Einleitung
Verletzungen und Erkrankungen der Milz, mit einem sich unter Umständen ergebenden Milzverlust, können erhebliche Relevanz für die ärztliche Begutachtung haben. Allgemein wird zwischen traumatischen und atraumatischen Erkrankungen unterschieden. An erster Stelle der Ursachen stehen das stumpfe Bauchtrauma im Rahmen von Verkehrs- und Arbeitsunfällen. Selten kann es zu atraumatischen Spontanrupturen der Milz durch entzündliche, infektiöse oder hämatologische Erkrankungen kommen. Darüber hinaus kann zwischen der akuten, einzeitigen Ruptur und einer verzögerten, zweizeitigen Ruptur unterschieden werden. Diagnostische Mittel der Wahl sind die Sonografie und die Computertomografie. In Abhängigkeit vom Ausmaß der Verletzung, bestehender Begleitverletzungen und von patientenabhängigen Aspekten kann eine konservative Therapie erfolgen. Wenn bei ausgedehnten Verletzungen eine operative Therapie indiziert ist, dann sollte das Ziel der Milzerhalt ohne Gefährdung des Patienten sein. Bei instabilen polytraumatisierten Patienten und kompletter Zerstörung des Organs ist dagegen eine Splenektomie indiziert. Nach erfolgter Splenektomie besteht ein lebenslang erhöhtes Infektionsrisiko. Es ergibt sich hieraus die Indikation zur prophylaktischen Impfung.
Anatomie und Funktion
Die Milz liegt im linken Oberbauch in geschützter Lage unter dem Zwerchfell und folgt dem Verlauf der zehnten Rippe. Das Organ liegt intraabdominell und ist neben dem Hilus über bindegewebige Strukturen mit den umgebenden Organen (d. h. Milz, Magen, Dickdarm sowie Zwerchfell) lose verbunden. Sie ist etwa faustgroß, ca. 200 g bis 300 g schwer und etwa 4 cm × 7 cm × 11 cm groß. Die Milz stellt das einzige, direkt in den Blutkreislauf eingeschaltete Organ des lymphatischen Systems dar. Funktionell und histomorphologisch vereint die Milz beim Adulten zwei Aufgaben:
Bis etwa zum sechsten Lebensjahr ist die Milz neben der Leber und dem
Knochenmark ein Organ der Erythropoese. Bei verschiedenen Säugetieren dient die Milz zudem als „Blutspeicher“, der bei entsprechender Belastung des Organismus zusätzliche Erythrozyten durch Kontraktion des Organs als Sauerstoffträger in den Blutkreislauf freisetzt. Beim Menschen ist diese Funktion vernachlässigbar. Als anatomische Normvarianten besitzt ein kleiner Teil der Menschen neben der „Hauptmilz“ eine oder mehrere „Nebenmilzen“. Diese kann/können klinische Relevanz erhalten, wenn im Rahmen von bestimmten Erkrankungen (z. B. lymphoproliferative Erkrankungen, Hypersplenismus) eine operative Entfernung der Milz notwendig ist. In solchen Fällen kann der erwünschte therapeutische Erfolg häufig nur nach vollständiger Entfernung des gesamten Milzgewebes erreicht werden (Renzulli et al.
2009a; Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Bruce et al.
2011; Grossi et al.
2011; Raaijmakers et al.
2019).
Ätiopathogenese
Es wird allgemein zwischen traumatischen und atraumatischen Verletzungen/Rupturen der Milz unterschieden (siehe Tab.
1) (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Bessoud et al.
2007; Haan et al.
2005; Kocael et al.
2014; Olthof et al.
2013).
