Allgemeines
Die spezifischen Erkrankungen des Mannes betreffen Hoden, Nebenhoden, Samenleiter, Prostata und Penis. Da die einzelnen Krankheitsbilder und Folgen zum Teil sehr weitläufig sind, werden im folgenden Kapitel nur die Erkrankungen behandelt, die gemäß der Versorgungsmedizin-Verordnung mit einer GdS/GdB einhergehen (VersMedV).
Verletzungen der männlichen Geschlechtsorgane
Verletzungen der Prostata
Ausführungen dazu finden sich im parallelen Beitrag „Verletzungen der Harnröhre“ der gleichen Autoren.
Verletzungen des Hodens
Meistens führen stumpfe Traumen durch einen Schlag oder Tritt zu einer Verletzung des Hodens. Lokal kann dies zu einem Hämatom innerhalb des Hodens aber auch in beträchtlichem Maße zu einer Schwellung der Hodenhüllen führen. Bei größerer Krafteinwirkung kann die Tunica albuginea rupturieren und so zu einer schweren Verletzung des Hodens bis hin zum Hodenverlust führen (Grad der Schädigungsfolge GdS/GdB siehe Tab.
1).
Tab. 1
Grad der Schädigungsfolge in % (GdS/GdB) bei Verletzungen der männlichen Geschlechtsorgane
(VersMedV
2019)
Verlust des Penis |
Teilverlust des Penis | 50 |
Teilverlust der Eichel | 10 |
Verlust der Eichel | 20 |
| 20 |
Impotentia generandi (Zeugungsunfähigkeit) | 0 |
| 20 |
Verletzungen des Penis
Von den Urethraverletzungen (Häufigkeit und Ursache von Verletzungen der Harnröhre vgl. Ziffer 2.1) sind die direkten Traumen des Penis
durch stumpfe Einwirkungen von Schlag, Tritt oder als sogenannte Fraktur des erigierten Gliedes von scharfen Verletzungen (z. B.: Hundebiss, Schnittverletzung bei Autoaggression) abzugrenzen. Kommt es zum Trauma des erigierten Gliedes (z. B. Penisfraktur
beim Geschlechtsverkehr), geht dies meist mit einer erheblichen lokalen Hämatombildung einher oder führt bei einer offenen Verletzung zum Teil zu einem erheblichen Blutverlust. Im Rahmen der Begutachtung ist neben einem möglichen Erektionsverlust, einer
Penisdeviation nach Penisfraktur, einer lokalen Einschränkung der Sensibilität als auch das mögliche Ausmaß einer partiellen oder kompletten Penisamputation zu beurteilen.
Tumore der männlichen Geschlechtsorgane
Prostatakarzinom
Das
Prostatakarzinom ist mit 25,4 % aller diagnostizierten Krebserkrankungen die häufigste Krebserkrankung des Mannes in der BRD (Interdisziplinäre Leitlinie Prostatakarzinom
2019). Jährlich erkranken etwa 60.000 Männer in Deutschland neu an diesem Tumor (RKI
2017). Bei den tödlich verlaufenden Tumorerkrankungen bei Männern steht das Prostatakarzinom mit 11,3 % in Deutschland an zweiter Stelle bei der Betrachtung aller Todesursachen mit 3,1 % an sechster Stelle (RKI
2017). Wichtig ist es, das Auftreten eines Prostatakarzinoms in einem frühen Stadium mit lokaler Begrenzung der Erkrankung zu erkennen, da die Behandlungsmethoden der radikalen Entfernung der Prostata
als auch der lokalen Bestrahlung dann zu einer Kuration führen können. Nach Entfernung eines malignen Prostatatumors ist eine Heilungsbewährung abzuwarten (VersMedV
2019).
Bei einem nicht mehr lokal begrenzten
Prostatakarzinom können u. a. eine Androgendeprivation
, eine Androgenrezeptorinhibition
, eine Chemotherapie als auch supportive Maßnahmen zu einer Lebensverlängerung mit Besserung der
Lebensqualität führen (Interdisziplinäre Leitlinie Prostatakarzinom
2019).
