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Die Ärztliche Begutachtung
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Publiziert am: 06.08.2022

Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen

Verfasst von: Johannes W. Dietrich, Harald Klein, Ekkehard Schifferdecker und Helmut Schatz
Erkrankungen der Hypophyse und der Nebenniere sind vielgestaltig und meist sowohl in diagnostischer als auch therapeutischer Hinsicht komplex. Probleme können aus Hormonexzess, Hormonmangel oder verdrängendem Wachstum hervorgehen.
Während der akuten Phase können erhebliche Verminderungen der Fahreignung und der Arbeitsfähigkeit bestehen. Ob nach einer kausalen Therapie Beschränkungen bestehen, hängt davon ab, ob es bereits zu Folgeerkrankungen gekommen ist. Die verminderte Stressfähigkeit (allostatische Insuffizienz) bei Hypophysen- oder Nebennierenrindeninsuffizienz kann außerdem die Fähigkeit zur Ausübung bestimmter Berufe einschränken.

Einleitung

Erkrankungen der Hypophyse und der Nebenniere sind vielgestaltig und meist sowohl in diagnostischer als auch therapeutischer Hinsicht komplex. Probleme können aus Hormonexzess, Hormonmangel oder verdrängendem Wachstum hervorgehen.
Während der akuten Phase können erhebliche Verminderungen der Fahreignung und der Arbeitsfähigkeit bestehen. Ob nach einer kausalen Therapie Beschränkungen bestehen, hängt davon ab, ob es bereits zu Folgeerkrankungen gekommen ist. Die verminderte Stressfähigkeit (allostatische Insuffizienz) bei Hypophysen- oder Nebennierenrindeninsuffizienz kann außerdem die Fähigkeit zur Ausübung bestimmter Berufe einschränken.

Hypophysenerkrankungen

Gutachterlich sind neben einer autonomen oder semiautonomen Hormonproduktion insbesondere hypophysäre Insuffizienzen relevant. Unterschieden werden eine isolierte Vorderlappeninsuffizienz und ein Panhypopituitarismus, der Vorder- und Hinterlappen umfasst. Die Hinterlappeninsuffizienz spiegelt eine hypothalamische Funktionsstörung wider, da der Hinterlappen Nervenendigungen hypothalamischer Neurone enthält.

Hypophyseninsuffizienz

Definition

Die Hypophysenvorderlappen-(HVL-)Insuffizienz ist durch einen Ausfall oder eine unzureichende Sekretion der glandotropen Hormone des Hypophysenvorderlappens, also des TSH, des ACTH und der Gonadotropine (FSH und LH) sowie anderer Steuerhormone (MSH, STH und Prolaktin) gekennzeichnet. In der Folge resultieren sekundäre Funktionsstörungen der zugehörigen peripheren Organe. Der Ausfall von MSH, der eine sekundäre Nebennierenrindeninsuffizienz begleitet, führt zur charakteristischen Blässe der Haut. Die HVL-Insuffizienz kann akut eintreten oder sich langsam im Laufe von Jahren entwickeln. Neben den Akutfolgen des hormonellen Ausfalls kann es zur allostatischen Insuffizienz, d. h. einer verminderten oder aufgehobenen Stressfähigkeit durch mangelnde Anpassbarkeit der Nebennieren-, Schilddrüsen- und Wachstumshormonachsen an akute Belastungssituationen kommen.

