverlässige allergologische Nachweisverfahren existieren nur für einen Teil der Berufsallergene. Dazu kommt, dass bei einem Teil der Berufsstoffe der Pathomechanismus der Krankheitsverursachung nicht bekannt noch nicht bekannt ist.

BK 4302 – Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen,

die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (BK 4302)
Die irritative oder toxische Wirkung von Gefahrstoffen hängt von ihrer chemischen Struktur, der Zusammensetzung und ihren chemisch-physikalischen Eigenschaften ab. Das Krankheitsgeschehen kann akut unfallartig durch das Einatmen von Gasen, Dämpfen oder Stäuben in hohen Konzentrationen oder chronisch nach inhalativer Exposition gegenüber entsprechenden Noxen meist über einen längeren Zeitraum erfolgen.
Häufig handelt es sich auch um Stoffgemische. Beispiele von bekannten Arbeitsstoffen im Sinne der BK 4302 sind in. Tab. 2 in Abhängigkeit von ihrem primären Wirkort aufgeführt; weitere Arbeitsstoffe mit irritativer Wirkung listet die untenstehende Übersicht auf. Bei der sich rasch fortentwickelnden und verändernden Technologie kann eine solche tabellarische Zusammenstellung jedoch nicht vollständig sein und bedarf immer wieder der Ergänzung (Baur et al. 2012).
Tab. 2
Wirkorte von Arbeitsstoffen in Abhängigkeit von deren Wasserlöslichkeit
Arbeitsstoff
Reizlokalisation
Weitere Wirkungen
Augen, Rachen
Bronchien
Alveolen
Formaldehyd
×
(×)
Acrolein
×
(×)
Ammoniak
×
(×)
Salzsäuredämpfe
×
(×)
Sulfochloride
×
×
Cyanurfluorid
×
×
Phthalsäureanhydrid
×
×
Bronchiale Sensibilisierung
Tertiäre aliphatische Amine
×
×
Chlorcyan
×
×
(×)
Atemfermenthemmung
Schwefelwasserstoff
×
×
(×)
Atemfermenthemmung
Ethylenimin
×
×
(×)
Erbrechen
Schwefeldioxid
×
×
(×)
Phosphorchlorid
×
×
(×)
Arsentrichlorid
×
×
(×)
Isocyanate
×
×
(×)
Bronchiale Sensibilisierung
Chlor, Brom, Fluor
(×)
×
(×)
Fluorwasserstoff
(×)
×
(×)
Calciumfällung
Selenwasserstoff
×
(×)
(×)
Übelkeit, Leberschäden
Dimethylsulfat
×
×
×
Perchlormethylmercaptan
×
×
×
Leber- u. Nierenschäden
Chlorpikrin
×
×
×
Met-Hb-Bildung
Ozon
×
×
×
Vanadiumpentoxid
×
×
×
Nitrose Gase, Stickoxide
(×)
(×)
×
NO: Met-Hb-Bildung, Hypotonie
Phosgen
(×)
(×)
×
Chlorameisensäureester
(×)
×
×
Diazomethan
(×)
×
×
Zinknebel
(×)
×
×
Cadmiumoxid
(×)
(×)
×
Leberschäden
Borwasserstoffe (Borane)
(×)
(×)
×
Neurotoxizität
Phosphorwasserstoff
(×)
×
Gastrointestinale Symptome
Methylfluorosulfat
×
×
Teflon-Verbrennungsprodukte
×
×
Nickel-/Eisencarbonyle
×
×
ZNS-Schäden
Beryllium/Verbindungen
×
×
Berylliose
Wichtige Beispiele irritativ wirkender Arbeitsstoffe:
(Merkblatt zur BK 4302)
  • Leicht flüchtige organische Arbeitsstoffe z. B. Acrolein, Ammoniak, Ethylenimin, Formaldehyd, Phosgen
  • Schwer flüchtige organische Arbeitsstoffe, z. B. Säureanhydride, Härter für Epoxidharze, Isocyanate, Naphthochinon, p-Phenylendiamin, Peroxide
  • Leicht flüchtige anorganische Arbeitsstoffe, z. B. Ozon, Stickoxide, Phosphorchloride, Schwefeldioxid
  • Schwer flüchtige anorganische Arbeitsstoffe, z. B. Persulfat, Zinkchlorid, Beryllium und seine Verbindungen (BK 1110), Cadmiumoxid I (BK 1104), Chromate (BK 1103), Vanadiumpentoxid (BK 1107)
Da der Wirkort nicht ausschließlich von der Wasserlöslichkeit der Noxen bestimmt wird, sondern u. a. auch vom physikalischen Aggregatzustand und der inhalierten Menge, ist die Zuordnung in Tab. 2 nur als Orientierung gedacht. Diller schlug vor, ein oberes Reizsyndrom, das sich vorwiegend auf die Augen und den oberen Respirationstrakt erstreckt, von einem unteren Reizsyndrom zu unterscheiden, das die tieferen Bronchialwege und den Alveolarbereich erfasst. Zu den Stoffen, die ein oberes Reizsyndrom hervorrufen, gehören z. B. Ammoniak, Formaldehyd und Salzsäure.
