Akute Entzündungen (Meningitis, Enzephalitis)
Akute entzündliche Erkrankungen des Zentralnervensystems (ZNS) entwickeln sich innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen und bilden sich bei günstigem Verlauf innerhalb weniger Wochen zurück. Während Verlaufscharakter und Prognose einer Infektion des ZNS sehr stark vom Erreger abhängen, wird das klinische Bild von Lokalisation und Ausdehnung der entzündlichen Herde bestimmt.
Breitet sich der Erreger im Subarachnoidalraum aus, dann entwickelt sich das relativ uniforme Syndrom der
Meningitis. Bei den parenchymatösen Entzündungen
hingegen begegnet man vielgestaltigen Krankheitsbildern von unterschiedlichen neurologischen Herdsymptomen, produktiven Psychosen bei enzephalitischen Prozessen bis zu myelitischen Querschnittsyndromen.
Prognostisch sind komplette Remissionen bis hin zu schwersten Defektsyndromen möglich. Die Tab.
1 und
2 geben einen Überblick über die gutachtlich wichtigsten akuten bakteriellen und viralen Hirnentzündungen.
Tab. 1
Gutachtlich wichtige akute bakterielle Infektionen mit Beteiligung des ZNS
Ambulant erworben |
| Tröpfcheninfektion, hämatogen | Medizinisches Personal, familiäre Disposition bei verschiedenen Komplementdefekten |
| | Splenektomie, Sichelzellanämie oder bei humoralem Immundefekt |
Listerien | Tierische und menschliche Ausscheidungen, hämatogen | Landwirtschaft, defekte zelluläre Immunität |
| Hämatogen | |
Leptospiren | Nagerexkremente | Landwirte, Tierzüchter, Wassersportler |
Nosokomial erworben |
| Fortgeleitet, posttraumatische Liquorfisteln | |
| Hämatogen und fortgeleitet (Liquorfisteln, Frakturen) | Neurochirurgischer Eingriff |
Staphylokokken | Fortgeleitet | Ventrikeldrainage |
Staphylokokken, Enterobakterien, Corynebakterien | Fortgeleitet | Ommaya-Reservoir für die intrathekale Chemotherapie von Hirntumoren |
Tab. 2
Häufige Erreger der viralen
Meningitis und der primären viralen
Enzephalitis
Herpes simplex Typ 1 (selten Typ 2) | Nekrotisierend-hämorrhagische Enzephalitis mit Bevorzugung der Temporallappen und des limbischen Systems; unbehandelt meist letaler Verlauf, bei rechtzeitiger Aciclovir-Therapie Letalität 10–20 %, neurologische Defizite in ca. 30 % |
Varicella Zoster | Enzephalitis bei immunsupprimierten Patienten >50 Jahren |
| 50 % der Bevölkerung seropositiv, bei Immunkompetenten meist gutartige Meningitis, HIV-assoziiert Enzephalitis/Polyneuroradikulitis |
| Mononucleosis infectiosa (Pfeiffer-Drüsenfieber); Hirnstammenzephalitis mit Zerebellitis, als parainfektiöse Enzephalitis; gute Prognose |
Paramyxoviren |
| Parotitis, Orchitis, Pankreatitis; Meningitis kann auch Parotitis vorausgehen |
| Parainfektiöse Enzephalitis; 2.–5. (bis 33.) Tag nach Exanthem, Mortalität 10 %, Defektheilung 50 % |
| Parainfektiöse Enzephalitis; 2.–5. (bis 33.) Tag nach Exanthem, Mortalität <8 % |
Enteroviren |
Coxsackie-A-Virus | Fieberhafte Herpangina; gelegentlich polioähnliche Verläufe mit guter Prognose |
Coxsackie-B-Virus | |
| Gastroenteritis; gutartige Meningoenzephalitis, polioähnliche Verläufe |
Arbovirosen |
| Frühsommer-Meningoenzephalitis; Endemiegebiete in Europa nach Zeckenstich (Süddeutschland, Tschechien, Slowakei, Österreich), Land- und Forstwirtschaft, 10 % Defektheilung |
LCM | Lymphozytäre Choriomeningitis; durch Nagetiere übertragen, langes Prodromalstadium mit Müdigkeit, Rückenschmerzen, Muskelschmerzen, Fallberichte schwerer Enzephalitisverläufe |
Rabies | Tollwut; Tierbiss (Inkubation bis 3 Monate), Forstwirtschaft, Vollbild der Infektion letal |
Gutachtliche Bewertung – Zusammenhangsfrage
In der
gesetzlichen
Unfallversicherung, bei Haftpflichtfragestellungen
und im sozialen
Entschädigungsrecht muss der Gutachter beurteilen, ob schädigungsbedingte Faktoren (z. B. Trauma,
Vergiftung, Infektion etc.) überhaupt vorliegen und falls das zutrifft, ob sie nach Art und Schwere in der Lage waren, die akute ZNS-Schädigung (Infektion) zu verursachen (
haftungsbegründende Kausalität). Auch
müssen konkurrierende und schädigungsunabhängige Faktoren, wie z. B. chronisch verlaufende Erkrankungen mit verminderter Immunabwehr oder eine prämorbide Störung in der Begutachtung berücksichtigt bzw. abgegrenzt werden.
