Epikutantest (Läppchentest; Typ-IV-Testung)
Der Epikutantest
ist die adäquate diagnostische Methode zur Aufklärung allergischer Dermatosen vom Typ der Spätreaktion (Typ-IV nach Coombs und Gell). Epikutantests werden als Bestätigungstests oder als Suchtests zur Klärung des Verdachts auf eine allergisch bedingte Berufsdermatose
, bei ätiologisch oder nosologisch ungeklärtem Ekzem oder bei Verdacht einer Provozierung oder Verschlimmerung einer bestehenden Dermatose durchgeführt. Sie sind nicht geeignet, die Entwicklung einer Kontaktallergie
vorherzusagen, die Durchführung zu diesem Zweck (sog. prophetische Testung) wird von der Fachgesellschaft Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG) (Schnuch et al.
2001; Przybilla et al.
2003) abgelehnt. Die Indikation, Durchführung und Bewertung der Epikutantestung werden in der aktuellen Leitlinie „Epikutantest“ der DDG sowie auch der Leitlinie der European Society of Contact Dermatitis (ESCD) beschrieben und erläuert (Johansen et al.
2015; Mahler et al.
2019a,
b). Die Testung soll nach Abklingen der akuten Phase des Ekzems zur Anwendung kommen; ansonsten sind falsch positive Reaktionen zu befürchten.
Die Reaktionen werden obligat nach 24 h bzw. 48 h und nach 72 h oder später abgelesen bzw. bewertet. Nach den Empfehlungen der DDG erfolgt die Bewertung entsprechend den in Tab.
1 aufgeführten Kriterien. Nicht jede positive Reaktion im Epikutantest hat für den Betroffenen eine klinische Relevanz, diese muss durch anamnestische Fakten belegt werden (Schnuch et al.
2001). Die Durchführung und Bewertung des Epikutantests sind in den einschlägigen Leitlinien zur Epikutantestung (Johansen et al.
2015; Mahler et al.
2019a,
b) beschrieben.
Tab. 1
Ableseskala für Testreaktionen nach der aktuellen Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) in Bezugnahme auf die Deutsche Kontaktallergie-Gruppe (DKG) sowie die International Contact Dermatitis Research Group (ICDRG) (Lindberg und Matura
2011; Mahler et al.
2019a,
b)
– | Unveränderte Haut | neg. | Unveränderte Haut | Negativ |
? | Nur Erythem | ?+ | Schwaches Erythem (fragliche Reaktion) | Unklar (allergisch oder irritativ) |
f | Wenige follikuläre Papeln | | | Unklar (allergisch oder irritativ) |
+ | Erythem, Infiltration, evtl. diskrete Papeln | + | Erythem, Infiltration, evtl. Papeln | Schwach positiv (i. d. R. allergisch) |
++ | Erythem, Infiltration, Papeln, Vesikel | ++ | Erythem, Infiltration, Papeln, Vesikel | Stark positiv (allergisch) |
+++ | Erythem, Infiltration, konfluierende Vesikel | +++ | Ausgeprägtes Erythem und Infiltration mit konfluierenden Vesikeln | Extrem positiv (allergisch) |
Ir | ** | IR | Irritative Reaktionen verschiedenen Typs | Irritativ |
n.t. | | NT | | Nicht getestet |
Die Testung von patienteneigenem Material bzw. berufsspezifischen Substanzen erfolgt nach anderen Kriterien (Frosch et al.
1997; Krautheim et al.
2018). Sie ist grundsätzlich abzulehnen, wenn die Zusammensetzung der Substanzen oder deren Inhaltsstoffe nicht bekannt sind.
In der Regel werden die zum Zeitpunkt 72 h oder später als „+“ bis „+++“ beurteilten Reaktionen als „allergisch“ bewertet; nicht selten werden Testreaktionen im Sinne einer Kontaktsensibilisierung aber auch erst zu späteren Ablesungszeitpunkten deutlich, weshalb über 72 h hinausgehende Spätablesungen empfohlen werden (Mahler et al.
2019a,
b).
Unter der Vielzahl von Substanzen, die potenziell zu Reaktionen im Epikutantest führen können, sind solche bekannt, die häufig als Auslöser von Ekzemen auftreten und andere, die nur gelegentlich zu derartigen Wirkungen führen. Dieser Umstand hat neben der alphabetischen Auflistung potenziell wirksamer Substanzen mit ihren Lösungsmitteln, Grenz- und Prüfkonzentrationen zu sog. Standardtests
geführt (Tab.