Tab. 1
Ätiologische Unterscheidung von Milzverletzungen/-rupturen
1. stumpfes (geschlossenes) Bauchtrauma: z. B. Hauptursache Verkehrsunfälle 2. direktes (penetrierendes) Bauchtrauma: z. B. Stich- und Schussverletzungen, Pfählungsverletzung 3. iatrogen: z. B. Lagerung bei Operationen, perioperativ, Koloskopie | Splenomegalie im Rahmen von: 1. Paraneoplasien: z. B. Metastasen, Lymphome5. infektiös: Abszesse, Gefäßarrosionen durch lokale Infektionen (z. B. nekrotisierende Pankreatitis) |
Im Rahmen von traumatischen Ereignissen ist die Milz vorrangig bei stumpfer Krafteinwirkung auf den Oberbauch gefährdet. Hierbei muss zwischen direkter Krafteinwirkung (z. B. Fahrradlenker, der beim Sturz auf den Oberbauch einwirkt und das Organ quetscht
) und indirekter Krafteinwirkung (z. B. durch Überschreiten der Elastizitätsgrenzen der Milz bzw. ihrer Haltestrukturen durch Akzeleration/Dezeleration beim Verkehrsunfall) unterschieden werden. Traumatische Verletzungen der Milz durch penetrierende Gewalteinwirkung (z. B. durch Schuss- oder Stichverletzungen) oder iatrogene Verletzungen (z. B. Milzruptur durch Überdehnen von Band-/Haltestrukturen der Milz im Rahmen einer
Koloskopie) sind selten. Durch die geschützte Lage hinter dem Rippenbogen gilt allgemein, dass einer traumatischen Milzverletzung zumeist ein erhebliches Trauma zugrunde liegt. Häufig treten in diesem Zusammenhang weitere schwere Verletzungen wie
Rippenfrakturen oder ein
Pneumothorax auf. Auch sollten fehlende Prellmarken bei entsprechendem Traumamechanismus stets an eine Milzverletzung denken lassen (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Weaver et al.
2013; Trinci et al.
2019; Sylvester et al.
2019; Renzulli et al.
2009b; Rosati et al.
2015).
Bei Erkrankungen, die mit einer pathologischen Milzvergrößerung einhergehen (z. B. lymphoproliferative Erkrankungen), kann bereits ein Bagatelltrauma zur Milzverletzung/-ruptur führen. Bei entsprechender Organvergrößerung kann diese jedoch auch spontan, atraumatisch auftreten (z. B. durch Heben von Lasten, Anspannen der Bauchdecke, Drehbewegungen des Körperstammes). Aufgrund dessen ist bei einer traumatischen Milzruptur eine vorbestehende Splenomegalie auszuschließen, wenn man das Trauma als alleinige Ursache werten will. Die Spontanruptur stellt deshalb in der Regel keine allein kausale Unfallfolge dar. Bindegewebige Umbauten sowie Hämosiderineinlagerungen
in der histopathologischen Untersuchung sind Indizien für eine „ältere“ Gewalteinwirkung (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Olthof et al.
2013; Ekeh et al.
2013; Palada et al.
2007; Liu et al.
2019).
Symptomatik
Die Symptomatik von traumatischen und atraumatischen Milzverletzungen/-rupturen kann durch einen variierenden zeitlichen Ablauf erhebliche Unterschiede aufweisen. Dieser Unterscheidung liegt folgendes zugrunde (Renzulli et al.
2009a,
b; Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Grossi et al.
2011; Weaver et al.
2013; Trinci et al.
2019; Sylvester et al.
2019; Ringburg et al.
2011; Guth et al.
1996):
Bei traumatischen Milzrupturen
treten in der Regel akute Symptome im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Trauma auf. Diesem können verschiedene Pathomechanismen zugrunde liegen. Die häufigsten sind:
Bei atraumatischen Milzverletzungen/-rupturen
liegt in der Regel eine langsam fortschreitende Erkrankung zugrunde, die mit einer graduellen Organvergrößerung einhergeht. Ein Kapseldehnungsschmerz, wie er bei akuten traumatischen Verletzungen häufig beschrieben wird, ist selbst bei extremen Organvergrößerungen selten. Dementsprechend treten die Symptome in der Regel langsam progredient und in sekundärer Form auf. Die häufigsten sind:
Bei den traumatischen Milzrupturen unterscheidet man ferner zwischen ein- und zweizeitiger Ruptur. Bei der einzeitigen Ruptur wird die Kapsel so verletzt, dass Blut in die freie Bauchhöhle gelangt und nachfolgend eine hämorrhagisch bedingte Hypovolämie entsteht. Unbehandelt kann sich dann akut, aber auch schrittweise, ein hämorrhagischer Schock entwickeln. Typischerweise treten im Rahmen des Milztraumas linksseitige Oberbauchschmerzen auf. Diese können in die linke Schulter (sogenanntes Kehr-Zeichen
) oder den linken Hals (sogenanntes Saegesser-Zeichen
) ausstrahlen. Häufig sind auch eine schmerzbedingte Schonatmung sowie eine Oberbauchabwehrspannung/ein Oberbauchperitonismus zu beobachten (Renzulli et al.