Eine posttraumatische
Meningitis ist z. B. bei Nachweis einer erlittenen offenen
Schädelfraktur im Rahmen einer versicherten Tätigkeit mit gleichzeitiger Blutung aus Nase und Ohr bzw. erkennbarer Liquorrhoe in der Regel als Folge des Arbeitsunfalls (§ 8 SGB VII) anzuerkennen. Ein plausibles Zeitintervall von Tagen bis zu wenigen Wochen nach dem angeschuldigten Ereignis (offenes Trauma des Schädels), spricht eindeutig für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhangs. Schwieriger ist die Klärung der Zusammenhangsfrage bei einem zeitlichen Intervall von Monaten bis Jahren nach dem Schädeltrauma. Hier ist zum Beispiel der Nachweis einer persistierenden frontobasalen
Durafistel, die als Infektionsweg in Frage kommt, von wesentlicher Bedeutung.
Die Ursächlichkeit ist abhängig vom Rechtsgebiet bzw. Leistungsträger anhand der jeweils geltenden Rechtskriterien zu beantworten.
Für die gesetzliche Unfallversicherung und im sozialen Entschädigungsrecht reicht als Beweismaßstab die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit aus. D. h. eine Ursachenzusammenhang ist zu bejahen, wenn nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft mehr dafür als dagegen spricht. Dieser Maßstab gilt sowohl für den Ursachenzusammenhang zwischen dem maßgeblich schädigenden Ereignis und dem Primärschaden (haftungsbegründende Kausalität) als auch zwischen dem Primärschaden und etwaigen Folge- bzw. Sekundärschäden (haftungsausfüllende Kausalität). Bei mehreren mit dieser Wahrscheinlichkeit bewiesenen konkurrierenden Ursachen kommt es auf die weitere Wertung an, welche dieser Ursachen die wesentliche ist und in einer besonderen Beziehung zum Erfolg (Schaden) steht.
Ausführliche Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung im sozialen Entschädigungsrecht finden sich in dem neuen Teil C der VersMedV, der am 20.12.2019 in Kraft getreten ist. Danach muss die angeklagte Ursache mit konkurrierenden Ursachen mindestens gleichwertig sein. Das aktuelle Rundschreiben des BMAS vom 23.06.2020 (Va2-55021-6) zu finden auf der Homepage des Ministeriums (
https://www.bmas.de/DE/Startseite/start.html) ist unbedingt zu beachten. Im sozialen Entschädigungsrecht ist auch auf die sogenannte
Kann-Versorgung hinzuweisen, bei der unter bestimmten -sehr eingeschränkten – Voraussetzungen zusätzliche Beweiserleichterungen für den Zusammenhangsnachweis greifen, wenn in der medz. Wissenschaft
Ungewissheit über die Ursachen einer Gesundheitsstörung herrscht.
In zivilen Haftpflichtrecht wird dagegen für den Ursachenzusammenhang zwischen Unfall und primärem Gesundheitsschaden (haftungsbegründende Kausalität) das hohe Beweismaß nach § 286 ZPO gefordert (Strengbeweis/Vollbeweis), d. h. die volle Überzeugung des Gerichts bzw. eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Für Folge- bzw. Sekundärschäden gilt hingegen die Beweiserleichterung nach § 287 ZPO im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit.