2) und darüber hinaus zu speziellen Testsubstanzgruppen
(Tab.
3), darunter auch berufsgruppenbezogenen Stoffzusammenstellungen und zur Zuordnung bestimmter Berufsgruppen zu Substanzklassen (Brehler und Hellweg
1996; Fuchs und Schulz
2002; Fuchs und Gutgesell
2002; Hölzle
2002; Mahler et al.
2019a,
b).
Tab. 2
Standardtestreihe der Deutschen Kontaktallergie-Gruppe (DKG) in der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG), Stand Januar 2022 (Deutsche Kontaktallergie-Gruppe
2022)
1 | Kaliumdichromat | 0,5 | % | Vas. |
2 | Thiuram-Mix | 1 | % | Vas. |
3 | | 1 | % | Vas. |
4 | Perubalsam | 25 | % | Vas. |
5 | Kolophonium | 20 | % | Vas. |
6 | N-Isopropyl-N’-phenyl-p-phenylendiamin | 0,1 | % | Vas. |
7 | Wollwachsalkohole | 30 | % | Vas. |
8 | Mercapto-Mix ohne MBT (nur CBS, MBTS, MOR) | 1 | % | Vas. |
9 | Epoxidharz | 1 | % | Vas. |
10 | Methylisothiazolinon | 0,05 | % | Aqu. |
11 | | 5 | % | Vas. |
12 | Formaldehyd | 1 | % | Aqu. |
13 | Duftstoff-Mix | 8 | % | Vas. |
14 | Terpentin | 10 | % | Vas. |
15 | Propolis | 10 | % | Vas. |
16 | 2-Hydroxyethylmethacrylat (HEMA) | 1 | % | Vas. |
17 | (Chlor)-Methylisothiazolinon (MCI/MI) | 100 | | Aqu. |
18 | Sandelholzöl | 10 | % | Vas. |
19 | Compositae Mix II | 5 | % | Vas. |
20 | Mercaptobenzothiazol | 2 | % | Vas. |
21 | HICC (Lyral) | 5 | % | Vas. |
22 | Iodpropinylbutylcarbamat | 0,2 | % | Vas. |
23 | Duftstoff-Mix II | 14 | % | Vas. |
24 | Sorbitansesquioleat | 20 | % | Vas. |
25 | Ylang-ylang (I + II) Öl | 10 | % | Vas. |
26 | Jasmin absolut | 5 | % | Vas. |
27 | Natriumlaurylsulfat (SLS) | 0,25 | % | Aqu. |
Tab. 3
Übersicht über spezielle Epikutantestreihen
der Deutschen Kontaktallergie-Gruppe (DKG) in der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG), Stand Januar 2022 (Deutsche Kontaktallergie-Gruppe
2022)
1 | DKG Standardreihe |
42 | DKG Standardreihe für Kinder |
18 | DKG Externa-Inhaltsstoffe |
38 | DKG Konservierungsmittel, z. B. in Externa |
30 | |
31 | DKG Antimykotika |
22 | |
6 | |
4 | DKG Ophthalmika |
32 | DKG Weitere Arzneistoffe |
33 | DKG Aufschlüsselung des Duftstoff-Mixes |
41 | DKG Aufschlüsselung des Duftstoff-Mixes II |
43 | DKG Weitere deklarationspflichtige Duftstoffe |
44 | DKG Weitere Duftstoffe und etherische Öle |
45 | DKG Nachtestung bei Reaktion auf Perubalsam |
5 | DKG Desinfektionsmittel |
8 | DKG Gummireihe |
28 | DKG Kunstharze/Kleber |
12 | DKG Leder und Schuhe |
24 | DKG Leder- und Textilfarben |
15 | DKG Pflanzen-Inhaltsstoffe |
26 | DKG Aromatische p-Aminoverbindungen |
29 | DKG Bau-Hauptgewerbe |
2 | DKG Friseurstoffe |
46 | DKG Kühlschmierstoffe |
37 | DKG Industrielle Biozide |
39 | DKG Zahntechniker – Hauptreihe |
17 | DKG Dentalmetalle |
47 | DKG Tätowiermittel |
48 | DKG Knochenzementbestandteile |
Ein grundsätzliches Problem der letzten Jahre, welches sich maßgeblich mit für die Epikutantestung eigentlich unangebrachten Änderungen in der Arzneimittelgesetzgebung verbindet, ist die sehr eingeschränkte Verfügbarkeit von kommerziellen Kontaktallergenen. Hinzu kommen in letzter Zeit die globalen Lieferkettenengpässe. Derzeit existieren 351 kommerzielle Testallergene für Epikutantestungen in Deutschland, von denen 184 über eine Zulassung beim hierfür zuständigen