Phosgen, nitrose Gase und Cadmiumrauch führen dagegen zur Schädigung der peripheren Bronchialabschnitte und des Alveolarraums. Insbesondere Phosgen zeigt nur eine geringe Reizwirkung an den Augen und oberen Atemwegen, es führt konzentrationsabhängig in erster Linie direkt zu einem toxischen Lungenödem. Andere lipophile und gut alveolargängige Stoffe verhalten sich ähnlich. Nach einem symptomfreien Intervall kann die Alveolarschädigung zur Ausbildung von Alveolitiden und einem Lungenödem führen. Die Dauer des symptomfreien Intervalls bis zur klinischen Manifestation des Lungenödems ist dabei in erster Linie abhängig von der inhalierten Dosis der betreffenden Noxen. Sie kann 12–24 h betragen, bei Hexafluorcyclobuten sogar bis 48 h.
CAVE
Dabei ist zu beachten, dass die in diesen Fällen meist massive, innerhalb einer Arbeitsschicht erfolgende akute Exposition formal einen Arbeitsunfall darstellt. Entwickelt sich aus einer massiven akuten Exposition ein Krankheitsbild einer Atemwegs-BK, kann dieses als Berufskrankheit (z. B. BK 4302) anerkannt und entschädigt werden.
Als Auslöser einer obstruktiven Ventilationsstörung kommen daher eher die Stoffe in Betracht, deren Disposition in erster Linie bronchial erfolgt und die dort eine chemisch-irritative Wirkung haben.
Je nach Intensität und Dauer der Exposition chemisch-irritativ wirkender Stoffe kommt es lokal zur Reizung (Irritation) sensorischer Rezeptoren der Bronchialschleimhaut und daraus resultierender Reflexbronchokonstriktion im Sinne einer obstruktiven Belüftungsstörung.
Bei der Einwirkung chemisch-toxischer Stoffe werden u. a. Schleimhautschäden in Abhängigkeit von der Wasserlöslichkeit, vorwiegend im oberen oder unteren Atemtrakt (Tab. 2), verursacht mit einer daraus resultierenden Störung der mukoziliären Reinigungsfunktion und einer gestörten Membranfunktion des Bronchialepithels. Aus letzterer kann sich, ähnlich wie bei bakteriellen, viralen oder allergischen Bronchialaffektionen, eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität entwickeln.
Im Mittelpunkt des Krankheitsgeschehens steht die Atemwegsobstruktion, häufig in Verbindung mit einer Lungenüberblähung und einer gesteigerten bronchomotorischen Erregbarkeit (bronchiale Hyperaktivität).
Bei den morphologischen Veränderungen der Bronchialschleimhaut stehen Entzündungserscheinungen mit Schleimhautschwellung im Vordergrund. Daneben bestehen Hypersekretion und Dyskrinie (Verdickung des Bronchialsekrets). Dieser Prozess begünstigt Schleimhautstauungen und bakterielle Keimansiedlungen.