Die Beurteilung geklagter Residualsymptome nach entzündlichen ZNS-Erkrankungen als Folgeschäden (haftungsausfüllende Kausalität) ist oft schwierig, da psychopathologische Defektsyndrome auftreten können, die in der einfachen Exploration nicht offensichtlich sind und ggf. erst im Rahmen einer weitergehenden neuropsychologischen Leistungsdiagnostik auffällig werden. Voraussetzung für die Anerkennung eines organischen Psychosyndroms ist das Vorliegen einer Hirnschädigung, erkennbar an einem ausgeprägten, länger anhaltenden organischen Psychosyndrom während der Akutphase der Erkrankung.
Als Grundregel kann gelten, dass bei einer abgeheilten akut entzündlichen
Hirnerkrankung die Residualsymptome nicht gravierender sein können als die Symptome während der Akutphase (Widder
2000). Das Ausmaß einer Schädigung kann erst nach Abheilung der zugrundeliegenden entzündlichen Erkrankung korrekt eingeschätzt werden.
Multiple Sklerose
Die
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems im nördlichen Europa und in Nordamerika (Inzidenz 8–10/100.000, Angaben für Deutschland; Montalban et al.
2018; Weih et al.
2020). Sie manifestiert sich vorwiegend zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr und führt nicht selten im frühen Erwachsenenalter zu lebenspraktischen Behinderungen.
In der Frühphase werden bevorzugt Paresen, sensible Reiz- und Ausfallssymptome und Optikusläsionen gefunden. Später treten Spastik, Koordinations- und Blasenstörungen sowie neuropsychologische Defizite in den Vordergrund.
Folgende
Verlaufsformen der MS werden unterschieden:
-
Der
schubförmige Verlauf ist definiert
durch eindeutige Schübe mit vollständiger Restitution oder verbleibenden
Residuen, wobei in den Intervallen zwischen den Schüben keine Krankheitsprogression zu verzeichnen ist.
-
Der primär chronisch-progrediente Verlauf ist durch eine progrediente Verschlechterung von Krankheitsbeginn an charakterisiert, wobei gelegentliche Plateaus und geringfügige Verbesserungen möglich sind.
-
Die sekundär chronisch-progrediente MS besteht aus einem initial schubförmigen Verlauf, gefolgt von einer Phase der progressiven Verschlechterung mit oder ohne gelegentliche Schübe, geringfügigen Remissionen oder Plateaus.
Die
Diagnose wird klinisch gestellt und erfordert den Nachweis einer zeitlichen und örtlichen Dissemination der Läsionen (McDonald et al.
2001).
Die Multifokalität der Läsionen und die klinisch stumme Entzündungsaktivität können mit Hilfe der Kernspintomografie (MRT) nachgewiesen werden.
Neuroborreliose
Die
Neuroborreliose entsteht durch eine Infektion mit der Spirochäte
Borrelia burgdorferi. Die
Erkrankung ist in den gemäßigten Klimazonen der Nordhalbkugel endemisch verbreitet, die genaue Inzidenz/
Prävalenz ist unklar. Die
Übertragung der Erkrankung erfolgt in Europa durch den Stich der Zecke
Ixodes ricinus (Holzbock), sehr selten auch anderer Insekten (Pferdebremsen, Stechmücken).
Kernsymptome:
-
Stadium I (1–8 Wochen nach Zeckenstich):
-
Stadium II (2–12 Wochen nach Zeckenstich):
-
Stadium III (>4 Monate bis Jahre nach Zeckenstich):
Die
Diagnose der
Neuroborreliose ist in erster Linie klinisch zu stellen und sollte anschließend durch Laboruntersuchungen gestützt werden. Die Serodiagnostik
der systemischen Borrelieninfektion beinhaltet ein 2-Stufenschema: zunächst einen Suchtest (Enzym-Immunoassay, EIA), gefolgt von einem Bestätigungstest (
Western-Blot) (Wilske und Fingerle
2000). Eine positive Serologie beweist bei hoher Durchseuchung nicht die Akuität der Infektion. Dies gelingt über die Erfassung einer Serokonversion, eines Titeranstiegs oder einer Zunahme der Bandenzahl im Immunoblot.