Einteilung und Ätiopathogenese

Die Vorderlappeninsuffizienz wird in Globalinsuffizienz (Ausfall aller Hormone) und Partialinsuffizienz (Ausfall einzelner Achsen) unterteilt. Im Hinblick auf einen einzelnen Regelkreis wird noch zwischen partieller (erniedrigte Konzentration des peripheren Hormons bei normalem Spiegel des glandotropen Hormons) und kompletter Insuffizienz (Steuerhormon und peripheres Hormon reduziert) differenziert.
Mögliche Ursachen einer HVL-Insuffizienz umfassen:
  • Traumata (operative Eingriffe, Bestrahlung, exogenes Trauma)
  • Tumoren (einschließlich Metastasen)
  • Infektionen (Meningitis, Syphilis u. a.)
  • granulomatöse Prozesse (eosinophiles Granulom, Sarkoidose u. a.)
  • Gefäßerkrankungen sowie Zirkulationsstörungen (postpartale Nekrose [Sheehan-Syndrom], Thrombose, Aneurysma, Riesenzellarteriitis u. a.)
  • Autoimmunerkrankungen (Hypophysitis)
Häufige Ursachen sind Tumoren, vorwiegend der Hypophyse, aber auch der Umgebung (z. B. Kraniopharyngeom), und postoperative Schäden. Das Sheehan-Syndrom ist heute durch die Fortschritte in der Geburtshilfe sehr selten geworden. Selten liegen auch eine Autoimmunhypophysitis (nicht immer mit entsprechendem Autoantikörpernachweis) sowie das „Empty-sella-Syndrom“ (das nicht notwendigerweise mit einer Hypophyseninsuffizienz einhergeht) zugrunde. Der Funktionsausfall des HVL kann auch infolge einer Schädigung des übergeordneten Hypothalamus durch die gleichen Ursachen zustandekommen, man spricht dann von tertiären Funktionsstörungen. Vom Ausfall einer Partialfunktion bis zur vollständigen Insuffizienz sind alle Übergänge möglich.

Gutachtliche Bewertung

Für die Anerkennung eines schweren Kopftraumas als Ursache einer HVL-Insuffizienz ist ein adäquates Trauma zu fordern. Ein zeitlicher Zusammenhang von maximal einem Jahr findet sich bei etwa 75 % der Fälle, eine Diagnosestellung noch nach Jahrzehnten ist aber für seltene Einzelfälle ebenfalls beschrieben.
Eine voll ausgeprägte HVL-Insuffizienz bedingt fehlende Fahreignung und Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung auf Zeit, da eine vollständige Substitution möglich ist. Dauernde ärztliche Überwachung und Therapiesteuerung sind erforderlich. Mangelnde Substitution führt zu Dauerschäden, insbesondere durch Osteoporose, was bei der Festsetzung eines Grad der Schädigungsfolge (GdS) bzw. Grad der Behinderung (GdB) zu berücksichtigen ist. Die Indikation zur Wachstumshormonsubstitution bei Erwachsenen mit HVL-Insuffizienz muss individuell gestellt werden, Kontraindikationen sind zu beachten (Malignome, Retinopathie). Von den meisten Kostenträgern bzw. Auftraggebern von Gutachten wird in der Regel ein Ausfall mindestens zweier weiterer Regelkreise gefordert.
Bei unbehandelter thyreotroper oder kortikotroper Insuffizienz bestehen weder Arbeitsfähigkeit noch Fahreignung. Unter stabiler Behandlung kann die Leistungsminderung aufgrund der allostatischen Insuffizienz zu einem GdS/GdB zwischen 20–30 führen. Aufgrund der fehlenden Stressfähigkeit kann eine voll ausgeprägte kortikotrope Insuffizienz die medizinische Tauglichkeit für bestimmte Tätigkeiten (z. B. Feuerwehr, Militär, Polizeidienst, Rettungsdienst etc.) einschränken oder ganz aufheben. Auch für Tätigkeiten mit Schichtwechsel oder starker Kreislaufbelastung besteht oft nur eine bedingte bzw. eingeschränkte Eignung.
Bei schweren hypophysären Funktionsstörungen ist von einer erhöhten Mortalität der Betroffenen auszugehen. Außerdem ist das Risiko für Sekundärtumoren erhöht. Dies kann von Bedeutung für die gutachtliche Prüfung bei Abschluss einer Lebensversicherung sein.

Diabetes insipidus

Definition

Unter dem Begriff Diabetes insipidus (DI) werden alle Krankheitsbilder mit Polyurie und Polydipsie zusammengefasst, die durch mangelnde Bildung von Adiuretin (ADH, auch Vasopressin oder AVP) – zentraler DI – oder mangelndes Ansprechen der Niere auf ADH – renaler DI – sind. Die Konzentrationsfähigkeit der Niere ist herabgesetzt und die Clearance von freiem Wasser erhöht.