Paul-Ehrlich-Institut (PEI) verfügen (Paul-Ehrlich-Institut
2022a). Weitere 167 verkehrsfähige Testallergene sind zwar noch im Stadium des Zulassungsverfahrens (Paul-Ehrlich-Institut
2022b), im Rahmen einer Übergangsregelung derzeit aber faktisch den zugelassenen Testallergenen gleichgestellt. Dem gegenüber stehen ca. 4900 allergieauslösende chemische Stoffe, die mitsamt ihrer Testkonzentration und des zu verwendenden Applikationsvehikels beschrieben sind (de Groot
2018,
2020). Hier ergibt sich eine beklemmende diagnostische Lücke, die durch fehlendes Wissen über neu in Verkehr gebrachte potenzielle Kontaktallergene noch verstärkt wird (Uter et al.
2018).
Ein allergieauslösender Stoff kann nur dann detektiert werden, wenn dieser im Rahmen einer Epikutantestung berücksichtigt wird. Entsprechend ist die Epikutantestung mit patienteneigenen Substanzen im beruflichen Bereich eine hochrelevante diagnostische Maßnahme, die allerdings den testenden Arzt vor komplexe Anforderungen stellt (Krautheim et al.
2018). Die zu testenden Stoffe sind nicht nur hinsichtlich ihrer Verdünnung (geeignete Testkonzentration) angemessen aufzubereiten, sondern auch in Bezug auf die Auswahl eines geeigneten Applikationsvehikels, um das Auftreten falsch positiver bzw. falsch negativer Testreaktionen, aber auch die Induktion einer iatrogenen Sensibilisierung (noch dazu gegen Berufsstoffe) zu vermeiden (Krautheim et al.
2018; de Groot
2020). Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft für Berufs- und Umweltdermatologie (ABD) einen Standarddokumentationsbogen für die Testung von patienteneigenen Substanzen entwickelt, der sich auch für die Begutachtung empfiehlt (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung
2020). Für das Vorgehen bei der Testung von Berufsstoffen wurden für einzelne wichtige Bereiche eigene Vorgehensweisen entwickelt. So werden Kühlschmierstoffe nach entsprechenden Empfehlungen getestet, die zwischen wasserlöslichen und wasserunlöslichen Kühlschmiermitteln sowie ungebrauchten und in industriellen Verfahren bereits gebrauchten Kühlschmiermitteln differenzieren (Geier et al.
2000). Für eine Vielzahl von beruflichen Stoffgemischen und deren Inhaltsstoffe fehlen verlässliche Daten bezüglich der Identifikation einer geeigneten Testkonzentrationen sowie der Auswahl eines geeigneten Applikationsvehikels (de Groot
2020). Besonders mangelt es gegenwärtig an standardisierten Testkonzentrationen für beruflich verwendete Produkte und deren enthaltene Komponenten (Krautheim et al.
2018).
Im Falle einer Epikutantestung mit Stoffen, für die keine verlässlichen Daten bezüglich der Testkonzentration und des zu verwendenden Applikationsvehikels vorliegen, wie beispielsweise auch patienteneigenen Substanzen, muss der Untersuchende entscheiden, wie die aufzubringenden Substanzen zur Testung vorzubereiten sind. Oft wird dies nur approximativ möglich sein, gegebenenfalls nach vorheriger Testung im offenen Anwendungstest (Johansen et al.
2015; Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung
2017; Krautheim et al.
2018; Mahler et al.
