Die Ärztliche Begutachtung
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Verfasst von:
Wolfgang Diederichs und Jana Pretzer
Publiziert am: 15.12.2022

Diagnostik von männlichen Geschlechtsorganen – Begutachtung

Die Abklärung von Erkrankungen und Verletzungen der männlichen Geschlechtsorgane nimmt einen breiten Raum in der täglichen urologischen Arbeit ein. Aufgrund der Komplexität der häufig zugrunde liegenden Risikofaktoren und der zu leistenden Diagnostik ist vielfach eine fachübergreifende enge Zusammenarbeit u. a. zwischen Radiologen, Psychologen, Endokrinologen und Neurologen erforderlich. In Einzelfällen kann auch eine humangenetische Beratung und Abklärung notwendig sein.

Allgemeines

Die männlichen Geschlechtsorgane gliedern sich in Hoden, Nebenhoden, Samenleiter, akzessorischen Geschlechtsdrüsen und Penis (Steger 2016). Im Zusammenspiel von Hypothalamus und Hypophyse erfolgt die Produktion von Testosteron und die Spermatogenese im Hodenparenchym. Die letztendliche Reifung der Spermien erfolgt im Nebenhoden. Die Spermien bilden zusammen mit den Sekreten der akzessorischen Geschlechtsdrüsen von Samenblasen, Prostata und den bulbourethralen Drüsen das Ejakulat. Die normalen Parameter des Ejakulates, sowie die Durchgängigkeit der ableitenden Samenwege und eine ausreichende penile Erektion sind die Voraussetzungen für die männlichen Fertilität.

Anamnese

Da die Ursachen für Erkrankungen der Geschlechtsorgane sehr unterschiedlich sind, bedarf es zunächst einer umfassenden Anamnese insbesondere zu relevanten lokalen als auch generellen Vorerkrankungen, möglichen Verletzungen, zur Einnahme von Medikamenten und Toxinen. Unbedingt sollte die Psychosozial-, Familien- als auch die Sexualanamnese erhoben werden (siehe auch Tab. 1). Hierbei ist u. a. der Zeitpunkt des Auftretens von ersten Beschwerden zu erfragen und eine Einbeziehung des Partners/der Partnerin in den Fragenkomplex anzustreben. Zum Teil können hierbei spezielle Fragebögen wie z. B. der IIEF (International Index of Erectile Dysfunction) hilfreich sein (Soave und Kliesch 2020).
Tab. 1
Häufige Risikofaktoren bei Erkrankungen der Geschlechtsorgane (Leiber 2016; Salonia et al. 2021)
Traumen
Schädel-Hirntrauma, Querschnittlähmung, schwere
 
Beckentraumen bzw. radikal chirurgische Eingriffe im kleinen Becken, Genital-/Hodenverletzungen
Neurologische Erkrankungen
Systemische Erkrankungen
 
Frühere Entzündungen
Epididymitis, Orchitis (Mumps)
Tumorerkrankungen
Hodentumor, Prostatakarzinom, erfolgte Bestrahlungen
Drogen
Nikotin, Alkohol, Drogen
Medikamente
Glukokortikoide, Testosteron, anabolische Steroide,
 
Opiate, Chemotherapeutika, Betablocker, Calcium-antagonisten

Körperliche Untersuchung

Zuerst sollte eine Einschätzung der Körperproportionen, die Verteilung des Körperfettes und der Körperbehaarung als auch die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale vorgenommen werden. Daran schließt sich dann die Untersuchung des äußeren Genitales an. Die Prüfung der lokalen Hautsensibilität als auch die Prüfung des Kremaster- und des Analreflexes können erste Hinweis auf mögliche neurogene Störungen geben. Die Lage der Hoden im Skrotum sollte erfasst werden. Hoden und Nebenhoden können gut im Seitenvergleich beurteilt werden. Hierbei sollte auch die Konsistenz der Organe beurteilt werden. Zur Volumenbestimmung der Hoden eignen sich spezielle Orchidometer als auch die Sonografie. Neben der Größeneinschätzung sollte bei der Untersuchung des Penis auf lokale Verhärtungen und Lage des Meatus urethrae zum Ausschluss einer Hypospadie geachtet werden. Abschließend wird eine digito-rektale Untersuchung vorgenommen. Hierbei sollte der Tonus des äußeren Schließmuskels, eine Einschätzung der Prostatagröße als auch deren Konsistenz sowie Auffälligkeiten im Analbereich geprüft werden.

Hormondiagnostik

Die Basislabordaten dienen einerseits zur Einschätzung des vorliegenden Hormon-Status andererseits der Beurteilung von möglichen Begleiterkrankungen (Tab. 2).
Tab. 2
Basislabordaten zur Einschätzung von Erkrankungen der Geschlechtsorgane (Leiber 2016; Salonia et al. 2021)
• allgemein
Blutbild, nüchtern Blutzucker, HbA1c, Blutfettwerte
• speziell
LH, FSH, Prolactin, Testosteron

Bildgebende Verfahren

Die wesentliche Rolle spielt hierbei die Sonografie, da die zu beurteilenden Organe mit der Schallsonde direkt erreicht werden können. In der Kombination der B-Bilddarstellung und der Anwendung der farbcodierten Duplexsonografie können die meisten Auffälligkeiten der Urogenitalorgane sicher und schnell beurteilt werden.