Einteilung und Ätiopathogenese

Die Schädigung des Hypophysenhinterlappens (HHL) oder des Tractus supraopticohypophysealis unterhalb der Eminentia mediana führt zu einem partiellen oder transitorischen zentralen DI, Zerstörung der Nuclei supraoptici bzw. paraventriculares oder des Tractus oberhalb der Eminentia mediana zum kompletten und permanenten DI.
Man unterscheidet die idiopathische primäre Form, deren Ursache meist unklar ist. In 30–40 % dieser Fälle lassen sich Antikörper gegen HHL-Gewebe nachweisen, die auf eine autoimmunbedingte pluriglanduläre Insuffizienz hinweisen.
Ursachen der sekundären Form, die ca. 30–50 % aller auftretenden Fälle betrifft, sind:
  • Operationen oder Traumata,
  • Tumoren des Hypothalamus,
  • Metastasen,
  • Entzündungen (Enzephalitis, Lues, Tuberkulose, Sarkoidose, Histiocytosis X) und
  • Infiltrationen (z. B. Leukosen)
Der renale DI ist entweder primär ein hereditärer, angeborener Stoffwechseldefekt, oder er entsteht sekundär vor allem bei Nierenerkrankungen (obstruktive Pyelonephritis, Amyloidose, Nierenzysten, Strahlennephritis, Sjögren-Syndrom, Leichtketten-Nephropathie) oder bei Hyperkalziämie, Hypokaliämie und Lithiumtherapie.

Gutachtliche Bewertung

Der primäre idiopathische DI entsteht unabhängig von äußeren Einflüssen. Der posttraumatische (auch postoperative) DI ist selten und meist passager. In einer Serie von 702 Patienten mit schwererem Schädel-Hirn-Trauma fand er sich in 14 Fällen, bei den sieben überlebenden Patienten blieb er passager (Jazra und Berndt 1978). Durch ein geeignetes Trauma kann es jedoch in Einzelfällen zum permanenten DI kommen (Irmscher et al. 1966). Andere hypophysäre Ausfälle können ebenfalls entstehen (s. o.).
Die Therapie des zentralen DI mit dem Vasopressin-Analogon DDAVP (z. B. als Nasenspray) ist so wirksam, dass keine Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung entsteht. Dauertherapie, ärztliche Überwachung mit Elektrolytkontrolle sowie Kooperation auf Patientenseite sind jedoch zwingend erforderlich. GdS oder GdB sind mit der eines diätetisch eingestellten Diabetes mellitus vergleichbar und betragen ca. 20. Es können jedoch Einschränkungen der Tauglichkeit für bestimmte Tätigkeiten (z. B. auf Arbeitsplätzen mit Hitzebelastung) entstehen.