Es können anatomische Dauerschäden im Bereich der Bronchiolen mit daraus resultierenden obstruktiven Prozessen und der Entwicklung einer COPD, eines Emphysems bzw. einer Emphysembronchitis auftreten.
Das Reaktionsmuster des bronchopulmonalen Systems ist trotz der chemischen Verschiedenartigkeit der hier in Betracht kommenden Arbeitsstoffe verhältnismäßig gleichförmig. An Beschwerden werden akuter oder schleichend einsetzender Husten, unterschiedlich starker Auswurf, Luftnot und vereinzelt Brustschmerzen genannt, daneben Reizerscheinungen an den Schleimhäuten im Bereich der Augen und des Nasenrachenraums. Bei gut wasserlöslichen Reizgasen, wie z. B. Ammoniak, ist auch ein tödlich verlaufender Laryngospasmus beschrieben worden.
Ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Inhalation ist in der Regel gegeben. Es werden folgende Verlaufsformen unterschieden:
  • das akute Krankheitsbild nach massiver, kurzdauernder, unfallartiger Einwirkung (Reactive Airway Dysfunction Syndrome (RADS)) mit Reversibilität der Symptome oder auch mit Übergang in ein chronisches Krankheitsbild
  • das schleichend beginnende Krankheitsbild nach chronischer Einwirkung mit Reversibilität der Symptome;
  • das schleichend beginnende Krankheitsbild nach chronischer Einwirkung mit Irreversibilität der Symptome.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass eine vorbestehende Bronchialerkrankung oder ein allergisches Asthma bronchiale die zusätzliche Manifestation einer obstruktiven Atemwegserkrankung auf chemisch-irritativer oder toxischer Basis im Sinne einer wesentlichen Verschlimmerung der Anlageerkrankung begünstigen kann.
Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass bei jedem Bronchialleiden eine fast unübersehbare Zahl von beruflichen und außerberuflichen chemischen und physikalisch-irritativen Reizen über sensorische Rezeptoren in der Bronchialschleimhaut eine Reflexbronchokonstriktion auslösen können.
Eine unspezifische bronchiale Hyperreaktivität kann auch ohne erkennbare Ursache oder Krankheitssymptome vorliegen. Sobald eine für Asthma bronchiale krankheitstypische Symptomatik hinzukommt, kann die Diagnose Asthma bronchiale gestellt werden.
Bei bestehender unspezifischer bronchialer Hyperreaktivität können auch unspezifische Reize (beruflich oder außerberuflich) zu einer obstruktiven Reaktion führen. Auch schwache Reize wie kalte Luft, Nebel, Kosmetika, geruchsintensive Substanzen oder die nicht zu den Reizgasen gehörenden Lösungsmittel bzw. Lösungsmittelgemische (z. B. Alkohole, Testbenzin, Kaltreiniger, Chlorkohlenwasserstoffe) sind in der Lage, bei Bronchialerkrankten oder Personen mit gesteigerter bronchomotorischer Erregbarkeit eine Reflexbronchokonstriktion auszulösen. Diese klingt im Allgemeinen nach Beseitigung des Reizes folgenlos ab.
Nur bei länger anhaltenden, sich stetig wiederholenden Einwirkungen, vor allen Dingen in höheren Konzentrationen, und bei stark chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen sind Dauerschäden im Sinne einer Verschlimmerung möglich.
Eine Berufskrankheit wird man in diesen Fällen allerdings nur dann wahrscheinlich machen können, wenn der beruflichen Belastung neben den außerberuflichen, zum gleichen Effekt führenden Reizen eine wesentliche Mitursache zukommt oder wenn die berufliche Exposition sich wesentlich verschlimmernd auf die außerberuflich verursachte Bronchialerkrankung auswirkt.
Die gelegentliche Verschlimmerung der Atembeschwerden eines Patienten mit bekannter Bronchitis oder Asthma am Arbeitsplatz beweist noch nicht den kausalen Zusammenhang des Leidens mit der beruflichen Noxe (Gelegenheitsursache).