2019a,
b). Voraussetzung ist immer die gründliche Recherche bezüglich der Inhaltsstoffe eines Stoffgemisches bzw. von Produkten, wie beispielsweise Handschuhen (z. B. in der GESTIS-Stoffdatenbank, dem Gefahrstoffinformationssystem der DGUV, in GISBAU, dem Gefahrstoffinformationssystem der Berufsgenossenschaft (BG) BAU (BG BAU
2022), oder auch in der
Datenbank der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) (Europäische Chemikalienagentur
2022)) sowie die Herbeiziehung von Sicherheitsdatenblättern (z. B. über ISi, das Informationssystem für Sicherheitsdatenblätter des Instituts für
Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) in Kooperation mit dem Verband der chemischen Industrie (VCI) (Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
2022)). Da Sicherheitsdatenblätter allerdings nur Inhaltsstoffe ab einer Konzentration von einem Prozent deklarieren müssen, können allergologisch relevante Komponenten unter Umständen in ihnen nicht aufgeführt sein.
Um der bestehenden gravierenden diagnostischen Lücke entgegenzuwirken, wird gegenwärtig ein Forschungsvorhaben der DGUV mit dem Ziel einer Standardisierung der Diagnostik von Typ-IV-Allergien gegenüber patienteneigenen Substanzen, basierend auf einer systematischen Evaluation der verfügbaren Daten von bundesweit bei Verdacht auf
Berufsdermatosen veranlassten Epikutantestungen, durchgeführt (John
2021; Symanzik et al.
2021a). Gleichzeitig wird es dadurch möglich, Hinweise auf neue Allergene zu gewinnen und für eine breite wissenschaftliche Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Empfohlen wird bei Verdacht auf ein
allergisches Kontaktekzem, dass die Standardreihe bei jedem Patienten getestet wird und die speziellen Testreihen stets in Ergänzung getestet werden. Auf Wiederholungen von Allergenen aus der Standardreihe wurde daher bewusst verzichtet. Die einzelnen Testreihen sind so zusammengestellt, dass möglichst wenige Testsubstanzen in mehr als einer Testreihe vorkommen (Schnuch et al.
2001,
2008). Die nachfolgende Aufstellung der häufigsten Sensibilisatoren ist als Erläuterung zu verstehen. Vollständigkeit ist wegen der Vielzahl allergisierender Stoffe, des Wechsels der Substanzen je nach Expositionshäufigkeit in der Bevölkerung und Sensibilisierungspotenz der Substanzen und der von Fall zu Fall wechselnden Voraussetzungen nicht erreichbar; diesbezüglich wird auf Standardwerke verwiesen (de Groot
1986; Borelli
1988; Pilz und Frosch
1995; Fuchs und Schulz
2002; Fuchs und Gutgesell
2002; Rycroft et al.
2013; de Groot
2018,
2020). Die häufigsten Sensibilisatoren
lassen sich nach folgenden Gruppen ordnen:
-
Metallverbindungen: Chrom-, Nickel- und Kobaltsalze,
-
Gummiinhaltsstoffe: z. B. Thiurame,
Carbamate, Benzothiazole, Thioharnstoffe,
-
Farbstoffe: aromatische Amino- und Nitroverbindungen,
-
Kunststoffe: Epoxidharze, Akrylate, Härter, reaktive Verdünner,
-
Pflanzen und Hölzer (z. B. Kompositen/Sesquiterpenlaktone),
-
Oxidationshaarfarben (z. B. Paraphenylendiamin), Ammoniumpersulfat; früher: Glycerylmonothioglykolat („saure Dauerwelle“),
-
Im Rahmen zweier kürzlich durchgeführter Feldstudien im Friseurhandwerk und einer kürzlich durchgeführten Feldstudie im Kosmetikhandwerk konnte gezeigt werden, dass dort verwendete metallische Arbeitswerkzeuge sowohl Nickel- als auch Kobalt-Ionen in allergologisch relevanten Mengen freisetzen (Symanzik et al.
2019,
2021b,
2022). Eine Nickel- und Kobaltliberation von Metallgegenständen kann mittels des sogenannten
nickel spot tests (Dimethylglyoxim-Test
) bzw. des sogenannten
cobalt spot tests (Nitroso-R-Salz-Tests
) erfolgen (Thyssen et al.
2010a; Thyssen et al.
2010b). Bei Rezidiven einer beruflich bedingten Kontaktallergie in der Berufsgruppe der Friseure und/oder Kosmetiker sollte eine Testung der Arbeitswerkzeuge auf
Nickel und/oder
Kobalt veranlasst werden. Angeregt werden kann eine solche Prüfung durch den Präventionsdienst der Unfallversicherungsträger.