Autonome und semiautonome Hormonproduktion

Definition

Eine Überproduktion glandotroper Hormone kann jede Achse betreffen, führt jedoch am häufigsten zu einer semiautonomen Prolaktinsekretion (Tab. 1). Generell sind Hypophysentumoren häufig (Prävalenz in Sektionsstudien ca. 10 %, davon 85 % Adenome) und meist asymptomatisch (Deutschbein et al. 2021).
Tab. 1
Zelltyp
Relative Prävalenz
Ätiologie/Mutation
Überexpression des differenzierten Gens
Klinische Befunde
Hormoninaktiv
14–23 % (Radiologie, Autopsieserien)
Weitgehend unbekannt
Keine
Keine,
Chiasmasyndrom, Hypophyseninsuffizienz
Laktotroph
45–50/105
PIT1-Mutation
PRL
Galaktorrhoe
Gonadotroph
15–20/105
Mutation von STF1, GATA2
FSH
LH
Alpha-Subunit
Keine,
Chiasmasyndrom,
Hypophyseninsuffizienz
Somatotroph
10/105
PIT1-Mutation
STH (GH)
Ggf. zusätzlich PRL (Somatomammo-tropinome)
Akromegalie
Gigantismus
Hypogonadismus
Hypophyseninsuffizienz
Kortikotroph
5/105
Mutation von TBX19 (TPIT)
ACTH
Hypophyseninsuffizienz
Sonderfall: Nelson-Syndrom
Postoperativ selten
Dynamische Kompensation
ACTH
Hypophysen-Hyperplasie
Thyreotroph
<1/105
PIT1-Mutation
TSH
Alpha-Subunit
Sekundäre Hyperthyreose
Plurihormonal
Unbekannt
Mutation von PIT1, STF1, GATA2, TBX19 (TPIT)
STH (GH)
PRL
ACTH
Alpha-Subunit
Gemischt
Autonome oder semiautonome Produktionen von ACTH und TSH durch Hypophysenadenome führen zu sekundären Überfunktionen der zugehörigen peripheren Organe (M. Cushing bzw. sekundäre Hyperthyreose). Ein Großteil des klinischen Bildes und der möglichen Komplikationen entspricht dem der jeweils vergleichbaren primären Überfunktionen (s. dort).
Akromegalie und Gigantismus sind die Krankheitsbilder, die durch autonome Überproduktion von Wachstumshormon (STH, GH) nach bzw. vor Wachstumsabschluss durch die spezifische Hormonwirkung auf Skelettstoffwechsel (Steigerung des enchondralen Knochenwachstums), Eiweißstoffwechsel (Synthesesteigerung), Fettstoffwechsel (Steigerung der Lipolyse) und Kohlenhydratstoffwechsel (Insulinantagonismus) entstehen.

Einteilung und Ätiopathogenese

Die Produktion von Hormonen in Hypophysenadenomen geschieht meist nicht autonom sondern semiautonom, d. h., dass der Sollwert (Set Point) des zugehörigen Regelkreises erhöht ist, etwa auf der Grundlage somatischer Mutationen in einer hypophysären Zelllinie (Tab. 1). Dadurch bestehen noch eine gewisse Supprimierbarkeit und Stimulationsfähigkeit der Hypophyse, wenn auch auf höherem Niveau. Dies wird beispielsweise für die Interpretation des CRH-Tests in der Differenzialdiagnose ACTH-abhängiger Cushing-Syndrome genutzt.
  • Eine Hyperprolaktinämie kann von akutem Stress, einer Enthemmung der inhibierenden hypothalamischen Steuerung oder einem Prolaktinom herrühren.
  • ACTH-abhängige Cushing-Syndrome können von einem ACTH-produzierenden Adenom des Hypophysenvorderlappens (nur in diesem Falle spricht man von einem Morbus Cushing) und verschiedenen weiteren Ursachen herrühren (Abb. 1, Tafeln d–h und j).
  • Gonadotropinproduzierende Adenome wirken sich meist durch verdrängendes Wachstum aus.
  • Akromegalie und Gigantismus liegt meist ein autonomes Adenom STH-produzierender Zellen des Hypophysenvorderlappens zugrunde, seltener eine Hyperplasie, wobei mit einer Überproduktion von GRH („growth hormone releasing hormone“) im Hypothalamus oder paraneoplastisch in GRH-bildenden Tumoren (z. B. im Pankreas) gerechnet werden muss. Eine paraneoplastische STH-Produktion ist selten.
  • TSH-produzierende Adenome sind sehr selten (Prävalenz ca. 1:100.000) und resultieren in einer sekundären Hyperthyreose. Dieser Phänotyp kann auch auf einer hypophysären Schilddrüsenhormonresistenz beruhen.
Alle Hypophysenadenome können bei entsprechender Größe zu Störungen der benachbarten hormonproduzierenden Hypophysenzellen führen, zuerst zur Schädigung der Gonadotropinsekretion. Ein die Größe der Hypophyse überschreitendes Tumorwachstum führt zur Druckatrophie in der Umgebung (Optikusatrophie mit bilateraler Hemianopsie).