Cave:
Bei der engen Beziehung, die die bronchiale Hyperreaktivität zur nichtberuflichen obstruktiven Bronchitis und zum Asthma bronchiale hat, sind daher in jedem Fall die außerberuflichen konkurrierenden Krankheitsursachen wie chronisches Inhalationsrauchen, akute oder chronische Infekte der Atmungsorgane und andere Lungenerkrankungen für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs angemessen zu berücksichtigen.
Die inhalative Provokation mit Arbeitsstoffen (Arbeitsplatzbezogener Inhalationstest, AIT) ist eher eine Domäne der Diagnostik bei V.a. allergisches Asthma bronchiale und weniger bei irritativ-toxischen Arbeitsstoffen. Grundsätzlich sollte angesichts der schleimhauttoxischen Wirkung des Arbeitsstoffes die Indikation daher streng gestellt werden. Grundsätzlich sollten Provokationsuntersuchungen nur unter strenger Beachtung der Kontraindikationen und der Absetzfristen der Medikation sowie nach Möglichkeit unter fortlaufender Expositionskontrolle (Luftmonitoring) während der Exposition durchgeführt werden.
Bei dem Personenkreis mit unspezifischer bronchialer Hyperreaktivität und manifester obstruktiver Atemwegserkrankung tragen diese Untersuchungen meist nicht zur Aufklärung der eigentlichen Krankheitsursache bei, da es sich dabei um unspezifische Reaktionen handelt, die mit vielen anderen irritativ wirkenden Stoffen beliebig wiederholbar sind. Häufig scheitern solche diagnostischen Versuche auch an der Unmöglichkeit, die Arbeitsplatzbelastungen im Hinblick auf Konzentration und Einwirkungszeit im AIT realistisch zu imitieren (AIT-Leitlinie 2021).
In diesen Fällen sind spirometrische Langzeitmessungen unter den üblichen Arbeitsplatzbedingungen und unter arbeitsmedizinischer/betriebsärztlicher Kontrolle in Betracht zu ziehen, um die Wirkungen der beruflichen Expositionen auf den Atemtrakt zu objektivieren.
Zur Minderung der Erwerbsfähigkeit bei BK 4302: Tab. 1.
Die BK 4302 hat in den letzten Jahren an Bedeutung verloren. Nach der offiziellen Statistik wurden in den Jahren 2015, 2018 und 2020 jeweils 1506, 1680 bzw. 1484 Verdachtsfälle angezeigt und jeweils 209, 159 bzw. 193 Fälle anerkannt. Seit 2005 halten sich diese Zahlen mit leichten Schwankungen stabil.
Literatur
Arbeitsplatzbezogener Inhalationstest (AIT) – specific inhalation challenge (SIC) AWMF-Register Nr. 002/026 Klasse: S2k (2021). https://​www.​awmf.​org/​uploads/​tx_​szleitlinien/​002-026l_​S2k_​Arbeitsplatzbezo​gener-Inhalationstest-AIT_​2021-12.​pdf
Baur X, Bakehe P, Vellguth H (2012) Bronchial asthma and COPD due to irritants in the workplace – an evidence-based approach. J Occup Med Toxicol 7:19CrossRef
Buhl, R et al (2006) Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma. Pneumologie 60:139–183., www.​awmf.​de
DGUV (2012) Empfehlung für die Begutachtung der Berufskrankheiten der Nummern 1315 (ohne Alveolitis), 4301 und 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV). Reichenhaller Empfehlungen. www.​dguv.​de/​publikationen
Nationale VersorgungsLeitlinie Asthma. 4. Aufl. (2020) Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. https://​www.​leitlinien.​de/​themen/​asthma
Tarlo SM, Malo J-L (2009) An official ATS proceedings: Asthma in the workplace. Proc Am Thorac Soc 6:339–349CrossRef
Tarlo SM, Balmes J, Balkissoon R et al (2008) Diagnosis and management of work-related asthma: American College of Chest Physicians Consensus Statement. Chest 134:1 S–41 SCrossRef
Toren K, Blanc PD (2009) Asthma caused by occupational exposures is common – a systematic analysis of estimates of the population­attributable fraction. BMC Pulm Med 9:7. www.​biomedcentral.​com/​1471-2466/​9/​7CrossRef
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