2009a,
b; Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Bruce et al.
2011).
Die „scheinbar“ zweizeitige Milzruptur zeichnet sich durch eine Kapsel- oder Parenchymverletzung aus, bei der es nicht primär zur freien Blutung in die Bauchhöhle bzw. zur Kapselruptur kommt. Nach einem Intervall von einigen Tagen bis zu wenigen Wochen führt ein Anstieg des subkapsulären Hämatomdrucks jedoch zum Kapselriss
mit nachfolgend freier Blutung in die Bauchhöhle. Die nun anschließend auftretenden Symptome entsprechen denen einer „einzeitigen“ Milzruptur mit
Hypovolämie bis hin zum hämorrhagischen Schock (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Olthof et al.
2013; Ekeh et al.
2013; Palada et al.
2007; Liu et al.
2019).
Grundsätzlich gilt, dass die zweizeitige Milzruptur, bei nachgewiesenem adäquaten Ersttrauma und fehlendem Folgetrauma, auch noch Monate nach der ursächlichen Verletzung als Unfallfolge zu werten ist (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Bruce et al.
2011; Saad und Rex
2008).
Diagnostik
Grundsätzlich steht die zügige und fokussierte Anamnese des Unfallhergangs an der ersten Stelle. Es ist insbesondere im Bereich der Milzloge
auf penetrierende Verletzungen, Prellmarken, Hämatome, Druckschmerzhaftigkeit bzw. Klopfschmerzen sowie Abwehrspannung
zu achten. Zur Basisdiagnostik gehören eine Bestimmung des Serum-Hämoglobins, der Nierenretentionsparameter, der Leberenzyme, der Serumelektrolyte sowie der Gerinnungsparameter. Eine erhöhte Serumlipase kann auf eine Begleitverletzung des Pankreas hindeuten. Eine
Blutgruppenbestimmung hat umgehend zu erfolgen. Entsprechende Blutkonserven sollten in Bereitschaft gehalten werden. Bei Frauen im gebärfähigen Alter ist ein Schwangerschaftstest zu veranlassen (Renzulli et al.
2009a; Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Grossi et al.
2011; Ringburg et al.
2011).
Die Fast-Sonografie
(Focused Assessment with Sonography for Trauma) kann bei der akuten Milzverletzung wichtige erste Erkenntnisse hinsichtlich der Frage nach freier intraabdomineller Flüssigkeit liefern und ggf. zur frühzeitigen Diagnosesicherung beitragen. Bei instabilen Patienten mit Nachweis einer Milzruptur ist eine sofortige Notfalloperation indiziert. Auch in der Verlaufskontrolle, bei konservativ behandelten Patienten mit Milzverletzungen/-rupturen, hat der abdominelle Ultraschall einen wichtigen Stellenwert in der Klinik. Bei penetrierenden Verletzungen sollte der Gegenstand nicht präoperativ entfernt werden. Eine weiterführende Schnittbildgebung (z.B. Computertomografie bzw. CT) ist durchzuführen, um begleitende Verletzungen auszuschließen. Ferner sollte auch bei Patienten, die kein CT erhalten, auf typische Begleitverletzungen geachtet werden. Eine Röntgenuntersuchung des Thorax sollte in solchen Fällen Standard sein, um beispielsweise einen
Pneumothorax und/oder
Rippenfrakturen auszuschließen. Weiterhin ist in derartigen Fällen auch eine, über die
Fast-Sonographie hinausgehende, Ultraschalluntersuchung des Abdomens sinnvoll. Bei kreislaufstabilen polytraumatisierten Patienten ist aufgrund überlegener Sensibilität und Spezifität das Mittel der Wahl die Computertomografie. Bei instabilen Patienten, bei denen neben einer Milzverletzung von anderen schweren Verletzungen auszugehen ist, muss abgewogen werden zwischen dem Erkenntnisgewinn, der mit der Durchführung einer CT-Polytraumaspirale verbunden ist,
und der weiteren Gefährdung des Patienten bei verzögerter operativer Therapie. Diese Entscheidung obliegt im Schockraum dem „Traumaleader mit viszeralchirurgischer Expertise“ (Renzulli et al.