Gutachtliche Bewertung

Externe Einflüsse sind an Entstehung und Entwicklung der Erkrankungen nicht beteiligt. Der GdB hängt von der Schwere der klinischen Symptome und der Beeinträchtigung der direkt oder indirekt betroffenen endokrinen Funktionsachsen ab. Es kann Berufsunfähigkeit – oder Erwerbsminderung eintreten. Die psychische Belastung durch die Entstellung bei Cushing-Syndrom, Akromegalie oder Riesenwuchs bei Gigantismus kann erheblich sein und muss sozialmedizinisch zusätzlich berücksichtigt werden.
Auch lokale irreversible Verdrängungseffekte, wie eine Einschränkung der Augenmotilität bzw. des Gesichtsfelds oder eine Frontalhirnschädigung nach einer Gammaknife-Behandlung, können eine leistungsmindernde Wirkung entfalten und entsprechende Folgen für Rehabiliationsbedarf und Erwerbsminderung mit sich führen. Eine Visus- und Gesichtsfeldeinschränkung kann zur temporären oder dauerhaften Einschränkung der Eignung zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr, der Bildschirmarbeit oder anderen beruflichen Tätigkeiten, die einer optischen Rückkoppelung bedürfen, führen.
Eine Exposition gegenüber endokrinen Disruptoren (z. B. Organochlorverbindungen wie DDT oder DDE) kann im Kindesalter zur vorzeitigen Reifung der hypothalmo-hypophysären Achse führen und damit eine Pubertas praecox auslösen (Bergman et al. 2013).
Eine nicht hinreichend kontrollierte Akromegalie kann über die beteiligte Viszeromegalie und das vermehrte Risiko für kolorektale Karzinome zu einer erhöhten Mortalität führen, was beispielsweise bei Abschluss einer Lebensversicherung von Bedeutung sein kann.

Hormoninaktive Adenome und andere Raumforderungen

Definition

Hormoninaktive Adenome produzieren definitionsgemäß keine Hormone. Sie können aber durch lokal verdrängendes Wachstum auffallen, das zu Kopfschmerzen (unspezifisch), einem Chiasmasyndrom und einer Hypophyseninsuffizienz führen kann. Sie machen etwa 20 % aller Hypophysenadenome aus (Tab. 1).

Gutachterliche Bewertung

Der GdB hängt von der Schwere der klinischen Symptome und der Beeinträchtigung der indirekt betroffenen (ausgefallenen) endokrinen Funktionsachsen ab.

Nebennierenerkrankungen

Nebenniereninsuffizienz (Addison-Syndrom)

Definition

Unter Nebennierenrinden-(NNR-)Insuffizienz versteht man die Krankheitsbilder, die durch einen absoluten oder relativen Mangel an Gluko- und/oder Mineralokortikoiden entstehen. Man unterscheidet eine primäre NNR-Insuffizienz, den klassischen Morbus Addison, charakterisiert durch Untergang des NNR-Gewebes und hohe Spiegel des adrenokortikotropen Hormons (ACTH), von der sekundären (hypophysären) und tertiären (hypothalamischen) Form mit vorwiegendem Ausfall der Glukokortikoide bei niedrigem ACTH.

Einteilung und Ätiopathogenese

Die akute Form der NNR-Insuffizienz ist vorwiegend eine primäre und entsteht durch:
  • Infarzierung der Nebennieren (Waterhouse-Friedrichsen-Syndrom bei Meningokokkensepsis),
  • Blutungen in die Nebenniere (schwere Geburt bei Neugeborenen, Antikoagulanzientherapie, schwere Rückentraumen, Thrombosen der Nebennierenarterien)
  • akuten Entzug der Kortikoide nach beiderseitiger Adrenalektomie und
  • unter Stresssituationen bei chronischer NNR-Insuffizienz.
Die Ursache der chronischen primären NNR-Insuffizienz, des Morbus Addison, ist:
  • zu mehr als 70 % eine Autoimmunadrenalitis, auch im Rahmen einer autoimmunbedingten pluriglandulären Insuffizienz,
In den übringen Fällen beruht sie auf:
  • Tuberkulose der Nebennieren (früher in Europa häufig, heute z. B. noch bei Migranten und anderen sozial Benachteiligten)
  • Enzymdefekte der Kortikoidsynthese (adrenogenitales Syndrom) oder
  • Mitbeteiligung bei anderen Erkrankungen (Metastasen, Granulome, Amyloidose, Hämochromatose, Mykosen)
Die Ursachen für eine Schädigung der Hypophyse und des Hypothalamus wurden in den Abschnitten Diabetes insipidus, Hypophysen-Insuffizienz, Hypothyreose und Diabetes mellitus ausführlich geschildert. Bei diesen sekundären und tertiären Formen der Nebennierenrindeninsuffizienz entstehen wegen des eigenen Regelkreises keine Ausfälle durch Mangel an Mineralokortikoiden. Wegen der erniedrigten ACTH-Spiegel fehlt diesen Formen die typische braune Hautpigmentierung des Morbus Addison.