Durch den Liquor-Serum-Vergleich wird die Diagnose gesichert. Die intrathekale spezifische Antikörperproduktion gegen Borrelia burgdorferi wird durch die Bestimmung des Liquor-/Serum-Index nachgewiesen.
Sie entwickelt sich bei unbehandelten Patienten in der 2. Krankheitswoche, ist nach 3 Wochen bei etwa 75 % der Patienten nachweisbar und nach 8 Wochen bei über 99 % der Patienten. Für die Akuität spricht im Liquor eine lymphozytäre Pleozytose (meist 100–400/μl) mit
Plasmazellen, eine deutlich gestörte Blut-Liquor-Schrankenfunktion (Gesamtprotein meist >100 mg/dl) und eine unspezifische intrathekale Mehrklassenreaktion (IgM > IgA > IgG).
Es gibt derzeit kein durch randomisierte, kontrollierte Studien gesichertes und allgemein akzeptiertes
Therapieregime. Die Wirksamkeit von Penicillin G
i.v. wurde bereits Anfang der 1980er-Jahre belegt. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass Ceftriaxon und Cefotaxim gleich wirksam sind wie Penicillin (Wilske und Fingerle
2000). Im Allgemeinen hat sich eine Antibiose mit Ceftriaxon 1 × 2 g/d i.v. für 2–3 Wochen bewährt. Der Therapieerfolg soll nach der Besserung der klinischen Symptomatik und der Normalisierung der Liquor-Pleozytose beurteilt werden.
Bei rechtzeitiger Diagnose und ausreichender Therapie können die Erreger in den Stadien I und II in der Regel komplett eliminiert und die Erkrankung geheilt werden. Im Stadium III der chronischen Enzephalomyelitis kommt es durch die antibiotische Therapie meist nur zu einer Besserung, jedoch nicht zu einer Heilung der Erkrankung.
Schutzimpfungen und ihre Folgen
Impfungen sind bewusste Eingriffe
in das Immunsystem, z. T. handelt es sich dabei um Infektionen. Ihr Ablauf folgt den Regeln der Immunologie und der Infektionslehre. Komplikationen sind selten, wenn auch jede Impfung parainfektiöse/allergische Enzephalomyelitiden oder Polyneuritiden bewirken kann (Tab.
5). Impfschäden können durch den Impfstoff selbst, durch Verunreinigungen oder beigefügte Konservierungsstoffe ausgelöst werden.
Tab. 5
Übersicht neurologischer Komplikationen, die im Zusammenhang mit Impfungen diskutiert beziehungswiese nachgewiesen wurden
| |
| |
Krampfanfälle | |
Schwerpunktneuritis | |
| Schweine-Influenza (H1N1), Tetanus, Polio, Typhus, Tollwut, Hepatitis B |
| Influenza-A-Virus (A/H1N1) Pademrix-impfstoff |
Sinus- und Hirnvenenthrombosen | SARS-CoV-2 Moderna-Impfstoff |
Bei Virusimpfungen
werden häufig attenuierte, d. h. abgeschwächte Erreger (z. B. Sabin-Vakzine gegen Polio) verwendet. Besteht bei dem Impfling eine möglicherweise unbemerkte Immunsuppression, kann auch dieser attenuierte Erreger pathogen wirken. Schließlich kann das Impfvirus selbst bestimmte Eiweißabschnitte aufweisen, die starke Ähnlichkeit mit menschlichem Nervengewebe haben (molekulare Mimikry) und im Rahmen der Impfung eine Autoimmunreaktion induzieren (diskutiert für die
Narkolepsie bei Kindern nach Pandemrix-Impfstoff). Früher wurden Viren zum Teil in Rückenmark oder Gehirn von Tieren oder in tierischen Gliazellkulturen vermehrt. Die Mitinjektion von Spuren lyophilisierten Nervengewebes konnte eine Autoimmunreaktion gegen Nervengewebe auslösen. Heute werden gereinigte Impfstoffe aus Hühnerembryonen oder diploiden Zellkulturen verwendet.
Die neueste Generation der m-RNA-Impfstoffe
hat bisher bei einem Einsatz von mehreren Milliarden Impfdosen nur geringe Nebenwirkungsraten gezeigt. Als schwerwiegendste Komplikation wurde beim m-RNA-Impfstoff Moderna eine gehäufte Rate an Sinusvenenthrombosen des Gehirns (Stachulski
2021) beobachtet, als vakzin- induzierte thrombotische
Thrombozytopenie (VITT).