2009a,
b; Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Raaijmakers et al.
2019; Rosati et al.
2015; Sluys et al.
2005).
Therapie
Die Therapie der Milzverletzungen hat sich in den letzten Dekaden von einer vorrangig operativen Therapie in eine zunehmend konservative Richtung verschoben. So können inzwischen etwa 90 % der Patienten mit Milzrupturen/-verletzungen heute primär konservativ behandelt werden. Von diesen wiederum müssen lediglich 20 % im Verlauf operativ-interventionell behandelt werden. In den meisten Fällen ist somit keine Operation notwendig und/oder das Organ kann erhalten werden. Das therapeutische Vorgehen orientiert sich am AAST-Grad der Verletzung (Tab.
3).
Tab. 3
Unterscheidung des therapeutischen Vorgehens Schweregrade der Milzverletzung nach der „Organ Injury Scale“ (OIS) der „American Association for the Surgery of Trauma“ (AAST)
I | subkapsuläres Hämatom/Kapselriss | konservativ | operative Therapie, möglichst milzerhaltend |
II | oberflächlicher Parenchym-/ Kapselriss | • konservativ, unter intensivmedizinischer Überwachung • ggf. Angioembolisation |
III | tiefer Parenchymriss |
IV | Organ-fragmentierung | Splenektomie |
V | Abriss am Hilus/Milzberstung |
Allgemein gilt, dass hämodynamisch stabile Patienten mit stumpfen Milzverletzungen bei adäquaten Überwachungsmöglichkeiten konservativ behandelt werden sollten. Ein interventioneller Ansatz mit Embolisation der Milzgefäße
ergibt sich bei entsprechenden Vorerkrankungen, bei denen eine operative Therapie mit einem hohen perioperativen Risiko assoziiert ist. Dies sind vorrangig Patienten mit zahlreichen abdominellen Voroperationen sowie Patienten mit ausgeprägten Umgehungskreisläufen bei vorbekannter
Leberzirrhose oder
Pfortaderthrombose (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Bruce et al.
2011; Grossi et al.
2011; Kocael et al.
2014; Guth et al.
1996; Hernani
2015).
Eine operative Therapie ist bei hämodynamisch instabilen Patienten mit AAST-Grad > I möglich. Jedoch können auch AAST-Stadien II bis III konservativ behandelt werden. Bei der operativen Behandlung des stabilen Patienten steht der Milzerhalt
im Vordergrund. Es gibt heutzutage eine Vielzahl von lokalen Verfahren zur Blutstillung, z. B. Infrarot-Koagulation, Ultraschalldissektor, Klammernahtgerät, Fibrinkleber, Kollagenvlies oder Gefäßligatur. Darüber hinaus kann die Milzkapsel
übernäht werden. Dies ist vor allem bei Kindern wegen der dickeren Organkapsel mit resorbierbarem Nahtmaterial (ggf. mit Einsatz von Nahtwiderlagern, z. B. PDS-Patches) möglich. Auch kann eine Ummantelung des Organs (Milzwrapping
) mit resorbierbarem Kunststoffnetzgewebe (z. B. Vicryl-Netz) erfolgen (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Bruce et al.
2011; Grossi et al.
2011; Kocael et al.
2014; Sylvester et al.
2019; Rosati et al.
2015; Guth et al.
1996; Hernani
2015).