Gutachtliche Bewertung

Eine tuberkulosebedingte Form der NNR-Insuffizienz ist dann zu erwägen, wenn eine aktive Tuberkulose zur Streuung in die Nebennieren geführt hat. In Einzelfällen haben schwere Rückentraumata eine NNR-Insuffizienz zur Folge gehabt. Ein zeitlicher Zusammenhang muss dabei nachgewiesen sein.
Ein Morbus Addison erfordert eine lebenslange Therapie mit Gluko- und Mineralokortikoiden mit ärztlicher Kontrolle einschließlich Überwachung des Elektrolythaushaltes. Bei unbehandelter NNR-Insuffizienz bestehen weder Arbeitsfähigkeit noch Fahreignung. Die Substitutionsbehandlung kann die Berufs- und Erwerbsfähigkeit wiederherstellen bzw. erhalten, GdS/GdB bzw. die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liegen bei gut eingestellten Patienten zwischen 30 und 50. Nach der VersMedV sind Funktionsstörungen entsprechend analogen funktionellen Beeinträchtigungen wie einer orthostatischen Dysregulation zu beurteilen. Bei sekundärer oder tertiärer NNR-Insuffizienz nach traumatischer Schädigung müssen sie anhand der Schwere der insgesamt vorliegenden Ausfälle beurteilt werden.
Im Allgemeinen können Schulungsprogramme die nötigen Kenntnisse vermitteln, alltägliche Belastungen wie Wochenend-Dienste, Interkontinentalflüge, Urlaubsstress etc. mittels einer angepassten Substitutionsdosis zu bewältigen. Aufgrund der verminderten Stressfähigkeit kann jedoch die medizinische Tauglichkeit für bestimmte Tätigkeiten (z. B. Feuerwehr, Militär, Polizeidienst, Rettungsdienst etc.) eingeschränkt oder ganz aufgehoben sein. Auch für Tätigkeiten mit Schichtwechsel oder starker Kreislaufbelastung besteht keine gute Eignung.

Cushing-Syndrom

Definition

Unter einem Cushing-Syndrom versteht man das klinische Bild bei anhaltend unphysiologisch hohen Glukokortikoidspiegeln im Blut.

Einteilung und Ätiopathogenese

Man unterscheidet ACTH-abhängige von ACTH-unabhängigen Formen des Cushing-Syndroms (Abb. 1):
  • Eine vermehrte hypothalamo-hypophysäre ACTH-Sekretion unklarer Ätiologie mit sekundärer bilateraler Hyperplasie der Nebennierenrinde liegt in etwa 80 % der Fälle vor. H. Cushing hatte primär als Ursache der Erkrankung ein ACTH-Zell-Adenom des HVL gefunden (Morbus Cushing, Abb. 1d).
  • Es gibt auch hypothalamische Regulationsstörungen mit Überproduktion des CRH ohne Hypophysentumor, die erst durch pathologische Glukokortikoidspiegel gebremst wird.
  • Eine ektope paraneoplastische ACTH-, CRH- oder Bombesin-Bildung z. B. in kleinzelligen Bronchialkarzinomen und exogene ACTH-Gaben (heute obsolet) verursachen ebenfalls ein ACTH-abhängiges Cushing-Syndrom (Abb. 1, Tafeln f, g, h und j).
Das ACTH-unabhängige Cushing-Syndrom entsteht
  • durch Adenome und Karzinome der NNR (etwa 20 %, Abb. 1b),
  • selten durch idiopathische bilaterale NNR-Hyperplasie (Abb. 1c),
  • durch exogene Kortikoidzufuhr (Abb. 1i).