Hodentumor
Im Jahr 2014 erkrankten rund 4100 Männer neu an einem Hodentumor
(RKI
2017). Die rohe Inzidenzrate beträgt dabei 10,3 pro 100.000 Personen (RKI
2017). Damit gehört diese Tumorerkrankung bei Männern zu den selteneren Krebskrankheiten. Im Unterschied zu anderen Tumoren betrifft das Hodenkarzinom vor allem jüngere Männer (S3 Leitlinie
Keimzelltumoren des Hodens
2020). Durch die Maßnahmen der Hodenentfernung und je nach Tumorstadium die Art der möglichen Nachsorgebehandlungen durch eine operative Entfernung von regionalen Lymphknoten, eine lokale Bestrahlung oder/und die systemische Behandlung mittels Chemotherapie liegt die 10-Jahres-Gesamtüberlebenswahrscheinlichkeit von Patienten mit Hodentumor im Stadium I bei 95–99 % (S3 Leitlinie Keimzelltumoren des Hodens
2020). Die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeiten liegen beim metastasierten Hodenkarzinom je nach Prognosegruppe zwischen 48 und 95 % (S3 Leitlinie Keimzelltumoren des Hodens
2020).
Peniskarzinom
In Deutschland wurden im Jahr 2014 insgesamt 950 Neuerkrankungen eines
Peniskarzinoms diagnostiziert (RKI
2017). Die Überlebensaussichten sind, gemessen an anderen Krebserkrankungen des Mannes, überdurchschnittlich gut, allerdings niedriger als beim Hoden
- oder
Prostatakarzinom. Das relative 5-Jahres-Überleben liegt bei 71 % (S3 Leitlinie Peniskarzinom
2020). Aufgrund der Lokalisation kann das Peniskarzinom frühzeitig diagnostiziert und somit geheilt werden (Protzel und Hakenberg
2020). Dennoch stellt sich eine relativ hohe Anzahl von Patienten erst in einem fortgeschrittenen Tumorstadium mit eingetretener Metastasierung vor (Protzel und Hakenberg
2020). Die Prognose sinkt in diesem Stadium dann deutlich, trotz der Möglichkeiten einer lokalchirurgischen Behandlung als auch einer Chemotherapie.
Entzündungen der männlichen Geschlechtsorgane
Prostatitis
Von der akuten
Prostatitis, die meist als Folge einer aufsteigenden Infektion der Harnwege auftritt und durch Gabe von
Antibiotika erfolgreich behandelt werden kann, muss die chronische Prostatitis abgegrenzt werden, die definiert ist als chronischer
Schmerz oder Missempfindung im Beckenbereich für mindestens 3 Monate im Verlauf der letzten 6 Monate (Magistro et al.
2020). Die chronische Prostatitis wird häufig begleitet von Miktionsbeschwerden, psychosozialen Beeinträchtigungen und sexueller Dysfunktion (Magistro et al.
2020). Prostatitis ähnliche Beschwerden kennzeichnen dieses häufig unterschätzte Krankheitsbild, das die
Lebensqualität des Mannes erheblich beeinflussen kann (Magistro et al.
2020) und eine GdS/GdB von bis zu 20 % bedingen kann (siehe auch Tab.
2).
Tab. 2
Grad der Schädigungsfolge in % (GdS/GdB) bei Tumoren der männlichen Geschlechtsorgane
(VersMedV
2019)
|
GdS während einer Heilungsbewährung von zwei Jahren nach Entfernung im Stadium T1a N0 M0 (Grading G1) | 50 |
GdS während einer Heilungsbewährung von fünf Jahren nach Entfernung in den Stadien T1a N0 M0 (Grading ab G2) und (T1b bis T2) N0 M0 | 50 |
nach Entfernung in höheren Stadien wenigstens | 80 |
ohne Notwendigkeit einer Behandlung | 50 |
auf Dauer hormonbehandelt wenigstens | 60 |
Hodentumor |
GdS während einer Heilungsbewährung von zwei Jahren nach Entfernung eines Seminoms oder nichtseminomatösen Tumors im Stadium (T1 bis T2) N0 M0 | 50 |
GdS während einer Heilungsbewährung von fünf Jahren nach Entfernung eines Seminoms im Stadium (T1 bis T2) N1 M0 bzw. T3 N0 M0 | 50 |
nach Entfernung eines nichtseminomatösen Tumors im Stadium (T1 bis T2) N1 M0 bzw. T3 N0 M0 | 60 |
in höheren Stadien | 80 |
|
GdS im Frühstadium (T1 bis T2) N0 M0 bei Teilverlust des Penis | 50 |
bei Verlust des Penis | 60 |
mit vollständiger Entfernung der Corpora cavernosa | 80 |
nach Entfernung in höheren Stadien | 90–100 |
Epididymitis und Orchitis
Akute Entzündungen der Nebenhoden können zu einem vollständigen Verschluss der Samenwege und dementsprechend zu einer Azoospermie führen (siehe Kap. 6: Infertilität
). Bei chronischen Epididymitiden kann infolge von anhaltenden Beschwerden eine Epididymektomie notwendig werden (siehe auch Tab.