Bei Hilusrupturen oder Organberstung ist ein Organerhalt nur in Ausnahmefällen möglich. Jedoch kann auch hier zumindest eine subtotale oder „Near-Total-Splenektomie
“ diskutiert werden. Ergibt sich auch dafür keine Indikation, bleibt nur die (totale) Splenektomie (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Bessoud et al.
2007; Rosati et al.
2015).
Im Rahmen der operativen Therapie bei schwerverletzten Patienten kann es durch Milzverletzungen zu lebensbedrohlichen Blutungen mit fatalem Ausgang kommen. Diese können vor allem dann auftreten, wenn im Rahmen eines prolongierten hämorrhagischen Schocks eine Verbrauchskoagulopathie
entsteht. Auch die Ausschöpfung sämtlicher transfusionsmedizinischer Maßnahmen kann dann den Pathomechanismus mitunter nicht mehr durchbrechen (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Kocael et al.
2014; Guth et al.
1996; Ekeh et al.
2013).
In seltenen Fällen kann sich postoperativ ein Pseudoaneurysma der Milzarterie ausbilden. Dieses bedarf im mittelfristigen Verlauf bei Größenprogredienz oder Arrosion von Nachbarstrukturen einer primär interventionellen Therapie mittels angiografischem Verschluss (d. h. Coiling) bzw. Stentintervention. Bei Arrosionsblutungen
ist eine interventionelle Blutstillung mittels Angiografie oder Endoskopie mitunter nur kurzfristig erfolgreich, dann kann ein erneuter abdominal-chirurgischer Eingriff notwendig werden (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Raaijmakers et al.
2019; Haan et al.
2005; Ringburg et al.
2011).
Postoperativ kann sich im Milzbett ein lokaler Infekt entwickeln – die Entstehung eines subphrenischen
Abszesses ist möglich. Hämatologisch kommt es unmittelbar postoperativ häufig zu einer passageren Thrombozytose
. Es können in diesem Zusammenhang thrombembolische Komplikationen auftreten. Ebenfalls muss auf sich möglicherweise entwickelnde Pleuraergüsse
linksseitig geachtet werden (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Raaijmakers et al.
2019; Haan et al.
2005; Ringburg et al.
2011).
Nachsorge
Peri- und postoperativ sollte eine konsequente Thromboseprophylaxe
nach Splenektomie bzw. nach operativen/therapeutischen Eingriffen an der Milz durchgeführt werden. Hierbei ist ein Zeitraum von mindestens 4 Wochen postoperativ zu beachten. Niedermolekulare Heparine sind das Mittel der Wahl. Umstritten ist die Behandlung mit Aspirin, da es keine Evidenz für eine erhöhte Inzidenz von Thrombosen im arteriellen System gibt. Einige Autoren empfehlen jedoch die Gabe bei einer Thrombozytose
über 1.000.000/ul (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Haan et al.
2005; Kocael et al.
2014; Ekeh et al.
2013).
Nach postoperativer Stabilisierung sollte jeder Patient eine Immunisierung gegen
Meningokokken,
Pneumokokken und
Haemophilus influenzae erhalten. Auf eine entsprechende „Auffrischung“ der Immunisierung ist im Verlauf zu achten. Eine jährliche Influenza-Impfung erscheint schon aufgrund des Risikos einer bakteriellen Superinfektion mit Pneumokokken sinnvoll (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Raaijmakers et al.
2019; Haan et al.
2005; Kocael et al.
2014; Ekeh et al.
2013).
Bei einer kleinen Gruppe von Patienten besteht aufgrund individueller Merkmale postoperativ ein hohes Risiko für ein schweres septisches Krankheitsbild: „Overhelming post-splenectomy infection“ (OPSI)
. Zur Prävention von postoperativen Infektionen ergibt sich bei Patienten mit hohem OPSI-Risiko (z. B. dauerhafte Immunsuppression bei
chronischer lymphatischer Leukämie, Z. n. invasiver Pneumokokkeninfektion) die Indikation zur unmittelbar postoperativ-prophylaktischen, antimikrobiellen Langzeitherapie. Mittel der ersten Wahl ist bei Kindern und Erwachsenen Penicillin V
. Bei bekannter Penicillin-Allergie sind Makrolide das Mittel der zweiten Wahl. Die Dauer dieser Therapie ist individuell festzusetzen, beträgt jedoch mindestens 1 bis 2 Jahre. Bei entsprechenden Risikogruppen sollte bei fieberhaften Infekten frühzeitig eine entsprechende
antimikrobielle Therapie eingeleitet werden (Renzulli et al.