Gutachtliche Bewertung

Exogene Einflüsse spielen bei der Entstehung in 80 % der Fälle einer vorliegenden hypothalamisch-hypophysären Regulationsstörung keine Rolle. Die Wirkung einer ACTH- oder Corticosteroidtherapie in hohen Dosen auf den Stoffwechsel ist reversibel, sie muss bei therapeutischer Notwendigkeit in Kauf genommen werden. Es können aber nach Langzeittherapie dauerhafte Schäden vor allem am Skelettsystem persistieren (z. B. Osteoporose mit Wirbelkörperfrakturen, Hüftkopfnekrosen), die einen GdS/GdB bedingen können.
Bei gesichertem Cushing-Syndrom besteht Berufsunfähigkeit oder Erwerbsminderung auf Zeit. Nach operativer Therapie (selektive Adenomexstirpation bzw. Hemihypophysektomie nach seitengetrennter ACTH-Bestimmung im Serum aus den Sinus petrosi) ist eine Restitutio ad integrum möglich. Nach der VersMedV wird der GdS/GdB von der Muskelschwäche und den Auswirkungen an verschiedenen Organsystemen (Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz, Hypertension, Osteopenie und Osteoporose, psychische Veränderungen) bestimmt.
Gelegentlich wird ein Hypophysenadenom jedoch nicht gefunden oder nicht vollständig entfernt, sodass die Erkrankung persistiert oder rezidiviert. Verbleibende therapeutische Optionen schließen eine medikamentöse Therapie mit Pasireotid, Bestrahlung via Gammaknife oder Cyberknife und in schweren, therapieresistenten Fällen die bilaterale Adrenalektomie ein. Nach letzterer muss lebenslang wie beim Morbus Addison substituiert werden. Berufs- und Erwerbsfähigkeit können auch in diesem Falle wiederhergestellt werden. Gerade auch im Hinblick auf die mögliche Entwicklung eines Nelson-Tumors (die nach bilateraler Adrenalektomie erhöhte CRH-Produktion begünstigt durch dynamische Kompensation eine Adenombildung des Hypophysenvorderlappens) sind ärztliche Dauerüberwachung, ACTH-Spiegelkontrollen, Elektrolytkontrollen, evtl. Kontrollen des Kohlenhydratstoffwechsels sowie die Kooperativität des Patienten unbedingt erforderlich. Der GdS/GdB liegt bei gut eingestellten Patienten zwischen 40 und 60.

Primärer und sekundärer Hyperaldosteronismus, Conn-Syndrom

Definition

Eine Mineralokortikoidhypertonie macht einen erheblichen Anteil an allen Fällen einer arteriellen Hypertension aus, insbesondere bei jüngeren Menschen. Als primärer Hyperaldosteronismus wird eine autonome Aldosteronproduktion in der Nebenniere bezeichnet, als sekundärer Hyperaldosteronismus eine vermehrte Aldosteronbildung auf dem Boden einer gesteigerten Stimulation über Angiotensin II (indirekt über Renin). Leitsymptom ist eine hypokaliämische Hypertension.

Einteilung und Ätiopathogenese

Formen eines primären Hyperaldosteronismus teilen sich auf in
  • einseitige autonome Adenome in 60–80 % der Fälle
  • bilaterale Nebennierenhyperplasie (idiopathischer primärer Hyperaldosteronismus) in 20–40 % der Fälle
  • ein- oder doppelseitige makronoduläre Hyperplasie in 5 % der Fälle
  • aldosteronproduzierende Karzinome in weniger als 5 % der Fälle
Ein sekundärer Hyperaldosteronismus kann bedingt sein durch:
  • chronische Nierenerkrankungen (mit konsekutivem renoparenchymatöser Hypertension)
  • Nierenarterienstenose (mit renovaskulärer Hypertension)
  • Reninproduzierende Tumoren (selten)

Gutachtliche Bewertung

Exogene Einflüsse spielen bei der Entstehung eines Conn-Syndroms keine Rolle. Chirurgische Therapie kann zur Restitutio ad integrum führen, präoperativ ist eine Therapie mit Aldosteronanatagonisten wie Spironolacton oder Eplerenon möglich.
Gesondert zu bewerten sind vor der definitiven Therapie ggf. eingetretene Endorganschäden wie Nephropathie, fixierte Hypertension, Myokardfibrose, hypertensive Enzephalopathie und Retinaschäden.