Sonografie des Skrotalinhaltes

Die Sonografie ist der Goldstandard in der Diagnostik von skrotalen Pathologien (Stephan et al. 2020). Unter Verwendung eines hochauflösenden linearen Schallkopfes werden die skrotalen Organe im Längs- und Querschnitt beurteilt. Neben der Volumenbestimmung von Hoden und Nebenhoden gilt es auch Veränderungen der Parenchymstrukturen (z. B. Tumorhinweise, Einblutungen, Zysten) zu erkennen. Beim akuten Skrotum können mithilfe der farbcodierten Duplexsonografie auch Erkenntnisse zu einer vermehrten oder verminderten Durchblutung von Nebenhoden und Hoden gewonnen werden und hilfreich für die Differenzierung einer Hodentorsion von einer Epididymitis sein (siehe Abb. 1 und 2). Weitere häufig darstellbare intraskrotale Pathologien sind die Hydrozele testis, die Spermatozele, die Varikozele als auch die Skrotalhernie.

Transrektale Sonografie von Prostata und Samenblasen

Im Gegensatz zur suprapubischen transvesikalen Sonografie können mit einer hochauflösenden transrektalen Sonde die echoreicheren äußeren Drüsenbezirke der Prostata gut von den inneren Bezirken differenziert werden und Pathologien von Prostata und Samenblasen (Abszess, Tumor, Zyste) differenziert werden. Zudem können verdächtige Organbezirke auch direkt punktiert bzw. biopsiert werden.

Farbcodierte Duplexsonografie der Penisarterien

Seit vielen Jahren werden vasoaktive Substanzen in die Penisschwellkörper injiziert zur Verbesserung der penilen Erektion (SKAT-Behandlung). Mittels dieser Pharmaka kann bei der Anwendung der farbkodierten Duplexsonografie die arterielle Perfusion der Penisarterien und der kavernöse Verschlussmechanismus der Corpora cavernosa geprüft werden (Soave und Kliesch 2020).

Ejakulatuntersuchungen

Die Ejakulatuntersuchungen erfolgen standardisiert gemäß den Empfehlungen der WHO (World Health Organization 2010). Die Untersuchungsergebnisse insbesondere bezüglich der Anzahl der Spermatozoen und der Spermatozoenmorphologie werden anhand der Referenzwerte der WHO (World Health Organization 2010) beurteilt (siehe auch Tab. 3).
Tab. 3
Referenzwerte der WHO für die Beurteilung des Ejakulates (World Health Organization 2010; Behre 2020)
Volumen des Ejakulates
1,5
ml
Gesamtspermienzahl
39
Mio./Ejakulat
Spermienkonzentration
15
Mio./ml
Gesamtmotilität
40
progressive + nicht prog. Motilität, %
Vitalität
58
lebende Spermien, %
Spermienmorphologie
4
normale Formen, %

Seltene Untersuchungen (Humangenetik, Hodenbiopsie)

Bei der Kinderwunschabklärung reichen vielfach die o. g. Untersuchungen nicht aus. Auch anhand der Ejakulatsanalyse kann die konkrete Fertilitätssituation des zu untersuchenden Mannes meist nur unscharf beurteilt werden (Diemer und Weiske 2020). Daher kann zum Ausschluss von Chromosomenanomalien oder auch bei einer geringen Spermienkonzentration eine humangenetische Untersuchung und Beratung notwendig werden. Die invasivste Untersuchungsmethode ist die Entnahme einer Hodenbiopsie, die unter diagnostischen aber meist therapeutischen Aspekten (Spermatozoen-Gewinnung zur TESE) erfolgt (Weidner 2020).
Literatur
Behre HM (2020) Ejakulatuntersuchungen (Andrologie). In: Jocham D et al (Hrsg) Praxis der Urologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart, New York
Diemer T, Weiske WH (2020) Infertilität des Mannes und andrologische Mikrochirurgie: Labordiagnostik. In: Jocham D et al (Hrsg) Praxis der Urologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart, New York
Leiber C (2016) Erektile Dysfunktion. In: Michel MS et al (Hrsg) Die Urologie. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg
Salonia A et al (2021) Sexual and Reproductive Health. EAU Guidelines Sexual and Reproductive Health | Uroweb. Zugegriffen am 27.01.2021
Soave A, Kliesch S (2020) Erektile Dysfunktion und andere penile Erkrankungen. In: Jocham D et al (Hrsg) Praxis der Urologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart, New York
Steger K (2016) Anatomische und physiologische Grundlagen der Fertilität und der sexuellen Funktion. In: Michel MS et al (Hrsg) Die Urologie. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg
Stephan C et al (2020) Ultraschall. In: Jocham D et al (Hrsg) Praxis der Urologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart, New York
Weidner W (2020) Infertilität des Mannes und andrologische Mikrochirurgie: Hodenbiopsie. In: Jocham D et al (Hrsg) Praxis der Urologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart, New York
World Health Organization (2010) WHO Laboratory Manual for the Examination and Processing of Human Semen. Fifth Edition. WHO laboratory manual for the examination and processing of human semen. Zugegriffen am 27.01.2021