3).
Tab. 3
Grad der Schädigungsfolge in % (GdS/GdB) bei Entzündungen der männlichen Geschlechtsorgane
(VerMedV
2019)
|
oder abakterielle Prostatopathie ohne wesentliche Miktionsstörung | 0–10 |
mit andauernden Miktionsstörungen und Schmerzen | 20 |
Nebenhoden |
Verlust oder Schwund eines Nebenhodens | 0 |
Verlust oder vollständiger Schwund beider Nebenhoden und/oder Zeugungsunfähigkeit (Impotentia generandi) | 0 |
| 20 |
Hoden |
Unterentwicklung, Verlust oder Schwund eines Hodens bei intaktem anderen Hoden | 0 |
Unterentwicklung, Verlust oder vollständiger Schwund beider Hoden in höherem Lebensalter (etwa ab 8. Lebensjahrzehnt) | 10 |
sonst je nach Ausgleichbarkeit des Hormonhaushalts durch Substitution | 20–30 |
vor Abschluss der körperlichen Entwicklung | 20–40 |
Neben einer nach der
Pubertät auftretenden Mumpserkrankung, die haematogen bedingt ist, können auch kanalikuläre bakterielle Infektionen den Hoden
im Rahmen einer Epididymorchitis erfassen (Weidner und Weiske
2020). Hierdurch kann es zu einer Störung der Spermatogenese als auch zu andauernden schweren Parenchymschäden kommen (siehe auch Tab.
3).
Erektile Dysfunktion
Von
erektiler Dysfunktion spricht man, wenn für einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten die dauerhafte Unfähigkeit besteht, eine ausreichende Erektion aufzubauen oder zu erhalten, um einen befriedigenden Geschlechtsverkehr durchzuführen (Leiber
2016). Die
erektile Dysfunktion ist eine Erkrankung mit Auswirkungen auf die physische und psychosoziale Gesundheit des Mannes und führt damit zu einer negativen Beeinflussung der
Lebensqualität (Leiber
2016). Da für eine vollständige Erektion neurogene, glattmuskuläre, arterielle, venöse und hormonelle Funktionen eine Rolle spielen, können Risikofaktoren auf allen diesen Gebieten vorliegen (Leiber
2016) und sollten im Rahmen der Begutachtung mit bedacht werden. Der Schweregrad einer Erektionsstörung wird mit speziellen Fragebögen ermittelt (z. B. Internationaler Index der erektilen Funktion – IIEF-5) (Soave und Kliesch
2020).
Infertilität
Infertilität
besteht, wenn trotz regelmäßigem, ungeschützten Geschlechtsverkehr
nach 12 Monaten keine Schwangerschaft eingetreten ist (Köhn et al.
2020). Die Ursachen für eine ungewollte Kinderlosigkeit liegen zu etwa gleichen Teilen mit je bis zu je 40 % bei Mann und Frau. In den übrigen Fällen finden sich bei beiden Partnern Faktoren, die die Fertilität beeinträchtigen können (Köhn et al.
2020). Die wesentlichen Risikofaktoren für die Infertilität beim Mann decken sich zum großen Teil mit den häufigen Risikofaktoren bei Erkrankungen der Geschlechtsorgane
(siehe Beitrag der gleichen Autoren „Diagnostik von Geschlechtsorganen“).