Überlappungssyndrome („Connshing-Syndrom“)

Definition

Bei einem erheblichen Anteil der Fälle mit Conn-Syndrom liegt auch eine vermehrte Glukokortikoidproduktion vor („Connshing-Syndrom“). Diese führt zu einer stärkeren Ausprägung des begleitenden metabolischen Syndroms (Arlt et al. 2017).

Gutachtliche Bewertung

Die Bewertung entspricht der Summe der jeweiligen Einzelkomponenten (s. o.).

Phäochromozytom und Paragangliome

Definition

Als Phäochromozytome werden autonome, Adrenalin- und Noradrenalin-sezernierende Tumoren des Nebennierenmarks bezeichnet. Sie führen zu Dauerhochdruck (50–60 %) oder intermittierender Hypertonie (40–50 %). Katecholaminproduzierende Tumoren anderer chromaffiner, extraadrenaler Gewebe (z. B. des Grenzstrangs) werden als Paragangliome bezeichnet.

Einteilung und Ätiopathogenese

Die seltenen Tumoren sind für 0,5–1 % der Fälle mit arterieller Hypertonie verantwortlich. 5–10 % der Tumoren sind maligne, sie kommen familiär gehäuft vor, z. B. im Rahmen einer multiplen endokrinen Neoplasie Typ 2 (MEN) oder auch nur sporadisch alleine.

Gutachterliche Bewertung

Exogene Einflüsse spielen für die Entstehung der Krankheit keine Rolle. Chirurgische Therapie kann zur Restitutio ad integrum führen, sodass keine Einschränkung der Berufs-, Erwerbs- bzw. Dienstfähigkeit zu erwarten ist. Das ausgeprägte Krankheitsbild kann Berufsunfähigkeit und Erwerbsminderung auf Zeit bedingen.
Gesondert zu bewerten sind ggf. vor der definitiven Therapie eingetretene Endorganschäden wie Nephropathie, fixierte Hypertension, Myokard- und Retinaschäden.
Für den Abschluss einer Lebensversicherung ist relevant, dass zumindest präoperativ die Mortalität der Betroffenen signifikant erhöht ist. Bei krisenhafter Hormonausschüttung ist auch das Unfallrisiko deutlich erhöht.

Inzidentalome, Karzinome und andere Raumforderungen

Definition

In bildgebenden Untersuchungen finden sich häufig als Zufallsbefund Raumforderungen in einer oder beiden Nebennieren (Inzidentalome). Dies kann vielfältige differenzialdiagnostische Probleme aufwerfen.

Einteilung und Ätiopathogenese

Mögliche Korrelate von Inzidentalomen umfassen:
  • Nebennierenadenome (hormonproduzierend oder hormoninaktiv)
  • Nebennierenkarzinome (hormonproduzierend oder hormoninaktiv)
  • Metastasen
  • Granulomatöse Prozesse

Gutachtliche Bewertung

Bei einem benignen und nicht hormonaktiven Inzidentalom ist nicht von einer Einschränkung der Berufs- und Erwerbsfähigkeit auszugehen. Auch die Eignung für bestimmte Tätigkeiten ist in dieser Situation nicht eingeschränkt.
Im Falle einer autonomen Hormonproduktion richtet sich die gutachtliche Bedeutung nach der genauen Unterform der Raumforderung. Einzelheiten sind in den obigen Unterkapiteln dargestellt.
Aufgrund der schlechten Prognose des Nebennierenkarzinoms ergibt sich – je nach Tumorstadium – eine deutliche Einschränkung der Berufs- und Erwerbsfähigkeit bis hin zur Berufsunfähigkeit bzw. vollständigen Erwerbsminderung (Brückel und Böhm 2003).
Literatur
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