2009a,
b; Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Raaijmakers et al.
2019; Haan et al.
2005; Kocael et al.
2014; Ringburg et al.
2011; Guth et al.
1996; Ekeh et al.
2013; Klotz et al.
2003; Goddard et al.
2007).
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und Grad der Behinderung/Schädigungsfolge (GdB/GdS)
Die funktionelle Bedeutung der Milz liegt in der Aussortierung dysfunktionaler sowie gealterter
Erythrozyten. Sie kann somit als Bestandteil des blutregulierenden Systems betrachtet werden. Darüber hinaus besteht eine entscheidende Funktion in der Immunabwehr. Nach einem Organverlust bleibt eine relative „Immuninkompetenz“ lebenslang bestehen. Andere Teile des Immunsystems können diese Funktionen nur partiell übernehmen, da die anatomische Besonderheit der Milz als einziges immunologisches Organ, welches direkt in den Blutkreislauf geschaltet ist, verloren geht. Die Menge an
Immunglobulinen, die einen wesentlichen Teil der Immunität gegen bakterielle Infektionen vermittelt, bleibt dauerhaft erniedrigt. Kohortenstudien konnten zeigen, dass ein besonders hohes Risiko schwerer Infektionen („OPSI“) im ersten Jahr nach Splenektomie besteht. Aus dem lebenslang erhöhten Infektionsrisiko ergeben sich die folgenden Erfahrungswerte hinsichtlich einer MdE (Tab.
4) (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Raaijmakers et al.
2019; Haan et al.
2005; Kocael et al.
2014; Ringburg et al.
2011; Guth et al.
1996; Ekeh et al.
2013; Klotz et al.
2003; Goddard et al.
2007):
Tab. 4
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach Splenektomie
3. bis 6. Monat nach Milzverlust | 50–75 |
6. bis 12. Monat nach Milzverlust | 20–30 |
13. bis 24. Monat nach Milzverlust | 10–20 |
ab 2. Unfalljahr | 10 |
Lange herrschte die Ansicht, dass der Milzverlust
auf Dauer keine MdE bedinge, weil dem „Milzlosen“ Arbeitsplätze nicht verschlossen seien. Aufgrund der medizinischen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte kann diese Ansicht als überholt betrachtet werden. Die dauerhafte relative Immuninkompetenz kann sich bei entsprechenden Belastungssituationen fatal auswirken. Dies ist zum Beispiel bei infektionsgefährdeten Pflegeberufen zu berücksichtigen. Die Tropentauglichkeit
ist eingeschränkt. Eine MdE von 10 % auf Dauer ist angezeigt (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Raaijmakers et al.
2019; Haan et al.
2005; Kocael et al.
2014; Ringburg et al.
2011; Guth et al.
1996; Ekeh et al.
2013; Klotz et al.
2003; Goddard et al.
2007).
Treten 1 bis 2 Jahre nach Milzverlust Infektionen auf, die mit einer kompromittierten Immunabwehr
nach Milzexstirpation in Zusammenhang gebracht werden können, so wirkt sich dies in der Höhe der MdE bei entsprechenden Krankheitsverläufen aus. Komplikationen im Rahmen des peri- und postoperativen Traumas sind gesondert zu bewerten (z. B. Verwachsungsbeschwerden, Thrombosen). Bei Verlust von Milz und linker Niere erhöht sich die MdE auf 30 % (Aubrey-Bassler und Sowers
2012; Raaijmakers et al.
2019; Haan et al.
2005; Kocael et al.
2014; Ekeh et al.
2013; Klotz et al.
2003).
Nach der VersMedV bedingt der Verlust der Milz bis zum 8. Lebensjahr einen GdS/GdB von 20, bei späterem Verlust regelhaft 10.