Gutachtliche Bewertung – Zusammenhangsfrage
Häufig wird der Gutachter mit Krankheitsbildern befasst, für deren Entstehung eine Schutzimpfung verantwortlich gemacht wird. Er sollte immer berücksichtigen, dass Impfkomplikationen sehr seltene und ungewöhnliche Ausnahmen sind. Deshalb sind vor Annahme und Diskussion eines Impfschadens grundsätzlich andere, davon unabhängige Affektionen des Nervensystems auszuschließen. Insbesondere muss beurteilt werden, ob die als ursächlich angeschuldigte Impfkomplikation nach Art und Schwere überhaupt in der Lage ist, die zur Rede stehenden körperlichen und psychischen Ausfälle hervorzurufen. Bei der Beurteilung des Zusammenhangs einer gemeldeten Nebenwirkung mit einer Impfung muss ferner die spontane Inzidenz der Erkrankung in der Bevölkerung berücksichtigt werden.
Abzugrenzen sind Fälle, bei denen es sich nicht um eine neurologische Erkrankung, sondern um eine stärkere Allgemeinreaktion auf die Impfung handelt.
Als Impfschaden gilt ein das übliche Maß einer Impfreaktion überschreitender Gesundheitsschaden. Der Nachweis eines Impfschadens hängt wesentlich vom klinischen Bild und von der Inkubationszeit ab, d. h. von dem Intervall zwischen Impfung und Krankheitsbeginn, das in der Regel innerhalb der 4- bis maximal 6-Wochen-Grenze liegt.
Im Einzelfall ist die Kausalitätsbeurteilung sehr schwierig, weil die Begutachtung oft Jahre bis Jahrzehnte nach einer angeblichen Impfschädigung erfolgt und Daten oftmals naturgemäß nur ungenügend dokumentiert wurden.
Masernschutzimpfung
Mit
Fieberkrämpfen ist vor allem
zwischen dem 6. und 14. Tag mit einer Inzidenz von wahrscheinlich 1:1000 bis 1:9000 zu rechnen. Es sind auch perivenöse Enzephalitiden mit einer Inzidenz von 1:1000.000 beobachtet worden (Isaacs und Menser
1990).
Poliomyelitisschluckimpfung
Die Häufigkeit von Impfschäden nach Verabreichung
von trivalenter oraler Poliomyelitisvakzine, d. h. des Auftretens persistierender spinaler Paresen in zeitlichem Zusammenhang mit der Schluckimpfung, beträgt in Deutschland 1 Erkrankung auf 4,4 Mio. Impfungen (0,23 Erkrankungen/1 Mio. Impfungen) bei Impflingen und 1 Erkrankung auf 15,5 Mio. Impfungen (0,06 Erkrankungen/1 Mio. Impfungen) bei Kontaktpersonen (Doerr und Maass
1991).
Die Diagnose eines Impfschadens
ist:
-
abhängig von dem klinischen Bild mit Paresen und Areflexie, Meningismus und Pleozytose im Liquor;
-
von der Inkubationszeit, d. h. im Intervall zwischen Impfung und Krankheitsbeginn, das sich zwischen dem 3. und 38. Tag erstreckt. Bei Kontaktinfektionen, deren Beginn nicht bekannt ist, wird die Inkubationszeit unter Umständen verlängert;
-
von dem serologischen/virologischen Befund.
Das klinische Bild entspricht der
Poliomyelitis. Es beginnt meist mit einem unspezifischen, wenige Tage dauernden, fieberhaft grippalen Vorstadium und lokalen
Schmerzen. Wenige Tage später entwickeln sich unter neuem Fieberanstieg schlaffe Paresen, die asymmetrisch und oft proximal betont sind. Sensible Ausfälle fehlen. Gleichzeitig eingeleitete Laboratoriumsuntersuchungen können die gutachtliche Stellungnahme bei fraglichen Komplikationen nach der oralen Polioschutzimpfung wesentlich unterstützen. Werden sie versäumt, lassen sich die Zusammenhänge später im Allgemeinen nicht mehr sicher klären.